Lage in Libyen: Für Deutschland noch nicht genug Klarheit (Update: Merkel, Steinmeier)

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Die neue Einheitsregierung in Libyen sieht die Bundesregierung vorsichtig optimistisch. Zwar werde das von den Vereinten Nationen unterstützte neue Gremium in Libyen immer breiter anerkannt, aber die Lage sei noch fragil – und deshalb sei es auch noch zu früh, über weitere deutsche Schritte wie zum Beispiel die geplante Ausbildungsmission für libysche Sicherheitskräfte in Tunesien konkret nachzudenken. Das ist, grob zusammengefasst, die Position von Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium am (heutigen) Freitag.

Die Aussagen von Sebastian Fischer fürs Auswärtige Amt und von Michael Henjes fürs Verteidigungsministerium vor der Bundespressekonferenz dazu:

 

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Das Transkript dazu unten. Zuvor noch ein Nachtrag zum Thema Libyen, aus einer Meldung von AFP*:

Nach dem Abkommen mit der Türkei zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen strebt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine ähnliche Einigung mit Libyen an. „Wir haben jetzt vor uns die Aufgabe, mit Libyen eine solche Kooperation hinzukriegen“, sagte die CDU-Chefin am Freitag vor Delegierten der Berliner Landes-CDU.

Um die EU-Außengrenzen zu schützen, gebe es keinen anderen Weg, als Verabredungen mit Nachbarstaaten zu treffen.
„Wir haben seit wenigen Tagen eine Einheitsregierung, die endlich in Tripolis angekommen ist“, sagte Merkel mit Blick auf die von den Vereinten Nationen vermittelte Übergangsregierung in dem Bürgerkriegsland.

Und noch ein Nachtrag am Samstag, 9. April: Die Einheitsregierung hat jetzt wohl aus deutscher Sicht die faktische Regierungsgewalt. Aber was ist wohl dringend gebrauchte Sicherheitsinfrastruktur? Waffen? Die Mitteilung des Auswärtigen Amtes:

Außenminister Steinmeier hat soeben mit dem libyschen Premierminister Sarradsch telefoniert. Er beglückwünschte ihn zu seiner Entscheidung, seine Amtsgeschäfte in Tripolis aufzunehmen, und den ersten Erfolgen bei der Übernahme der faktischen Regierungsgewalt.
Um das handfest zu unterstützen, sagte Außenminister Steinmeier Ministerpräsident Sarradsch 3 Millionen Euro Soforthilfe zu, mit der die neue libysche Reigerung sofort dringend gebrauchte Sicherheitsinfrastruktur beschaffen kann. Weitere 10 Millionen Euro stünden jetzt für einen Stabilisierungsfonds bereit, mit dem die Regierung sofort sichtbare Wiederaufbau-Projekte umsetzen kann.
Die morgigen Beratungen der G7 in Hiroshima sind eine gute Gelegenheit zur rechten Zeit, die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für die neue libysche Regierung abzustimmen.

Das Transkript des obigen Audios:

Frage: Eine Frage an Herrn Fischer und Herrn Henjes: Können sie uns kurz den Sachstand zu Libyen geben? Es zeichnet sich ab, dass es nunmehr eine allgemein akzeptierte und funktionsfähige Regierung zu geben scheint. Was bedeutet das aus deutscher Sicht nicht nur politisch, sondern unter anderem auch für die Bundeswehr, was sowohl mögliches Agieren in den Hoheitsgewässern Libyens bei der Operation „Sophia“ angeht als auch die angekündigte Ausbildungsmission in Tunesien?

Fischer: Ich fange einmal an. Ich weiß nicht, ob Sie es gesehen haben: Der Außenminister hat sich gestern gegenüber einer großen deutschen Tageszeitung bereits zu Libyen geäußert und erklärt, dass es ein großer Fortschritt sei, dass trotz aller Bedrohung und Sabotageversuche die Einheitsregierung jetzt in Tripolis Fuß gefasst hat und breite Akzeptanz im Land findet, und dass es besonders ermutigend sei, dass auch einige der bisherigen Blockierer ihren Widerstand aufgegeben haben. Trotzdem bleibt die Lage natürlich höchst fragil. Die Konflikte können jederzeit wieder eskalieren. Um zu einer Lösung zu kommen, sodass wir mit einer handlungsfähigen Regierung arbeiten können, braucht es noch viele kleine Schritte und auch sehr konkrete Unterstützung von allen Seiten, auch von Deutschland, damit Libyen wieder Stabilität und Frieden findet.

