Materiallage der Bundeswehr: Leichte Besserung, aber auch Systeme nur zu einem Viertel einsatzbereit

Die Einsatzbereitschaft der großen Waffensysteme der Bundeswehr hat sich in Teilen gebessert – nach wie vor gibt es aber auch Systeme, bei denen nur ein Viertel einsatzbereit ist. Diese Schwankungsbreite nennt die Bundeswehr in ihrem jüngsten Bericht zur Materiallage. Weiterhin sind die Details geheim, wie 2019 unter der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eingeführt. Die Coronavirus-Pandemie hat, logisch, teilweise den Klarstand verbessert – weil weniger geübt wurde.

In dem am (heutigen) Dienstag vorgelegten offenen Teil des Berichts zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr* nennt Generalinspekteur Eberhard Zorn nicht mehr, wie noch im vergangenen Jahr, die fliegenden Systeme und da vor allem die Hubschrauber als Hauptproblem der Truppe. Tatsächlich ist das Bild differenzierter – und hat eher mit dem Alter von Hubschraubern, Schiffen oder Schützenpanzern zu tun.

Am schlechtesten sieht es bei den alten Systemen mit einer im Verlauf hohen Schwankungsbreite der materiellen Einsatzbereitschaft aus: Hier wird ein Klarstand zwischen 26 Prozent, also einem Viertel der vorhandenen Maschinen, und 89 Prozent genannt, ohne dass das öffentlich konkreten Systemen zugeordnet würde. In diese Kategorie mit insgesamt 26 der 68 insgesamt betrachteten Hauptwaffensysteme fällt allerdings vor allem fliegendes Gerät: Der Tornado-Kampfjet, der Hubschrauber CH-53 und der Seefernaufklärer P-3C Orion. (Educated Guess: das untere Ende des Bereitschaftsstandes dürften die Seefernaufklärer markieren. – Korrektur: nee, es ist wohl ein Hubschrauber…) Aber auch die Betriebsstofftransporter der Marine, seit über einem Jahrzehnt als erneuerungsbedürftig erkannt, oder ältere Varianten des Schützenpanzers Marder gehören dazu. Bei elf dieser 26 Systeme lag die Einsatzbereitschaft nach dem Bericht unter 60 Prozent.

Eine ähnlich große Schwankungsbreite gibt es zwar auch bei Systemen in der Einführungs- bis Wachstumsphase – allerdings sieht der Bericht trotz der Einsatzbereitschaft zwischen 30 und 93 Prozent hier Aussicht auf Besserung. So sei teilweise weder die Dokumentation noch die Ausstattung mit den nötigen Spezialwerkzeugen sichergestellt. Allerdings seien hier Verbesserungsmaßnahmen eingeleitet. In diese Gruppe gehören elf  Systeme, unter anderem der Schützepanzer Puma, der Transportflieger A400M, der Hubschrauber NH90 und der Spezialkräfte-Hubschrauber Airbus H145 M. (Noch ein Educated Guess: Der H145M, ein praktisch industrieverfügbarer Helikopter, dürfte das obere Ende des Klarstands markieren und den Schnitt auf über 70 Prozent heben.)

Halbwegs zufrieden ist der Generalinspekteur dagegen mit den 33 Systemen in der Wachstums- bis Sättigungsphase, die eingeführt sind und stabil funktionieren. Genannt werden hier unter anderem mit einer Einsatzbereitschaft zwischen 60 und fast 100 Prozent Fregatten (allerdings nicht, welcher Typ), der Kampfpanzer Leopard 2, der Transportpanzer Boxer und der Eurofighter. Insgesamt lägen die Systeme dieser Gruppe bei einer verlässlichen hohen materiellen Einsatzbereitschaft von häufig oberhalb 75 Prozent.

Die Coronavirus-Pandemie hatte, auch darauf weist Zorn hin, für die Truppe gegensätzliche Effekte. Während in den Vorjahren die hohe Nutzung von Gerät für die zunehmenden Übungen und Verpflichtungen im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung als Problem für die Einsatzbereitschaft identifiziert wurde, wirkte sich die Pandemie genau getenteilig aus: Feststellbar ist bei einigen Waffensystemen eine Steigerung der materiellen Einsatzbereitschaft, wahrscheinlich aufgrund reduzierter Nutzung bei gleichbleibender Instandsetzungskapazität. Andererseits hatte die Bundeswehr durch die Pandemie die gleichen Probleme wie auch die Industrie: Bei anderen Waffensystemen wirken sich bereits massive Störungen internationaler Lieferketten aus, so dass wichtige Ersatzteile fehlen.

Auf die einzelnen Berichte der Inspekteure von Teilstreitkräften und Organisationsbereichen gehe ich an dieser Stelle nicht näher ein (kann man nachlesen), mit einer Ausnahme, weil das meist untergeht: Der, sagen wir Aufschrei des Inspekteurs des Sanitätsdienstes im Hinblick auf das Gerät, das angesichts der geänderten Anforderungen an die Bundeswehr nötig ist. Die geschützten Patiententransportsysteme, also gepanzerte Verwundetentransporter, seien zwar grundsätzlich einsatzbereit – aber es gebe schlicht zu wenige davon. Und ein Großteil ausgerechnet des Geräts, das zur Versorgung Verwundeter erforderlich sei, sei inzwischen einfach überaltert:

Dem gegenüber befinden sich die container- und zeltgestützten modularen Sanitätseinrichtungen (MSE) und luftbeweglichen Sanitätseinrichtungen(LSE) zur notfallchirurgischen bzw. klinischen Akutversorgung sowie die ungeschützte Rettungsstation zur allgemein- und notfallmedizinischen Erstversorgung in einer eingeschränkten Einsatzbereitschaft, weil deren Verfügbarkeit insbesondere durch technische Defekte aufgrund der hohen Lebensdauer stark reduziert ist. Hinzu kommen Obsoleszenzen von Systemkomponenten, welche teilweise nicht mehr von der Industrie aufgefangen werden können. Notwendige Ersatz- und Austauschteile müssen aus defekten Systemen gewonnen werden. Durch das voranschreitende Alter der Systeme und die verzögert laufende Beschaffung neuen Materials erhöht sich das bereits in den Vorjahren beschriebene Risiko einer Entkopplung vom Stand der Wissenschaft und Technik.
Die in den letzten Jahren entstandenen massiven Material-defizite in Verbindung mit dem grundsätzlichen Verzicht auf eine Ersatzteilversorgung im OrgBer und eine insgesamt verzögerte Regeneration prägen das Lagebild, der aktuell nur noch wenigen umfänglich einsatzbereiten MSE/LSE Systeme.

Wer den Abgleich mit früheren Berichten machen möchte:
September 2014, Dezember 2015, November 2016, Februar 2018, März 2019, November 2019

Und fürs Archiv:
20200609-bericht-materielle-einsatzbereitschaft
200200609-11_Ruestungsbericht

(Wird ggf. später ergänzt)

(Archivbild Mai 2014: Geschütztes Patiententransportsystem San-Boxer bei einer Lehrvorführung an der Infanterieschule Hammelburg – Böhmer/Bundeswehr)