Verteidigungshaushalt: Zahlenspiele (m. Nachtrag)

Alle Ressorts der Bundesregierung und damit natürlich auch das Verteidigungsministerium bereiten sich auf den Prozess der Aufstellung des Bundeshaushalts für das kommende Jahr vor – unter dem Eindruck der Coronavirus-Pandemie mit entsprechenden Verteilungskämpfen. So ist vielleicht zu erklären, warum an diesem Wochenende zwei Zahlenwerke aus dem Verteidigungsbereich bekannt wurden, die sich ein wenig zu widersprechen scheinen und zudem noch wenig darüber aussagen, wie sich die Ausgaben tatsächlich entwickeln.

Die Deutsche Presse-Agentur berichtete am (heutigen) Sonntag, dass Deutschland der NATO für das laufende Jahr 53,03 Milliarden Euro und damit eine neue Rekordsumme an Verteidigungsausgaben gemeldet habe. Für 2020 waren es nach den offiziellen Zahlen des Bündnisses noch 51,541 Milliarden Euro gewesen. Die so genannte NATO-Quote, der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, lag für das vergangene Jahr bei 1,57 Prozent. Diese Quote dürfte nicht zuletzt mit den Veränderungen des Bruttoinlandsprodukts als Folge der Coronavirus-Pandemie zu tun haben.

Die jetzt gemeldeten 53,03 Milliarden Euro sind zum einen lediglich eine Prognose — für 2020 hatte das Verteidigungsministerium im November 2019 die Zahl von rund 50,3 Mrd. Euro nach NATO-Kriterien an die NATO übermittelt. und eine  Quote von 1,42 Prozent prognostiziert. Beides wurde übertroffen. Und zum anderen: Die gemeldeten Zahlen sind immer mehr als der deutsche Verteidigungshaushalt; darin sind nämlich, laut offizieller Angabe des Wehrressorts, rund elf Prozent Ausgaben aus anderen Teilen des Bundeshaushalts mit eingerechnet.

Deutschland hatte in den vergangenen Jahren mehrfach zugesichert, bis 2024 eine Quote von 1,5 Prozent zu erreichen, die auf mehreren Gipfeln des Bündnisses vereinbarten zwei Prozent allerdings als Ziel bezeichnet, ohne sich auf dessen Erreichen festzulegen. Formal sind mit den von der NATO für 2020 veröffentlichten (allerdings damals vorläufigen) Zahlen aufgrund der wirtschaftlichen Lage diese 1,5 Prozent bereits erreicht.

Mit anderen Worten: Die jetzt gemeldete Rekordsumme ist zwar zum großen Teil, aber nicht vollständig ein Abbild des Verteidigungshaushalts. Und wie das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr aussieht, ist auch noch nicht klar.

Damit zur zweiten Zahlen-Übersicht an diesem Wochenende: Der Spiegel zitiert (hinter Paywall) aus der Finanzbedarfsanalyse 2022 des Wehrressorts – und dieses jährlich aktualisierte Dokument sieht nicht nach Rekorden aus:

Es wird deutlich, dass die erforderlichen Ressourcen nicht in Deckung mit den zur Verfügung stehenden und vor allem perspektivischen Finanzmitteln in Einklang zu bringen sind.

gibt das Magazin aus dem Begleitschreiben von Generalinspekteur Eberhard Zorn wieder. Das Hauptproblem: Der Verteidigungsetat kann in den kommenden Jahren voraussichtlich nicht mit den Steigerungen der vergangenen Jahre rechnen – muss aber nicht nur lange verschleppte Kosten für den Ersatz veralteten Geräts zahlen, sondern auch ständig steigende Unterhaltskosten eben für dieses alte Gerät.

Nach dem Spiegel-Bericht rechnen die Fachleute des Ministeriums vor, dass die zusammengezählten Betriebskosten für die Streitkräfte jedes Jahr um zwei bis drei Prozent steigen: Darin sind Solderhöhungen für die Soldaten ebenso eingerechnet wie die Pensionen der Versorgungsempfänger, die Mietzahlungen an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ebenso wie die Instandhaltung von Hubschraubern, Schiffen und Panzern. Nicht eingerechnet ist darin die Beschaffung neuer Ausrüstung. Werde der bisherige Finanzplan fortgeschrieben, heißt es in dem Bericht, würden allein die Fixkosten für den Betrieb im Jahr 2027 den kompletten Verteidigungshaushalt beanspruchen.

Die Analyse aus dem Ministerium enthalte Aussagen und Forderungen, die in der aktuellen Haushaltslage allerdings wenig Aussicht auf Realisierung haben:

Zur Deckung des unabdingbaren Bedars und der Vorbelastungen wird ein Finanzbedarf von rund 50,7 Milliarden Euro in 2022 bis rund 49,6 Milliarden Euro in 2026 erforderlich.

zitiert der Spiegel. Das bedeute unter anderem eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts für 2024 um knapp 16 und für 2026 um rund 20,7 Milliarden Euro.

