„Gorch Fock“ – die heutige Sammlung

Kein Tag ohne Gorch Fock. Ein sicherlich unvollständiger Überblick:

Im Spiegelfechter-Blog findet sich ein Offener Brief der Stammbesatzung der Gorch Fock. Nach Angaben des Bloggerkollegen ist ihm der Brief auf einem vertrauenswürdigen Weg zur Veröffentlichung zugespielt worden. (Nachtrag: Spiegel Online hat den Brief wohl auch.)

Der Inspekteur der Marine, Axel Schimpf, verteidigt im Welt-Online-Interview die Suspendierung des Kapitäns und will an der Ausbildung auf der Gorch Fock festhalten.

Der ARD-Bericht Gegenwind: Gorch Fock in schwerer See vom Donnerstagabend lässt sich hier noch anschauen.

Und, natürlich: das Untersuchungsteam von Marine und Wehrbeauftragtem ist in Ushuaia eingetroffen und hat seine Arbeit begonnen.

Nachtrag: der Bloggerkollege vom Spiegelfechter verweist (siehe auch den Kommentar) darauf, dass er seine Quelle natürlich nicht offenlegen kann, sie aber als authentisch einschätzt. Netterweise hat er mir gestattet, den Brief auch hier zu veröffentlichen:

Besatzung Segelschulschiff GORCH FOCK
Schweriner Straße 17a
24106 Kiel

Sehr geehrter Herr Minister,

mit diesem Brief möchten wir uns als Stammbesatzung zu den Behauptungen, die in der Presse
kursieren, äußern. Des Weiteren soll dieser Brief Ausdruck und Zeichen sein, wie sehr die
Stammbesatzung hinter ihrem Kommandanten steht!

Unfall Salvador de Bahia

Der Unfall unserer Kameradin in Salvador war für alle ein harter Schlag und nicht leicht zu
verarbeiten. Dies hat man sehr deutlich am Zustand der Besatzung feststellen können; vor allem
bei den  direkt betroffenen Soldaten in der Takelage und an Deck. Daher ist es uns
unverständlich, Äußerungen zu hören, welche uns Ausbilder als Menschenschinder bezeichnen.
Dies ist ein Schlag ins Gesicht jedes Einzelnen hier an Bord und Rufmord!

Dies alles sind Äußerungen von Petenten, die ein grundsätzliches Problem mit der Gorch Fock
haben.
In Salvador war eine Besatzungsfeier auf der Pier geplant.
Diese wurde natürlich abgesagt! Vielmehr hat der Offizierslehrgang am letzten Tag in Salvador für
die Besatzung und die Ausbilder ein Bier ausgegeben, um gemeinsam die Geschehnisse zu
besprechen und die gute/richtige Reaktion der Schiffsführung auf diesen Unfall zu würdigen. Dies
geschah alles im Gedenken an unsere verstorbene Kameradin und war vom Lehrgang gewünscht
und initiiert. Das in der Presse veröffentlichte Bild entspricht somit nicht den Tatsachen!

Umgang mit der Situation

Die Schiffsführung setzte nach dem Unfall die Enterübungen aus und gestaltete den Dienstbetrieb
neu und sinnvoll für alle Beteiligten. Unmittelbar nach dem Unfall suchten die Ausbilder und
Vorgesetzten das Gespräch mit dem Lehrgang. Nach den administrativen Erstmaßnahmen wurde
ein deutscher Pfarrer aus Salvador benachrichtigt, welcher mit zwei ausgebildeten
PEER’s( Sanitätsmeister der Besatzung)  die seelsorgerische Betreuung an Bord übernahm. Hier
hat die Schiffsführung, unserer  Meinung nach, richtig gehandelt und sich fürsorglich um die
Besatzung gekümmert.
Gerade bei dem Thema „Umgang mit der Unfallsituation“ hörten wir immer nur das Wort
„Kadetten“! Wer denkt dabei an die Ausbilder, welche diesen Unfall direkt miterlebt haben und die
in der Takelage verbliebenen Kadetten sicher an Deck begleitet haben. Diese Jungs haben in einer
extremen Situation hervorragende Arbeit geleistet und die Beherrschung behalten.
Der Lehrgang wurde umgehend unter Deck geschickt, um die verunfallte Kameradin nicht sehen
zu müssen. Die Stammbesatzung, sprich die Ausbilder, haben an Oberdeck alles
Menschenmögliche getan, um der Kameradin zu helfen und sie vor neugierigen Blicken zu
schützen.

Kommandoenthebung des Kapitän zur See

Schatz

Auch ist uns allen mehr als unverständlich,  einen Kommandanten,  der allseits beliebt ist, gut zu
seiner Besatzung war und viele Entbehrungen auf sich und seine Familie genommen hat, um das
Schiff gut zu führen, so abzuservieren, wie es hier der Fall war.
Warum wurde ein zuverlässiger, loyaler Offizier ohne Untersuchung bzw. Untersuchungsergebnis,
so behandelt und bloßgestellt?!
Auch fehlte uns der Rückhalt unserer übergeordneten Dienststellen, welche sich zu keiner Zeit vor
uns stellten oder sich nach unserem Befinden erkundigt haben.
Dies alles vor dem Hintergrund unbestätigter Anschuldigungen, welche eine Gruppe von  Petenten
(Offiziersanwärter)  in Form einer Eingabe an die Öffentlichkeit gebracht hat.

