DroneWatch: Die Empfehlungen der SPD-Projektgruppe zu bewaffneten Drohnen – Dokumentation (m. Nachtrag)

Im Streit über die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr hatte die SPD zuletzt Ende vergangenen Jahres erneut die Beschaffung dieser Waffen für die deutschen Streitkräfte abgelehnt. Eine Projektgruppe sollte die aus Sicht der Sozialdemokraten nötigen Voraussetzungen dafür klären und dem Parteivorstand Empfehlungen vorlegen. Die liegen seit knapp zwei Wochen vor, sind aber noch nicht vollständig bekannt – deshalb dokumentiere ich sie hier.

Die Projektgruppe, der unter anderem auch Soldaten angehörten, war Mitte März vom SPD-Parteivorstand eingesetzt worden und hatte am 12. Oktober in ihrer Abschlusssitzung ein umfangreiches Papier mit Empfehlungen beschlossen.

Nachtrag: Die Parteispitze billigte die Empfehlungen, wie der Berliner Tagesspiegel (Link aus bekannten Gründen nicht) berichtete:

Präsidium und Vorstand nahmen die Empfehlung einer Projektgruppe unter Vorsitz von Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin „zustimmend zu Kenntnis“, wie eine Sprecherin der SPD auf Anfrage bestätigte.

Wesentlichen Anteil in den Aussagen der Projektgruppe nimmt ein Feld ein, das über die zunächst zu Grunde liegende Frage hinausgeht, ob die von der Bundeswehr bereits beschafften Drohnen des israelischen Typs Heron TP auch mit Bewaffnung ausgerüstet und eingesetzt werden sollen: Es geht vor allem um den Umgang mit weitergehenden Entwicklungen hin zu autonomen Waffensystemen – und dabei nicht zuletzt um geplante – und bereits z.B. mit Frankreich vereinbarte – Vorhaben der Bundeswehr wie die EuroDrohne oder das Future Combat Air System (FCAS).

Allerdings, das ist für die anstehende Entscheidung über den künftigen Einsatz der Heron TP von Bedeutung, werden bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr von der Projektgruppe nicht grundsätzlich abgelehnt:

Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen kommt die Projektgruppe zu der Empfehlung, dass eine Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten bei mit dem Völkerrecht und den Bündnisverpflichtungen Deutschlands in Einklang stehenden Auslandseinsätzen und unter klarer Berücksichtigung unserer Grundsätze und der Einhaltung der nachfolgenden Bedingungen in Erwägung gezogen werden kann.
Zwei Mitglieder der Projektgruppe konnten sich dieser Empfehlung nicht anschließen.
Die SPD betont, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr durch den Deutschen Bundestag beschlossen werden müssen. Dabei sieht das Parlamentsbeteiligungsgesetz vom 18. März 2005 ausdrücklich u.a. auch die Beschlussfassung über den Auftrag und das Einsatzgebiet vor.
Die Projektgruppe unterstreicht einstimmig, dass für eine Bewaffnung der Drohnen und ihren Einsatz folgende harte und verbindliche Kriterien gelten müssen:
• Ausdrückliches Verbot von extralegalen Tötungen, um die strikte Einhaltung des Völkerrechts und des Grundgesetzes zu gewährleisten und uns ausdrücklich von der Praxis einzelner anderer Staaten abzugrenzen.
• Kategorische Ablehnung von vollautomatisierten Drohnen und anderen letalen autonomen Waffensystemen. Die Entscheidung über den Einsatz von Waffen darf nur durch Menschen getroffen werden, die – auch durch ihren persönlichen Einsatz im Einsatzgebiet – das Risiko für Soldatinnen und Soldaten, aber auch und gerade für die betroffene Zivilbevölkerung selbst beurteilen können.
• Erstellung und Offenlegung eines verbindlichen Einsatzkonzeptes für bewaffnete Drohnen durch die Bundesregierung, um ein Höchstmaß an Transparenz beim Einsatz von bewaffneten Drohnen gegenüber dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit sicherzustellen. Ebenfalls muss die unverzügliche Information des Deutschen Bundestags bei Veränderung der allgemeinen Einsatzregeln sichergestellt sein.
• Einsatz von bewaffneten Drohnen nur dann, wenn dieser einschließlich der hier aufgeführten Konditionen explizit im vorgelegten Bundestagsmandat für den jeweiligen Auslandseinsatz der Bundeswehr vorgesehen ist, um auch hier ein hohes Maß an Transparenz und Kontrolle zu erzielen.
• Verortung des operativ Entscheidenden im Einsatzgebiet.
Die Entscheidungs-, Kontroll- und Steuereinheiten für Drohnen und deren Einsatz müssen im mandatierten Einsatzgebiet stationiert sein; es darf also keine Entscheidung aus der Ferne geben. Grund dafür ist die Erkenntnis, dass nur auf diese Weise die Lage im Einsatzgebiet mit der Gefahr für Soldatinnen und Soldaten, wie auch für die Zivilbevölkerung realistisch eingeschätzt und eine Entscheidung frei von anderen Überlegungen getroffen werden kann. Außerdem sollen dadurch völkerrechtliche Verwerfungen beim Einsatz von Drohnen so weit als möglich ausgeschlossen werden.
• Bestmögliche Ausbildung, Fürsorge, Betreuung und Nachsorge für die Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatzgebiet die unmittelbaren Entscheidungen zu treffen haben.
Dieser Forderungskatalog setzt strenge Maßstäbe für eine Bewaffnung von Drohnen für Auslandseinsätze der Bundeswehr. Daran wird sich die nächste Bundesregierung messen lassen müssen. Zu diesem Forderungskatalog gehört auch die Folgen eines Einsatzes von Drohnen auf die betroffene Zivilbevölkerung zu berücksichtigen, einschließlich etwaiger Betreuung und Fürsorge.

