Merkposten Mali: Terror-Angriffswelle gegen die malische Armee, internationale Truppen (bislang) nicht betroffen

Die Entwicklung in Mali, vor allem die zunehmend kritische Sicherheitslage, wird hierzulande meist unter dem Aspekt der Auswirkungen auf die internationalen – und damit auch der deutschen – Truppen gesehen. In den vergangenen Tagen hat sich allerdings die Lage enorm zugespitzt, ohne dass (bislang) die UN-Mission MINUSMA oder ausländische Truppensteller betroffen wären. Ein vermutlich unvollständiger Überblick:

Am (gestrigen) Donnerstag und am (heutigen) Freitag verübten Islamisten gleich sechs komplexe Angriffe auf Einrichtungen der malischen Armee, dabei gab es zahlreiche Tote. Auffällig ist dabei, dass gleich drei Mal Selbstmordattentäter mit Fahrzeugbomben (Vehicle Borne Improvised Explosive Device, VBIED) eingesetzt wurden – eine auch zuvor schon beobachtete, aber nicht übliche Taktik in Mali.

Und: die Angreifer, nach malischen Angaben der jihadistische Al Qaida-Ableger Katibat Macina, wagte sich auch an die Garnisonsstadt Kati mit ihrer starken Militärpräsenz heran. Alle Angriffe der vergangenen Tage fanden eben nicht im unruhigen Norden des Landes statt, sondern immer näher an der Hauptstadt Bamako.

Der für die malische Übergangsregierung vermutlich härteste Schlag war der Angriff auf Kati am (heutigen) Freitag. Aus der Bekanntmachung des malischen Generalstabs (das Original hier: 20220722_Mali_FAMa_communique):

KOMMUNIQUÉ NR. 050 DES GENERALSTABS DER STREITKRÄFTE
Der Generalstab der Streitkräfte informiert die Öffentlichkeit darüber, dass die malischen Streitkräfte erneut verzweifelte Versuche der Terroristen der Katibat Macina unterbinden konnten, die am frühen Morgen gegen 5.00 Uhr mit zwei mit Sprengstoff beladenen Fahrzeugbomben Kamikaze-Aktionen gegen eine Einrichtung der Direktion für Material, Öl und Transport der Streitkräfte (DMHTA) unternommen haben. Die FAMа haben das Gebiet sofort abgeriegelt und gleichzeitig mit den Durchkämmungsarbeiten begonnen, die derzeit noch andauern.

Die vorläufige Bilanz dieses Angriffs lautet wie folgt:
Auf Seiten der FAMa: 01 Toter und 06 Verletzte, darunter 01 Zivilist. – Auf Seiten der Angreifer: 07 neutralisiert, 08 festgenommen und viel Material erbeutet.
Der Generalstab der Streitkräfte möchte der Bevölkerung versichern, dass die Situation unter Kontrolle ist und sie ihren Geschäften nachgehen kann. Er erinnert auch daran, dass den Verteidigungs- und Sicherheitskräften nichts zu viel sein wird, um Ruhe und Gelassenheit in die Bevölkerung zu bringen und den freien Personen- und Güterverkehr zu gewährleisten.

Bereits am Vortag hatte es auf Einrichtungen der malischen Streitkräfte an anderen Orten fünf solcher komplexen Angriffe gegeben – und einen gescheiterten. Aus der Mitteilung des Generalstabs dazu (das Original hier 20220721_Mali_FAMa_Communique):

