Zu teuer: Verteidigungsministerium stoppt Vergabeverfahren für neuen schweren Transporthubschrauber (Neufassung)

Eines der großen Rüstungsprojekte der Bundeswehr ist vorerst gestoppt: Das Verteidigungsministerium hat das Vergabeverfahren für den künftigen schweren Transporthubschrauber (STH) der Bundeswehr abgebrochen, der die alternde Flotte der Helikopter vom Typ CH-53G in seinen verschiedenen Varianten ersetzen sollte. Die vorliegenden Angebote seien unwirtschaftlich, auf Deutsch: zu teuer. Die Auswahlentscheidung, als Ersatz die beiden US-Modelle CH53K und CH-47F Chinook zu untersuchen, gilt allerdings vorerst weiter.

Der Abbruch kam nicht ganz so überraschend (insofern lag ich mit der ersten schnellen Meldung nicht richtig): Schon im vergangene Woche vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf des Verteidigungshaushaltes 2021 fehlten die Verpflichtungsermächtigungen für dieses Projekt. Den tatsächlichen Abbruch machte das Ministerium am (heutigen) Dienstag bekannt:

Hiermit informieren wir Sie darüber, dass das Vergabeverfahren im Projekt „Schwerer Transporthubschrauber (STH)“ aufgehoben wurde.
Im Rahmen der laufenden Vergabe wurde erkannt, dass eine Realisierung des Projektes im geplanten Finanzrahmen bei gleichzeitiger Erfüllung aller Forderungen unwahrscheinlich ist. Die Vergabestelle des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr hat die vorliegenden Angebote als unwirtschaftlich bewertet und aus diesem Grund das Vergabeverfahren aufgehoben.
Die nunmehr erforderliche Neubetrachtung des Projektes wird Auswirkungen auf den bisherigen Zeitplan haben. Ein Vertragsschluss in 2021 unter den derzeitigen Rahmenbedingungen kann somit nicht erreicht werden.
Ziel bleibt weiterhin, das bisherige Muster CH-53G zeitgerecht zu ersetzen.

Ergänzend heißt es in einem Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs Peter Tauber an den Verteidigungsausschuss des Bundestages:

Die Realisierung des Projekts STH hat für die Bundeswehr nach wie vor eine sehr hohe Priorität, da sowohl die Fähigkeit zum Lufttransport für die Mobilität und Reaktionsfähigkeit* von Streitkräften wie auch für Hilfs- und Unterstützungsleistungen von herausragender Bedeutung ist. (…)
Ziel bleibt weiterhin, einen bruchfreien Fähigkeitsübergang sicherzustellen. Über das weitere Vorgehen wird das BMVg bis Ende 2020 entscheiden.

Das Vergabeverfahren war, schon mit Verzögerung, im Februar vergangenen Jahres begonnen worden. Bereits im Dezember 2017 hatte der damalige Generalinspekteur Volker Wieker entschieden, dass die beiden US-Helikoptermodelle zur Auswahl stehen. Folgerichtig hatten sich Sikorsky und Boeing offiziell um die Lieferung des neuen Hubschraubers beworben.

In Wiekers Auswahlentscheidung war festgelegt worden, dass mindestens 45 und bis zu 60 Hubschrauber eines marktverfügbaren Modells beschafft werden sollen. Damit wurde festgeschrieben, dass praktisch nur zwei US-Modelle infrage kommen:  Die neueste Variante des Hubschraubers CH-47 Chinook (charakteristisch mit den zwei Rotoren) der Firma Boeing oder die neuere und bislang nur beim U.S. Marine Corps eingeführte CH-53K der Firma Sikorsky, die inzwischen zum US-Rüstungsgiganten Lockheed Martin gehört.

Diese Auswahlentscheidung, sagt das Ministerium, gilt auch erst mal weiter. Die Überlegungen richten sich jetzt auf die Kosten: Der Haushaltsausschuss des Bundesstages hatte für die neuen Hubschrauber bis zum Jahr 2031 Verpflichtungsermächtigungen von insgesamt gut 5,6 Milliarden Euro eingeplant. Dieser Kostenrahmen, so heißt es, sei in den Angeboten der beiden US-Firmen weit überschritten worden.

