Deutschland beendet Beteiligung an Operation Sophia im Mittelmeer
Die Bundeswehr wird sich mit Auslaufen des deutschen Mandats für die Operation Sophia, die EU-Mission EUNAVFOR MED zur Bekämpfung von Schleusern im Mittelmeer, nicht mehr an diesem europäischen Einsatz beteiligen. Zum Mandatsende am 30. Juni würden auch die deutschen Offiziere aus dem Operationshauptquartier in Rom abgerufen, ein neues Mandat sei vorerst nicht geplant. Diese Information hatte das Verteidigungsministerium den Abgeordneten bereits Ende vergangener Woche schriftlich mitgeteilt; am (heutigen) Mittwoch wurde sie im Verteidigungsausschuss des Bundestages noch mal mündlich erläutert.
Bereits im Januar hatte die Bundesregierung die Beteiligung mit Kriegsschiffen an der Mission vorerst gestoppt; im März wurde der Einsatz zur Marinemission ohne Schiffe. Hintergrund ist die fehlende Einigkeit der EU-Staaten über eine Regelung zur Verteilung aus Seenot geretteter Migranten auf die Mitgliedsländer.
Die 2015 begonnene europäische Mission soll Schleusernetzwerke bekämpfen, die so genannte libysche Küstenwache unterstützen und nur als Teil der seemännischen Verpflichtung Menschen aus Seenot retten. Vor allem diese Seenotrettung war war bereits im vergangenen Jahr nach Amtsantritt einer neuen Regierung in Italien praktisch gescheitert. Der italienische Kommandeur hatte die Einsatzmöglichkeiten der Schiffe aus anderen EU-Nationen deutlich eingeschränkt. Später schickte das italienische Kommando von EUNAVFOR MED die Kriegsschiffe der Operation überwiegend in Seegebiete, wo gar nicht die Gefahr bestand, dass sie Schiffbrüchige retten und nach Italien bringen könnten. Allerdings auch Seegebiete, wo keine Schleuser unterwegs waren.
Das EU-Mandat für die Operation läuft zwar bis Ende September, das Bundestagsmandat für die Beteiligung der Deutschen Marine dagegen war vor knapp einem Jahr verlängert worden und läuft am 30. Juni aus. Die Erklärung des Ministeriums dazu:
Die EU-Mitgliedstaaten und die Bundesregierung verfolgen unvermindert das Ziel, im Rahmen der Folgemaßnahmen zu den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Juni 2018 bis zum 30. September 2019 eine Einigung zu dem Ausschiffungs- und Verteilmechanismus zu erreichen, damit zukünftig die Operation wieder vollumfänglich mit seegehenden Einheiten durchgeführt werden kann. Die Bundesregierung setzt sich hierfür mit Nachdruck ein.
Das im Operationshauptquartier in Rom eingesetzte deutsche Personal wird zum 30. Juni 2019 seine Arbeit im Rahmen von EUNAVFOR MED Operation SOPHIA einstellen und in die Stammtruppenteile zurückkehren. Die deutsche personelle Beteiligung an EUNAVFOR MED Operation SOPHIA wird damit ruhen.
Sofern die Voraussetzungen für eine vollständige Umsetzung des Kernauftrags der Operation wiedergegeben sind, wird die Bundesregierung zeitgerecht eine erneute Beteiligung Deutschlands an EUNAVFOR MED Operation SOPHIA prüfen.
Ohne zu viel Semantik zu betreiben: Die Aussage Die deutsche personelle Beteiligung an EUNAVFOR MED Operation SOPHIA wird damit ruhen ist schon ein wenig euphemistisch – es gibt bis auf Weiteres kein neues Mandat für diesen Bundeswehreinsatz. Und für eine Fortsetzung wird es ja nicht reichen, dass die Bundesregierung zeitgerecht prüft. Der Bundestag müsste dann auch zustimmen.
(Archivbild April 2016: Seenotrettung an Bord der spanischen Fregatte Numancia – EUNAVFOR MED)
Endlich mal eine konsequente Entscheidung. Aus militärischer Sicht war dieser Einsatz von jeher fraglich und die humanitäre Seite wurde zuletzt unterbunden.
Für mich ein gutes außenpolitisches Signal.
„… eine Einigung zu dem Ausschiffungs- und Verteilmechanismus zu erreichen, …“
Wird es bei Grundlage der Einstimmigkeit in Brüssel nicht geben. Neben den bekannten Verweigerern der Višegrad-Gruppe macht auch ein Italien eines Salvini, mit gestiegener Zustimmung bei vergangener EU-Wahl, nicht mit.
Wenn also verschleiert werden soll, dass man weder will noch kann, dann ist eine „Einigung zum Verteilmechanismus“ bester Hintergrund nicht tätig werden zu müssen.
