Wie fürs Lehrbuch: Die verschwundenen Kosovo-Fotos

Es sieht mittlerweile aus wie ein Musterfall für das – noch nicht geschriebene, oder kenne ich’s nur noch nicht – Lehrbuch für Presseoffiziere: Der Fall der Fotos, die deutsche Soldaten im Kosovo bei der Räumung einer Straßenblockade zeigten – und dann plötzlich verschwunden waren.

Der Reihe nach:

Am 1. Juni räumte KFOR eine Straßenblockade kosovarischer Serben bei Rudare. Es kam zu Auseinandersetzungen, zwei deutsche Soldaten wurden durch scharfe Schüsse verwundet.

Am 2. Juni veröffentliche die Multinational Task Force East (vormals Multinational Brigade -East, MNBG-E) der KFOR auf dem Photodienst Flickr Bilder von dieser Operation. Die Fotos zeigten Soldaten verschiedener Nationen (unter anderem aus den USA und der Schweiz) und eben auch aus Deutschland bei diesem Einsatz. Alle Fotos trugen den Vermerk U.S. Army photo und RELEASED.

Am 3. Juni griff ich hier bei Augen geradeaus! diese Fotos auf, verlinkte auf die Bildersammlung bei Flickr und zeigte im Blog direkt einige Aufnahmen mit deutschen Soldaten.

Knapp zwei Wochen später stellte ich zufällig fest, dass Fotos verschwunden waren – und zwar aus dem ganzen Set der Aktion bei Rudare ausschließlich die Fotos, die deutsche Soldaten zeigten. Die Bilder mit Soldaten anderer Nationen waren nach wie vor vorhanden. Mit ein bisschen Suchen im Internet fand sich schnell ein Teil der Fotos wieder – bei der Georgia National Guard, von denen ebenfalls Soldaten auf den Bildern waren und die deshalb diese Aufnahmen ebenfalls bei Flickr eingestellt hatte (übrigens mit einer deutlich weiter gehenden Lizenz, die die freie Verwendung erlaubt).

Also: nur und ausschließlich die Deutschen fehlten. Ganz plötzlich. Und gerade die Bilder von Bundeswehrsoldaten mit der Waffe im Anschlag im Kosovo. Das sah sehr nach einer gezielten Aktion aus, vielleicht politisch nicht erwünschte Fotos zu entfernen. Zumal die MNBG-E mir und anderen auf Anfrage mitteilte, die Bilder seien on request by the German army entfernt worden.

Übers Wochenende und heute habe ich mit verschiedenen Leuten gesprochen, und es zeichnet sich eine recht einfache Erklärung ab, die ich von verschiedenen (!) Seiten sowohl völlig inoffiziell als auch halboffiziell gehört habe und die ich für möglich halte:

Einige der abgebildeten deutschen Soldaten wurden von der Veröffentlichung der Bilder überrascht und drangen darauf, dass diese Bilder wieder zurückgezogen wurden – aufgrund der Befürchtung, dass sie auf diesen Aufnahmen identifiziert werden könnten. Dem kam die (amerikanisch geführte) MNBG-E nach. Aber: Die Amis löschten die Fotos kommentarlos, ohne jegliche Erklärung (vielleicht ja auch, könnte ich mir vorstellen, mit einem gemurmelten those f**g Germans). Vor allem aber: sie löschten alle Bilder, auf denen eine deutsche Uniform zu sehen war. Selbst wenn die Person auf so einem Bild, sagen wir mal, relativ schwierig zu erkennen war:

(U.S. Army photo by Sgt. 1st Class Jim Wagner/RELEASED)

Solche Fotos, einmal veröffentlicht (noch dazu als offizielle U.S. Army photos), kursieren schnell im Internet. Allein schon deshalb, weil es von der Bundeswehr kaum scharfe Einsatzfotos aus dem Kosovo gibt.  Und sie werden auch von anderen US-Einheiten ganz offiziell eingestellt.

Das scheint niemand bei dem Lösch-Wunsch bedacht zu haben. Und dass die kommentarlose Löschung selbst unverfänglicher Fotos aus einer offiziellen Veröffentlichungs-Seite erst recht misstrauisch machen muss, hat wohl auch keiner gewusst.

Mit anderen Worten: Wenn die Darstellung stimmt, die ich bislang höre, dann gilt der Spruch: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Die offensive Löschung der Bilder, ohne den Ansatz einer Erklärung und weit über ein nötiges Maß hinaus, hat den Bildern erst recht Aufmerksamkeit verschafft. Der Streisand-Effekt lässt grüßen.