Verfassungsgericht lehnt Klage gegen Anti-IS-Einsatz ab – und stellt Weichen für künftige Mandate (m. Nachtrag)

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Klage der Linksfraktion im Bundestag gegen die Beteiligung der Bundeswehr an der Anti-IS-Koalition zurückgewiesen. Die Klage sei unzulässig, weil die Parlamentarier nicht in ihren Rechten verletzt worden seien, urteilte das höchste deutsche Gericht. In der Begründung stellten die Karlsruher Richter aber zugleich die Weichen für eine Mandatierung von Bundeswehreinsätzen für EU-Einsätze.Die Linksfraktion hatte bereits 2016 nach dem Bundestagsbeschluss zum ersten Mandat für die deutsche Beteiligung an der internationalen Anti-IS-Koalition eine so genannte Organklage vor dem Verfassungsgericht erhoben: Ihre Rechte seien verletzt worden, weil die Bestimmungen des Grundgesetzes für Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht eingehalten worden seien. Das Parlament hatte Ende 2015 erstmals die Beteiligung von Schiffen der Deutschen Marine und Kampfjets der Luftwaffe für den Kampf gegen den IS gebilligt; das Mandat wurde mehrfach verlängert und steht derzeit erneut zur Verlängerung an.

Das Verfassungsgericht wies die Klage im Wesentlichen aus formalen Gründen als unzulässig zurück. Die von der Antragstellerin behauptete Verletzung der … geltend gemachten verfassungsmäßigen Rechte des Bundestages erscheint von vornherein ausgeschlossen, urteilte der Zweite Senat. Eine Organklage diene dazu, die Rechte der verschiedenen Verfassungsorgane Bundestag und Bundesregierung gegeneinander abzugrenzen, nicht aber zur Kontrolle des Handelns der Bundesregierung. Die Linke habe zudem nicht substantiiert dargelegt, dass das Parlament in seinen verfassungsmäßigen Rechten beeinträchtigt worden sei.

Die Entscheidung der Karlsruher Richter war absehbar und ist deshalb wenig überraschend – allerdings hat sich das Verfassungsgericht in dem Urteil nicht auf diese formale Entscheidung und die Gründe dafür beschränkt, sondern auch weitergehende Aussagen getroffen, die für künftige Bundeswehreinsätze von Bedeutung sind. Dabei geht es um die Frage, wie der Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes zu verstehen ist: Der legt fest, dass sich der Bund zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen kann, auf dieser Bestimmung beruhen alle Mandate für Auslandseinsätze der Streitkräfte.

Bislang wurden formal in der Regel die Vereinten Nationen beziehungsweise des UN-Sicherheitsrat sowie die NATO als die entsprechenden Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit verstanden; in der Regel wird in der Begründung eines Mandats eine entsprechende UN-Resolution genannt, so auch im jüngsten Entwurf für die Verlängerung des Anti-IS-Mandats.

Die Karlsruher Richter machten aber in ihrer Urteilsbegründung ausdrücklich klar, dass auch die EU mit ihrer Beistandsverpflichtung ein solches System gegenseitiger kollektiver Sicherheit sein könne – mit anderen Worten: Entsprechende EU-Beschlüsse könnten als Basis auch für Kampfeinsätze der Bundeswehr dienen. Das Gericht:

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist, anders als die Antragstellerin meint, nicht dahingehend zu verstehen, dass die Europäische Union grundsätzlich nicht als System im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG eingeordnet werden kann. Vielmehr ist es zumindest vertretbar, die Europäische Union als ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzusehen. Ein Streitkräfteeinsatz auf der Grundlage der Beistandsklausel des Art. 42 Abs. 7 EUV ist verfassungsrechtlich dem Grunde nach jedenfalls nicht ausgeschlossen.

Diesen Artikel des EU-Vertrages

Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen.

hatte Frankreich nach den Terrorangriffen in Paris im November 2015 erstmals geltend gemacht – was mit entscheidend für die deutsche Entscheidung für den Einsatz war.

