Mali-Sammler: (Politische) Front gegen Frankreich und den Westen (m. Nachträgen)
Während die Auseinandersetzungen mit Jihadisten in Mali anhalten, hat sich in den vergangenen Wochen eine neue politische Front eröffnet – zwischen der malischen Regierung einerseits und der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS, aber auch internationalen Truppen und vor allem Frankreich andererseits. Mehr als tatsächliche militärische Auseinandersetzungen scheint diese Konfrontation das internationale Engagement in dem westafrikanischen Land infrage zu stellen. Ein Sammler zur Übersicht:
Seit der französischen Intervention in Mali 2013, mit der eine Übernahme des Landes durch Jihadisten verhindert werden sollte, sind zahlreiche internationale militärische Akteure im Land: Weiterhin französische Truppen, die mit der Operation Barkhane in der ganzen Sahel-Region islamistischen Terrorismus bekämpfen sollen. Die Franzosen, die derzeit diese Mission zurückfahren, starteten zudem die europäische Spezialkräfteoperation Takuba. Das größte internationale Truppenaufgebot im Land stellt jedoch die die UN-Blauhelmmission MINUSMA, ihr militärischer Teil seit wenigen Tagen unter dem Kommando des niederländischen Generalleutnants Kees Matthijssen. Hinzu kommt die EU-Ausbildungsmission EU Training Mission Mali (EUTM). Außerdem gibt es eine, begrenzt schlagkräftige, gemeinsame Truppe der so genannten G5-Sahel-Staaten Mali, Mauretanien, Tschad, Niger und Burkina Faso.
Als weiterer Akteur – und mit als Grund der derzeitigen politischen Probleme – sind inzwischen russische bewaffnete Kräfte hinzugekommen, die nach Einschätzung des Westens Söldner der russischen privaten Militärfirma Wagner-Gruppe sind, nach Darstellung der malischen Regierung dagegen reguläre russische Soldaten aufgrund eines bilateralen Vertrages beider Seiten.
Deutschland ist an der UN-Mission MINUSMA derzeit mit knapp 1.000 und an EUTM Mali mit derzeit knapp 300 Soldatinnen und Soldaten beteiligt. Die Mandate für beide deutschen Auslandseinsätze laufen im Mai aus; angesichts der politischen Entwicklung im Land hat allerdings bereits jetzt die politische Diskussion über die Verlängerung begonnen.
Vor diesem Hintergrund die Entwicklung der vergangenen Wochen:
• Nachdem bereits im Sommer vergangenen Jahres Hinweise auf einen Vertrag zwischen Mali und der Wagner-Gruppe bekannt geworden waren, warnten westliche Länder kurz vor Weihnachten 2021 vor einem Einsatz der Söldner im Land. Die Regierung in der Hauptstadt Bamako hielt dem entgegen, es handele sich um reguläre russische Truppen; die westlichen Regierungen, darunter Deutschland, blieben dagegen bei ihrem Vorwurf. Unterdessen gab es immer wieder, vor allem von französischer Seite, Berichte über einen Einsatz dieser Söldner; öffentlich überprüfbare Belege fehlen bislang jedoch – zumal unklar bleibt, was reguläre Soldaten und was Söldner sind.
• Anfang des Jahres kündigte die Übergangsregierung Malis, die durch einen Putsch an die Macht gekommen war, eine Verschiebung der ursprünglich für dieses Frühjahr geplanten Wahlen an: Sie sollen nun fünf Jahre später als geplant stattfinden. Die westafrikanische Staaten- (eigentlich Wirtschafts-)Gemeinschaft ECOWAS reagierte darauf mit Sanktionen gegen Mali. Unter anderem wurden die Grenzen von Nachbarstaaten geschlossen.
• Als Reaktion auf diese Sanktionen rief die Übergangsregierung für den vergangenen Freitag (14. Januar) zu einer Großdemonstration gegen ECOWAS auf – die dann in der Stimmung auch zu einer Demonstration gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich und gegen westliche Staaten insgesamt wurde. Der Zustrom in mehreren malischen Städten war beeindruckend, wie (unter anderen) Außenminister Abdoulaye Diop via Twitter hervorhob (CEDEAO ist das französische Akronym für ECOWAS):
• Parallel zu dem öffentlichen Protest verschärfte die Regierung ihren Ton gegenüber Frankreich und anderen Staaten. So wurden internationale Fluglinien aufgefordert, unverzüglich zu erklären, ob sie – trotz der ECOWAS-Sanktionen – weiterhin Flugverbindungen nach Bamako anbieten würden. Falls nicht, würden ihre Landeslots an andere Airlines vergeben. Mehrere Fluglinien, darunter die für die Außenverbindungen des Landes bedeutsame Air France, wollen sich offensichtlich nicht an die Sanktionen halten.
