Abzug aus Incirlik: Der Stand der Dinge (Update)
Nach dem gescheiterten Gespräch von Außenminister Sigmar Gabriel mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu am (gestrigen) Pfingstmontag in Ankara ist klar: Das Verbot der Türkei für deutsche Abgeordnete, zu deutschen Soldaten im Anti-ISIS-Einsatz auf die türkische Luftwaffenbasis Incirlik zu reisen, soll zu einer Verlegung der Bundeswehreinheiten führen. Das ist die politische Absicht; wie sie konkret umgesetzt wird, ist am (heutigen) Dienstag noch nicht ganz eindeutig. Eine Übersicht über den derzeitigen Stand der Dinge (der ziemlich im Fluss ist):
• Das Bundeskabinett will sich am Mittwoch mit diesem Thema befassen. Die Entscheidung, ob die Ministerrunde allein den Beschluss zum Abzug aus Incirlik fassen wird, steht noch aus – denn unklar ist, ob und wie das Parlament an einem solchen Beschluss beteiligt werden soll oder muss.
Das im November vergangenen Jahres vom Bundestag gebilligte Mandat legt nur den Einsatzraum für die Aufklärungsflugzeuge und das Tankflugzeug der Luftwaffe fest, trifft aber keine Aussage über den Stationierungsort der deutschen Streitkräfte. Im Zusammenhang mit diesem Mandat hatte die Bundesregierung eine Protokollnotiz abgegeben, dass sie sich bemühe, bei weiteren Besuchsverboten für Parlamentarier in Incirlik einen Alternativstandort zu finden. Vor allem der Koalitionspartner SPD fordert einen Bundestagsbeschluss, der allerdings auch in Form eines Entschließungsantrags fallen könnte.
• Update: Auf der vom Bundespresseamt veröffentlichten Vorschau der Kabinettsthemen ist nicht von einem Beschluss, sondern lediglich von einem mündlichen Bericht die Rede:
Mündlicher Bericht zur Nutzung des Standorts Incirlik im Rahmen des Einsatzes deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS (BMVg, AA)
• Als Alternative gilt inzwischen die Airbase Al Azraq in Jordanien als gesetzt, rund 150 Kilometer östlich der Hauptstadt Amman (der rote Marker links unten auf der Karte):
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte diesen Luftwaffenstütztpunkt im Mai besucht. Al Azraq bietet sich – im Unterschied zu den ebenfalls von der Bundeswehr erwogenen Stützpunkten auf Zypern und in Kuwait – als neuer Stationierungsort an, weil es ähnlich wie das südtürkische Incirlik nahe an den Einsatzgebieten über Syrien und dem Irak liegt und zudem diese Länder direkt angeflogen werden können, ohne den Luftraum anderer Länder zu queren. Außerdem sind dort bereits Flugzeuge anderer NATO-Mitglieder im Rahmen der Anti-ISIS-Koalition stationiert.
• Für die Verlegung hatte von der Leyen am (gestrigen) Sonntag in einem Statement eine Zeit von zwei bis drei Wochen für das Tankflugzeug und zwei bis drei Monaten für die Aufklärungs-Tornados genannt:
Für den Kampf gegen den IS war Incirlik eine gute Luftwaffenbasis. Aber es ist nicht hinnehmbar, dass unsere Abgeordneten die Soldaten nicht besuchen dürfen. Wir werden das weitere Vorgehen jetzt am Mittwoch im Kabinett gemeinsam besprechen und entscheiden. Wir sind auf eine Verlegung vorbereitet. Mit dem Flughafen Al Azraq in Jordanien haben wir eine vergleichbare Alternative gefunden. Ich war selbst vor kurzem in Jordanien und habe mich persönlich davon überzeugen können. Der jordanische König hat mir seine volle Unterstützung zugesagt. Für uns bedeutet die Verlegung einen Umzug von 280 Soldatinnen und Soldaten, sowie den Transport von etwa 10.000 to Material, knapp 200 Containern. Das bedeutet natürlich, dass es eine Unterbrechung unserer Flugeinsätze im Kampf gegen den IS geben wird. Unser Ziel ist, dass das Tankflugzeug innerhalb von 2-3 Wochen wieder Einsätze beginnt und die Tornados in 2-3 Monaten. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Abzug aus Incirlik reibungslos klappt.
Die Logistik ist nicht nur wegen der Menge an Material eine Herausforderung: Vor allem für die Tornados muss die ganze technische Infrastruktur für die Instandsetzung, außerdem auch die Auswertestation für die Luftbilder (Ground Exploitation Station, GES) in Incirlik ab- und am neuen Standort wieder aufgebaut werden. Klar ist aber: Der größte deutsche Beitrag im Kampf gegen ISIS fällt für Monate aus.
• Die Kosten der Verlegung sind (zumindest öffentlich) noch nicht bekannt. Der Bundeswehr kommt aber zugute, dass geplante Investitionen in die Infrastruktur in Incirlik bislang nicht vorgenommen wurden, weil es mit der Türkei dazu nicht zu einer Einigung gekommen war – es geht immerhin um 25 Millionen Euro für Baumaßnahmen sowie weitere 34 Millionen Euro für einen mobilen Gefechtsstand, der in Jordanien ebenso eingesetzt werden kann wie er in Incirlik hätte eingesetzt werden können. Bislang wurde nach Angaben des Verteidigungsministeriums eine niedrige fünfstellige Summe zur Vorbereitung der Baumaßnahmen ausgegeben.
• In dem seit Januar 2016 laufenden Einsatz stiegen die Tornados bislang zu rund 950 Einsatzflügen auf (da die Maschinen immer zu zweit fliegen, waren es also rund 475 Missionen). Das Tankflugzeug vom Typ Airbus A310 MRTT flog 430 Einsätze mit mehr als 2.000 Luftbetankungen für die Kampfjets anderer an der Koalition beteiligter Nationen.
• Nicht betroffen von der aktuellen Debatte ist ein weiterer Teil des Kampfs gegen ISIS, an dem auch deutsche Soldaten beteiligt sind: AWACS-Luftraumüberwachungsflugzeuge der NATO fliegen zwar schon seit Ende vergangenen Jahres permanent über der Türkei und dem angrenzenden Luftraum. Seitdem die NATO am 25. Mai offiziell der Anti-ISIS-Koalition beigetreten ist, fungieren sie auch als Luftraumkontrolle für die Kampfflugzeuge der Koalition über Syrien und dem Irak.
(Archivbild: Deutsche und türkische Flagge vor einem Tornado der Luftwaffe auf dem Stützpunkt Incirlik im Januar 2016; Karte: OpenStreetMap)
@Klauspeterkaikowsky | 12. Juni 2017 – 17:01
„Es tut mir wirklich Leid – ohne Floskel – bei dem was in UNSERER Bw seit Monaten abgeht, KEIN VERTRAUEN mehr!“
In der Tat ist man ja derzeit sehr verunsichert und emotional betroffen.
Aber das hat trotzdem nichts mit der Staatsanwaltschaft zu tun…
Wir sollten aufhören minderschwere „Vergehen“ in den Streitkräften zu kriminalisieren.