Merkposten Mali: Weiter Angriffe auf die Armee, Regierung verlangt Transparenz von Deutschland, wer wird Nachmieter in Gao?

Die Entwicklung in Mali, wo im Rahmen der Vereinten Nationen der derzeit größte Auslandseinsatz der Bundeswehr stattfindet, ist weiterhin Besorgnis erregend: Die Angriffe von Jihadisten gegen die malische Armee auch in der Mitte des westafrikanischen Landes halten an. Unabhängig davon setzt die Regierung die UN-Mission MINUSMA und vor allem das deutsche Kontingent weiter unter Druck. Eine – sicherlich unvollständige – Momentaufnahme:

• Nachdem es in den vergangenen Tagen bereits eine Angriffswelle gegen verschiedene Standorte der malischen Armee gegeben hatte, unter anderem mit Selbstmordattentätern, meldete der Generalstab am (heutigen) Mittwoch erneute Attacken:

(Gleichzeitige Angriffe am frühen Morgen des Mittwochs, 27. Juli 2022, auf die FAMa-Posten in Kalumba, unweit von Mourdiah, Region Nara, und Sokolo, in der Nähe von Diabaly in der Region Segou.)

Die Details stehen noch aus; ganz offensichtlich aber sehen sich die malischen Streitkräfte unverändert einer breit angelegten Offensive mit komplexen Angriffen gegenüber.

Nachtrag: Die Bilanz der Angriffe am Mittwoch:

At least 15 soldiers and three civilians were killed in coordinated „terrorist“ attacks in Mali, the chronically unstable country’s army said Wednesday, the latest deadly violence to rock the Sahel state.
In Kalumba, near the Mauritanian border, „the death toll on the friendly side is 12, including three civilians from a road construction company“, the army said in a statement.
The army death toll in Sokolo, in central Mali, was six with 25 others wounded, five of them seriously.

(Interessant, dass der französische Sender France24 den Begriff „Terroristen“ in Anführungszeichen setzt.)

• Die Festnahme von 49 Soldaten der Elfenbeinküste als angebliche Söldner am 10. Juli zieht weitere Kreise. Die Regierung in Bamako hatte in der Folge die Truppenrotationen von MINUSMA untersagt (wovon auch die Bundeswehr betroffen ist) und sogar den Sprecher der UN-Mission des Landes verwiesen.

Interessant dabei ist aus deutscher Sicht der Schwerpunkt, den die malische Regierung nun auf das Verhalten der Bundeswehr legt. Die Verbindung ergibt sich, weil die festgesetzten Ivorer nicht zum regulären MINUSMA-Kontingent gehörten, sondern als Teil des sogenannten nationalen Unterstützungselements (NSE) ein Camp bei Bamako bewachen sollten. Dort sind nicht nur MINUSMA-Soldaten – auch Deutsche – untergebracht, sondern das Camp ist auch eine Basis der Fluglinie Sahel Aviation Service (SAS), die wiederum von einem deutschen Reservisten begründet wurde und die oft im Auftrag der Bundeswehr in der Region fliegt.

Wie gezielt die Regierung auf diesen Zusammenhang schaut, zeigte sich am (gestrigen) Dienstag. Bei einem Zusammentreffen mit dem UN-Untergeneralsekretär für Friedensoperationen, Jean-Pierre Lacroix, verlangte der malische Premierminister Choguel Maiga vom deutschen UN-Kontingent konkrete Auskünfte:

Hinsichtlich der besonderen Situation der 49 Elemente der ivorischen Armee, die am Sonntag, den 10. Juli 2022, ohne vorherige Information der zuständigen malischen Behörden mit einem zivilen Flug auf dem internationalen Flughafen Präsident Modibo KEITA angekommen sind, wiederholt die Regierung Malis ihre Forderung nach Klärung der rechtlichen oder vertraglichen Beziehungen zwischen den betroffenen ivorischen Soldaten, dem Sahel Aviation Service und dem deutschen Kontingent der MINUSMA.
Abgesehen von Einzelfragen wie der Situation der Nationalen Unterstützungselemente (NSE) der truppenstellenden Länder betont die Regierung von Mali die Notwendigkeit einer größeren Transparenz seitens der MINUSMA in Bezug auf ihre auf malischem Boden aktiven Truppen sowie auf die Bedingungen für die Stationierung und Rotation der militärischen und zivilen Kontingente und der NSE.

Dass der Premierminister seit Februar dieses Jahres auf der Sanktionsliste der EU steht, macht das alles vermutlich nicht einfacher. Bei der Bundeswehr bzw. beim deutschen MINUSMA-Kontingent war die Forderung nach Klärung der rechtlichen oder vertraglichen Beziehungen zwischen den betroffenen ivorischen Soldaten, dem Sahel Aviation Service und dem deutschen Kontingent der MINUSMA nach Angaben des Einsatzführungskommandos am (heutigen) Mittwoch noch nicht bekannt.