• Ebenfalls zur Verschärfung des Tons trug der Flug eines A400M der französischen Luftwaffe nach Gao im Norden Malis bei. Die Regierung in Bamako warf Frankreich vor, seine Souveränität verletzt zu haben. Die Besatzung hatte unter anderem ihren Transponder abgeschaltet, wie es hieß, aus Sicherheitsgründen. Und Mali sollte nicht vergessen, sagte der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian demonstrativ, dass die französischen Truppen auch zur Sicherheit Malis beitrügen.
• Inzwischen untersagte die malische Regierung in der vergangenen Woche (KORREKTUR: nicht am vergangenen Wochenende) der UN-Mission jegliche Flugbewegungen. Davon sind unter anderem die deutschen (unbewaffneten) Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron 1 betroffen, die von Gao aus im Auftrag der MINUSMA starten, aber auch die NH90-Hubschrauber der Bundeswehr: Sie dürfen nur noch in medizinischen Notfällen in die Luft gehen. Dazu Auswärtiges Amt und Verteidigungsministerium am (heutigen) Montag in der Bundespressekonferenz in Berlin:
Weitere Aussage des Verteidigungsministeriums dazu bei Minute 48:40; das Transkript der Aussagen von Oberst Arne Collatz vom BMVg und Andrea Sasse vom Auswärtigen Amt:
Frage: Es geht um Mali. MINUSMA hat angekündigt oder gesagt, dass die Flüge gestrichen wurden beziehungsweise das alle Flüge nach und von Mali gestoppt wurden. Können Sie das bestätigen? Wie bewertet die Bundesregierung diese Entwicklung? Was hat das für den Bundeswehreinsatz für Folgen?
Collatz: Den Einstieg der Frage habe ich leider nicht komplett verstanden. Sie sagten, MINUSMA hätte erklärt, dass es Flugverbote gäbe.
Frage: „Flights have been suspended“, hat MINUSMA gemeldet. Die Flüge von MINUSMA von und nach Mali sind also eingestellt.
Collatz: Dazu kann ich im Moment keinen Hintergrund liefern. Das müsste ich nachreichen.
Zusatzfrage: Das wissen Sie nicht? Das war eine Meldung von gestern.
Sasse: Ich kann vielleicht an dieser Stelle aushelfen, Herr Collatz. Es ist so – das ist richtig, dass Mali seit dem vergangenen Donnerstag zahlreiche Flüge von MINUSMA inklusive der Drohnenflüge untersagt hat. Ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass medizinische Notfallflüge – MedEvac – davon nicht betroffen sind. Außerdem ist es so, dass die Vereinten Nationen – ich habe erwähnt, dass es um MINUSMA geht, und Sie haben es selbst auch erwähnt – und die Leitung der Mission MINUSMA diesen Vorgang gegenüber den malischen Stellen umgehend aufgenommen haben und das weitere Vorgehen besprechen. Über das Ergebnis dieser Gespräche kann ich an dieser Stelle noch nicht berichten.
Collatz: Ich kann ergänzen, dass es auch noch keinerlei Meldung über Auswirkungen auf die Operation vor Ort gibt. (…)
Collatz: Ganz kurz zu Ihrer Frage. Da muss ich mich korrigieren. Es gibt tatsächlich Einschränkungen. Derzeit ist die Aufklärung der ISR-Taskforce nur mit bodengebundenen Kräften möglich. Eine luftgestützte Aufklärung entfällt derzeit. Wir bedauern das und sind, wie Frau Sasse das eben auch sagte, in Verhandlungen über die weitere Fortführung.
• Weit bedeutsamer könnte allerdings noch werden, dass die malische Regierung den seit 2013 geltenden – und seitdem mehrfach angepassten – Vertrag über militärische Zusammenarbeit mit Frankreich ändern will. Was das für den Einsatz Frankreichs in dem Land, mittelbar aber auch für den UN-Einsatz, bedeuten kann, erläuterte der französische Journalist und Sahel-Spezialist Wassim Nasr im französischen Sender France24:
#Mali’s 🇲🇱 interim government demanded a review of its defence agreement with #France 🇫🇷 on Monday.
FRANCE 24’s Jihadism expert @SimNasr has more ⤵️ pic.twitter.com/RexvFTacRs
— FRANCE 24 English (@France24_en) January 17, 2022
Nachtrag: Am 19. Januar stoppte Mali nach Angaben des deutschen Verteidigungsministeriums den angemeldeten Überflug eines A400M der Bundeswehr nach Niger. Die 75 Soldat*innen an Bord sollten zum deutschen Lufttransportstützpunkt in Niamey im benachbarten Niger geflogen werden. Die Maschine steuerte zunächst die Kanarischen Inseln als Ausweichziel an.
