Deutscher Werftenverbund wird Realität – ohne Thyssen (m. Nachtrag)

Die Spekulationen über einen Zusammenschluss deutscher Werften für den Bau von Kriegs- und Behördenschiffen werden Realität: Die Lürssen-Gruppe und die German Naval Yards Kiel (GNYK) wollen zusammengehen. Thyssen dagegen schaut nach Italien.

Über einen nationalen deutschen Werftenverbund hatte es bereits vor einigen Wochen Vermutungen gegeben; seit dem späten (gestrigen) Mittwochabend ist er auch öffentlich Gewissheit. Aus der gemeinsamen Mitteilung von Lürssen und GNYK:

Lürssen beabsichtigt mit German Naval Yards Kiel eine dauerhafte Zusammenarbeit im Marineschiffbau. Die bisherigen Aktivitäten im militärischen und behördlichen Überwasserschiffbau sollen künftig in ein gemeinsames Unternehmen unter Führung der Bremer Lürssen-Gruppe eingebracht werden. Ziel ist eine Verbesserung der nationalen Industriestruktur sowie eine Stärkung der Effizienz und Nachhaltigkeit. Die Vorarbeiten zu einer abschließenden vertraglichen Vereinbarung über das Gemeinschaftsunternehmen konnten in dieser Woche zwischen den Eigentümerfamilien erfolgreich abgeschlossen werden. Der geplante Zusammenschluss unterliegt dem fusionskontrollrechtlichen Genehmigungsvorbehalt.
Der Zusammenschluss folgt den Forderungen des öffentlichen Auftraggebers, leistungsfähige Industriestrukturen in nationaler verlässlicher Verfügbarkeit und effizienter Kostenstruktur gewährleistet zu sehen. Dies umfasst neben dem Neubau technologisch hochinnovativer Marineschiffe auch deren Funktionserhalt über den gesamten Lebenszyklus. Eine Unterstützung hat diese Forderung in den jüngsten Beschlüssen der Bundesregierung zur Neufassung des „Strategiepapiers zur Stärkung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ mit der Zuordnung des gesamten Marineschiffbaus als deutsche „Schlüsseltechnologie“ erfahren. Die Stärkung des nationalen Marineschiffbaus durch eine Gemeinschaftsunternehmung von Lürssen und German Naval Yards Kiel entspricht diesen Zielvorgaben und stärkt zugleich die internationale Wettbewerbsposition norddeutscher Werften und der nationalen maritimen Zulieferindustrie.

Nicht beteiligt an einem solchen Verbund ist Thyssen Krupp Marine Systems, die für die Deutsche Marine vor allem als Lieferant der U-Boote von Bedeutung sind. Das Unternehmen geht möglicherweise mit dem italienischen Werftenkonzern Fincantieri zusammen, wie Reuters berichtete:

Thyssenkrupp is exploring several strategic options for its warship unit, ranging from combining it with Italy’s Fincantieri to creating a national champion with German peers, a person familiar with the matter said.
The talks are aimed at creating economies of scale for the division, Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS), which builds submarines and surface ships and operates in a highly fragmented sector driven by political decisions, the source said.
As part of the deliberations, the steel-to-car parts conglomerate is in talks with shipbuilder Fincantieri about a 50-50 joint venture to create a European champion with combined sales of 3.4 billion euros (3 billion pounds), the person said.

Im Gegensatz zum Verbund Lürssen-GNYK gibt es allerdings dafür noch keine Bestätigung.

Interessant wird der deutsche Zusammenschluss nicht nur grundsätzlich für die Zukunft des Baus von Kriegsschiffen in Deutschland, sondern auch aktuell im Hinblick auf die Vergabe der neuen Mehrzweckkampfschiffe 180 (MKS180) der Deutschen Marine. Dieser Auftrag soll an ein Konsortium unter Führung der niederländischen Damen-Werft vergeben werden, ein (Groß?)Teil der Arbeiten würde ohnehin auf deutschen Werften stattfinden. Allerdings hatte GNYK als unterlegener Anbieter gegen diese Vergabeentscheidung den Rechtsweg begonnen.

Nachtrag: Dass die juristische Auseinandersetzung um den Bau der MKS180 damit beigelegt wird, wird um so wahrscheinlicher, wenn man die Aussage des Maritimen Koordinators der Bundesregierung, des CDU-Bundestagsabgeordneten Norbert Brackmann, liest:

Der Zusammenschluss stärkt den maritimen Standort Deutschland insgesamt, er ist ein gutes Signal für Arbeitsplätze und technologische Innovationen. Ich hoffe sehr, dass mit der Entscheidung jetzt auch der Bau des Mehrzweckkampfschiffs 180 zeitnah starten kann. Damit könnte der avisierte Zeitplan für die Schiffe im Großen und Ganzen realisierbar sein. Das wäre vor allem für unsere Marine eine gute Nachricht, da man dort auf die Schiffe wartet.

Nachtrag, der Vollständigkeit halber: Unmittelbar nach Bekanntwerden des geplanten Zusammengehens mit Lürssen hat GNYK seine juristischen Einwände gegen die Vergabe des MKS180 zurückgezogen. Die Werft selbst wollte das auch auf mehrfache Nachfrage nicht sagen, aber das BMVg sagt es ja selbst:

Das Vergabeverfahren um das Mehrzweckkampfschiff 180 ist rechtswirksam. Die Firma DAMEN Schelde Naval Shipbuilding B.V. steht im Bieterwettbewerb um den Bau des Schiffes als Ausschreibungssieger offiziell fest. (…)
Hintergrund ist, dass die Firma German Naval Yards Kiel GmbH (GNYK) am 14.05.2020 bei der Vergabekammer des Bundes den Nachprüfungsantrag zur Vergabeentscheidung des Mehrzweckkampfschiffs 180 zurückgezogen hat. Daraufhin hat die Vergabekammer das Nachprüfungsverfahren offiziell eingestellt.
Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) begrüßt sehr, dass die juristischen Unebenheiten damit beseitigt sind und der Beschaffungsprozess weiter vorangetrieben werden kann.
Im nächsten Schritt wird sich nun der Deutsche Bundestag noch vor der Sommerpause mit der 25 Mio. Euro-Vorlage für dieses Rüstungsprojekt befassen.

(Foto: Eine Momentaufnahme aus Kiel am 3. April dieses Jahres: Der Einsatzgruppenversorger Frankfurt am Main liegt bei GNYK am Kai, während ein von Thyssen für Ägypten gebautes U-Boot vorbeifährt – Foto Helwin Scharn)