Vom Umgang mit Tapferkeit (2): Dank an den Lebensretter
Für seinen Einsatz bei der Rettung eines verwundeten deutschen Soldaten im Gefecht hat der U.S. Army Staff Sergeant Peter Woken am Donnerstagabend in der US-Hauptstadt Washington die Gefechtsmedaille der Bundeswehr erhalten. Eine solche Zeremonie ist schon außergewöhnlich; was es noch außergewöhnlicher machte: Der deutsche Oberstabsgefreite Tim Focken, den Woken und sein MedEvac-Team am 17. Oktober vergangenen Jahres unter Beschuss aus dem Gefecht nahe Kundus herausgeholt hatten, war eigens nach Washington geflogen, um seinem Lebensretter zu danken.
Focken (l.) mit seinem MedEvac-Lebensretter, der bereits die deutsche Gefechtsmedaille trägt (Fotos: U.S. Army/C. Todd Lopez)
Es hatte nicht gut ausgesehen an jenem 17. Oktober. Die Patrouille mit dem Seedorfer Fallschirmjäger Focken geriet in Khalyzai bei Kundus in einen Hinterhalt der Aufständischen. Der Oberstabsgefreite, G36-Einzelschütze und Combat Medic, wurde von einem gegnerischen Scharfschützen an der linken Schulter getroffen und schwer verwundet. Trotz des anhaltenden Beschusses mit schweren Handwaffen und RPG kämpfte Focken weiter, spornte seine Kameraden zum Durchhalten an – doch es war klar, dass er dringend in ein Feldlazarett gebracht werden musste. Dafür kam nur die Evakuierung per Hubschrauber infrage: mit einem Fahrzeug hätte der Verwundete nicht sicher aus der Gefechtszone gebracht werden können.
Doch auch die Landezone für die amerikanischen Blackhawk-MedEvac-Hubschrauber lag unter schwerem Beschuss. Die Piloten versuchen einen ersten Landeanflug, müssen ihn aber wegen des feindlichen Feuers abbrechen. Trotz der anhaltenden Schüsse riskieren die Piloten einen zweiten Landeversuch, die Flight Medics auf diesem Dustoff-Flug holen Focken heraus. Durch ihre mutige Tat hat die Besatzung das Leben von Oberstabsgefreiten Focken gerettet, schilderte der Fallschirmjäger-Hauptmann Adrian Dulzaides bei der Verleihung in der Botschaft die Situation. Ihr ist es zu verdanken, dass wir an diesem Tag nicht einen Soldaten verloren haben. Dafür möchte ich mich bedanken. Es ist gut zu wissen, dass die amerikanischen Kameraden immer für uns einstanden, genau so wie wir immer für sie eingestanden sind.
Focken, Woken und der deutsche Botschafter in den USA, Peter Ammon (v.l.)
Es sind Momente wie diese, die tatsächlich zeigen, was in einem Menschen steckt, würdigte der deutsche Botschafter in den USA, Peter Ammon, den Mut des amerikanischen Staff Sergeant. Die Bundesrepublik Deutschland und die deutsche Bevölkerung sind Ihnen, Herr Feldwebel Woken, sehr dankbar für ihre mutige Tat.
Der 36-jährige Staff Sergeant Woken hat zwei Auslandseinsätze hinter sich – aber was für welche. Zwölf Monate war er im Irak, dann neun Monate daheim – bevor es in den Afghanistan-Einsatz ging. Allein am Hindukusch flogen er und sein Team 257 Rettungseinsätze. Immer ging es um Minuten, um das Leben der Soldaten zu retten. Auf die Frage, wie viele Soldaten er als Sanitäter herausgeholt habe, sagte er nur: Bei 354 habe ich aufgehört zu zählen. Irgendwann wollte er nicht mehr an jedem Abend die Namen der Geretteten aufschreiben – es war einfach zu belastend. An den deutschen Oberstabsgefreiten Wocken erinnerte er sich jedoch, weil unsere Namen sehr ähnlich klingen. Und wegen der dramatischen Umstände der Rettungsmission am 17. Oktober.