Das Verfassungsgericht folgte auch nicht der Klage der Linksfraktion, die Berufung der Bundesregierung auf das Selbstverteidigungsrecht in Artikel 51 der UN-Charta werde mit dem Anti-IS-Einsatz überreizt, zumal sich diese militärische Mission gegen nichtstaatliche Akteure richte:

Der Wortlaut des Art. 51 VN-Charta sperrt sich grundsätzlich nicht gegen die Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure als Urheber eines bewaffneten Angriffs. Auch ein vollständiges Verbot nachteiliger Auswirkungen von Selbstverteidigungshandlungen auf andere Rechtsträger, wie etwa Staaten, von deren Gebiet aus territorial verfestigte nichtstaatliche Akteure agieren, ergibt sich aus dem Wortlaut nicht. Die von der Antragstellerin gerügte weite Auslegung des Art. 51 VN-Charta widerspricht auch nicht dem Sinn und Zweck der Norm, die letztlich die fortbestehende Möglichkeit der VN-Mitgliedstaaten verbrieft, sich trotz ihrer Verpflichtung zur umfassenden Achtung des Gewaltverbots gegen Angriffe, gleich von wem sie ausgehen, verteidigen zu können.

Da ich kein (Verfassungs)Jurist bin, kann ich allerdings nicht einschätzen, was diese Karlsruher Entscheidung für die so genannten Ad-hoc-Koalitionen bedeutet: Eine Koalition der Willigen, zum Beispiel auch ohne Mandat von UN oder NATO. Den Anti-IS-Einsatz ordnet Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn übrigens als eine solche Ad-hoc-Koalition ohne Mandat der Vereinten Nationen ein – dieses Aspekt scheinen die Verfassungsrichter nicht aufgegriffen zu haben.  (Ich berichtige mich gerne, wenn mich Kundige aufklären.)

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts hier

Der Entscheidungstext hier

Beschluss vom 17. September 2019, veröffentlicht am 10. Oktober 2019
Az: 2 BvE 2/16

Nachtrag: Ich habe mal den Politikwissenschaftler Carlo Masala* von der Bundeswehruniversität München nach seiner Einschätzung der Gerichtsentscheidung und vor allem der Aussagen zu den Systemen kollektiver Sicherheit gefragt – seine Antwort im Wortlaut:

Das Bundesverfassungsgericht versteht den Unterschied zwischen kollektiver Sicherheit und kollektiver Verteidigung nicht. Ein System kollektiver Sicherheit stellt für seine Mitgliedsstaaten Garantien bereit, falls diese von außen angegriffen werden, aber vor allem, falls es militärische Auseinandersetzungen zwischen ihnen geben sollte. Im letzteren Fall sieht das System kollektiver Sicherheit vor, dass Mechanismen – unabhängig vom Willen der Mitgliedsstaaten –  greifen, um diesen Konflikt beizulegen.

Ein System kollektiver Verteidigung ist ausschließlich für die Abwehr eines Angriffes eines seiner Mitglieder von außen gedacht. Legt man diese Unterscheidung zugrunde, dann ist nur die UN (mit Abstrichen) als ein System kollektiver Sicherheit zu bezeichnen.

Die NATO ist ein System der kollektiven Verteidigung (so nennt sie sich ja selbst). Deswegen hat sie auch nie in den Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei eingegriffen – weil es dafür keine Mechanismen gibt. Und der EU-Vertrag sagt: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen.“ Das klingt erstmal nach Angriff von außen und ist somit kein System kollektiver Sicherheit, sondern ein System kollektiverVerteidigung.

Nun ist es gut für Deutschland, dass das Bundesverfassungsgericht das mit der kollektiven Sicherheit so einordnet, aber es ist ein kategorialer Fehler des Gerichts.

Ad-hoc-Koaltionen können sich nur mit Artikel 51 der UN-Charta legitimieren. Und dieser Legitimation kann sich die Bundesregierung auch anschließen und unter dieser kann sie sich auch beteiligen.

Dass das Grundgesetz die Bereitschaft vorsieht, in Systemen kollektiver Sicherheit dem Frieden der Welt zu dienen, ist  gut. Das Grundgesetz ist aber unter dem Eindruck der Vereinten Nationen geschrieben worden. Die anderen Institutionen gab es da noch nicht.

Völkerrechtler sind da vermutlich anderer Meinung – aber wir müssen schon die Dinge sauber auseinanderhalten.

*Offenlegung: Masala und ich sind Co-Hoster des Podcasts Sicherheitshalber

(Archivbild April 2018: Zwei Kampfflugzeuge Tornado fliegen über die Air Base Al-Azraq/Jordanien im Rahmen der Mission Counter Daesh – Dorian Baro/Bundeswehr)