In dem Gespräch betonte der malische Premierminister zwar, es gebe keine Vorbehalte seines Landes gegen MINUSMA. Zugleich verlangte er – erneut – die Respektierung der Forderungen seines Landes an die UN-Mission. Das betrifft vor allem die Aufklärung von Menschenrechtsvergehen, die Mali nicht der MINUSMA überlassen will. Zugleich verknüpfte Maiga diesen Aspekt mit der Beschränkung der Bewegungsfreiheit der UN-Blauhelmtruppe:

Ich weiß, dass auf Ihrer Seite [Vereinte Nationen] Forderungen nach der Aufhebung der von Ihnen so genannten Einschränkungen, die wir als Maßnahmen der nationalen Planung und Sicherheit betrachten, hinsichtlich der Mobilität der MINUSMA in bestimmten Teilen unseres Hoheitsgebiets gestellt wurden.
Es ist zwingend notwendig, die Koordination zu verstärken und weiterhin eng zusammenzuarbeiten, Hand in Hand, und nicht nebeneinander, auch in Menschenrechtsfragen, die unserer Regierung und unserer Armee sowohl am Herzen liegen als auch respektiert werden, aufgrund unserer angestammten Kultur und auch aufgrund unserer internationalen Verpflichtungen.
Die Regierung Malis hat die MINUSMA zu einem Austausch eingeladen, um bestimmte Aspekte unserer Zusammenarbeit zu klären, damit günstige Bedingungen für die Aufhebung der aufschiebenden Maßnahme der Rotation der Kontingente der MINUSMA geschaffen werden können.

Nach einer schnellen Wiederherstellung der Bewegungsfreiheit für MINUSMA sieht das nicht aus. Das Statement des malischen Premierministers im Original:
20220726_Mali_Maiga

• Der planmäßige Abzug der französischen Truppen aus Mali geht mit dem Ende der Anti-Terror-Mission Barkhane weiter. Ihr letzter Stützpunkt im Land ist Gao, und auch dort ist das Ende in Sicht:

(Général de division Michon an die Soldaten Frankreichs in Gao: „Ich bin stolz darauf, an der Spitze von Soldaten gestanden zu haben, die aktiv am Erfolg der größten französischen Operation des letzten Jahrzehnts und insbesondere am Rückbau der operativen Wüstenbasis (Plateforme opérationnelle désert, PfOD) in Gao, dem letzten französischen Stützpunkt in Mali, arbeiten!“)

Damit kommen auf die deutschen Soldaten im MINUSMA-Einsatz, die zum überwiegenden Teil in Gao im Norden des Landes stationiert sind, ein paar unangenehme Fragen zu. Die eine ist, wie nach dem französischen Abzug die bislang durch französische Kampfhubschrauber, bewaffnete Drohnen und Kampfjets garantierte Sicherheitsunterstützung aus der Luft gewährleistet wird. Dass es eine solche Luftnahunterstützung geben muss, hatte die Bundesregierung ins neue Mali-Mandat geschrieben und der Bundestag im Mai so bestätigt:

Sofern während des Mandatszeitraums ein ausreichendes Versorgungs- und Schutzniveau für deutsche Soldatinnen und Soldaten nicht mehr gewährleistet werden kann, sind Maßnahmen zur Anpassung des deutschen Beitrags einzuleiten bis hin zur Beendigung des Einsatzes. Dies betrifft insbesondere die fortgesetzte Verfügbarkeit von Luftnahunterstützung nach dem Abzug der französischen Kampfhubschrauber. Den Vereinten Nationen kommt die Aufgabe zu, die nahtlose Bereitstellung von Luftnahunterstützung durch andere Truppensteller sicherzustellen.

Dazu ist derzeit wenig zu hören – diverse europäische Nationen wie die Niederlande und Italien, aber auch Kanada hatten auf Anfrage abgewinkt. Zuletzt schien nur noch Bangladesh bereit, dafür Kampfhubschrauber in Aussicht zu stellen.

Unmittelbarer von Bedeutung könnte aber sein, wer als Nachmieter in das dann von den französischen Truppen aufgegebene Camp in Gao einzieht, praktisch als Nachbar der Deutschen im dortigen Camp Castor. Etliche andere von Frankreich aufgegebene Basen, zum Beispiel in Timbuktu, wurden dann nicht nur von der malischen Armee übernommen: Dort zogen russische Söldner der Gruppe Wagner ein.

(Archivbild Oktober 2019 – Camp Castor in Gao)