SPD-Parteitag findet Kompromiss zur Wehrpflicht: Viel grünes Licht für Pistorius (m. Wortlaut)

Die SPD hat sich auf eine Marschrichtung für das künftige Wehrdienstmodell und eine mögliche Wehrpflicht festgelegt  – dabei aber zugleich eine sehr interpretationsfreudige Formel für verpflichtende Einberufungen gefunden. Auf dem Parteitag der Sozialdemokraten in Berlin an diesem Wochenende handelten, praktisch federführend für die gegensätzlichen Strömungen in der Partei, der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer und Verteidigungsminister Boris Pistorius einen Kompromiss aus, der dann die Zustimmung der Delegierten fand.

Der Wortlaut des verabschiedeten Beschlusses vom (gestrigen) Samstagabend nach Parteiangaben:

Die SPD bekennt sich zu einem Neuen Wehrdienst, der auf Freiwilligkeit beruht und sich am schwedischen Wehrdienstmodell orientiert. Mittels einer Steigerung der Attraktivität des Wehrdienstes wollen wir den notwendigen Aufwuchs der Reserve und der Bundeswehr insgesamt erreichen. Die Bundeswehr muss eine Personalstärke von mindestens 60.000 zusätzlichen Soldatinnen und Soldaten und 200.000 Reservistinnen und Reservisten erreichen. Vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Lage und der berechtigten Erwartungen unserer Verbündeten benötigen wir eine ausreichende Personalausstattung der Bundeswehr. Wir müssen reagieren können, wenn die sicherheitspolitische Lage oder die Bedarfe der Bundeswehr dies erfordern.
Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind. Maßnahmen zur Musterung, Erfassung und Wehrüberwachung wehrpflichtiger junger Männer wollen wir ermöglichen.

Auch wenn – wie oft in der innenpolitischen Debatte – die Orientierung am schwedischen Wehrdienstmodell erwähnt wird, ohne dass den meisten dessen verpflichtender Charakter bewusst ist: Mit der Festlegung Wir müssen reagieren können, wenn die sicherheitspolitische Lage oder die Bedarfe der Bundeswehr dies erfordern hat die Parteitagsmehrheit der kleineren Regierungspartei dem Verteidigungsminister die nötige Freiheit gegeben, die administrativen Schritte zur Vorbereitung einer Wehrpflicht einzubringen und gesetzlich festzulegen.

Das gleiche gilt für die Zustimmung zur – dann offensichtlich verpflichtenden – Musterung, Erfassung und Wehrüberwachung wehrpflichtiger junger Männer: Damit kann Pistorius unter den Gegebenheiten der aktuellen (Grund)Gesetzeslage agieren, ohne dass eine Debatte und Kompromisssuche für einen eventuellen Pflichtdienst auch für Frauen vorgeschaltet werden müsste.

Unscharf bleibt der Beschluss dann jedoch mit der Formulierung Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind – denn wer legt fest, wann alle Maßnahmen ausgeschöpft sind? Wenn jeder Freiwillige mit einem Feldwebelsold einsteigt, um eine willkürliche Schwelle zu nennen?

Allerdings: diese Unschärfe dürfte ein Profi wie Pistorius für sich zu nutzen wissen. Er wird schon definitiv erklären können, dass alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft seien.

(Foto Pistorius auf dem Parteitag – Florian Gärtner/phototek.de)