Bundeswehr stoppt Sammel-Aktion und kauft 6.400 neue Sturmhauben
Ein schnelles Update zu meiner Meldung von gestern, die Bundeswehr sammele in allen Truppenteilen Kopf- und Gesichtsschutz, a.k.a. Sturmhauben, ein für die erneute Ausgabe an Soldaten zur Verwendung bei der VJTF-Übung Trident Juncture in Norwegen:
Soeben bekomme ich am (heutigen) Dienstag) auf meine Anfrage diese Mitteilung aus dem Verteidigungsministerium:
Es ist gestern entschieden worden, den Bedarf an 6.400 Kopf- und Gesichtsschutz unverzüglich zu beschaffen und den Soldaten und Soldatinnen der VJTF zeitgereicht zur Verfügung zu stellen. Die von Ihnen zitierte Weisung wurde außer Kraft gesetzt.
Das erst mal zur Info; zur Erinnerung noch mal aus der ursprünglichen Weisung:
Aufgrund der derzeitigen unbefriedigenden Bestandssituation bei einigen Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenständen kann folgender Artikel nicht an die übenden Soldatinnen/Soldaten für „TRIDENT JUNCTURE 2018 – Zertifizierungsübung für NRF/VJTF ausgegeben werden:
Artikel: Kopf- und Gesichtsschutz, ASD 00530
Oben genannte Übung hat für die Bundeswehr eine außerordentliche Bedeutung und höchste Priorität. Ziel seitens BMVg/FüSK I ist es, alle teilnehmenden Soldatinnen und Soldaten für den Wintereinsatz in Norwegen „sollgerecht“ auszustatten.
Hierzu hat die Projektleitung Bekleidung des BAAINBw E3.4 Soldatinnen und Soldaten … identifiziert, die nicht für die Übung TRIDENT JUNCTURE 2018 vorgesehen sind und daher den vorhandenen Ausrüstungsgegenstand Kopf- und Gesichtsschutz an die jeweilige Servicestation (SVS) zurückgeben müssen.
Ob da einfach der gesunde Menschenverstand gesiegt hat, ob noch mal nachgerechnet wurde, was die Sammelaktion kostet… kann ich nicht sagen. Die Zahl 6.400 ist übrigens etwa ein Drittel dessen, was das BAAINBw als Besitzer solcher Sturmhauben identifiziert und zur Rückgabe aufgefordert hat. Wie ich mittlerweile von mehreren Stellen höre, soll es sogar Soldaten geben, die mehrere dieser Kopf- und Gesichtsschutze besitzen.
Und wie ein Kommentator bei dem anderen Beitrag angemerkt hat: Im Nummernverzeichnis für die Materialbewirtschaftung im Fachgebiet Bekleidung (NVZ 2018) ist dieser Gegenstand mit 6,44 Euro ausgewiesen. Zudem ist nach der Vorschriftenlage die Ausgabe nach vorheriger Verwendung verboten.
Sorry, dass darüber gesprochen werden muss, reibt dem interessierten, zivilen, nicht unerheblichen Steuerzahler die Tränen ins Gesicht.
@FlaOffz | 08. Mai 2018 – 21:44
Vielen Dank für den Beitrag. Die Punkte geben einen guten Überblick.
Haha, hab meine schon abgegeben :-)
Vielleicht benutzt ja nun mal einer das 26 Jahre alte Teil :-)
Herr Wiegold erst einmal vielen Dank für diese „Offenbarung“ die, zumindest aus meiner bescheidenen Sicht, zum Umdenken zumindest beigetragen hat – ggf. war ja auch nicht allen Ebenen bekannt was hier wieder einmal an sinnfreier Bürokratie läuft und man wurde erst durch ihren Beitrag darauf gestoßen.
Verwirrend finde ich allerdings welche Reaktionen der Artikel bei den Kommentatoren hervorgerufen hat.
Für „Insider“ sollte doch die Herangehensweise VJTF bekannt und klar sein und diese ist ja nicht neu sondern hat, wenngleich nicht im gleichen Ausmaße, durchaus ja auch „Tradition“ in der Bundeswehr – früher nannte man das – und schon mal sorry für die political incorrectness – schlicht einen „Türken“ (abgeleitet vom Verb „türken“ – bevor hier wieder Befindlichkeiten hochkochen) bauen.
Unstrittig ist, die derzeitige Materiallage lässt es nicht zu einen Verband organisch mit dem auszustatten was er für Auftrag und Ausbildung benötigt – und das wird sich sicherlich auch noch einige Jahre so darstellen – es sei denn es findet doch jemand den Goldtopf am Ende des Regenbogens.