Wir sprechen unterschiedliche Sprache, wir tragen unterschiedliche Uniformen, sagte Woken in seiner kurzen Rede zum Dank nach der Verleihung. Aber im Gefecht sind Deutsche und Amerikaner ein Team und nur gemeinsam können wir im Gefecht bestehen.
Die anderen Soldaten des MedEvac-Teams waren bereits im Mai in Kundus mit der deutschen Gefechtsmedaille geehrt worden. Woken war zu der Zeit jedoch bereits aus dem Einsatz nach Hause zurückgekehrt.
Woken im Gespräch mit General Peter W. Chiarelli, dem stellvertretenden Stabschef der U.S. Army. Links im Hintergrund der deutsche Generalleutnant Bruno Kasdorf, stellvertretender Inspekteur des Heeres
Nachtrag: Neben den Hinweisen auf das Video der Botschaft (in den Kommentaren) und weitere Meldungen ein Bericht aus Wokens früherer Heimatzeitung mit ein paar zusätzlichen Einzelheiten.
@ Voodoo
Ist der Gefechtsbericht öffentlich aufrufbar?
@ Sachlicher
Ich habe in den Kommentaren keineswegs eine Kritik an der Verleihung bzw. an den beteiligten Soldaten gesehen (abgesehen von der äußerlichen Erscheinung von Herrn Focken, für die es neben dem Schnitt der Uniform auch andere Erklärungen gibt – etwa die Tatsache, dass die Zeremonie aufgrund der 6-stündigen Zeitverschiebung zu einer Uhrzeit stattgefunden hat, zu der Herr Focken wahrscheinlich am liebsten schon geschlafen hätte – davon abgesehen, dass das Tagesprogramm so eng gestrickt war, dass keine Zeit blieb, sich vor der Zeremonie noch einmal zurückzuziehen, um sich frisch zu machen). Ich wundere mich nur, warum Herr Wiegolds Artikel einige der Reaktionen ausgelöst hat, die hier nachzulesen sind. That’s all. :)
Zu Ihrem Punkt 3: Die Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Botschaft in Washington (und damit auch Ihre Steuergelder, werter Sachlicher ;) ) ist auf ein amerikanisches Publikum ausgerichtet. Daher sind über 90% der Webseite http://www.Germany.info in englischer Sprache verfasst. Das Veröffentlichen von Artikeln in deutscher Sprache überlassen wir denen, die damit beauftragt sind (und das auch viel besser können als wir), nämlich den deutschsprachigen Medien. :)
Dass es überhaupt eine deutschsprachige Version unserer Webseite gibt, hängt mit einem weiteren Auftrag zusammen, der deutschen Botschaften weltweit zuteil wird, nämlich die konsularische Betreuung deutscher Staatsangehöriger im Ausland. Daher beschränkt sich ein Großteil der deutschsprachigen Informationen auf unserer Webseite auf Konsular- und staatsbügerrechtliche Fragen.
Um zum Abschluß noch mal das Thema zu wechseln: Peter Woken ist es nicht leicht gefallen, die Erlebnisse im Irak und Afghanistan zu verarbeiten – Post Traumatic Stress Disorder heißt die Diagnose, die die amerikanischen Streitkräfte inzwischen auch sehr ernst nehmen. Um Herrn Woken und die vielen anderen US-Soldaten mit ähnlichen Diagnosen psychologisch aufzufangen, hat die Army sogenannte „Warrior Transition Units“ eingerichtet. Herr Woken hat ganz offen darüber gesprochen, wie gut er sich dort betreut gefühlt hat. Die Verleihung der Gefechtsmedaille hat ihm einen zusätzlichen Schub gegeben, das Erlebte zu verarbeiten, und dafür ist er „Deutschland“ erklärtermaßen sehr dankbar. Um seinen Dank auch mit Taten zum Ausdruck zu bringen (eine Eigenschaft, für die man Amerikaner immer wieder nur bewundern kann), möchte er es sich mit Hilfe seiner neu geknüpften Verbindungen zum Pentagon zur Aufgabe machen, die Idee der „Warrior Transition Units“ nach Deutschland zu exportieren, um deutsche Soldaten in Zukunft bei der Verarbeitung ihrer Kriegserlebnisse zu unterstützen.