Und ein Blick auf die Situation von VOA Africa:
Update 20. Januar: Das Flugverbot der malischen Behörden für MINUSMA wurde aufgehoben, wie die UN-Mission mitteilte. Grund für die Aussetzung des Flugbetriebs sei, so die offizielle Version, eine Reorganisation der Verfahren für Fluggnehmigungen gewesen:
Following a series of fruitful discussions with the Malian authorities, MINUSMA is resuming its air operations. The Mission welcomes the spirit of cooperation and partnership that prevailed during these talks. (…)
The Transitional Government had undertaken a reorganisation of its flight approval process in Mali. Pending the finalisation of these modalities, MINUSMA has suspended its flights within Mali, with the exception of medical evacuations.
MINUSMA uses its air assets to transport troops, civilian personnel and equipment, as well as for its ground security operations for the benefit of the population or Peacekeepers. These assets are also mobilised in support of Malian partners, particularly for transport and medical evacuations.
Weiter, vermutlich, nach Entwicklung.
(Archivbild Februar 2017: Ein NH-90-Hubschrauber der Bundeswehr nahe Gao/Mali im MINUSMA-Einsatz – Sebastian Wilke/Bundeswehr)
@briscard sagt: 20.01.2022 um 18:19 Uhr
Ich kann Ihre negative Bewertung nicht teilen. Sie müssen doch relativ gesehen Goitas Regierung mit Keitas Regierung vergleichen und da schneidet bisher Goita doch deutlich besser ab als Keita. Weniger korrupt. Aktiver. Reformen angehend etc.
Auch der Konflikt mit FRA war vielleicht bitter nötig. Die Kontakte zu RUS. Hm, da wird man sehen was Goitas Endspiel ist.
Ich muss sagen. Als ich von der Verweigerung der Überflugrechte erstmalig hörte, da dachte ich, „Das war es dann.“ Jetzt schmeißt Mali die MINUSMA raus und verlässt sich ganz auf die Russen. Ganz soweit scheint es noch nicht zu sein.
Noch nicht. Nachtigal, ick hör dir trapsen.
Zum Interview der IBuk in der Welt wäre anzumerken, dass eine Nachricht im Ohr des Empfängers entsteht. Und um bei dem Mannschaften-Vergleich zu bleiben. Der GI stellte einst fest, die meisten Mannschafften der BW haben Abitur, die Abiturientenquote unter den Rezipienten der Welt halte ich da für niedriger. Daher Botschaft angekommen. /SCNR
Nun immerhin erkennt sie an, dass in Mali eine Konfrontation auf sehr viel höherer Ebene als dem Lokalen Theatre eingeleitet wird. Das spricht für gute Beratung im Ministerium und die Qualität der Analysen dort.
@AoR
Also haben wir nun eine zweite Begründung des Einsatzes dort: wir sind in Mali
1. weil die Franzosen dort sind
2. weil die Russen dorthin wollen
Puh … Schulz von Thun (4 Ohren Modell) und die Laswell-Formel an sich lassen das Interview – zumindest bei mir – nicht besser werden. ;-)
Klar, damit wird eine Selbstverständlichkeit anerkannt. Wenn jetzt noch China in Westafrika (wo sie jenseits von der allgegenwärtigen Seidenstraße auch assets haben) demnächst gedropped wird, dann fall ich vom Stuhl. Dann sind wir intellektuell und rhetorisch irgendwo zwischen Niebel und Ruhe. Nun ja … eigene Ziele haben wir dann so richtig immer noch nicht
… aber vielleicht kommt dann eine differenzierte regionale Betrachtung über das lokale Theatre hinaus.
@Thomas Melber: Was soll man da sagen nach der Warnung der EU, Mali könnte Schule machen.
All eyes on Burkina Faso.
@Paradox77
CHN ist bereits da, oder beinahe:
„A permanent Chinese military installation in Equatorial Guinea is the culmination of nearly a decade’s investment in Africa – …“
https://ecfr.eu/article/chinas-new-military-base-in-africa-what-it-means-for-europe-and-america/
@ Thomas Melber: Ja, das ist mir bewusst, ebenso der Rest des chinesischen Footprints in der Region. Der ist zwar geringer als in den „chinese darlings“ Zimbabwe, Angola, Sudan und Uganda, aber auch Westafrika ist mittlerweile „chinese playground“.
Ich frage mich nur, wann die „chinese story“ ihren Weg ins BMVg findet. Der Golf von Guinea ist schon seit 2006 in der chinesischen Betrachtung dabei. Und Äquatorialguinea hat seit einigen Jahren Stress mit der EU, dann wenden sie sich der „Alternative“ zu.
Man sollte sich hüten was man sich in den Kommentaren hier wünscht. Damals zu Syrien landete eine Analyse, ein Austausch aus den Kommentaren gefühlt in den Tagesthemen, wo man sich auf Sicherheitsexperten bezogen hatte.
Und die Einlassungen Schönbachs zeigen sehr deutlich: China ist Thema.
Wir möchten keine Europäer mehr in Afrika.
Es ist vorbei!