Auch ohne rote Ampel: Viel fliegendes Gerät bleibt am Boden

SeaLynx_TRJE2015

Ein gutes Jahr ist es her, da nahmen die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss einen ziemlich erschreckenden Mängelbericht zur Kenntnis. Die Informationen zur Materiallage der Großsysteme der Bundeswehr war, zusammenfassend gesagt, recht verheerend  – vor allem beim fliegenden Gerät, Flugzeuge wie Hubschrauber, aller drei Teilstreitkräfte Luftwaffe, Heer und Marine. Hinzu kam eine nicht so einheitliche Systematik, nach der die Angaben für manche Hubschrauber eine noch gelbe Ampel zeigten, obwohl zum Zeitpunkt des Berichts kein Helikopter dieses Typs flog.

Die militärische Führung gelobte Besserung und jegliche Anstrengung, dass es künftig besser aussehen möge. Aber wenn sich die Abgeordneten in der Ausschusssitzung am (heutigen) Mittwoch erneut über den Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr beugen, finden sie zwar eine neue Systematik vor. Doch unter dem Strich kein so viel besseres Bild als 2014. Und wieder ist es das fliegende Gerät, das die meisten Sorgen macht.

Dabei rechnet die militärische Führung im diesjährigen Bericht schon anders und verzichtet ganz auf die Ampeln, setzt an ihre Stelle aber neue Rechnungsart: Neben dem Gesamtbestand, in dem unter anderem auch das Gerät erfasst ist, dass gerade bei der Industrie in der Wartung ist, wird nun zusätzlich der Verfügungsbestand aufgelistet. Also das Gerät, was tatsächlich bei der Truppe steht – teilweise schon ein deutlicher Unterschied. Und von diesem Verfügungsbestand, das ist das Kriterium, sollen mindestens 70 Prozent nutzbar sein.

Doch das wird bei fast allem, was fliegt, bei weitem nicht erreicht. Die nüchternen Zahlen der Bestandsaufnahme sehen vor allem bei den Hubschraubern düster aus:

  • Transporthubschrauber NH90: Der Gesamtbestand beträgt zwar 40 Helikopter, doch dem Heer standen im zurückliegenden jahr im Durchschnitt 23 Hubschrauber zur Verfügung. Davon einsatzbereit: fünf – eine Einsatzbereitschaft im Mittel von 22 Prozent. Die geringe Einsatzbereitschaft wird nach wie vor durch die hohe Anzahl von Vorserienhubschraubern, fehlende Ersatzteile sowie insbesondere fehlende Kapazitäten zur Durchführung der aufwändigen Wartungs- und Inspektionsmaßnahmen beschränkt, heißt es in dem Bericht.
  • Kampfhubschrauber Tiger: Ein Gesamtbestand von 43 Systemen, davon standen dem Heer im Durchschnitt 23 Helikopter zur Verfügung. Davon einsatzbereit: sechs – eine mittlere Einsatzbereitschaft von 26 Prozent. Die Ursachen liegen laut Bericht in der Uneinheitlichkeit der Flotte mit sechs zum Teil erheblich unterschiedlichen Bauzuständen aufgrund unterschiedlicher Entwicklungsstände, dem Fehl an Ersatz- und Austauschteilen und dem an Personal begründet.
  • Transporthubschrauber CH-53: Davon verfügt die Luftwaffe im Schnitt über 45 Maschinen – obwohl es insgesamt noch 75 gibt. Doch für Umrüstung auf die GA-Version, geplante Instandsetzung oder Behebung von Störungen standen oder stehen durchschnittlich 25 Helikopter  bei der Industrie, fünf werden für die technische Ausbildung benötigt und zwei stehen zur Erprobung bei einer Wehrtechnischen Dienststelle. Von den 45 verfügbaren Maschinen waren im Mittel 18 einsatzbereit – das entspricht 40 Prozent. Allerdings soll sich laut Bericht die Situation bessern, wenn umgerüstete GA-Versionen wieder in die Truppe zurückkommen.
  • Marinehubschrauber SeaKing: Da nennt der Bericht zwar den Gesamtbestand von 21 Hubschraubern; dann wird es aber mit exakten Zahlen eng: Die durchschnittlich im letzten Jahr erreicht materielle Einsatzbereitschaft liegt unterhalb des erforderlichen operativen Minimalbedarfs von sechs materiell einsatzbereiten Luftfahrzeugen für Einsatz und Ausbildung. Bedingt durch eine sehr lange Nutzungsdauer (Indiensthaltung) war dieser Klarstand nur mit großem Aufwand unter anderem aufgrund der geringen Verfügbarkeit von Ersatzteilen zu halten.
  • Marinehubschrauber SeaLynx: Gesamtbestand 22 Helikopter – und die Einsatzbereitschaft? Die hat sich auf einem Niveau von druchschnittlich vier einsatzbereiten Maschinen eingependelt. Dieser Wert liegt deutlich unerhalb des derzeit erforderlichen operativen Minimalbedarfes von mindestens sechs materiell einsatzbereiten Luftfahrzeugen für Einsatz und Ausbildung.

