RC N Watch: Durch die Dingo-Tür

Zu dem gestrigen Anschlag in der nordafghanischen Provinz Baghlan, bei dem ein deutscher Fallschirmjäger gefallen ist, hat heute Generalleutnant Rainer Glatz, Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, bei einer Pressekonferenz mit dem Verteidigungsminister mehr Einzelheiten berichtet. Die für mich erschreckendste Erkenntnis vorweg: Der Selbstmordattentäter hatte seine Sprengstoffweste mit Stahlkugeln gefüllt – und die haben die Türen und Scheiben zweier gepanzerter Dingo-Transportfahrzeuge durchschlagen.

Generalleutnant Rainer Glatz (r.), Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, bei der Pressekonferenz mit Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (Foto: Bundeswehr/Andrea Bienert via flickr)

Nach dem Anschlag standen die deutschen Soldaten noch stundenlang in Gefechten. Der Ablauf, wie ihn Glatz schilderte (sein Statement als Audio-Datei unten):

Die Soldaten des Ausbildungs- und Schutzbataillons Kundus (gestellt vom Fallschirmjägerbataillon 313 aus Seedorf) bewachten etwa sechs Kilometer nordwestlich von Pol-e-Khumri eine Brücke (die Panzerschnellbrücke Biber, die hier auch schon mal erwähnt wurde). Den abgesessenen Soldaten näherte sich aus einer Gruppe von Bauern ein Mann, und während die Fallschirmjäger noch ihren Übersetzer herbeiriefen, zündete der vermeintliche Bauer die Sprengstoffweste, die er unter seiner Kleidung trug. Die enorme Sprengkraft führte nach Glatz‘ Angaben dazu, dass die Stahlkugeln aus der Selbstmordweste bei zwei Dingos Türen und Scheiben durchschlugen.

Nach diesem Anschlag begann ein Feuerüberfall, das anschließende Gefecht dauerte bis zum Einbruch der Dunkelheit. Wenige Kilometer entfernt, bei Shahabuddin, kam es ebenfalls zu Gefechten, bei denen Kampfjets im im Close Air Support eine Bombe abwarfen, außerdem wurden von Apache-Kampfhubschraubern Hellfire-Raketen abgefeuert – also schon ein veritables Gefecht.

Die Zahl der Verwundeten erhöhte sich zwar nach dem Stand vom Freitagmorgen von den zunächst gemeldeten sechs auf 14, dafür waren alle Verwundungen erheblich leichter als zunächst gemeldet. Selbst der anfangs als schwer verletzt gemeldete Soldat sei weniger schwer verwundet und müsse/wolle wie alle seine Kameraden nicht nach Deutschland zurückgeflogen werden.

So weit die Lagefeststellung. Danach ist klar: letztendlich lässt sich ein solcher Anschlag nicht völlig ausschließen – es sei denn, die Soldaten würden jedem Afghanen nur noch in ihren gepanzerten Fahrzeugen begegnen oder, solche Bilder kennen wir aus dem Gazastreifen, von jedem sich nähernden Zivilisten verlangen, dass er seine Kleidung so weit öffnet, dass erkennbar ist, dass er keinen Sprengstoffgürtel darunter trägt. Allerdings dürfte dass spätestens dann scheitern, wenn sich Frauen mit der Burka nähern. Würde man die zwingen, sich zu entblößen, ehe sie auf 20 oder zehn Meter herangekommen sind, hätte man den interkulturellen Kampf um die Herzen und Köpfe schon verloren.

Für die Rüster, aber auch für die Industrie dürfte die Wirkung des Sprenggürtels jetzt ein Problem sein. Klar ist, dass auch ein Dingo, wie jedes andere gepanzerte Fahrzeug, irgendwo an die Grenze des möglichen Schutzes stößt. Aber dass ein am Körper getragener Sprengsatz mit Stahlkugeln, vermutlich aus einem Kugellager, Tür und Fenster dieses Transportfahrzeugs durchschlägt – das ist eine neue Qualität. Oder, wie Glatz es auf Nachfrage ausdrückt: Einen solchen Vorfall hatten wir noch nicht.

Die Informationen von Glatz im Originalton:

(Dazu noch eine Anmerkung für die Spezialisten: Es war das erste Mal, dass der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos bei einer solchen Pressekonferenz mit Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg vor die Journalisten trat. Bislang machte das immer der Generalinspekteur oder sein Stellvertreter. Aber die Befehls/Informationsstränge im Ministerium sind schon deutlich gestrafft worden, noch bevor die Weise-Kommission dazu Vorschläge gemacht hat…)

Nachtrag: Guttenberg kündigt ein deutsches Verwundetenabzeichen an.