Vorgaben zur Durchführung einer Segelvorausbildung

Der Lehrgangsteilnehmer soll behutsam und unter Aufsicht physisch und psychisch bis an die
Grenzen seiner individuellen Belastbarkeit geführt werden, damit er ruhig, sicher und beherrscht
handeln kann, wenn er im Einsatz in die Lage höchster Gefahr für das eigene Leben kommt.
Der OA erfährt und verinnerlicht die Grundsätze und Ziele der Inneren Führung, den Sinn von
Disziplin, Selbstdisziplin und Gehorsam.
Dabei kommt es darauf an, dass der OA im Rahmen der Segelvorausbildung, durch die
Vermittlung von theoretischen seemännischen Grundkenntnissen und –fertigkeiten sowie durch
drillmäßiges Segelexerzieren den Umgang mit Segeln sowie stehendem und laufendem Gut
beherrscht und die erforderlichen Sicherheitsaspekte beachtet.

Umsetzung an Bord:

Die Ausbilder an Deck haben Weisung, bei Erkenntnissen, die eine vorübergehende
Einschränkung der Entertauglichkeit nahe legen, die betroffenen Soldaten beim Schiffsarzt
vorstellig werden zu lassen. Ein Entern auf allein freiwilliger Basis hat an Bord der Gorch Fock bis
zum Unfall am 07.11.2011 nicht stattgefunden. Vielmehr waren alle Kadetten, die die genannten
Voraussetzungen erfüllten, gehalten, an den Enterübungen teilzunehmen. Soldaten, die sich bei
den Enterübungen schwer taten, wurden unter besonderer Aufsicht weiter am Topp ausgebildet,
bzw. durch einen Ausbilder individuell am Besanmast ausgebildet und dabei behutsam an das
Lehrgangsziel herangeführt.

Richtlinien für das Entern ab dem 11.11.2011 (nach dem Unfall in Salvador de Bahia)
Auf Weisung des Kommandanten fanden weitere Enterübungen nur noch auf freiwilliger Basis
statt.
(Am ersten Tag gingen 20 OA’s von 70 nicht in die Takelage, am zweiten Tag nur noch 14)

Wie oben ersichtlich, wurden nach dem Unfall in Salvador einige neue Voraussetzungen
festgelegt, um die Sicherheit der Soldaten bei Arbeiten/Ausbildungen in der Takelage zu erhöhen.
Auch hier hat die Schiffsführung richtig, und unserer Meinung nach, nicht überzogen reagiert. Die
Darstellungen in der Presse sind falsch und extrem verzerrt.

Natürlich müssen die Ausbilder gegenüber den Soldaten die Stimme erheben, denn wir bewegen
hier einen Großsegler, mit ca. 2000qm Segelfläche im offenen Seeraum. Dieses Segeln findet
nicht nur bei angenehmen Wetterverhältnissen statt, sondern auch bei schwerer See mit
Windstärken bis zu Bft. 12. Dass ein Befehl beim Segeln für das Schiff und die an Deck
befindlichen Soldaten  sicherheitsrelevant ist und durch die erhöhten Windgeräusche laut
ausgesprochen, bis hin geschrien werden muss, ist nur logisch und im Rahmen der Fürsorgepflicht
richtig.

Daher muss im Hafen eine hohe Leistungsbereitschaft der Lehrgangsteilnehmer hergestellt
werden, um das Schiff im Seebetrieb sicher zu führen. Der Kommandant hat sogar die Pflicht, eine
hervorragende Ausbildung zu verlangen, so dass er mit der  Besatzung das Schiff sicher bewegen
kann und das zum Wohl aller an Bord und anderer Verkehrsteilnehmer.
Lehrgangsteilnehmer, die mit dieser Situation nicht zurecht kommen, sollten sich überlegen, ob sie
den richtigen Beruf gewählt haben! Denn dieser Ausbildungsabschnitt gehört nun mal zur
Offizierbasisausbildung dazu.

Vorwürfe wegen sexueller Belästigung

Lapidar geäußerte Sprüche von jungen Soldaten wie die in der Presse aufgeführten  sind und
bleiben schlechte Sprüche unter der Gürtellinie und sind auch nur SPRÜCHE!
Zu keiner Zeit wurde hier an Bord ein Soldat von einem anderen angefasst oder gar sexuell
belästigt! Natürlich ist die Schiffsführung über die gefallenen Äußerungen nicht erfreut gewesen
und hat daher entsprechende Konsequenzen gezogen; nämlich eine Musterung mit deutlichen
Worten des Kommandanten an die Soldaten. So etwas wird und wurde hier an Bord nicht toleriert!

Der Name GORCH FOCK ist nach diesen Vorfällen nur noch sehr schwer reinzuwaschen. Dies
bedauern wir und wie wir denken auch ein Großteil der deutschen Bevölkerung, die immer stolz
auf seine „Weiße Lady“ war, zutiefst! Wie viele Empfänge und Reisen wurden mit diesem Schiff
durchgeführt. Überall wo es auftauchte, freuten sich die Menschen über das Schiff und unser
Land.

Natürlich haben sich sehr gerne Politiker jeder Parteizugehörigkeit und übergeordnete Instanzen
im Schein des Schiffes gefeiert. Genau die, die uns jetzt fallengelassen haben.

Ich hoffe, sehr geehrter Herr Minister zu Guttenberg, Sie verstehen nun auch die Sicht der
Stammbesatzung, die immer Ihr Bestes gegeben hat, um sicher und qualitativ hochwertig Kadetten
an Bord auszubilden. Wir  werden nun in der Presse als schlechte Menschen, ja gar als
Unmenschen, dargestellt. Dies macht uns und unseren Familien sehr zu schaffen.
Wir, die Stammbesatzung Gorch Fock fühlen uns sehr alleine gelassen hier am Ende der Welt.

Hochachtungsvoll
Besatzung Segelschulschiff GORCH FOCK