Europa-Armee: Der grüne Ansatz

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Das Thema Europa-Armee ist in diesem Blog wie auch in der Öffentlichkeit für hitzige Debatten gut – nachdem  EU-Kommissionspräsident Claude Juncker vor zwei Wochen dazu einen neuen Vorstoß gestartet hatte und auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen dazu öffentlich einiges gesagt hatte (mehr dazu unten), melden sich jetzt die Grünen zu Wort. Der Beitrag von Parteichef Cem Özdemir und dem Verteidigungspolitiker (und Haushälter) Tobias Lindner zielt allerdings weniger auf eine europäische Armee als (außenpolitisches) Instrument der Stärke, sondern vor allem auf den integrativen Charakter innerhalb Europas.

Einige Kernaussagen aus dem Grünen-Beitrag (der sowohl auf Lindners Internetseite als auch in der FAZ veröffentlicht wurde):

Eine europäische Armee ist eine gute Idee. Sie wie Juncker jedoch bloß als Reaktion auf den Ukrainekonflikt, als machtstrategisches Instrument zu fordern, um „hard power“ projizieren zu können, ist hingegen falsch. Wir sollten eine europäische Armee schaffen, um den Frieden in Europa nachhaltig zu sichern. Wir sollten europäische Streitkräfte als Bekenntnis zu unseren gemeinsamen Werten und unserem gemeinsamen Verständnis von Außen- und Sicherheitspolitik verstehen. Wir sollten sie als Chance begreifen, unsere Ressourcen effizient zu bündeln und durch den Abbau von Dopplungen das militärische Potenzial auf das nötigste reduzieren.
Wir sind davon überzeugt, dass sinnvoll konzipierte und demokratisch kontrollierte europäische Streitkräfte, die nationale Armeen ersetzen, einen wertvollen Beitrag zu Abrüstung und Krisenvermeidung in Europa leisten können.
Uns ist sehr bewusst, dass die Auflösung nationaler Streitkräfte und die Übertragung militärischer Fähigkeiten auf die europäische Ebene mit der nachhaltigen Aufgabe eines zentralen Teils staatlicher Souveränität verbunden ist. Auch gibt es dabei einige Aspekte, die aus heutiger Sicht fast unüberwindbar scheinende Hindernisse sind, wie die Rolle der Atomwaffen Frankreichs und Großbritanniens, wenn man zurecht fordert, dass europäische Streitkräfte keine Nuklearmacht sein sollten. Der Weg zu einer Vergemeinschaftung von Streitkräften in Europa mag nur in kleinen Schritten gehen und heute vielen so utopisch erscheinen, wie die Aufgabe nationaler Währungen vor 30 Jahren vielen noch utopisch erschien. (…)
Europa kann mehr erreichen, wenn es sich zusammentut statt in der Sicherheitspolitik nationale Kleinstaaterei zu betreiben. Die Vision eines Europas, das weniger Geld für Rüstung ausgibt und weniger Soldaten als heute hat, muss keine Utopie bleiben. (…)
Damit eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gelingen und die Idee gemeinsamer europäischer Streitkräfte ein Mittel der Abrüstung und Konfliktvermeidung werden können, müssen aus unserer Sicht drei zentrale Forderungen erfüllt sein:
Erstens sind Streitkräfte – ob national oder europäisch – nie ein Selbstzweck, sondern können nur im Rahmen der Außen- und Sicherheitspolitik gedacht werden. Für die Entwicklung einer europäischen Armee heißt dies, dass die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU gestärkt und verbindlicher werden muss. Zentral ist aus unserer Sicht dabei auch, dass wir in Europa eine Diskussion hin zu einem Konsens führen müssen, wozu die Mitglieder der EU bereit sind, militärische Mittel einzusetzen – und wozu nicht. Neben diesen zentralen Fragen erfordern europäische Streitkräfte natürlich noch einen weitergehenden politischen und rechtlichen Rahmen, der neben strengen europäischen Regelungen zu Rüstungsexporten beispielsweise auch Fragen der gemeinsamen und kostensparenden Beschaffung und Instandhaltung militärischer Systeme umfasst.
Zweitens darf der Aufbau europäischer Streitkräfte nicht dazu führen, dass die parlamentarische Kontrolle ausgehöhlt oder abgeschafft wird. Eine Übertragung weiterer Kompetenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik und vor allem von Streitkräften selbst wird nur möglich sein, wenn die Kontrollmechanismen von Beginn an klar definiert und gelebt werden. In Deutschland darf aus guten Gründen die Bundeswehr sich nur dann an Auslandseinsätzen beteiligen, wenn zuvor der Deutsche Bundestag dem zugestimmt hat. Diese Kontrolle ist essentiell und darf bei einer Europäisierung der Streitkräfte nicht verloren gehen. Wir sprechen uns dafür aus, dass die Kontrolle von gemeinsamen europäischen Streitkräften schlussendlich beim Europäischen Parlament liegen soll. Die weiteren Kontroll- und Gestaltungsmöglichkeiten wie das Budgetrecht und eine Ombudsperson, wie es der Wehrbeauftrage des Deutschen Bundestages ist, müssen ebenso Bestandteil einer europäischen Parlamentsarmee sein.
Drittens dürfen Europäische Streitkräfte keine Parallelstruktur – quasi zwischen der NATO einerseits und nationalen Armeen andererseits – darstellen. Das Verhältnis zwischen EU und NATO darf nicht als Konkurrenz verstanden werden, sondern sollte durch eine enge Partnerschaft geprägt sein. Mit dem Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee muss ein Abbau und – im Endstadium – schließlich die Auflösung nationaler Streitkräfte einhergehen. Nur so kann diese neue Struktur Kriege zwischen europäischen Staaten unmöglich machen, unsere gemeinsame Verteidigung stärken und die haushalterischen Effizienzvorteile realisieren.