Das Hauptproblem scheint darin zu liegen, dass der in der Auswahlentscheidung genannte Begriff marktverfügbar recht dehnbar ist: Der bedeutet nämlich keineswegs, dass entweder der CH-53K oder der Chinook off the shelf gekauft werden. Zum einen hat die Bundeswehr, durchaus üblich, bestimmte Anforderungen, die von denen der US-Streitkräfte abweichen.

Zum anderen aber, und das könnte in diesem Fall eine entscheidende Rolle für die Kosten gespielt haben, soll bei der Beschaffung der neuen Helikopter die deutsche Industrie eine wesentliche Rolle bekommen. Zwar sollen die Maschinen nicht, wie das bislang genutzte Modell, in Deutschland in Lizenz gebaut werden, sondern aus den USA geliefert werden. Dennoch ist bislang geplant, das deutsche Unternehmen zum Zug kommen – und das hat der Haushaltsausschuss im November vergangenen Jahres auch in einem so genannten Maßgabebeschluss festgeschrieben:

Der Haushaltsausschuss fordert die Bundesregierung auf, in den Vertragsverhandlungen beim Projekt „Schwerer Transporthubschrauber“ darauf hinzuwirken,
1. dass die Handlungsfähigkeit und die sicherheitspolitische Souveränität Deutschlands insbesondere im Konflikt- oder Krisenfall jederzeit gewährleistet sind.
2. dass Deutschland die Rechte am geistigen Eigentum des Hubschraubers in dem Umfang erhält, dass Betrieb, Wartung, Instandhaltung sowie Anpass- und Weiterentwicklung unabhängig vom Hersteller des Hubschraubers möglich sind, wenn der Hersteller dazu selbst nicht bereit oder in der Lage ist.
3. dass die Wartung, Instandhaltung sowie die Anpass- und Weiterentwicklung der Hubschrauber (Gesamtsystem, insbesondere Hauptkomponenten) in Deutschland stattfinden.
4. dass während der Nutzungs- und Betreuungsphase ein vollständiger und ein teilweiser Wechsel der systembetreuenden Firmen möglich ist, soweit dies mit Blick auf Ziffer 1 erforderlich ist.
Der Haushaltsausschuss fordert die Bundesregierung auf, vor der Aufforderung zum „best and final offer“ den Haushaltsausschuss über die angebotenen Modelle für Betrieb, Wartung, Instandhaltung sowie Anpass- und Weiterentwicklung zu unterrichten.

Die Übertragung von geistigem Eigentum ist immer, nicht nur bei militärischer Hardware, eine teure Sache – und die Überlassung der  Anpass- und Weiterentwicklung an deutsche Unternehmen dürften sich sowohl Sikorsky als auch Boeing ebenfalls gut bezahlen lassen.

Jetzt bleibt es spannend abzuwarten, wie die von Tauber angekündigte Entscheidung bis Ende dieses Jahres aussieht; viel Zeit ist ja nicht mehr. Und Alternativen zu den beiden US-Helikoptern gibt es in der westlichen Welt nicht. Wie dringend der Ersatz der Jahrzehnte alten CH-53G ist, wurde in diesem Jahr schonein paar Mal deutlich: Mehrfach meldete die Luftwaffe so genannte Sicherheitslandungen der betagten Maschinen.

Der Oppositions-Haushälter (und Verteidigungspolitiker) Tobias Lindner von den Grünen meldete sich nach der Entscheidung als erster zu Wort – mit Kritik an der Ministeriumsspitze und Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die allerdings das Vergabeverfahren von ihrer Vorgängerin geerbt hatte:

Das Ende für den Schweren Transporthubschrauber ist ein bitteres Zeichen für die Truppe. Wie die Soldatinnen und Soldaten ihre Aufgaben ohne neue Hubschrauber erfüllen sollen ist unklar. Wir müssen damit rechnen, dass sich der Klarstand bei den Transporthubschraubern künftig weiter verschlechtern wird. Der Weiterbetrieb von überalterten Systemen ist zeitaufwändig und sehr teuer. Das Ministerium ist völlig blauäugig an das Beschaffungsvorhaben herangegangen. Kramp-Karrenbauer hat keinen Plan B, eine neue Ausschreibung alleine löst keine Probleme.

*Aufgrund eines Übertragungsfehlers stand hier zunächst Redaktionsfähigkeit; ich bitte den Fehler zu entschuldigen.

(Archivbild: The CH-53K King Stallion flies a test flight in West Palm Beach, Fla. on March 22, 2017 – U.S. Marine Corps photo by Lance Cpl. Molly Hampton)