Lange Liste für die Rüstungsbeschaffung – und lange Liste der Projekte ohne Geld

Das Verteidigungsministerium hat eine lange Liste der Rüstungsvorhaben zusammengestellt, die bis zum Sommer den Haushaltsausschuss des Bundestages passieren sollen. Darauf stehen allerdings auch Projekte, deren Zukunft zwar finanziell gesichert, aber politisch oder rechtlich noch unklar ist. Und, so weit erkennbar erstmals, gibt es auch eine Liste mit Rüstungsvorhaben, die gewollt sind – aber bislang ohne gesicherte Finanzierung.

Bei den Projekten geht es um die so genannten 25-Millionen-Vorlagen: Für den Verteidigungshaushalt gilt die Sonderregelung, dass jede Beschaffung mit einem Volumen von mehr als 25 Millionen Euro gesondert vom Haushaltsausschuss des Parlaments gebilligt werden muss. Die Übersicht für die im ersten Halbjahr 2021 geplanten Vorlagen umfasst 51 verschiedene Posten; ein Überblick mit einigen Anmerkungen:

• System Sturmgewehr: Über die Beschaffung der neuen Standardwaffe für die Streitkräfte als Nachfolger des G36 soll die Entscheidung im 2. Quartal fallen. Bislang verzögert sich die Beschaffung, weil es einen patentrechtlichen Streit gibt: Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) hatte sich für das Gewehr MK556 der Suhler Firma C.G.Haenel entschieden, der unterlegene Konkurrent Heckler&Koch hatte das unter Hinweis auf möglicherweise verletzte eigene Patente rechtlich angegriffen.
Das Verteidigungsministerium hatte daraufhin Gutachten eingeholt, auf deren Grundlage noch im Februar das weitere Vorgehen festgelegt werden soll. Haenel erklärte allerdings Anfang dieser Woche, das nach rechtlicher Bewertung des Unternehmens kein Patentverstoß vorliege – damit wäre bei einem Zuschlag für Heckler&Koch der Rechtsstreit absehbar, was die Beschaffungsentscheidung weiter verzögern könnte.
Eine weitere Vorlage sieht die Beschaffung von Optik und Optronik vor, die zunächst am G36 genutzt werden soll, außerdem Zusatzausstattung für das künftige Sturmgewehr.

• Auf jeden Fall von Heckler&Koch kommen weitere Maschinengewehre vom Typ MG5, Billigung im Haushaltsausschuss für Anfang April vorgesehen.

• Eurodrohne: Mitte März soll das Parlament die weitere Entwicklung des europäischen ferngeführten Luftfahrzeugsystems für das Flugsegment Medium Altitude Long Endurance, gemeinhin Eurodrohne genannt, freigeben. Dabei geht es um ein gemeinsames Projekt mit Frankreich, Italien und Spanien, für das zunächst Entwicklungsgelder teilweise für die kommenden Jahre, dann als Verpflichtungsermächtigung, vom Parlament beschlossen werden sollen. Da es sich um ein System handelt, das auch bewaffnet werden kann, wird dabei auch die Haltung des Koalitionspartners SPD zu bewaffneten Drohnen eine Rolle spielen – deshalb steht das Thema auch auf der Tagesordnung des Koalitionsausschusses am (heutigen) Mittwochabend.

• Ebenfalls europäische Gemeinschaftsprojekte sind das Future Combat Air System (FCAS, mit Spanien und Frankreich) und Main Ground Combat System (MGCS, mit Frankreich), für die im zweiten Quartal weitere Gelder für die Entwicklung zur Billigung anstehen.

• Als weiteres multinationales Projekt steht die Entwicklung und Beschaffung von U-Booten der Klasse 212CD an; gemeinsam mit Norwegen sollen sechs U-Boote entwickelt und gebaut werden, zwei davon für die Deutsche Marine. Der Haushaltsausschuss soll darüber im 2. Quartal abstimmen.

• Die Marine soll die norwegische Naval Strike Missile (NSM) als neues Lenkflugkörper-Waffensystem Seeziel/Landziel erhalten; Entscheidung im 2. Quartal.

