Finanz-Warnbrief ans Verteidigungsministerium: „Realistische Planung“ bei langfristigen Ausgaben, Soldaten-Altersgrenze steht zur Disposition

Der Angstgegner jeder Verteidigungsministerin, jedes Verteidigungsministers in der eigenen Regierung ist nicht, wie oft geunkt wird, der Bundesfinanzminister. Ein weit härterer Kontrahent, unabhängig von der Parteizugehörigkeit, ist der für die Aufstellung des Haushalts zuständige Staatssekretär im Finanzressort. Werner Gatzer, bereits unter Finanzminister Olaf Scholz in diesem Amt, hat nun für den nächsten Haushalt harte Forderungen ans Verteidigungsministerium gestellt – und dabei geht’s noch nicht mal in erster Linie um die Höhe des Wehretats insgesamt.

Der Brief, den Gatzer in der vergangenen Woche an seine Kollegin Margaretha Sudhof im Wehrressort schrieb, folgt zwar in der Grundlinie den Briefen, die aus dem Finanzministerium in diesen Tagen zum Entwurf der Fortschreibung des Bundeshaushalts 2022 sowie der Eckwerte zum Bundeshaushalt 2023 und zum Finanzplan bis 2026 an alle Bundesministerien rausgehen:

Der Koalitionsvertrag gibt die klare Leitlinie für die Haushaltsaufstellung vor. … Leider muss ich feststellen, dass die Anmeldungen der Ressorts mit zusätzlichen Ausgaben von 70 Mrd. Euro im Jahr 2022 und weiteren Ausgabewünschen im mittleren dreistelligen Milliardenbereich in den Folgejahren in keiner Weise den finanzpolitischen Vereinbarungen entsprechen, die zur Einhaltung des Koalitionsvertrages und der grundgesetzlichen Vorgaben erforderlich sind.

Aber natürlich geht der Finanz-Staatssekretär auch auf die Besonderheiten des Verteidigungshaushalts ein (Für den Einzelplan 14 bitte ich folgende Hinweise zu beachten). Dabei steckt der Sprengstoff nicht mal in den Planungen für die Gesamthöhe des Wehretats in den kommenden Jahren – zumal die, wie auch die damit verbundene so genannte NATO-Quote, dem Anteil dieses Haushalts am Bruttoinlandsprodukt, am Ende eine politische Entscheidung auf Ebene von Bundeskanzler und Kabinett ist.

Wesentlicher dürften die technisch klingenden Anmerkungen Gatzers sein, die unterhalb dieser Schwelle liegen, aber große Auswirkungen auf die Beschaffungsplanung der Streitkräfte haben:

Weiterhin weise ich darauf hin, dass die im Einzelplan 14 enthaltenen Verpflichtungsermächtigungen (VE) – auch im Hinblick auf die in der Vergangenheit gestiegenen Inanspruchnahmequoten bei den einzelnen VE – plafondneutral auszufinanzieren sind und bitte darum, dies bei der Anmeldung für den Bundeshaushalt 2023 und Finanzplan bis 2026 zu berücksichtigen. Neue VE sollen nur im Einklang mit den vorhandenen Ansätzen im Finanzplan unter Berücksichtigung der Haushaltsreife und realistischer Planung veranschlagt werden. Die Vielzahl der in der Vergangenheit entstandenen Deckungsmöglichkeiten im Einzelplan soll von nun an im Hinblick auf eine gesicherte Planbarkeit des Mitteleinsatzes schrittweise zurückgeführt werden.

Mit den so genannten Verpflichtungsermächtigungen kann das Verteidigungsministerium Verträge für Rüstungsgüter abschließen, deren Kosten erst in den nächsten Jahren fällig werden. Der Wehretat weist die mit Abstand höchsten Verpflichtungsermächtigungen auf, weit mehr als zum Beispiel der Verkehrshaushalt, in dem ebenfalls langfristige Vorhaben über solche Ermächtigungen abgedeckt werden: Im vergangenen Jahr wurden dafür nach einer Übersicht des Finanzministeriums 24,8 Milliarden Euro eingeplant, von denen bis 2025 pro Jahr bis zu vier Milliarden und nach 2025 dann 13,4 Milliarden Euro benötigt werden.

Die entsprechenden Verträge allerdings kann das Verteidigungsministerium schließen, sobald das Parlament zugestimmt hat – und diese Verträge haben dann auch Einfluss auf den Spielraum, den es im Verteidigungshaushalt der kommenden Jahre gibt. Was der Finanz-Staatssekretär hier fordert, wird sich auf neue Beschaffungen der Bundeswehr auswirken: Die Forderung nach realistischer Planung enthält den dezenten Hinweis, dass das Wehrressort in den vergangenen Jahren, laienhaft gesprochen, ungedeckte Schecks auf die Zukunft erhalten hat.

Ob und welche langfristigen Projekte damit möglicherweise gefährdet sind, ist noch offen. Vor einem Jahr wurde, noch unter der damaligen Koalition von Union und SPD, im Entwurf für den Haushalt 2022 eine Brandmauer eingezogen: Vor allem multinationale Projekte wie das deutsch-französisch-spanische Future Combat Air System (FCAS) und die gemeinsam mit Norwegen geplanten neuen U-Boote sollten gesichert werden, ebenso die Beschaffung eines Nachfolgemodells für das veraltete Kampfflugzeug Tornado. Allerdings: Das damals ebenfalls genannte Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) wurde noch unter der schwarz-roten Koalition auf unbestimmte Zeit vertagt.