Über die vergangenen Wochen haben wir uns ein paar Gedanken gemacht, indem wir darauf hingearbeitet haben, die Anstrengungen des UN-Sonderbeauftragten Kobler zu unterstützen, wie wir, wenn es denn eine Einheitsregierung gibt, die im ganzen Land anerkannt ist und dort auch Regierungsgewalt ausüben kann, mit Sofortmaßnahmen zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau beitragen können. Wir haben hierzu auch mit dem UNDP und anderen internationalen Partnern gesprochen und bieten an, gemeinsam mit dem UNDP einen Fonds für Sofortmaßnahmen zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau aufzubauen. Damit haben wir – das wissen Sie vielleicht – im Irak bereits ganz gute Erfahrungen gemacht. Da gibt es ein ähnliches Instrument, das wir zum Beispiel eingesetzt haben, nachdem Tikrit von ISIS befreit wurde, um dort Sofortmaßnahmen einzuleiten und der Bevölkerung die Rückkehr zu ermöglichen. Das waren verschiedenste Projekte, vom Gesundheitsbereich bis zum Wasserbereich. Heutzutage sind schon 90 Prozent der vor ISIS geflohenen Bevölkerung nach Tikrit zurückgekehrt. Das ist sozusagen die Blaupause, die wir verfolgen, um den Menschen in Libyen die Gelegenheit zu geben, wieder Vertrauen in ihren Staat zu fassen und letztlich auch eine Friedensdividende zu spüren.

Wir haben gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen des BMZ entschieden, dass Deutschland bereit ist, ein Viertel dieser Fazilität, dieses Stabilitäts- und Aufbaufonds, der rund 40 Millionen Euro betragen könnte, zu zahlen, also ungefähr 10 Millionen Euro. Die ersten Reaktionen von internationaler Seite waren durchaus positiv. Aber die Gespräche auch mit internationalen Partnern, die ja auch in diesen Fonds einzahlen müssten, müssen in den nächsten Wochen natürlich noch ausgebaut und weiter substanziiert werden. Dazu kann ich auch sagen, dass der Leiter unserer Stabilisierungsabteilung im Auswärtigen Amt, Botschafter König, am 12. April aus diesem Anlass zu einem Gebertreffen nach Tunis reist, um weiter an der Errichtung dieser Stabilisierungsfazilität zu arbeiten. – So weit erst einmal von mir.

Henjes: Auch das Verteidigungsressort steht nicht abseits. Auch für uns ist die Konsolidierung und Stabilisierung in dieser Region wesentlich. Insofern haben Sie es schon richtig angesprochen: Ins Auge gefasst wird eine Ausbildungsmission libyscher Sicherheitskräfte im Nachbarland, in Tunesien. Voraussetzung dafür ist aber, dass wir eine ansprechbare und verfestigte Einheitsregierung in Libyen haben. Sie liegt zurzeit nicht vor. Deswegen betrachten wir mit großem Interesse und auch großer Hoffnung das Ringen, das sich zurzeit auf diplomatischer Ebene vollzieht. Insofern gilt: Die Gespräche laufen hinsichtlich Umfang, Ort und auch der Frage, mit welchen Partnern wir dieses Ausbildungsprogramm dann tatsächlich durchziehen können.

Zur Frage nach der europäischen Mission „Sophia“: Wie Sie wissen, ist sie in der jetzigen Phase noch in internationalen Gewässern. Auch das Bundestagsmandat sieht das vor. Für die darüber hinausgehenden weiteren schon ins Auge gefassten Phasen – mögliche Operationen in nationalen Gewässern – bedarf es daher einer Änderung. Auch das ist zurzeit nicht da. Wir werden sehen, inwiefern diese Änderung bei veränderter Sicherheitslage und veränderter Regierung – auch dafür brauchen wir eine Einheitsregierung in Libyen als Ansprechpartner – möglich ist. Ich denke, dann werden wir uns dem nicht verschließen.

