Die deutsche NATO-Speerspitze: With a little help from my friends, Teil 3

Sechs Jahre nachdem die Bundeswehr erstmals einen Gefechtsverband für die schnelle Eingreiftruppe der NATO stellte, die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), bleibt ein Grundproblem bestehen: Auch für die dritte deutsche Rotation der NATO-Speerspitze muss sich der vorgesehene Verband einen Teil der Ausrüstung bei anderen Einheiten des Heeres ausleihen.

Die Erkenntnis kommt keineswegs überraschend und hatte sich bereits in den vergangenen Monaten abgezeichnet. Aber am (heutigen) Donnerstag machte das Heer das auch gleich mehrfach öffentlich. In einem Bericht über Freud und Leid der NATO-Eingreiftruppe heißt es klar:

Ursprünglich war es das erklärte Ziel der Bundeswehrführung, dass die Brigade ausschließlich das bereits vorhandene eigene Material nutzt. Doch davon kann keine Rede sein. Wie bereits bei der Panzerlehrbrigade 9, die für die VJTF 2019 verantwortlich war, muss auch die Panzergrenadierbrigade 37 mit Material aus der ganzen Bundeswehr versorgt werden. Die Verschiebungen haben allerdings einen erheblich geringeren Umfang als noch im Jahr 2019. (…)
Wie einst die Panzerlehrbrigade 9 wird sich auch der Großverband aus Sachsen der herausfordernden Frage stellen müssen, wo das benötigte Material für den Auftrag herkommt. Denn: Die Materiallage im Heer ist nach wie vor angespannt. Noch immer sind Ausrüstung und Ausstattung nicht so aufgefüllt, dass die Brigade den Auftrag aus eigener Kraft erfüllen könnte. Die Panzergrenadierbrigade 37 wird, wie zuvor die Panzerlehrbrigade 9, auf andere Verbände im gesamten Bundesgebiet zurückgreifen müssen, um das erforderliche Material für ihren ab 2022 beginnenden Auftrag zusammenzuziehen: „Viele Verbände des Heeres mussten und müssen auch in naher Zukunft unterstützen und auf Ausrüstung verzichten, die sie zur Ausbildung und Übung eigentlich dringend selbst benötigen“, so der Kommandeur der Panzerlehrbrigade 9, Brigadegeneral Christian Freuding. Zwar seien Verbesserungen in der materiellen Ausstattung durch die im Jahre 2014 eingeleitete Trendwende Material bereits in der Truppe spürbar, jedoch könne man die vorangegangenen „25 Jahre des Schrumpfens und Sparens“ nicht innerhalb von sieben Jahren wieder aufholen; zumal viel Gerät auch am Ende seiner Nutzungsdauer angekommen sei.

Und Heeresinspekteur Alfons Mais räumte in einem Namensbeitrag für den Förderkreis des Heeres ein:

Die Very High Readiness Joint Task Force Land (VJTF (L)) 2023, hauptsächlich gestellt von der Panzergrenadierbrigade 37, muss 2021 nationale Zertifizierungsziele nachweisen. Wir haben in den vergangenen Jahren einiges erreicht, insbesondere die bis Jahresende abgeschlossene Einrüstung eines ebenenübergreifenden Battle Management Systems ist ein qualitativer Sprung in der Führungsfähigkeit. Es ist uns aber leider erneut nicht gelungen, die Panzergrenadierbrigade 37 aus sich heraus für ihren Auftrag auszurüsten. Materialverschiebungen werden – wenngleich in geringerem Maße als noch in 2019 – nicht vermieden werden können. Ein sachgerechtes Erwartungsmanagement im Sinne von „Wahrheit und Klarheit!“ mache ich mir deshalb gerade in 2021 für das gesamte Heer zur Aufgabe, denn Materialverschiebungen schmerzen besonders, wenn die abgebende Truppe dadurch in ihren Ausbildungsmöglichkeiten Abstriche hinnehmen muss. Dies potenziert sich, wo Covid-19-bedingt bereits in 2020 Ausbildungs- und Übungsvorhaben nicht wie geplant durchgeführt werden konnten.

Nun ist dieses Problem, einschließlich der Erklärung dafür, ja nicht neu. Schon die erste für die VJTF vorgesehene Einheit, das Panzergrenadierbataillon 371 , musste im Jahr 2015  für knapp 1.000 Männer und Frauen ihr Material im ganzen Heer zusammenkratzen. Damals allerdings war die neue Feuerwehrtruppe noch recht frisch – die Staats- und Regierungschefs der NATO hatten im September 2014 auf ihrem Gipfel in Wales unter dem Eindruck der russischen Annexion der Krim und der Spannungen in der Ukraine beschlossen: Als Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) will das Bündnis eine (rotierende) Einheit schaffen, die mit schneller Präsenz vor allem an den Grenzen des Bündnisgebiets Abschreckungskraft demonstrieren kann.

Allerdings: ein paar Jahre später, für die deutsche Führung der VJTF 2019, sah es nicht so viel besser aus. 2018 kursierte sogar ein Befehl, überschüssige Winterkleidung bis zur Sturmhaube überall in der Bundeswehr, selbst bei der Marine, für die Soldatinnen und Soldaten der NATO-Speerspitze einzusammeln. (Der Befehl wurde dann allerdings recht schnell wieder aufgehoben). Und im Januar 2019, formal gesehen waren die Einheiten der Eingreiftruppe schon in Bereitschaft, brachte die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen noch schnell paar fehlende Nachtsichtbrillen vorbei.

Für die VJTF 2023, so die Ansage des Heeres (s.o.), ist die Materialbeschaffung im Kameradenkreis in erheblich geringeren Umfang als noch im Jahr 2019 erforderlich. Da wäre die Zahl interessant –  2015 war noch die Rede von 15.000 Artikeln, von der Schutzweste bis zum Schützenpanzer. Die Nachtsichtfähigkeit, so berichtet das Heer, sei aber inzwischen besser geworden, auch wenn das im Tweet des Heeres zu den heutigen Meldungen noch bisschen anders klingt:

Ohne a little help from my friends geht’s offensichtlich weiterhin nicht.

*Fürs Archiv die beiden Artikel von der Heeres-Webseite hier noch mal als Sicherungskopie; der Namensbeitrag des Heeresinspekteurs ist weit über das Thema VJTF hinaus von Bedeutung und lesenswert:
20210218_InspHeer_Mais_Aufgaben_fuer_2021 20210218_Heer_VJTF2023_Vorbereitung

(Archivbild November 2020: Ein Scharfschütze des Panzergrenadierbataillons 371 trainiert mit dem neuen Scharfschützengewehr G22A2 das Schießen auf große Distanz auf dem Truppenübungsplatz Klietz – Maximilian Schulz/Bundeswehr)