Ebenso hart wie absehbare Einschränkungen bei der Beschaffung dürften das Verteidigungsministerium die Vorgaben zum Personal treffen. Denn mit den Gehaltsrunden für die Arbeitnehmer*innen im öffentlichen Dienst steigt in der Regel dann auch die Besoldung von Soldat*innen (wie Beamt*innen). Und diese absehbaren Solderhöhungen, warnt Gatzer, wird das Wehrressort aus dem eigenen Haushalt bezahlen müssen. Einen Finanzierung über die Allgemeine Finanzverwaltung, den Einzelplan 60, wie mehrfach in den vergangenen Jahren werde es nicht geben:

Innerhalb des Ve1ieidigungsetats ist sowohl für das Jahr 2022 als auch die Folgejahre sicherzustellen, dass die Personal- und Versorgungsausgaben bedarfsgerecht veranschlagt sind. Der Vollständigkeit halber weise ich daraufhin, dass für die Auswirkungen der nächsten Tarif- und Besoldungsrunde 2023 keine zentrale Vorsorge vorgesehen wird.

Damit ist noch längst nicht alles zum Thema Personal – und auch Personalstärke – der Bundeswehr gesagt. Aus Gatzers Schreiben:

Nach dem Koalitionsvertrag müssen die Strukturen der Bundeswehr effektiver und effizienter gestaltet werden mit dem Ziel, die Einsatzbereitschaft zu erhöhen. In dem Zusammenhang sieht der Koalitionsvertrag eine kritische Bestandsaufnahme zu Personal, Material und Finanzen der Bundeswehr vor. Vor diesem Hintergrund und angesichts absehbarer Herausforderungen für den Sachhaushalt des Verteidigungsetats für die Folgejahre stelle ich das im 1. Regierungsentwurf 2022 noch enthaltene Zugeständnis der neuen Planstellen für Soldatinnen und Soldaten im Kap. 1403 in Frage. Im Rahmen der anstehenden Bestandsaufnahme sollte auch die längerfristige militärische Personalplanung kritisch überprüft werden.

Wie das Zugeständnis aussieht, hatte das Verteidigungsministerium im vergangenen Jahr so umrissen:

Sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich sind eine Vielzahl an Verbesserungen im Personalhaushalt vorgesehen. Die neue Veranschlagungsstärke der Bundeswehr liegt bei 176.500 Soldatinnen und Soldaten. Die Zahl der freiwillig Wehrdienstleistenden bleibt bei 12.500, die der Reservistendienstleistenden bei 4.500.

Der Hinweis Gatzers ist damit zugleich eine Vorgabe für die Bestandsaufnahme, die sich das Verteidigungsministerium selbst bis Ende Mai verordnet hat – deutlich nach den Haushaltsberatungen und den für Anfang März vorgesehenen Festlegungen des Bundeskabinetts zum Haushalt. Mit anderen Worten: Die Personalstärke der Truppe steht nach Ansicht des Finanzministeriums auf dem Prüfstand.

Während das alles die Truppe selbst langfristig und überwiegend indirekt betrifft, zielt ein anderer Vorstoß Gatzers auf die Situation vieler Soldatinnen und Soldaten: Die Altersgrenze, bis zu der sie arbeiten müssen, steht aus Sicht des Finanz-Staatssekretärs zur Disposition.

Um gleichzeitig die Personalplanung im militärischen Bereich langfristig auf eine verlässliche Grundlage zu stellen, die auch der demografischen Entwicklung in Deutschland Rechnung trägt, schlage ich vor, dass das BMVg und das BMF zeitnah in Gespräche darüber eintreten, in welchem Umfang eine Anhebung der allgemeinen und besonderen Altersgrenzen für Berufssoldatinnen und -soldaten sachlich vertretbar und notwendig ist. Ich beabsichtige, diese Thematik in die Haushaltsgespräche einzubeziehen.

Betroffen davon wären die – Stand Dezember 2021 – gut 55.000 Berufssoldat*innen. Welche Altersgrenzen für sie gelten, insbesondere die niedrigere besondere Altersgrenze, ist in Paragraph 45 des Soldatengesetzes geregelt.

Nun ist das nicht der erste Vorstoß dieser Art. Bereits 2016 hatte das Verteidigungsministerium unter der damaligen Ressortchefin Ursula von der Leyen selbst vorgeschlagen, dass Soldatinnen und Soldaten  im gleichen Alter wie andere Staatsdiener in den Ruhestand gehen und nicht mehr wie bisher je nach Dienstgrad früher pensioniert werden sollten. 2018 hatte das Finanzministerium darauf gedrungen, die allgemeine Altersgrenze für Soldatinnen und Soldaten anzuheben, war aber auf Widerstand auch in der eigenen Koalition gestoßen.

Viel Zeit zum Gespräch über die erwarteten Änderungen in den Haushaltsplanungen des Verteidigungsministeriums gibt Gatzer seiner Kollegin Sudhof nicht. Um den Zeitplan für die Beratung im Bundeskabinett einhalten zu können, schrieb der Staatssekretär, müssten die entsprechenden Gespräche bis spätestens 25. Februar 2022 abgeschlossen sein.

(Archivbild Mai 2021: Verkehrsposten bei der ܆bung White Sparrow in Munster – Marco Dorow/Bundeswehr)