• Das Hauptwaffensystem der Korvetten der Marine, der Seeziel-Lenkflugkörper RBS 15 Mk3, muss zum Teil re-zertifiziert und instandgesetzt werden. Dabei dürfte es um die 25 Lenkflugkörper gehen, die die Marine schon länger im Bestand hat; der Kauf von weiteren 75 dieser Waffen war erst im vergangenen Jahr bewilligt worden. Die Billigung durch den Ausschuss wird für das 2. Quartal erwartet.

• Die lange gpelante Hubschrauberdrohne für die Korvetten soll nun angeschoben werden: Anfang April ist die Beschlussfassung über die Vorlage für Entwicklung und Beschaffung des Systems Aufklärung und Identifizierung im maritimen Einsatzgebiet (AImEG) geplant.

• Für die geplanten neuen Betriebsstoffversorger der Marine hat das Ministerium eine Beschlussfassung fürs zweite Quartal vorgesehen – allerdings ist bislang noch unklar, wie das zunächst aus Kostengründen gestoppte Verfahren weitergeht.

• Als Nachfolger der noch aus den Endzeiten des Kalten Kriegs stammenden Flottendienstboote Oker (Foto oben), Oste und Alster sollen drei neue Aufklärungsschiffe der Klasse 424 beschafft werden. Diese Einheiten werden mit einer Länge von gut 130 Metern schon in die Größenklasse der Fregatten aufrücken. Die Ausschreibung wird völlig national erfolgen – nicht in erster Linie wegen der Schiffe selbst, sondern angesichts der integrierten Aufklärungsausstattung. Eine Entscheidung ist für das 2. Quartal vorgesehen.

• Ein weiterer Anlauf für ein fliegendes Aufklärungssystem zur Signalerfassung (SIGINT) steht ebenfalls auf dem Plan: Für PEGASUS, (PErsistent German Airborne SUrveillance System – Dauerhaftes deutsches luftgestütztes Überwachungssystem), sollen die Parlamentarier im 2. Quartal Entwicklungskosten freigeben. Der Versuch, nach dem gescheiterten EuroHawk-Projekt und der aufgegebenen Planung, Triton-Drohnen aus den USA dafür zu beschaffen, ist allerdings mit Problemen behaftet: Für die Integration des Aufklärungssystems in die bereits gebilligten Global6000-Flugzeuge fehlt die Finanzierung (s. unten). Auch das wird ein Thema für das 2. Quartal.

• Der Einsatz der bisher schon genutzten Heron 1-Drohnen in Mali soll bis Ende März 2024 verlängert werden, dafür wird der Dienstleistungsvertrag mit Airbus fortgeschrieben und erweitert. Die Entscheidung ist für das 2. Quartal vorgesehen.

• Beschaffung 4. Los mehrrollenfähiges, leichtes Lenkflugkörpersystem (MELLS) für die Panzerabwehr des Heeres, Billigung für Ende Februar vorgesehen.

• Neuer Pionierpanzer als Nachfolger des Pionierpanzers Dachs, die Vorlage soll Mitte März in den Haushaltsausschuss.

• Vereinbarung mit Frankreich für den Betrieb der gemeinsam genutzen C130-Flugzeuge, Billigung Ende März.

• Flugstunden auf angemieteten Maschinen für die Ausbildung von Hubschrauberpiloten von Heer, Luftwaffe und Marine, im Ausschuss für Anfang April geplant.

• Überarbeitung (Obsoleszenzbeseitigung) der Anlage für den Elektronischen Kampf in den Transporthubschraubern CH-53, die wohl noch eine Weile fliegen müssen. Geplant im 2. Quartal.

