Das „schwedische Modell“: „Wer einberufen wird, kann nicht nein sagen“
Die deutsche Debatte über ein Aufleben der – ausgesetzten – Wehrpflicht nimmt immer wieder Bezüge auf das Militär in Schweden. So spricht die SPD im Beschluss ihres Parteitags vom vergangenen Wochenende vom schwedischen Wehrdienstmodell. Der scheidende Verteidigungsattaché des skandinavischen Landes in Berlin, Kapitän z.S. Jonas Hård af Segerstad, hatte hier bereits Anfang 2024 das tatsächliche schwedische Modell vorgestellt. Und er hat zur aktuellen Debatte deshalb auch etwas zu sagen – sein Gastbeitrag:
Die Frage der Wehrpflicht ist – zusammen mit Schweden in die NATO und Totalverteidigung – das häufigste Thema, auf das ich als Attaché angesprochen wurde. Jetzt enden demnächst meine drei Jahre in Berlin, aber so wie der Schwan vor seinem Tod singt, möchte ich dazu ein paar Anmerkungen machen.
Das „Schwedische Modell“ wird immer angeführt als Vorbild für einen neuen deutschen Wehrdienst. Der Verteidigungsminister hat sich dazu persönlich vor Ort in Stockholm informiert, und deutsche Medien schreiben gerne darüber. Es kommt jedoch nicht selten vor, dass ein Vorschlag gemacht wird, der auf Schweden Bezug nimmt, auch wenn wir das gar nicht so machen. Das finde ich kurios und biete deswegen ein paar Erklärungen an.
In der deutschen Debatte und in der Regierungserklärung zeichnet sich mittlerweile die Einführung eines freiwilligen Wehrdienstes ab, der dem alten schwedischen Freiwilligenmodell sehr ähnlich sieht. Dieses Modell haben wir 2017 abgeschafft, weil es erstens für Landesverteidigung nicht angemessen war und zweitens, weil sich nicht genug Freiwillige gemeldet haben.
2017 wurde dieses Modell durch die Wehrpflicht ersetzt. Das Freiwilligenmodell existiert also nicht mehr irgendwie parallel zur Pflicht, was leider fast jeder Zeitungsartikel falsch beschreibt.
Als grafische Übersicht:
Schweden 2009-2017 |
Schweden jetzt |
Deutscher Vorschlag |
|
Fragebogen |
Alle 18-jährigen (m/w) |
Alle 18-jährigen (m/w) |
Alle 18-jährigen Männer |
Musterung |
Freiwillig |
Auswahl und Pflicht für die Ausgewählten |
Freiwillig |
Grundwehrdienst |
Freiwillig |
Auswahl und Pflicht für die Ausgewählten |
Freiwillig |
Hauptzweck |
Weiterverpflichtung als Soldat |
Reservisten für den Kriegsfall |
„Mehr Soldaten“ |
Gewünschte Nebeneffekte |
Offiziersanwärter |
Weiterverpflichtung als Soldat. Offiziersanwärter |
? |
Wehrübungen |
Ausgesetzt |
Pflicht bis 47 Jahre |
Unbekannt |
Kriegsdienst |
Pflicht bis 47 Jahre |
Pflicht bis 47 Jahre |
Ja, gemäß GG 12a |
Meine Einschätzung ist, dass der vorliegende deutsche Vorschlag sich eher an dem alten schwedische Modell orientiert, das auf Freiwilligkeit beruhte. Im gegenwärtigen schwedischen System gibt es keine freiwilligen Schritte. Wer einberufen wird, kann nicht nein sagen.
Ein hartnäckiges Missverständnis in den Medien ist, dass die schwedische Pflicht ein Zusatz wäre, auf den zurückgegriffen wird, wenn sich „nicht genug Freiwillige melden“. Tatsächlich wurde 2017 das alte Modell abgeschafft und mit Pflicht – und nur mit Pflicht – ersetzt. Im neuen Modell gibt es keinen „Freiwilligenweg“.
Auch die Jugendorganisation einer der größten Parteien im Bundestag scheint diesem Irrtum erlegen zu sein, wenn sie einen neuen Wehrdienst will, „der auf Freiwilligkeit beruht und sich am schwedischen Wehrdienstmodell orientiert“. Ich beurteile natürlich nicht, was die bessere politische Lösung ist – aber ich kritisiere den Widerspruch in dieser Aussage: Es muss entweder „freiwillig“ oder „schwedisch“ sein.
Zum Schluss die gleiche Empfehlung wie vor anderthalb Jahren: Der Zweck muss immer über die Wahl der Mittel entscheiden. Die Bundeswehr und die schwedischen Streitkräfte sind zum Teil anders aufgebaut. Die Pflicht ist in Schweden genau richtig, da wir auf eine große Menge Reservisten bauen. Die Bundeswehr ist hauptsächlich eine Berufsarmee.
Meine letzte Bitte bleibt, dass die Diskussion informiert geführt wird. Sowohl das alte als auch das neue „schwedische Modell“ kann das richtige für die Bundeswehr sein. Aber es sind zwei unterschiedliche Modelle.