Diese harten und verbindlichen Kriterien sind nicht gerade überraschend – denn die hatten die Sozialdemokraten in der bisherigen Regierungskoalition mit der Union im Wesentlichen schon gefordert, und das CDU-geführte Verteidigungsministerium hatte die auch bereits weitgehend zugesagt.

Mit anderen Worten: Allein für diese Kriterien hätte es die Projektgruppe gar nicht gebraucht. Interessanter sind deshalb die weitergehenden Forderungen, die an die künftige Bundesregierung – die ja nach aktuellem Stand sehr wahrscheinlich von einem SPD-Kanzler geführt wird – gestellt werden und Einfluss auf die Rüstungsbeschaffung und den Rüstungsexport haben werden – und damit auch auf die Kooperationsprojekte mit Frankreich und anderen Nationen:

Ergänzend zu den Empfehlungen zur Frage der Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr hält die Projektgruppe einstimmig weitere Initiativen für dringlich, damit Deutschland seine Rolle zur Initiierung wichtiger internationaler Impulse für Frieden und Sicherheit auch in der Zukunft nachkommt.
Mittlerweile verfügen weltweit rund 40 Staaten und weitere nicht-staatliche Akteure über bewaffnete Drohnen. Es gibt bisher kein internationales Regelwerk zur Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung von bewaffneten Drohnen. Das darf nicht so bleiben.
Deshalb fordert die Projektgruppe die SPD auf, sich verstärkt dafür einzusetzen, dass die künftige Bundesregierung ein internationales Regime zur Kontrolle bewaffneter Drohnen auf den Weg bringt und seine Durchsetzung bestmöglich fördert. Ein solches Regime könnte aus zwei Säulen bestehen: Zum einen aus Einsatzprinzipien für bewaffnete Drohnen; zum anderen aus restriktiven Regeln, die einen Export bewaffneter Drohnen auf solche Staaten beschränken, die diese Einsatzprinzipien achten.
• Die Projektgruppe fordert die SPD auf, in der künftigen Bundesregierung ihre bisherigen Bemühungen zur Ächtung von LAWS im Rahmen der Genfer „UN Konvention über bestimmte konventionelle Waffen“ (Convention on Certain Conventional Weapons, CCW) nachdrücklich zu intensivieren. Die künftige Bundesregierung solle aufzunehmende Verhandlungen für ein rechtsverbindliches CCW-Protokoll zum Verbot von LAWS unterstützen. Ein solcher Vorschlag wurde bereits von einer Gruppe von rund 30 Staaten im Rahmen der Genfer Expertengespräche über die Regulierung autonomer Waffensysteme vorgebracht. Bis zum Abschluss verbindlicher völkerrechtlicher Regelungen soll die Bundesregierung zeitgleich die Ächtung von Erforschung, Entwicklung und Anwendung von LAWS durch eine Normentwicklung jenseits rechtsverbindlicher Instrumente vorantreiben.
• Die Projektgruppe fordert die SPD auf, in der künftigen Bundesregierung ein Rüstungsexportgesetz vorzulegen, das auch den Export bewaffnungsfähiger Drohnen restriktiv regelt. Rüstungsexporte sollen grundsätzlich nur in EU-, NATO- und gleichgestellten Ländern sowie in absoluten Ausnahmen nur im begründeten Einzelfall und bei Ratifizierung und konsequenter Umsetzung des Vertrags über Waffenhandel (ATT) möglich sein.
• Die SPD setzt sich dafür ein, dass die künftige Bundesregierung bei der Unterstützung von europäischen Rüstungsprojekten wie dem „Future Combat Air System“ (FCAS) das Prinzip der verstärkenden „bedeutsamen menschlichen Kontrolle“ (meaningful human control) bereits bei der Entwicklung entsprechender Systeme als verbindlich berücksichtigt und „menschliche Kontrolle“ auch beim Einsatz und bei der praktischen Anwendung durchgehend gewährleistet bleibt.
• Die SPD spricht sich dafür aus zu prüfen, ob zur Stärkung der Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages u.a. das Parlamentsbeteiligungsgesetz weiterentwickelt werden sollte.
• Die Projektgruppe fordert die SPD nachdrücklich auf, die Friedenspolitik von Willy Brandt fortentwickeln, um angesichts der aktuellen und absehbaren Herausforderungen auf der „Höhe der Zeit“ zu sein. Dabei müssen auch Aspekte der künftigen Bewaffnung und Ausrüstung der Bundeswehr berücksichtigt werden.

(Ich gebe zu: der letzte Punkt lässt mich in diesem Zusammenhang ein wenig ratlos, weil mir nicht klar ist, wie sich die Friedenspolitik nicht nur auf die Zielsetzung der Bundeswehr, sondern auch auf Bewaffnung und Ausrüstung auswirken soll.)

Das gesamte Papier zum Nachlesen:
20211012_Bericht_SPD-PG_Drohnen

Nachtrag: Das war mir durchgegangen

(Archivbild: Heron TP über Israel – Foto Luftwaffe)