NATO-Mission in der Ägäis: „Ein kleines Minenfeld“

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Die Bonn liegt mitten in der schmalen Wasserstraße zwischen dem türkischen Festland bei Izmir und der griechischen Insel Chios, als der türkische Armeehubschrauber auf dem Flugdeck des deutschen Einsatzgruppenversorgers aufsetzt. Nur wenige Seemeilen trennen hier die Türkei und Griechenland voneinander; dass das deutsche Kriegsschiff im NATO-Auftrag auf der türkischen Seite der Seegrenze fährt, lässt sich fast nur daraus schließen, dass sonst ein türkischer Hubschrauber nie in dieses Seegebiet eingeflogen wäre.

Schon bei der Anreise zu ihrem Truppenbesuch am (heutigen) Mittwoch erfuhr Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ganz praktisch, wie schwierig die Situation in dieser Region ist, wo sich zwei NATO-Partner kritisch bis kriegerisch gegenüberstehen.

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Ein kleines Minenfeld nennt der deutsche Flottillenadmiral Jörg Klein, Kommandeur des Einsatzverbandes Standing NATO Maritime Group 2 (SNMG2) die schwierige Lage an der Nahtstelle der beiden Mittelmeeranrainer. Diesem kleinen Minenfeld verdankt Klein auch seinen Auftrag: Der Kriegsschiff-Verband, eigentlich auf Wunsch der Türkei zur Rückversicherung für den NATO-Verbündeten angesichts der explosiven Situation in Syrien und des russischen Engagements dort im östlichen Mittelmeer unterwegs, wurde vom NATO-Rat im Februar kurzfristig zur Aufklärung in die Regionalgewässer entsandt – und nimmt dort seit Anfang März seinen Auftrag wahr.

Hintergrund ist eine deutsch-türkische Initiative, von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu im Februar eingefädelt: Angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen aus Syrien und anderen Ländern, die von der Türkei über die Meerengen des Mittelmeers auf die vor der türkischen Küste liegenden griechischen Inseln übersetzten und von dort ihren Weg nach Mitteleuropa und vor allem nach Deutschland fanden, sollte die Überwachung dieses Seegebiets verbessert werden. Offiziell als Bekämpfung der Schleuserkriminalität, faktisch natürlich mit dem Ziel, die Zahl der Flüchtlinge und Migranten auf dieser Route einzudämmen.

Dass dafür eine Mission des Militärbündnisses NATO als sinnvollster Weg erschien, zeigt plastisch die Schwierigkeiten der beiden NATO-Partner miteinander. Denn Kleins kampfkräftiger Verband, derzeit bestehend aus acht schwimmenden Einheiten (außer der Bonn je eine Fregatte aus den Niederlanden und Frankreich, ein britisches Versorgungsschiff, je eine Fregatte aus Griechenland und der Türkei sowie kurzfristig zwei griechische Patrouillenboote) hat einen ausschließlichen Auftrag zur Aufklärung. Schlepperboote, Migranten, Flüchtlinge soll und kann der NATO-Verband nicht stoppen – sondern die Informationen, die die hochgerüsteten Kriegsschiffe mit ihren Radaranlagen und elektro-optischen Sensoren wie Wärmebildkameras erfassen, direkt an die Küstenwachen Griechenlands und der Türkei sowie die europäische Grenzschutzagentur Frontex weitergeben.

Die Flüchtlinge, die den Seeweg versuchen, nehmen die NATO-Schiffe nur dann an Bord, wenn sie unmittelbar aus Seenot gerettet werden müssen. Bislang ist das noch nicht vorgekommen – ein wesentlicher Unterschied zur EU-Marinemission vor der libyschen Küste: Dort aus Seenot gerettete Menschen werden von den Kriegsschiffen der Operation Sophia nach Italien gebracht.

Die Aufgabe Kleins und seiner Soldaten ist damit die einer Informationszentrale, die die beiden Küstenländer angesichts ihrer feindlichen Haltung zueinander selbst nicht zustande bringen. Um niemanden gegen die NATO-Mission aufzubringen, achten Kleins Leute auch darauf, ihre Erkenntnisse unbedingt zeitgleich an die Küstenwachen beider Länder weiterzugeben – am schnellsten per Sprechfunk, der auch die kleinen Boote erreicht.

Rund 100 solcher Sichtungen hat der NATO-Verband seit offiziellem Arbeitsbeginn im März weitergemeldet – bislang nur aus den offiziell festgelegten Patrouillenbereichen zwischen den griechischen Inseln Lesbos und Chios und dem türkischen Festland. Zwei weitere solcher Boxen sind in der Planung, vor den griechischen Inseln Samos, Leros und Kos sind weitere geplant. Das Einverständnis der Türkei und Griechenlands dafür fehlt immer noch – ebenso wie die Erlaubnis, dass die NATO-Schiffe im Rahmen dieser Operation ihre eigenen Bordhubschrauber starten dürfen.

Dennoch zog die deutsche Verteidigungsministerin bei ihrem Besuch eine erste positive Bilanz dieses Einsatzes. Die Zahlen der Menschen, die auf diesem Weg aus der Türkei nach Griechnland gelangen wollten, sei inzwischen von einst rund 5.000 auf eine zwei- bis dreistellige Zahl zurückgegangen. Mit der Mission sei im Zusammenwirken mit beiden Ländern erreicht worden, dass das Geschäftsmodell der Schlepper überhaupt nicht mehr funktioniert.

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Mehr dazu (und auch mehr Bilder) morgen; hier zum Nachhören Statements von Flottillenadmiral Jörg Klein und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen:

O-Ton Klein

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O-Ton von der Leyen

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(Foto oben: Die Bonn in See, im Hintergrund die griechische Insel Chios; Foto unten: von der Leyen und Flottillenadmiral Klein, im Hintergrund ein Schiff der türkischen Küstenwache; Karte: Position der Bonn bei der Ankunft von der Leyens/OpenStreetMap)