Deutlich besser sieht es bei den Hubschrauber aus, die demnächst ausgemustert werden sollen. Das Vietnam-Modell Bell UH1-D, das nur noch bis Ende 2016 geflogen werden soll, hat bei einem Gesamtbestand von 49 und einem Verfügungsbestand von 36 Hubschraubern eine Einsatzbereitschaft von 67 Prozent. Auch der Helikopter Bo105, ebenfalls im Restflugbetrieb bis Ende 2016, hat bei einem Gesamtbestand von – abschmelzend – 78 und einem Verfügungsbestand von 42 Hubschrauber eine Einsatzbereitschaft von durchschnittlich 64 Prozent.

Die angepeilte Nutzung von mindestens 70 Prozent wird auch bei den Kampfflugzeugen der Luftwaffe nicht erreicht:

  • Beim Eufofighter hat die Luftwaffe einen Gesamtbestand von 114, weitere sechs Maschinen sind in der Auslieferung. Aber im Schnitt 40 Prozent der Kampfjets waren im zurückliegenden Jahr in der Instandsetzung, bei Hochrüstmaßnahmen oder Störbehebungen. Durchschnittlich stehen der Luftwaffe 68 Maschinen zur Verfügung – aufgrund überlanger Inspektions- und Instandsetzungszeiten wegen unzureichender Kapazitäten und fehlender Ersatzteile. Von diesen 68 Flugzeugen waren 55 Prozent einsatzbereit.
  • Beim Tornado lag der Gesamtbestand bei 93 Flugzeugen – von denen im Durchschnitt 66 Maschinen der Truppe zur Verfügung standen. Davon waren im Schnitt 29 einsatzbereit, was einer Quote von 44 Prozent entspricht. Auch hier, heißt es im dem Bericht, wurde die materielle Einsatzbereitschaft maßgeblich durch die mangelnde Verfügbarkeit verschiedener Ersatzteile beeinflusst. Zudem habe die Umstellung der Logistik-Software und die Umrüstung der Avionik die Zahl der verfügbaren Tornados nach unten gedrückt.

Die Probleme bei den Hubschraubern und den Kampfflugzeugen sind die offensichtlichsten und gravierendsten, die die Bundeswehr bei ihren Hauptwaffensystemen melden muss. Doch auch bei etlichen anderen Systemen sieht es nicht wirklich besser aus: Beim Transportflugzeug Transall C-160 waren im Berichtszeitraum im Schnitt 21 Maschinen einsatzbereit, was einem Klarstand von 57 Prozent entspricht. Beim Boxer, dem Gepanzerten Transportkraftfahrzeug, konnte die Verfügbarkeit von 47 Prozent im September vergangenen Jahres auf durchschnittlich 64 Prozent gesteigert werden – wenn auch auf niedrigem Niveau: Von durchschnittlch 120 Fahrzeugen waren im Schnitt 77 einsatzbereit.