Allerdings, und das erst mal nur als Hinweis ohne Bewertung: Wer mit der Forderung nach gemeinsamen europäischen Streitkräften die Forderung nach dem Verzicht von anderen EU-Ländern auf ihre Atomwaffen fordert, verlangt gemeinsame europäische Streitkräfte nach deutscher Prägung. Das gleiche gilt für einen Parlamentsvorbehalt nach deutschem Muster für jegliche europäische militärische Aktivität. Das sind ehrenwerte Forderungen, gleichermaßen könnten natürlich Frankreich und Großbritannien fragen, warum sich Deutschland nicht auf ihre Art des Umgangs mit Auslandseinsätzen einstellen mag…
Von der Leyen hatte am vergangenen Wochenende beim Brussels Forum des German Marshal Fund nicht nur etwas zum geplanten deutsch-europäischen Hubschrauberverbund gesagt, sondern auch zu der Idee einer europäischen Armee insgesamt, und dabei die bekannten deutschen Kooperationen und Kooperationsvorhaben aufgezählt:

We have already taken steps into that direction. We have for example, the Franco-German brigade, which is now deployed in Mali. We
have a permanent, permanent assignment of the Dutch airborne brigade to a German division. We have begun a close cooperation with Poland, my Polish colleague and me, we intend to place combat units under each other’s command shortly. And please imagine ladies and gentlemen, 70 years after World War II, imagine a German combat unit under polish command and a polish combat unit under German command. I think this is a sign of deep trust among two neighbors who for centuries were separated by a gulf of enmity, and who are today united as friends.
If it is true, to sum up, if it is true that Europe will only remain relevant if it progresses in the field of security and defense. If it is true that the United States expect a significant contribution to peace and stability from us. If it is true that in spite of all differences we have, Europe has more in common in the field of security policy than not, then it is time to take the right steps now. And let mefinish with a citation of Robert Schuman, the former French Foreign Minister, who said in 1950, “World peace cannot be safeguarded without the making of creative efforts proportionate to the dangers which threaten it,” and because it’s so beautiful in French and German too (speaking French and German). I’m convinced the European army makes Europe stronger not weaker and it makes the
transatlantic alliance stronger not weaker.

Da zeigt sich allerdings, das es darauf ankommt, wie etwas verstanden wird, nicht nur wie es gesagt wird. Denn der (amerikanische) Moderator und vermutlich auch Teile der Zuhörer in Brüssel waren gebührend beeindruckt von der Aussage, dass die Deutsch-Französische Brigade in Mali im Einsatz ist. Denn das klingt nach massiver Kampfkraft, nach einer Beteiligung mindestens so intensiv wie die niederländische (eigenständige) Beteiligung an der UN-Mission mit Kampfhubschraubern und Spezialkräften. Dass die Bundeswehr mit der deutsch-französischen Brigade unterstellten Truppenteilen in der Ausbildungsmission aktiv ist, ist zwar ebenso wichtig – aber doch etwas kleiner als die Ministerinnen-Aussage nahelegt.

Noch ein Punkt aus der Diskussion im Thread zu den Juncker-Forderungen vor zwei Wochen: Ich habe den CDU-Abgeordneten Roderich Kiesewetter gebeten, nach seinen ersten Kommentaren dazu hier im Blog die Debatte auch nach den weiteren Fragen an ihn weiterzuführen. Kiesewetter hat mir zugesagt, dass mal zu prüfen. Zugleich machte er auch das Angebot, bei einem Blogtreffen mit Augen geradeaus!-Lesern über das Thema Europaarmee zu diskutieren. Ein Grund mehr, mal die Planung für ein solches Treffen voranzutreiben…

(Foto: Boxer-Radpanzer als Ambulanzfahrzeug bei der niederländischen Armee – Foto defensie.nl)