Als möglichen Ausweg nennen die Planer nach dem Bericht einen zeitlich begrenzten Verzicht auf Fähigkeiten, zumal es nicht genügend Mittel geben werde, die Zusagen an die NATO zu erfüllen: Zahlreiche zur Erfüllung der NATO-Planungsziele erforderliche Rüstungsprojekte wie die Beschaffung des neuen Schweren Transporthubschraubers oder die Stärkung der Integrierten Luftverteidigung des Bündnisses seien finanziell nicht hinterlegt.

Das macht vielleicht auch ein wenig klarer, warum der Generalinspekteur in einem Interview Anfang des Jahres von einer Überprüfung der Planungsziele gesprochen hatte:

Als Staatsbürger sehe ich, was die Pandemie an Geldern erfordert, um das Wirtschaftssystem am Leben zu erhalten. Es wird sicher einen Kassensturz nach Corona geben. Ich denke, wir müssen danach unsere militärischen Zielvorstellungen noch einmal überprüfen. Das muss dann auch realistisch in Brüssel mit unseren Nato-Partnern abgestimmt werden. Es ergibt wenig Sinn, dass wir uns gegenseitig Ziele setzen, die kein Alliierter aufgrund der Corona-Haushaltsbelastungen halten kann.

Das nächste Zieldatum ist jetzt erst einmal der 17. März: Da will Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Eckwerte des Haushaltsentwurfs fürs kommende Jahr und die Planung für die nächsten Jahre bekanntgeben. Die an diesem Wochenende bekanntgewordenen Zahlen dürften Teil des Ringens um die Ausgangsposition dabei sein.

Nachtrag: Zu der dpa-Meldung habe ich natürlich das Verteidigungsministerium befragt; die Antwort (offensichtlich aus dem Stehsatz, der am Wochenende diensthabende Sprecher kann da nix für):

Eingangs möchte ich nochmals betonen, dass im Hinblick auf die Beschlusslage des NATO-Gipfeltreffens von Wales 2014 (cash-capabilities-commitments) stets der echte Substanzgewinn für die Streitkräfte maßgeblich ist, um mittels erhöhter Verteidigungsausgaben (cash) die NATO-Fähigkeitsziele (capabilities) zu erreichen und die Einsatzverpflichtungen zu stärken (commitments). Die militärischen Bedarfe der Bundeswehr bestehen unabhängig von pandemischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Grundsätzlich veranschaulicht die aktuelle wirtschaftliche Situation die Problematik der von der NATO gewählten Formel für die Bewertung der Verteidigungsanstrengungen der Alliierten und verdeutlicht, dass die aus dem BIP abgeleiteten Quoten zum „Cash“ als hauptmaßgeblicher Bewertungsmaßstab für die Erfüllung der Beschlüsse von Wales eher ungeeignet sind, auch wenn sie gegenwärtig zu einer nominalen Erhöhung der Cash-Quote führen mögen. Die Bundesregierung hat mehrfach die Absicht erklärt, die Verteidigungsausgaben insgesamt orientiert an den Absichten des Beschlusses von Wales zu steigern. Dieses Ziel gilt nach wie vor.
Zum Verfahren der Ermittlung der hiernach abgeleiteten Quote kann ich Ihnen mitteilen, dass das Bundesministerium der Verteidigung der NATO die Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien allein in absoluten Zahlen mitteilt. Auf Basis der von den Alliierten eingehenden Meldungen errechnet die NATO die Quote und greift bei dieser Berechnung auf BIP-Projektionen internationaler statistischer Datenbanken zurück (Directorate-General for Economic and Financial Affairs of the European Commission (DG-ECFIN) und Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD)). Die Höhe der Verteidigungsausgaben für das Jahr 2021 wurde der NATO im Dezember 2020 gemeldet; eine entsprechende Auswertung der NATO liegt noch nicht vor.
Soweit Sie nach der Mittelfristigen Finanzplanung fragen, lassen sich keine näheren ressortspezifischen Angaben übermitteln. Volumen jenseits des laufenden Haushalts können als alleinige interne und über den Zeitverlauf Änderungen unterliegende Planungsgrößen nicht genannt werden. Hierbei bitte ich zu berücksichtigen, dass die Budgethoheit dem Deutschen Bundestag obliegt, die Ansätze der Haushalte 2022 bis 2024 jeweils Gegenstand eines eigenen Haushaltsaufstellungsverfahrens sein werden und deutlichen Anpassungen unterliegen können.

Nachtrag 2, 8. Februar: Einen Tag später ist das Ministerium auch bereit, die konkreten Zahlen zu bestätigen:

Das Bundesministerium der Verteidigung hat der NATO für das Jahr 2021 Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien in Höhe von 53,03 Mrd. Euro (Haushalts-Soll) gemeldet (Stand: Januar 2021). Die Erhöhung ergibt sich vor allem aus der Steigerung des Verteidigungshaushalts von rund 45,65 Mrd. Euro (Haushalts-Soll 2020 in der Fassung des zweiten Nachtragshaushalts) auf rund 46,93 Mrd. Euro im Soll 2021.

(Archivbild 2017 – Panzergrenadierbataillon 371 in Marienberg/Sachsen bei der Vorbereitung auf die VJTF 2015)