(Archivbild: Swedish Staff Sgt. Petter Kalm, left, and Sgt William Erkkila look through binoculars during the culminating event for Archipelago Endeavor, Sweden, September 7, 2024. The culminating event consisted of combined amphibious operations in and around the Swedish archipelagos – U.S. Marine Corps photo by Sgt. Scott Jenkins)
@ Rene
Bezüglich des falschen Artikels/Absatzes reklamiere ich mal „Error 409 – Brain overheated“ für mich. ;)
Absolut korrekt. Nach dem Wegfall der Ost-West-Konfrontation war die sicherheitspolitische Rechtfertigung der Wehrpflicht für sehr viele eher „abstrakt“ (um nicht zu sagen abstrus, aber weit weg davon wars auch nicht). Die wiederkehrenden Verkürzungen taten ein Übriges. Es war eben ein offenes Geheimnis, daß man im politischen Berlin eher Angst vor dem Ende des Zivildienstes hatte als eine echte Begründung für den Wehrdienst innerhalb des sehr engen deutschen Rechtsrahmens.
Und auch heute wäre der „Gammeldienst“ eben nicht daraufhin abgestellt, einsatzfähige Soldaten auszubilden, sondern man hofft eben á la Fliegenfänger darauf, daß ein paar Rekruten eben bei der BW „kleben bleiben“. Nach einer ernsthaften sicherheitspolitischen Ausrichtung klingt das jedenfalls für mich nicht.
Die Wehrpflicht sollte in Deutschland wieder eingeführt werden. Nur so ist eine Auffüllung der Armee gewährleistet. Wir rauchen eine größere Bundeswehr.
@Eichenblatt, Abubu und andere:
Ja, Wehrpflicht ist ein Einschnitt in die Freiheit derjenigen, die ihn leisten müssen. Das war auch schon in der Zeit der Wiederbewaffnung der Bundeswehr so. Hatte auch so kurz nach dem Krieg keine Begeisterungsstürme zur Folge. Damals war ich zwar nicht einmal Quark im Schaufenster, allzu „Ü50“ bin ich also noch nicht, aber es ist immer wieder putzig, wie in solchen Diskussionen Unkenntnis der Verfassungslage nonchalant mit dem sinngemäßen Vorwurf abgeräumt werden soll, Gesetze und Gerichte würden ja ohnehin nur von verstaubten Mumien zitiert und sich mit solchen Dingen tiefergehend befassen, als es ein Instagram-Reel zulässt.
Und natürlich ist das Grundgesetz nicht gottgegeben und wandelt sich auch mit der Zeit – aber eben nur mit verfassungsändernden Mehrheiten im Bundestag. Artikel 12a Grundgesetz wird aber bestimmt nicht entgegen seinem Wortlaut heute anders in seinem Verhältnis zum Artikel 3 Grundgesetz ausgelegt werden, nur weil sich der Zeitgeist geändert hat.
Die (Verfassungs-)Realität ist in dieser Hinsicht nun einmal unverändert. Da beißt keine noch so progressive Maus einen Faden ab.
@Metallkopf: Veto. Der Zeitgeist ist sehr entscheidend bei der Auslegung von Gesetzen. Was vor 25 Jahren Norm und anerkannt war, ist dieses heute in vielen Fällen nicht mehr. Und letztlich orientieren sich daran auch der Gesetzgeber und Richter, alleine durch allfällige Generationswechsel im Bundestag oder auf der Richterbank.
Man kann nicht Gleichberechtigung an allen Stellen fordern und umsetzen, dann aber auf der letzten Meile kneifen. Alle oder keiner… ansonsten ist das direkt eine Nummer für das BVerfG. Und ich würde davon ausgehen, dass das BVerfG die Entscheidung was rechtens ist oder nicht. dieses Mal anders fällen könnte.
Was die verpflichtende Erfassung angeht: §12a Abs 4 besagt ausdrücklich, dass Frauen zu zivilen Dienstleistungen im Sanitätswesen herangezogen werden können. Wie genau will man diese denn finden, wenn man sie im Vorwege nicht erfasst hat? Da liegt doch schon die nächste Krücke im Weg.
Ich werde den Verdacht nicht los, dass alle Parteien sich vor einer Entscheidung und Anpassung des Gesetzes drücken wollen und versuchen, dem BVerfG den schwarzen Peter zuzuschieben. Frei nach dem Motto „wir wollten ja nicht, aber das BVerfG zwingt uns jetzt dazu“.
Kurze Antwort einer Frage im Draht, bzgl. schwedischer Wehrpflichtigen und Auslandseinsätze.
Schwedische WP können für die Verteidigung Schwedens überall eingesetzt werden, aber erst nachdem den Spannungs- oder Kriegsfall von der Regierung festgestellt wird, also Mobilmachung.
Bundnisfall würde als Verteidigung Schwedens betrachet, ist jedoch eine neue Sache für Schweden. Und sind Einheiten für die regionalen Pläne zugeteilt, werden sie ja auch kommen.
Auslandseinsätze „klassische wie Mali, Afghanistan usw.) zählen normalerweise nicht als Landesverteidiung. Also keine WP.
In der NATO Abschreckung könnten WP teilnehmen, entweder als Teil des Grundwehrdienstes (sprich letzte vier Monate) oder als einberufene Reservisten. Das letzte unterliegt derzeit einer Gesetzprüfung, da das Pflichtgesetz keine NATO-Abschreckung vorgesehen hat.
Grundsätzlich hat die Regierung das Sagen, wenn es um Landes- oder Bundnisverteidigung geht. Out-of-Area das Parlament.