Damit es nicht zu kleinteilig wird (und die wichtige zweite Liste nicht untergeht), nur kurz die Aufzählung, was sonst noch auf der 25-Mio-Liste steht:
Modulare Zeltsysteme für den Einsatz; Ersatz Tornado Radarwarner; Computer für das System Coalition Shared Data; Bündelfunksystem für die Schiffsicherung; Entwicklung für Joint Fire Support Teams auf  Transportpanzer Boxer; Überarbeitung Führungs- und Waffeneinsatzsystem Minenjagdboote; Mehrbedarf Bekleidung; Zünder für Artilleriegeschosse; taktische Radare für die Fregatten der Klasse 123; Ergänzungsvertrag für gesicherte Datenverarbeitung SINA; Suchzünder-Munition für die Artillerie; ungeschützte geländegängige Kranken/Notarztwagen; verlegefähige Auswertestationen für Luftbilder von Tornado und Eurofighter; Folgeprojekt Datenkommunikation HERKULES; Fahrzeuge für Spezialkräfte; deutsch-belgische Beschaffung von Nachtsichtbrillen; Gefechtsstandzentralen für Joint Fire Support; Aufwertung des Radars der Fregatten Klasse F124 zur Raketenabwehr; Messboote für die Wehrtechnische Dienststelle 71; verlegbare Flugsicherungsanlage für Flugplätze im Einsatzgebiet; neue Festrumpfschlauchboote für die Marine; Beschaffung geschützter Transportcontainer für Verwundete; Vereinbarung für Bau und Betrieb des – ressortübergreifend genutzten – Satellitensystems HRWS; Fortsetzung Vertrag strategischer Lufttransport SALIS; neue Radarsysteme für die Überwachung des deutschen Luftraums; Nachrüstung 1. Los Schützenpanzer Puma; Rahmenvertrag für Gefechtsmunition für den Puma; Electronic Warfare System und Satellitenkommunikation für NH90-Hubschrauber; Kraftstoffcontainer; Ersatz/Überholung des nautischen Führungssystems; Pilotensichtsystem für den Kampfhubschrauber Tiger; tragbares Bodenüberwachungsradar.

Das ist schon einiges, was sich das Ministerium für die Zeit bis zur Sommerpause vorgenommen hat – und realistisch muss man sagen:Was bis zur Jahresmitte nicht gebillig ist, wird auch in diesem Jahr angesichts von Bundestagswahl im September und absehbaren Koalitionsverhandlungen nicht mehr auf die Tagesordnung kommen.

Vor diesem Hintergrund ist bemerkenswert, welche wichtigen Vorhaben die Ministerialen mit der Bemerkung versehen haben deren Finanzierung zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesichert ist:

• Bodengebundene Luftverteidigung und Nah- und Nächstbereichsschutz – also unter anderem, aber nicht nur, das

• Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS)

• Weitere Maßnahmen Digitalisierung Landbasierter Operationen (D-LBO), also: die seit Jahren anstehende Digitalisierung der Kommunikation vor allem beim Heer, aber auch bei Streitkräftebasis und Sanitätsdienst

• Das 3. Los der Korvetten (als Ersatz für das 1. Los)

• Eurofighter Long Term Evolution, die Weiterentwicklung dann auch für die Ablösung des Tornado; folgericht steht auf der Liste der bislang nicht mit Geld hinterlegten Projekte auch

• Tornado-Nachfolge

• Nachfolger Seefernaufklärer, als Zwischenlösung für den Ersatz der P-3C Orion

• Leichter Unterstützungshubschrauber Streitkräfte (also weitere Airbus H145M)

• PEGASUS Entwicklung und Integration (angesichts der geplanten Vorlage dafür, s. oben) nicht so ganz kongruent

• 2. Los Schützenpanzer Puma (eigentlich soll die Entscheidung erst 2022 fallen, aber es scheint da Druck zu geben, eher zu entscheiden)

• Schwerer Transporthubschrauber (nachdem das Vergabeverfahren aus Kostengründen gestoppt wurde)

• Satellitenkommunikation Stufe 3

• Schwerer Waffenträger Infanterie – der Boxer mit Maschinenkanone, als Ersatz für den Wiesel geplant

• Kampfhubschrauber Tiger Mark III – eine vor allem von Frankreich gewünschte Weiterentwicklung des Helikopters.

Unterm Strich: Erstaunlich viel in der Planung, aber auch recht viel aus Kostengründen – vorerst? – nicht realisierbar. Viele Dinge werden also auf eine neue Bundesregierung/Koalition nach der Wahl zukommen.

(Foto: Flottendienstboot Oker in der Kieler Förde, Ende Januar 2020 – Frank Behling)