Materiallage der Bundeswehr: Einsatzbereitschaft im Durchschnitt leicht gestiegen – aber ein Drittel steht bei der Industrie

Im neuen Bericht zur Materiallage der Bundeswehr meldet das Verteidigungsministerium eine leicht gestiegene Einsatzbereitschaft seiner Großwaffensysteme – allerdings nur im Durchschnitt. Nach wie vor schwankt die jeweilige Einsatzbereitschaft vor allem zwischen den ganz alten und ganz neuen Systemen auf der einen Seite und den Gerätemustern, die ihre Kinderkrankheiten überwunden haben oder an zivile Systeme angelehnt sind, auf der anderen Seite. Und ein Drittel der Waffensysteme, mit steigender Tendenz, steht der Truppe gar nicht zur Verfügung.

Das Ministerium veröffentlichte am (heutigen) Montag den inzwischen halbjährlichen – nicht geheimen -Teil seines Berichts zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr*. Während im vorangegangenen Bericht im Dezember vergangenen Jahres der durchschnittliche Klarstand der großen Waffensysteme mit durchschnittlich 74 Prozent angegeben wurde, sind es nun 76 Prozent. Allerdings gibt es dabei eine große Schwankungsbreite – allerdings werden die Detailzahlen nur zum Teil öffentlich, weil sie seit März 2019 als Geheim eingestuft sind.

Generalinspekteur Eberhard Zorn nannte dennoch in seiner einführenden Übersicht in den Bericht einige der Einzelheiten:

Generell ist festzuhalten, dass die materielle Einsatzbereitschaft aller 71 Hauptwaffensysteme im Berichtszeitraum weiter zugenommen hat. Sie liegt bei durchschnittlich 76 %. Unsere Benchmark von 70 % durchschnittlicher materieller Einsatzbereitschaft übertrafen 44 Hauptwaffensysteme, 11 lagen unter 50 % (davon 7 Altsysteme). Die durchschnittliche materielle Einsatzbereitschaft von Kampffahrzeugen liegt bei 71 %, für Kampfeinheiten der Marine bei 75 %, für die Kampf- und Transportflugzeuge bei 64 %, für alle Unterstützungsfahrzeuge (Logistik, Sanität und CIR) bei 80 % und bei den Hubschraubern erstmalig über 40 %. (…)
14 Systeme in der Einführungs- bis Wachstumsphase:
SPz PUMA, A400M, U212A, KH TIGER, NH90 TTH, NH90 NTH SEA LION, H145M LUH SOF, H145M LUH SAR, GFB LEGUAN, MANTIS, GTF ZLK 5t und 15t sowie UTF 5t und 15t.
Die materielle Einsatzbereitschaft dieses Clusters konnte sich um sechs Prozentpunkte auf 85 % im Durchschnitt aller 14 Systeme verbessern. Jedoch besteht eine drastische Schwankungsbreite bei den einzelnen Systemen. Auf der einen Seite der NH90 NTH SEA LION (bei 20 %), der in kleinerer Stückzahl in die Truppe ausgeliefert wird. Auf der anderen Seite die marktverfügbaren Lkw über 90 %), die schnell und in hohen Stückzahlen in die Truppe zulaufen (2020: mehr als 2.000 Lkw). (…)
32 Systeme in der Wachstums- bis Sättigungsphase:
KPz LEOPARD 2, GTK BOXER, TPz FUCHS, FENNEK, PzH 2000, MARS, KEILER, DACHS, EUROFIGHTER, HERON TP, PATRIOT, leFlaSys, A320 Familie, A340/A350 Familie, GLOBAL 5000/6000, Fregatten, EGV, ENOK/WOLF SSA, EAGLE IV/V, DINGO, DURO/YAK, MULTI FSA 15t, TEP 90, MSE Rettungsstation, San-Kfz EAGLE IV BAT, San-Kfz FUCHS, San-Kfz BOXER, SAT-COM-Bodenstation, Verlegefähige Netze, TPz FUCHS CIR, EAGLE CIR, DINGO CIR.

Dieses Cluster liegt leicht verbessert bei einer verlässlichen hohen materiellen Einsatzbereitschaft von durchschnittlich 77 %. (…)
25 Systeme in der Sättigungs- bis Degenerationsphase:
SPz MARDER, Amphibie, Bergepanzer, TORNADO, C-160, CH53, A310, COUGAR, Korvette, Minenabwehreinheiten, Flottendienstboot, Tender, Betriebsstoffversorger, P-3C ORION, SEA KING, SEA LYNX, LKW mil gl 5t, 7t, 10t sowie 15t MULTI, Einsatzlazarett, Rettungszentrum, Rettungsstation, Luftlanderettungszentrum, Luftlanderettungszentrum (leicht).
Die durchschnittliche materielle Einsatzbereitschaft dieses Clusters hat sich im Berichtszeitraum um weitere vier Prozentpunkte auf 65 % verringert, bei 9 Systemen liegt sie unter 50 %. Die Altsysteme kennzeichnet eine zunehmende Anzahl an technischen Defekten, Obsoleszenz von Systemkomponenten sowie mangelnde Ersatzteilbestände. Der Weiterbetrieb der jeweiligen Flotte ist aufgrund fehlender Nachfolgesysteme notwendig. Dieser gelingt oftmals nur unter hohem Aufwand, da personelle wie materielle Kapazitäten weder in der Bundeswehr noch in der Industrie in ausreichendem Maße vorhanden sind. Zur Ersatzteilgewinnung dienen bereits ausgesonderte Systeme („Kannibalisierung“). Ferner werden Besatzungen und Techniker werden über ihre geplante Verwendungsdauer verlängert.