Demnach ist es gegeben dass zur Auftragserfüllung VJTF priorisiert der identifizierte Verband ausgestattet wird unter Zusammenziehung des Materials aus anderen Teilen der Streitkräfte. Dass dies Auswirkungen auf den Ausbildungsbetrieb haben wird ist demnach auch verständlich und belegbar – und wird zähneknirschend hingenommen, jedoch nicht öffentlich propagiert – wäre der „Attraktivität“ der Bundeswehr als Arbeitgeber sicher auch nicht zuträglich.
Die Frage die sich stellt – das Preisschild der Minderausbildung in der „restlichen“ Truppe um der NATO einen „schicken“ Gefechtsverband hinzustellen wird WANN und WIE bezahlt bzw. wieder aufgearbeitet?
Die Diskussion um Verschulung der Ausbildung bzw. Fokussierung auf Auslandseinsätze ist leider verspätet und hätte bei der Umstellung erfolgen müssen, denn ich behaupte dass alle Inhalte bereits in den alten Vorschriften vorhanden waren, allerdings wurde nicht vollumfänglich ausgebildet, denn auch DAMALS wurden Schwerpunkte in der Ausbildung nach dem gusto der Verantwortlichen gesetzt.
Sei’s drum, erkannt, Trendwende eingeleitet – warten was passiert.
Früher war nicht alles besser, aber anders !
@christschen:
Das 26 Jahre alte Teil war schon das „aktuelle“?
ASD: 00530
ARTIKELBEZEICHNUNG: KOPF‐/GESICHTS‐SCHUTZ
PREIS: € 6,44
MATPLANNR: 8415‐30702
VERSNR: 8415123788084
Für die, die wissen wollen, woher die Info kommt, dass gebrauchte Gesichtsmasken nicht auszugeben sind:
Zentralvorschrift A1-1000/0-7000 „Bekleidung der Bundeswehr“, Seite 24, Nr. 2038:
„Die Ausgabe von getragenem Kopf- und Gesichtsschutz sowie von getragenen Gesichtsmasken ist nicht zulässig (vgl. Nr. 2040); derartige Stücke sind jeweils sofort auszusondern.“
@Semjon M. Gehner
na dann schmeissen wir die bisher zurückgegebene halt einfach weg.
Gut das diese Vorschrift dem Verfasser der „Einsammelweisung“ nicht bekannt war.
Manchmal ist man einfach nur sprachlos
Danke, Herr Wiegold!
Ohne Sie wäre dieser Unfug noch länger weitergegangen.
Bin mal gespannt, wie lange die Aufhebung dieser Weisung jetzt zu uns in die Truppenebene braucht, bislang habe ich das nämlich nur hier gelesen.
Ansonsten finde ich es natürlich gut, das mal jemand aufgewacht ist und festgestellt hat, was da für ein Schmarrn verzapft worden ist.
@Thomas Wiegold
Ist bekannt warum nur 6400 neue Sturmhauben beschaft werden?
Der eigentliche Bedarf liegt ja deutlich höher und die 25Mio. Grenze würde ja trotzdem lange nicht überschritten werden
wer hat die Weisung zur Rückgabe eigentlich angeordnet und wer hat sie unterschrieben – und wann lesen wir, dass die die das „Verbrochen“ haben für die „eingesammelten“ Kopfmasken, die nicht wieder ausgegeben werden können, und die nun zumindest zum Teil wieder bei den ursprünglichen „Besitzern“ ersetzt werden müssen, in die Haftung genommen werden – wenn auch nur für die Wiederbeschaffungskosten – wohl nicht einmal für den Zeitschaden der eingetreten ist? aber so ist das wohl heute
@Matthias Hake | 10. Mai 2018 – 21:21
„und wann lesen wir, dass die die das „Verbrochen“ haben[…] in die Haftung genommen werden“
Hoffentlich NIEMALS!
Denn, wenn wir anfangen Soldaten (und Beamte) für objektive Fehlentscheidungen ohne subjektives Fehlverhalten in Regress zu nehmen, dann verstoßen wir nicht nur gegen das GG, sondern gefährden vor allem jegliches unabhängiges und dynamisches Führungsverhalten!
