Der GAU von Taloqan

Zwei deutsche Soldaten sind am Samstag bei einem Anschlag in Taloqan in der nordafghanischen Provinz Takhar gefallen, drei fünf wurden verwundet, unter ihnen der ISAF-Regionalkommandeur Generalmajor Markus Kneip. Das ist die Nachricht, die in Deutschland wahrgenommen wird und für Trauer und Empörung sorgt. Bei allem Verständnis dafür: gefährlicherweise wird – so scheint es mir jedenfalls bisher – hier zu Lande gar nicht wahrgenommen, was dieser Anschlag bedeutet.

Das prominenteste Opfer der mindestens zwei Selbstmordattentäter, die in den Gouverneurspalast von Taloqan eindringen konnten (möglicherweise in afghanischer Soldatenuniform), war der afghanische General Daoud Daoud. Eine sicherlich, äh, vielschichtige Figur, vom Kommandeur der Nordallianz gegen die Taliban über verschiedene Verwendungen in den afghanischen Sicherheitsorganen bis zur Position als stellvertretender Innenminister, zuständig für Drogenbekämpfung – dem zugleich Verwicklungen in den Drogenhandel nachgesagt wurden. Und zuletzt Chef der afghanischen Polizei (ANP) im Norden des Landes. Vor allem aber: einer der starken Männer auf Seiten der Regierung in Kabul, dem bei der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen eine wichtige Rolle zugefallen wäre.

Archivbild: KABUL AFGHANISTAN INTERNATIONAL AIRPORT (May 5, 2010)–Gen. Daud, Deputy Minister of Interior for Counter Narcotics, speaks to a crowd of Afghans from an Air Interdiction Unit during an AIU Transition ceremony.  (U.S. Air Force photo by Staff Sgt. Jeff Nevison)

Dieser General starb bei einem Anschlag, der für das Vorgehen der Aufständischen eine neue Qualität bedeutet: Nicht ein vergrabener Sprengsatz irgendwo an einer Landstraße, der auf eine vorbeifahrende Patrouille zielt. Kein Selbstmordattentäter, der eine günstige Gelegenheit nutzt und sich ausländischen Soldaten nähert. Kein Hinterhalt in ungünstigem Terrain. Die Attentäter drangen in ein sicherlich gut gesichertes Gebäude ein, in dem die wichtigsten Männer Nordafghanistans zusammensaßen und über die künftige Sicherheitsstrategie berieten. Die Gouverneure der Provinzen, ihre Polizeichefs, General Daoud und der ranghöchste ISAF-Kommandeur im Norden.

Das unterscheidet die Attacke am Samstag auch von den früheren Angriffen auf den damaligen Provinzgouverneur von Kundus (ebenfalls in Taloqan) oder den Polizeichef von Kundus. Im Militärjargon: Den Aufständischen ist eine komplexe Operation gegen ein Hochwertziel gelungen. Fast hätten sie auch noch mit Kneip einen ISAF-General erwischt.

Und das ist vor allem ein Propagandaerfolg. Wenn noch nicht mal diese wichtigen Männer mit ihren ganzen Leibwächtern und ihrem ganzen Schutzring vor den Taliban sicher sind, so die Botschaft an die Afghanen, wer kann dann noch den Aufständischen widerstehen? Wer stellt sich auf die Seite der ungläubigen Ausländer, die noch nicht mal ihre Partner beschützen können?

Verteidigungsminister Thomas de Maizière und der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Rainer Glatz, erwähnten bei ihrer Pressekonferenz zum Anschlag noch nicht einmal den Tod Daouds (Glatz nannte ihn immerhin in der Aufzählung der Spitzenmänner, die sich in Taloqan versammelt hatten). Die langfristigen Auswirkungen des Anschlags in Takhar, die weit über Tod und Verwundung der sieben Deutschen hinausgehen, nannten sie nicht.

Das Thema wird allerdings noch auf die Tagesordnung kommen müssen. Nicht nur für die Frage, wie es im Norden Afghanistans weiter geht. Sondern zum Beispiel auch bei der Frage, wen man für Dezember zur großen Afghanistan-Konferenz nach Bonn einlädt. Zum Beispiel die Taliban.

Bei allem Verständnis für die Trauer: Die heutigen Gefallenen sind nicht das Schlimmste, was heute passiert ist.

Nachtrag: Bei einer Veranstaltung der ZEIT in Hamburg ist der Verteidigungsminister der Einschätzung entgegengetreten, dass der deutsche General das Hauptziel des Angriffs war. Der Anschlag habe in erster Linie afghanischen Zielen gegolten. Das sehe ich genau so (siehe oben) – ein getöteter ISAF-General hätte zwar aus Sicht der Aufständischen zusätzlichen Propagandawert, doch Daoud Daoud war für sie ungleich wichtiger.

Übrigens, auch wenn de Maizière sagt, die Zahl der Attentäter sei noch unbekannt: Bild weiß, dass es vier waren, sollten sie mal dem Minister sagen.