Generalinspekteur sieht finanzielle Auswirkungen der Pandemie auf den Verteidigungsetat: „Militärische Zielvorstellungen überprüfen“

Das Interview von Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn in der heutigen Welt am Sonntag ist in weiten Teilen nicht überraschend – was der höchste deutsche Soldat zu bewaffneten Drohnen oder zur Materiallage der Bundeswehr sagt, folgt seinen Aussagen in den vergangenen Monaten. An einer Stelle hat Zorn allerdings eine Granate gezündet: Die finanziellen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie, so seine Warnung, werden die Streitkräfte direkt zu spüren bekommen – nicht nur in Deutschland, sondern in der NATO insgesamt.

Beim Lesen des Interviews (kein Link; im Wortlaut ohnehin hinter Paywall) fällt die Passage auf, in der der General zunächst den politischen Willen bekräftigt, die Bundeswehr weiter zu modernisieren und, schon das eine interessante Formulierung, für Aufgaben im Rahmen der Landes und Bündnisverteidigung vorzubereiten. Dann allerdings kommt das große Aber:

Als Staatsbürger sehe ich, was die Pandemie an Geldern erfordert, um das Wirtschaftssystem am Leben zu erhalten. Es wird sicher einen Kassensturz nach Corona geben. Ich denke, wir müssen danach unsere militärischen Zielvorstellungen noch einmal überprüfen. Das muss dann auch realistisch in Brüssel mit unseren Nato-Partnern abgestimmt werden. Es ergibt wenig Sinn, dass wir uns gegenseitig Ziele setzen, die kein Alliierter aufgrund der Corona-Haushaltsbelastungen halten kann.

Dass die Pandemie und vor allem die Hilfe für die Wirtschaft Löcher in die Kassen reißt, ist längst klar. Dennoch hat sich bislang im Verteidigungsbereich bislang (sofern ich nicht was übersehen habe) niemand aus Bundesregierung und Streitkräften so eindeutig dazu geäußert, was das für die Bundeswehr bedeutet.

Auch wenn unsere militärischen Zielvorstellungen noch einmal überprüfen vordergründig harmlos klingt: Das dürfte wohl aller Voraussicht nach bedeuten, dass die Pläne für die Bundeswehr der nächsten zehn Jahre nach unten korrigiert werden müssen. Absehbar beim Material, vor allem bei Beschaffungen. Aber vielleicht ja auch beim Personal.

Noch vor zwei Wochen klang das allerdings noch anders – aus einer Veröffentlichung des Verteidigungsministeriums vom 18. Dezember vergangenen Jahres:

Die Bundeswehr hat sich viel vorgenommen bis 2032. Bis dahin will sie in der Lage sein, nicht nur in den internationalen Einsätzen an der Seite ihrer Verbündeten zu bestehen, sondern auch ihre Aufgaben in der Landes- und Bündnisverteidigung wieder bestmöglich zu erfüllen.
Dafür muss die Truppe nicht nur beim Personal, sondern auch bei der Ausrüstung und bei der Infrastruktur besser aufgestellt werden. Als Fahrplan dient dabei das nun fortgeschriebene Fähigkeitsprofil der Bundeswehr aus dem Jahr 2018.

Von möglichen (finanziellen) Auswirkungen der Pandemie ist da interessanterweise mit keinem Wort die Rede. Aber die werden, ohne zu viel in Zorns Worte hinein zu interpretieren, wohl auf jeden Fall kommen.

Interessant wird auch die Abstimmung mit den NATO-Partnern. Denn natürlich stimmt die Einschätzung des Generalinspekteurs, dass alle Länder in der Allianz von der Pandemie wirtschaftlich getroffen sind. Ob allerdings wirklich kein Allierter aufgrund der Corornavirus-Belastungen die Ziele für die Streitkräfte erreichen kann: Dazu hat möglicherweise die Regierung des neuen US-Präsidenten Joe Biden eine nicht ganz deckungsgleiche Meinung.

Der Vollständigkeit halber: Kurz vor Weihnachten hatte Zorn der Neuen Zürcher Zeitung ein Interview gegeben, in dem diese Frage noch keine Rolle spielte – aber der Generalinspekteur interessanten Einblick in seine Einschätzung der sicherheitspolitischen Herausforderungen gibt. Zum Nachlesen hier.

(Hinweis: Zu dem WamS-Interview aufgelaufene Kommentare in anderen Threads verschiebe ich hierher.)

(Archivbild Dezember 2019: Zorn bei der NATO-Battlegroup in Litauen)