Bei den schon länger genutzten Heeres-Systemen werden dagegen die angestrebten 70 Prozent Klarstand (des Verfügungsbestandes) weitgehend erreicht – vor allem auch deswegen, weil die Truppe offensichtlich die Logistik im Griff hat. Die Waffensysteme Kampfpanzer Leopard 2, Schützenpanzer Marder, Transportpanzer Fuchs, Spähwagen Fennek, Panzerhaubitze 2000 und Raketenwerfer Mars sind einsatzfreife Waffensysteme, werden logistisch beherrscht und liegen regelmäßig bei einer Verfügbarkeit von über 70 Prozent, heißt es in dem Bericht.

Auch die Marine bezeichnet die Verfügbarkeit ihrer größten Kampfschiffe, der Fregatten der Klassen 122, 123 und 124 als gut – ist allerdings in dem Bericht mit exakten Zahlenangaben zurückhaltend. Vom Gesamtbestand von 15 Fregatten wurden fünf bereits außer Dienst gestellt; vom Verfügungsbestand von zehn Fregatten stehen laut Bericht derzeit sieben Einheiten zur Verfügung. Damit werde die materielle Verfügbarkeit der Einheiten in den letzten Monaten als gut bewertet. Allerdings rechnet die Marine offensichtlich großzügiger: Die verfügbaren sieben Fregatten sind entweder im Einsatz, in der Einsatzvor- oder -nachbereitung oder in einsatzgleichen Verpflichtungen gebunden oder befinden sich in der Vorbereitung auf eine Werftzeit.

In seinen einleitenden Bemerkungen zu dem Bericht weist Generalinspekteur Volker Wieker darauf hin, dass die eingeschränkten Bereitschaftsstände nur für den Friedensbetrieb gelten: Bei Einsätzen im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung nach Art.5 des NATO-Vertrages können die Inspekteure Abweichungen nach ihrem Ermessen anweisen, wenn es für die Auftragserfüllung unerlässlich erscheint. Für den Ernstfall, soll das heißen, ist die Bundeswehr deutlich einsatzfähiger, als aus den Zahlen hervorgeht. So könnte beispielweise ein Eurofighter, der im Friedensausbildungs- und Übungsbetrieb nicht genutzt werden kann, weil eine Inspektion überfällig ist oder eine Zulassung abläuft, in einem Art.5-Fall im Rahmen der Bündnis- und Landesverteidigung eingesetzt werden.

Wieker kommt aber auch zu dem Ergebnis, die Bewertungen der Inspekteure der Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche belegten, dass die materielle Einsatzbereitschaft für die laufenden Einsätze gewährleistet ist und eingefegangenen Verpflichtungen im Rahmen der NATO Response Force (NRF), der EU-Battlegroup sowie die Dauereinsatzaufgaben erfüllt werden können. Abstriche hingegen macht der oberste Soldat bei den Hubschraubern und Flugzeugen: Die Lage der fliegenden Systeme bleibt unbefriedigend. Selbst wenn die nötigen 5,6 Milliarden Euro eingeplant würden, die in den nächsten zehn Jahren für die Abstellung der Probleme nötig seien, könnten rasche Erfolge nicht erwartet werden. Immerhin,  so merkt Wieker an, sei bei dem Luftfahrzeugen eines erreicht worden: eine Trendumkehr in wesentlichen Bereichen.

(Archivbild: While participating in NATO-Exercise TRIDENT JUNCTURE 2015, a „Sea Lynx“ helicopter from SNMG2 flagship German frigate HAMBURG took off to exercise cargo winching on October 22, 2015 –  German Navy photo by Photographer Alyssa Bier)