KOMMUNIQUÉ NR. 049 DES GENERALSTABS DER STREITKRÄFTE
Der Generalstab der Streitkräfte teilt der Öffentlichkeit mit, dass die malischen Streitkräfte die verzweifelten und koordinierten Versuche der Terroristen der Katibat Macina, die durch komplexe und gleichzeitige Angriffe gekennzeichnet waren, am frühen Morgen des 21. Juli 2022 in den Orten Douentza, Koro, Thy ( Sévaré), Bapho, Ségou und Kolokani wie folgt eingedämmt und unter Kontrolle gebracht haben.
Gegen 6.30 Uhr in Douentza: Angriff mit einer Fahrzeugbombe, gefolgt von gezielten Schüssen auf den Kommandoposten der in der Ortschaft stationierten „Groupement Tactique Inter Armes „Débo“. Die Bilanz dieses Angriffs ist wie folgt:
Auf Seiten der FAMA: 01 Toter, 15 Verletzte und 03 beschädigte Fahrzeuge, die alle auf die Explosion zurückzuführen sind. Auf Seiten der Terroristen: 03 Tote, davon 01 in der Fahrzeugbombe und 04 weitere, die bei den Kämpfen neutralisiert wurden, 01 MP, 01 Funkgerät vom Typ YT und 01 Mobiltelefon wurden erbeutet. Die FAMа haben die Stadt sofort abgeriegelt und anschließend durchkämmt.
In Koro explodierte gegen 05.15 Uhr ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug, das gegen die FAMA des Ortes gerichtet war, mitsamt seinen Insassen etwa 1 km entfernt, ohne dass es Opfer oder Sachschäden bei der Bevölkerung oder den FAMa gab. Die gesammelten Informationen über das Fahrzeug und das ausländische Kennzeichen werden derzeit ausgewertet.
In Mopti wurde ein weißer Toyota mit Doppelkabine, der mit Sprengstoff beladen war und gegen die FAMA gerichtet war, 30 Meter von der Nationalstraße RN-16 und 500 Meter vom Kontrollpunkt Thy entfernt, unweit der Stadt Sevaré, im Schlamm steckengeblieben aufgefunden. Die EOD-Teams der FAMа zerstörten das Fahrzeug gegen 13.30 Uhr ohne Schaden anzurichten.
In Bapho wurden drei Granaten auf das Militärgelände abgefeuert, ohne dass es Opfer oder Sachschäden gab.
In Segou zielten zwei Granaten auf das Militärgelände, ohne Opfer oder Sachschaden zu verursachen. Die Luftlandeoperationen, die noch im Gange waren, wurden sofort in dem Gebiet durchgeführt, aus dem die Geschosse stammten und das sich am linken Ufer des Flusses Niger befand. Es ist anzumerken, dass alle Granaten zwischen 05.32 Uhr und 05.35 Uhr abgefeuert wurden.
In Kolokani richteten sich gegen 05:30 Uhr komplexe und gleichzeitige Angriffe gegen die Abteilung der Antiterror-Einheit und die Territorialbrigade der Gendarmerie, wobei die FAMa zwei Tote und drei Verletzte zu beklagen hatte und zahlreiche Privatfahrzeuge in Brand gesetzt wurden.
Nach diesen Angriffen konnten die Angreifer dank präziser Aufklärung von den Bodeneinheiten verfolgt werden, unterstützt durch eine Luftoffensive, die einen Schlag gegen eine Ansammlung von einem Dutzend Fahrzeugen und Motorrädern in der Zone Tola 22 km südwestlich von Mourdiah ermöglichte, die von den FAMa streng bewacht und abgeriegelt wurde.

Eine erste Einschätzung des deutschen Politikwissenschaftlers Christian Klatt, der für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Mali arbeitet:

What can we take away from the happenings in #Kati this morning and the attacks yesterday in different parts of the #Mali?
Since the beginning of the 2022 #FAMa is doing extensive military operations in the center of Mali. Most likely with Russian support. Official communication celebrates these missions and promises a swift end of the insecurity
Meanwhile Malian and international #humanrights activists criticise the violence against the civilian population in these areas as well as the sustainability of these engagements
The momentarily effectiveness of the #FAMa engagement can’t be denied but the question remains if the liberated areas can be hold, so far we don’t see many positive examples on that front. It has to be noted that these processes take time to establish themselves
With the ongoing military operations it seemed like #JNIM, the Al Qaida group that is one of the primary actors of violence in the area, was under pressure. Some assumed they maybe won’t make it long. The group itself declared they are out for revenge
Yesterdays coordinated attacks in the six different places in the Mopti and Koulikoro regions showed that JNIM is far from finished. The clear coordination and targeting of military institutions show also a clearly who these attacks are aimed for
If it is true that #JNIM is responsible for todays attack on #Kati, the military stronghold close to Malis capital Bamako, it becomes clear that the group can’t be underestimated and is even willing to attack the #FAMa on their hometurf
The radical military approach by #FAMa to secure the center is nothing new. We’ve seen the same tactics by FAMa and French early on in the crisis. Back than it didn’t work and it seems like we have a similar situation now
Military can only be one pillar of a successful securitisation process. It also needs functioning education, presence of authorities and possibilities to invest in the future. Without it, the breeding ground for insecurity stays, no matter how many villages are “liberated”
For the transitional government that legitimises itself through its security agenda these attacks not just mean physical but maybe also structual danger. How long can they hold power if it becomes clear that the insecurity will not go away?

Die US-Botschaft in Mali warnte bereits vor einem Übergreifen der Gewalt in der Hauptstadt Bamako:

The U.S. Embassy in Mali received reports of roadblocks and possible violence in Bamako. U.S. government employees have been instructed to shelter in place until further notice. U.S. citizens should monitor local media for updates.

Gegen die UN-Mission MINUSMA sind bislang keine solchen Angriffe gestartet worden; und auch die deutschen Soldaten in Mali sind nach Angaben des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr bisher nicht von den Ereignissen betroffen.

(wird ggf. ergänzt)