Aus humantärer Sicht eine schwarze Stunde für Deutschland und die EU.
Bleibt die von der Öffentlichkeit und dem Bundestag akzeptierte Lüge, dass man mit dieser Mission Schleuser bekämpfen wollte.
Klar hat man den ein oder anderen armen Kerl gefasst, der so einen Seelenverkäufer gesteuert hat, aber die Schleuser, die den Flüchtlingen das Geld für die Überfahrt abgeknöpft haben, hat man nie wirklich bekämpft.
Dass die EU hier keine Lösung findet, die unsere westlichen Maßstäbe an Humanität wenigstens ansatzweise erfüllt, beschämt mich zutiefst.
@ Pio-Fritz | 05. Juni 2019 – 15:17
Was ist konsequent an:
„Wir wollen retten aber tun das nicht solange nicht geklärt ist, wie die Flüchtlinge verteilt werden“? (s. Erklärung des Ministeriums)
Die Kleinigkeit der Verteilung der Flüchtlinge wird hier gegen das Leben der Ertrinkenden abgewogen.
Konsequent wäre: „wir retten“ oder „wir retten nicht“, wirklich konsequent wäre statt „retten/nicht retten“ „abholen/zurückweisen“.
Der Rückzug aus dem OHQ ist schon eine klare Ansage. Zumal – so hatte ich es zumindest früher gelernt – die Arbeit im OHQ nicht mandatiert werden muss und die nationale Beteiligung am OHQ unabhängig vom konkreten Einsatz ist – da gab es mal einen EU Preferred HQ Manning Process.
Dann gibt es für die Euphemismen, die Nebelkerzen und Nullaussagen aus der Regierung zur Ablenkung von unangenehmen Themen wie militärischen Aktivitäten wenigstens wieder einen Anlass weniger. War wirklich zum Schämen.
Wir sollten auch bei weiteren „Einsätzen“ zur Wahrheit kommen: Die Ägäis-„Operation“ ist auch so ein deutscherseits politisch motiviertes Ding. Und weil das auch gar nichts mit den Aufgaben eines Standing Naval Force der NATO zu tun hat, wird die NATO wohl bald den Stecker ziehen und dafür nicht ihren Namen weiter hergeben. Herr Seibert & Kollegen
können sich schon mal den nächsten Abschluss-Euphemismus zurecht legen.
@Escrimador sagt: 05.06.2019 um 15:58 Uhr
Das was Sie anmerken ist doch kein militärisches Problem der Bundeswehr. Wenn die Regierungen der EU sich nicht einigen können, wie man mit der Flüchtlingsfrage verfährt, braucht man auch kein militärisches Feigenblatt in Form eines Schiffes oder Soldaten in Stäben, die wirkungslos vor sich hin dienen. Das ist Verschwendung von Ressourcen, die gerade bei der Marine knapp sind.
Das ist für mich konsequent, Militär dort rauszunehmen, wo es keine Wirkung entfaltet oder entfalten kann.
(Post könnte doppelt sein, beim ersten Versuch kam eine Fehlermeldung und dann war alles weg)
Mal eine eher rechtliche Frage:
seitens der Befürworter von Rettungsmissionen wird gelegentlich gefordert, die Deutsche Marine solle dann eben auf eigene Faust aktiv werden und die Migranten notfalls direkt nach Deutschland fahren.
Mal abgesehen von den Ressourcen: dürfte die Marine das eigentlich? Ich meine mal gelesen zu haben, die Marine dürfe außerhalb der eigenen Gewässer nur mit internationalem Mandat (NATO, UN, EU…) Einsätze durchführen.
Habe ich das korrekt in Erinnerung? Und wenn ja: wo steht das?
@f28: Gute Seemannschaft beinhaltet Seenotrettung von Schiffbrüchigen. das aufnehmende Schiff entscheidet sich, was der nächsterreichbare sichere Hafen ist. Wenn der Käpt’n meint, dass sei Wilhelmshaven, dann ist es so.
Für die ganzen Feinheiten zur Thematik Seenotrettung sei auf den Wissenschaftlichen DIenst des Bundestages verwiesen, der eher neutral dazu Rechtsgutachten erstellt:
https://www.bundestag.de/analysen
@f28 sagt: 06.06.2019 um 10:11 Uhr
Was Einsätze angeht, haben Sie recht. Nach Seerecht ist aber jedes Schiff in internationalen Gewässern verpflichtet zur Hilfeleistung, wenn es eine Unglückstelle erreicht oder passiert. Das ist ja die „Geschäftsgrundlage“ der Hilfsorganisationen. Die legen das eben für sich entsprechend aus.
Moralisch kann ich die Forderung verstehen, politisch wäre sie Selbstmord. Der Schaden für den Schengen-Raum wäre in meinen Augen irreparabel und das Dublin-Abkommen hinfällig. Das kann in Europa keiner wollen.