Die Zahlen der materiellen Bereitschaft sind zudem, auch das macht Zorn in seiner Übersicht deutlich, nur eingeschränkt aussagekräftig. Denn sie gelten nur für den so genannten Verfügungsbestand – also die Panzer, Schiffe, Hubschrauber, Flugzeuge und anderes Gerät, das derzeit bei der Truppe steht. Nicht aber für die Systeme, die zur Instandsetzung, Wartung oder Überholung und Nachrüstung bei der Industrie stehen. Der so genannte Buchbestand ist nicht nur deutlich größer als der Verfügungsbestand – sondern der Anteil aus dem Buchbestand, der nicht der Truppe zur Verfügung steht, wird auch immer größer:

Der Grad der materiellen Einsatzbereitschaft eines Waffensystems wird im Verhältnis zum verfügbaren Bestand ermittelt. Zu ihm gehören alle Hauptwaffensysteme, die für Einsatz, einsatzgleiche Verpflichtungen, Übung und Ausbildung in der Truppe nutzbar sind. … Entsprechend unseres Anspruchs sollten davon mindestens 70 % einsatzbereit sein. Die verbleibenden Systeme in Bezug zum Gesamtbestand befinden sich vor allem in langfristigen Werksinstandsetzungen, Umrüstungen oder Konstruktionsstandanpassungen. Dieser Anteil nimmt in den vergangenen Berichtszeiträumen kontinuierlich zu und liegt derzeit bei rund einem Drittel des Gesamtbestandes. Die Vereinheitlichung der Flotte, umfangreiche Umrüstungen und zusätzliche technische Neuerungen, um Obsoleszenzen vorzubeugen, führen in der Summe zu einem in den nächsten Jahren deutlich reduzierten verfügbaren Bestand.
Beispiele hierfür sind:­
A400M: 16 von 36 Systemen (Delta: 44 %). Die Auslieferungen erfolgten mit zahlreichen technischen Mängeln, die zusätzliche Kontrollen / Inspektionen erfordern. Zudem führen fehlende Ersatzteile und Wartungskapazitäten zum Stau bei erforderlichen Inspektionen, sodass zahlreiche A400M auf Abruf in die Instandsetzung warten. Im Rahmen der Initiative Einsatzbereitschaft haben wir dies aufgegriffen und arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung.­
KPz Leopard 2: 107 von 266 (Delta: 40 %). Die Systemflotte umfasst mittlerweile sechs unterschiedliche Typen, da für einheitliche Umrüstungen in den vorherigen Jahren schlicht die finanziellen Mittel fehlten. Aktuell stehen daher zahlreiche Umrüstungen der Bestandstypen, die Reduzierung auf vier Typen und die Einführung des Typs A7V an. Die „Verfügbarkeitsdelle“ ist bis zum Ende des Jahres 2025 unvermeidlich; an dessen Ende haben wir einen Gesamtbestand von 328 Systemen.

Also ein Drittel aller Hauptwaffensysteme noch nicht mal in der Truppe, und das mit steigender Tendenz. Der Ausblick des Generalinspekteurs ist deshalb auch nicht besonders positiv:

Die im Durchschnitt leicht gestiegenen Einsatzbereitschaftswerte des Materials beziehen sich auf den Verfügungsbestand. Es ist nicht möglich, daraus einen unmittelbaren Rückschluss auf die tatsächlichen Ausbildungs- und Übungsmöglichkeiten sowie auf die Einsatzbereitschaft gesamter Truppenteile und Fähigkeiten zu ziehen. Wir erfüllen mit dem Gerät unter hohem Aufwand und mit langen Koordinierungsvorläufen unsere Aufträge. In der Breite der nicht für Einsätze und einsatzgleiche Verpflichtungen vorgesehenen Truppenteile ist es daher unverändert mein Ziel, die Verfügbarkeit des Materials zu steigern, um verlässliche Ausbildungs- und Übungsplanung zu ermöglichen und letztendlich die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nachhaltig im Ganzen zu steigern.

(Wird ggf. später ergänzt)

Wer den Abgleich mit früheren Berichten machen möchte:
September 2014, Dezember 2015, November 2016, Februar 2018, März 2019, November 2019, Juni 2020, Dezember 2020

*Fürs Archiv die Sicherungskopie:
20210531_EBMat_Bericht

(Archivbild Juni 2020: EinNH-90 NTH Sea Lion des Marinefliegergeschwaders 5 über der Nordsee – Maylin Wied/Bundeswehr)