Nachtrag 2: Das Statement von Glatz (und das vorangegangene des Ministers) steht als Transkript auf bundeswehr.de. Der Originalton von Glatz ausgeschrieben:

Sie wissen, dass gestern eine deutsche Patrouille des Ausbildungs- und Schutzbataillons in Kunduz den Auftrag hatte, über den Baghlanfluss, circa sechs Kilometer nordwestlich des PRT Pol-e Khomri, eine Brücke zu überwachen. Bei dieser Brücke handelt es sich um eine Panzerschnellbrücke Biber, die dort zum Einsatz gebracht worden ist im Zusammenhang mit dem Wahltag am 18.09..

Gegen 13.50 Uhr wurde diese Patrouille, die abgesessen war, in ihrem Sicherungsauftrag durch einen Selbstmordattentäter angegriffen. Und es ist richtig, wie es heute in einigen Medien dargestellt wurde. Es gab in der Nähe dieses Brückenübergangs eine Gruppe von Bauern auf einem Feld. Einer dieser Bauern hat sich der Soldaten angenähert, es wurde nach einem Sprachmittler gerufen und bevor der Sprachmittler an den Ort des Geschehens eilen konnte, wurde die Sprengweste gezündet.

Die Sprengweste muss eine enorme Sprengkraft gehabt haben. Sie war gefüllt mit Stahlkugeln und diese Stahlkugeln haben bei zwei Dingofahrzeugen, die in der Nähe standen, die Türen und die Scheiben durchschlagen. Rettungsmaßnahmen wurden sofort eingeleitet, denn bei diesem Anschlag ist einer unserer Kameraden gefallen und sechs weitere wurden verwundet. Der Anschlagsort wurde durch deutsche ISAF-Kräfte gesichert. die Soldaten wurden anschließend mit Handfeuerwaffen und Mörsern angegriffen und standen circa bis 18.00 Uhr, also dem Einbruch der Dunkelheit in Afghanistan; im Feuergefecht.


Durch diesen Sprengstoffanschlag und die anschließenden Kampfhandlungen – ich komme darauf noch zu sprechen – ist, wie gesagt, ein Soldat gefallen, und, wie der Herr Minister das eben gesagt hat, mit dem Stand von heute wurden vierzehn weitere Kameraden verwundet. Sie werden sich fragen, warum gestern sechs, heute vierzehn.

Nach Abschluss der Kampfhandlungen haben die Soldaten die Stellungen verlassen, sind in den ihnen bekannten OP North gegangen. Einige waren mit dem Minister an diesem OP North. Und dort haben sich Soldaten gemeldet, die leichte Verwundungen hatten, die sie vorher nicht gemeldet haben.

Ich würde das mal einordnen, und das bitte ich nicht falsch zu verstehen, als Kratzer. Einige hatten Ohrensausen, das ist die Masse. Wir müssen davon ausgehen, dass sie einen Tinnitus haben. Sie sind alle nach Mazar-e Sharif verbracht worden, werden dort zur Zeit sanitätsdienstlich versorgt, das heißt sie bekommen Infusionen.

Alle Soldaten, die verletzt worden sind, auch derjenige, der gestern noch als schwerverletzt eingeordnet wurde, müssen heute als leichtverletzt nach der Behandlung in Masar-e Sharif eingestuft werden. Und nach einem Gespräch, das ich heute morgen noch mit General Fritz, mit dem ich seit gestern ständig in Verbindung stand, geführt habe, wollen diejenigen, die gestern als schwer oder mittelschwer verwundet nach Mazar-e Sharif gebracht wurden, zum jetzigen Zeitpunkt nicht repatriiert werden.

Darüber hinaus haben dann Aufständische den Kontrollposten Shahabuddin, vier Kilometer nordwestlich des Anschlagsortes, angegriffen. Durch den Einsatz von Luftnahunterstützung konnte hier der Gegner zum Ausweichen gezwungen werden. Gegen eine Mörserstellung der Aufständischen wurde im Rahmen der Luftnahunterstützung eine Bombe eingesetzt. Es kamen auch Apache-Hubschrauber mit Hellfire zum Einsatz.

Nach dem jetzigen Stand und nach einem Gespräch mit General Fritz von heute morgen, auf das ich hinwies, hat es keine zivilen Opfer gegeben. Die deutschen Einsatzkräfte befinden sich, wie ich eingangs sagte, weiterhin im Einsatzraum, erfüllen ihren Überwachungsauftrag.

Alle Angehörigen der gefallenen und verwundeten Soldaten konnten zeitnah informiert werden. Das Kontingent plant für den morgigen Tag um 09.30 Uhr eine zentrale Trauerfeier im PRT Kunduz. Die wird durchgeführt werden durch den Generalmajor Fritz.