Fischer: Um es vielleicht noch kurz zusammenzufassen: Es ist schon so, dass es in den vergangenen Tagen wichtige Schritte nach vorn gegeben hat. Nach unserem Eindruck ist es durchaus so, dass die Gegenregierung Tripolis teilweise verlassen hat und sich teilweise zurückzieht und dass sich immer mehr libysche Institutionen der Regierungsgewalt der Einheitsregierung unterstellen. Aber wir sind eben noch nicht an dem Punkt, dass die Einheitsregierung die volle Unterstützung aller notwendigen libyschen Institutionen erhalten hat.

Zusatzfrage : Dazu eine Lernfrage: Wer entscheidet, wann diese Regierung so handlungsfähig ist, dass man mit ihr arbeiten kann? Muss das vonseiten der UN kommen? Muss Herr Kobler sagen: „Das ist jetzt gut“? Oder entscheidet jedes Land für sich: „Wir akzeptieren das“? Es gibt ja durchaus unterschiedliche Einschätzungsmöglichkeiten, ob die Regierung jetzt funktioniert oder nicht.

Fischer: Der Sonderbeauftragte agiert ja nicht im luftleeren Raum. Er ist derjenige, der für die internationale Gemeinschaft die Verhandlungen über die Konstituierung der Einheitsregierung führt. Er ist derjenige, der den Friedensprozess voranbringt. Er ist derjenige, der dem Sicherheitsrat regelmäßig Bericht erstattet, wie er es auch gerade getan hat. Dementsprechend kommt dem Sonderbeauftragten genauso wie dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der sich schon zwei Mal in Resolutionen zu Libyen eingelassen und zur Unterstützung der Einheitsregierung aufgerufen hat, in dieser Hinsicht eine ganz wichtige und zentrale Funktion zu.

Frage : Herr Fischer, wer ist der Ansprechpartner der Bundesregierung in Libyen? Mit wem kommunizieren Sie da?

Herr Streiter, die Kanzlerin, wenn ich sie richtig verstanden habe, hat gestern gesagt, dass sie einen Deal wie mit der Türkei auch mit Libyen anstrebt, also diesen Flüchtlingsdeal. Ist das ihr Ernst?

Fischer: Wer der Ansprechpartner ist, ergibt sich aus den Entwicklungen der letzten Wochen. Zum einen unterhalten wir natürlich in alle libyschen Gesellschaftsschichten hinein Kontakte. Unsere Botschaft vor Ort ist zwar geschlossen, aber unser Botschafter handelt von Tunis aus. Er stand auch schon im Kontakt mit Premierminister Scharradsch, dem neuen Premierminister der Einheitsregierung.

Aber Sie erinnern sich vielleicht auch, dass wir vor rund einem Jahr die damalige Regierung und Gegenregierung zu Friedensgesprächen hier in Berlin hatten und dabei den damaligen UN-Vermittler unterstützt haben. Daraus ergibt sich, dass wir in Kontakt mit allen Seiten stehen. Unser Ziel ist es genauso wie das Ziel der internationalen Gemeinschaft und des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie von Martin Kobler, dem Sonderbeauftragten, dass die Einheitsregierung, die sich sowohl aus Teilen der Gegenregierung als auch der Regierung gebildet hat und Vertreter aller dieser Strömungen in sich vereint, die legitime und anerkannte Regierung Libyens wird.

Wer’s nicht gesehen hat: Die Aussagen des Befehlshabers des US-Afrikakommandos, David Rodriguez, zur Sicherheitslage in Libyen und vor allem zur Stärke der ISIS-Terrormilizen in dem nordafrikanischen Land hier.

(*Deutsche Verlagswebseiten werden hier in der Regel nicht verlinkt; der Donaukurier ist eine der Ausnahmen.)

(Archivbild: Martin Kobler, Special Representative of the Secretary-General and Head of the UN Support Mission in Libya (UNSMIL), speaks to journalists following his briefing to the Security Council, 02 March 2016 – UN Photo/Eskinder Debebe)