@Koffer – genau die Aussage wollte ich provozieren – bei einigen führt sie dann dazu, dass sie auch ihrem Auftrag, dem ihnen unterstellten Soldaten und dem Gesamtsystem gegenüber keinerlei Verantwortung mehr empfinden. und dabei wäre es so einfach gewesen mal in die Vorschrift zu schauen – aber so ist das wenn alles „neue Namen“ bekommt, der Inhalt aber bis auf marginale Änderungen gleich geblieben ist. ende
Gut, daß man mir seit Jahren geduldig erklärt, eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben sei unmöglich, denn man könne ja zusätzliches Geld für gar nichts ausgeben. Was solle man schon anschaffen davon? Also eigentlich sei die Bundeswehr ja überfinanziert und müsse noch weiter Material abrüsten statt beschaffen.
Also, wenn man mir das nicht so ausdauernd immer wieder erklären täte, hätte ich jetzt ein paar Fragen an die so kompetente Bundesregierung.
@Matthias Hake | 11. Mai 2018 – 13:30
„bei einigen führt sie dann dazu, dass sie auch ihrem Auftrag, dem ihnen unterstellten Soldaten und dem Gesamtsystem gegenüber keinerlei Verantwortung mehr empfinden. und dabei wäre es so einfach gewesen mal in die Vorschrift zu schauen“
Was hat denn das eine jetzt mit dem anderen zu tun? Dass Staatsdiener in DEU (und in vielen anderen Staaten der Welt) nicht ohne weiteres finanziell für Fehlentscheidungen ohne Vorsatz herangezogen werden können ist nichts neues.
In DEU gehört es glaube ich sogar zu den schon lange (!) vor dem GG etablierten Grundsätzen des Berufsbeamtentums…
@califax | 11. Mai 2018 – 14:33
+1
Das Ende der Sammelaktion ist in der Sanität noch nicht angekommen……………….
@armillar2012
Heißt das, die Anweisung zum Einsammeln des betreffenden Ausrüstungsstücks wird weiter angewandt und zur Ablieferung aufgefordert?
@all
Gibt es weitere Bereiche, wo die ursprüngliche Anweisung zum Einsammeln unverändert durchgesetzt wird?
(Ich nehme auch Hinweise per E-Mail entgegen.)
In der Marine ist der Aufhebungsbefehl heute morgen durch E3.4 verschickt worden.
Auch der Wehrbeauftragte hat eben im Morgenmagazin die „Aktion Sturmhaube“ erwähnt.
@FlaOffz | 08. Mai 2018 – 21:44
Lese den Beitrag leider erst jetzt, aber das war ein guter Start in den Tag!
Entlang dieser Gedanken und nahezu im gleichen Wortlaut argumentiere ich seit Jahre: bin damit irgendwas zwischen „Ewig-Gestriger“ und „Old-School“, habe aber auch schon (deutlich) schlimmeres gehört!
Wir hatten mal eine Offizieraus- und Weiterbildung, auf die uns viele beneidet haben… und genau die haben wir über Bord geworfen!
Schade, aber es wird Jahre dauern, bis wir das wieder einfangen… wenn es denn überhaupt eingefangen werden soll!
Erst neulich habe ich von einer „Trendwende Ausbildung“ gehört, die dazu führt, dass irgendwo im Kdo Ausbildung Kameraden sitzen, die nun Ausbildungshilfen verfassen, in denen beschrieben wird, wie ein Gefechtsschießen der kleinen Kampfgemeinschaft aka „Gruppengefechtsschießen“ vorzubereiten, durchzuführen und zu leiten ist!
Hoffentlich heißt diese Ausbildungshilfe dann nicht „Einsatznah ausbilden“ oder gar „Kriegsnah ausbilden“…. alte Männer wissen schon, was ich da meine!
@FlaOffz:
Ich schließe mich dem Lob für die ausgezeichnete Zusammenfassung der Missstände bei der Ausbildung an: Allein: Wie abstellen? Es fehlt ja bekanntlich selbst dann, wenn man morgen anfangen wollte, die Taktik wieder entsprechend zu lehren und zu beüben, an entsprechend einsatzbereiten Menschen und Material…
Die Bw konnte – mit allen negativen Beigeschmäckern – bei der Wiederbewaffnung immerhin noch auf einen taktischen Erfahrungs- und Wissensbestand bei ehemaligen Veteranen der Wehrmacht aufbauen. Das vorhandene Wissen in der Bundeswehr reduziert sich zudem immer stärker auf einen immer kleineren, einsatzerfahrenen Teil der Truppe, die zudem im täglichen Einsatz gerade nicht das betreiben, was die eigentliche Kernaufgabe unserer Armee ist, nämlich der symmetrische Konflikt von Streitkräften im Rahmen der Landesverteidigung.
Das hat man ja inzwischen offenbar auch im BMVg wiederentdeckt.