Und auch wenn das jetzt brutal klingt, auf der Welt (und gerade in Afrika) sterben jeden Tag tausende Menschen, weil sie einfach verhungern oder von (eigentlich beherrschbaren) Krankheiten dahingerafft werden. Da gibt es keinen Empörungsaufschrei wie bei den Flüchtlingen, das scheint in perverser Art und Weise normal zu sein. Da werden sogar die für diese Situation verantwortlichen Regimes noch großzügig mit Entwicklungshilfe unterstützt, die einfach irgendwo versackt. Da muss man aufpassen, das man nicht mit zweierlei Maß misst.
@ Pio-Fritz 06.06.2019 um 9:15 Uhr
„Das ist für mich konsequent, Militär dort rauszunehmen, wo es keine Wirkung entfaltet oder entfalten kann.“
Aber wie Sie selbst sagen: „…ist doch kein militärisches Problem der Bundeswehr“, die kann sich ihre Aufträge nämlich nicht aussuchen, Primat der Politik.
@aussenstehender
@Pio-Fritz
tja, das ist halt die feine Unterscheidung: komme ich im Rahmen der „normalen Seefahrt“ zufällig vorbei und führe die Rettung durch, oder halte ich mich bewusst wochenlang im betreffenden Seegebiet auf und tue dort nix anderes. Ersteres ist natürlich völlig normal (sollte es jedenfalls sein), letzteres wäre wohl ein Einsatz – wenn auch sicher kein bewaffneter Einsatz.
Aber nochmal die Frage: gäbe es für einen derartigen (unbewaffneten) Einsatz eine Rechtsgrundlage?
(zum „politischen Selbstmord“: könnte sein, dass das für Politiker der grade hochfliegenden GRÜNEN eher das Gegenteil von politischem Selbstmord sein könnte….)
@f28 sagt:06.06.2019 um 12:03 Uhr
„Aber nochmal die Frage: gäbe es für einen derartigen (unbewaffneten) Einsatz eine Rechtsgrundlage?“
Ich würde die Frage anders stellen: Brauche ich eine Rechtsgrundlage für die Rettung Schiffbrüchiger? Und da kommt es wohl darauf an, wo ich diese rette. Es gibt da seitenweise Ausführungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages dazu, die jeden Aspekt des Seerechts und Seevölkerrechts beleuchten. da werden Sie um etwas Recherche wohl nicht Drumherum kommen.
Eine Aussage habe ich aber mitgenommen, in einem Papier heißt es , SAR ist nur zur Behebung für die aktuelle Seenot gedacht, es lässt sich für die Flüchtlinge kein Rechtsanspruch daraus ableiten, irgendwohin gebracht zu werden. Es sei kein Instrument zu Steuerung von Migrations- und Flüchtlingsströmen.
es gibt ein grunbdsätzliches Gutachten (wahrscheinlich von ANfang 2017), wo der wissenschaftliche Dienst den NGOs zwischen den Zeilen bescheinigt, dass sie das Seerecht nicht auf ihrer Seite haben.
ganz ganz kurz:
1. Irgendwo rumlungern in der Hoffnung jemanden Retten zu können ist im Seerecht so nicht vorgesehen.
2. Jeder staatliche Souverän kann Rettungszonen in internationalen Gewässern angrenzend an seine Territorialgewässer definieren. In dieser Zone hat dieser Staat hinsichtlich des Prozederes der Seenotrettung das Sagen und steht in der Pflicht sich darum zu kümmern.
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aktuelle Tendenzen:
anscheinend steigen dises Jahr deutlich weniger Menschen in die Boote:
https://www.heise.de/tp/features/Flucht-aus-Libyen-Milizen-an-den-Push-Knoepfen-4423946.html?seite=2
in einer arte-Dokumentation (anscheinend nicht mehr verfügbar) war zu sehen, das seetüchtigere (Holz-)Boote/Kutter eingesetzt werden, die mehr Treibstoff und daher weniger Menschen an Bord haben.
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meine persönliche Meinung: der NGO, die öffentlich bekannt gibt, dass sie Gerettete in Tunesien anlandet, bekommt von mir Spendengeld.
Ein angesichts des desaströsen Zustandes der Marine längst überfälliger Schritt.
Unabhängig vom Materialaspekt sollte man sich in Zukunft sehr genau überlegen, ob solche nicht-militärischen Einsätze, bei denen man dazu noch in die unangenehme Lage gerät, per Regierungsauftrag de facto zum Helfershelfer krimineller Schlepperorganisationen zu werden, unterlassen werden sollten.
[Ach, wieder die alte Leier. Und nein, diese Art von Propaganda kann anderswo genügend ausgelebt werden. T.W.]