Dieses unterstützungswerte Vorhaben verdient Beachtung!
@Anna
Sehr geehrte Anna,
ich bin ebenfalls in den USA und habe 2009 die Berichterstattung um die katastrophalen Zustaende im Walter Reed Hospital sehr aufmerksam verfolgt.
Die WTU wurden in der Folge eingerichtet und das ist mittlerweile daraus geworden;
Googeln Sie mal „Warrior Transition Units Problems 2011“ dann finden Sie Artikel wie diese:
http://ricks.foreignpolicy.com/posts/2010/06/16/former_pentagon_personnel_official_the_warrior_units_are_holding_tanks_for_misfits
http://www.military.com/news/article/docs-show-wounded-warrior-care-shortfalls.html
Den Weg, den wir gehen wollen, die Soldaten in „richtigen Einheiten zu integrieren halte ich fuer besser, wobei das anscheinend auch nicht einfach fuer jeden Vorgesetzten ist: Dazu empfehle ich Ihnen als Lektuere „Die reden, wir sterben“ v. Andreas Timmermann-Levanas, den ich persoenlich kenne und sehr schaetze!
Dies Buch und „Handschlag mit dem Teufel“ ueber den Voelkermord in Burundi sind die einzigen Buecher in meinem bisherigen Leben, die ich zwischendurch weglegen musste, um meine Gedanken wieder zu sammeln.
Die Strasse ist noch sehr lang!!
Ihre Kritik an einigen Kommentaren teile ich, wuerde ich aber als „typisch deutsch“ bezeichnen ;-) Nicht getadelt, ist gelobt genug, oder das Glas ist eben halbleer anstatt wie bei unseren US Freunden always awesome halbvoll ;-)
@ Soenke Marahrens
Vielen Dank für Ihren lese-Hinweis.
Ich wage nicht, mir ein Urteil über den deutschen oder amerikanischen Umgang mit körperlich und seelisch verletzten Soldaten anzumaßen.
Ob es in Deutschland Bedarf an einer „Warrior Transition Unit“ nach amerikanischem Vorbild gibt, vermag ich nicht zu berurteilen – das sollte auch nicht der Tenor meines Kommentars sein. Für unterstützenswert halte ich jedoch das Vorhaben von Peter Woken, seine Dankbarkeit an Deutschland auf diese Weise zum Ausdruck zu bringen und seine guten Erfahrungen in der Warrior Transition Unit teilen zu wollen.
Wir sollten niemals den Fehler machen, zu glauben, dass wir nicht von anderen Menschen und Völkern lernen können. Deutsch-amerikanischen Erfahrungsaustausch gibt es auf vielen Ebenen und in vielen Sachgebieten (Klimaschutz, Wissenschaft, Datenschutz, Arbeitsmarktpolitik, Gesundheitssystem, die Liste ist endlos) – warum nicht auch in Sachen Nachbetreuung von Soldaten mit Kriegserfahrung? (Und vielleicht auch in Sachen: Wie mache ich mein halbleeres Glas halbvoll? ;) )
@ tom.werner
Nein, der ist eingestuft. Die Erklärung zur Verleihung des Ordens in den USA gibt die Leistung von OSG Focken aber ganz gut wieder.
Die Sache mit dem Glas (halbvoll oder doch nur halbleer) bringt es auf den Punkt.
Nachdem ich ein paar Kommentare gelesen hatte war mein erster Gedanke: Typisch Deutsch!
Hier in den USA würde wohl anläßlich eines solchen Berichts niemand auf die Idee kommen, sich über das äußere Erscheinungsbild des Soldaten zu mokieren. Kann daher Fischel und Anna nur zustimmen!