Gesetz für „Neuen Wehrdienst“ steht: Parlament gibt „Aufwuchspfad“ vor, Pflicht-Musterung bereits 2026, Losverfahren kommt

Das Gesetz für einen Neuen Wehrdienst auf vorerst freiwilliger Basis und die Regelungen für eine mögliche Wehrpflicht stehen: Nach vorherigem öffentlichen Streit haben sich die Koalitionsparteien Union und SPD auf die Details der gesetzlichen Neuregelung verständigt. Das Gesetz, das am kommenden Freitag vom Parlament verabschiedet werden soll, sieht unter anderem Vorgaben für die Vergrößerung der Bundeswehr vor. Eine Wehrpflicht soll gegebenenfalls per Gesetz wieder eingeführt werden und wird dann bei Bedarf mit einem Losverfahren verbunden. Junge Männer ab 18 Jahren können bereits kommendes Jahr zur Musterung verpflichtet werden.

Der Verteidigungsausschuss des Bundestages billigte am (heutigen) Mittwoch einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett im August verabschiedet hatte. Trotz der Zustimmung aller Regierungsmitglieder und der Befürwortung durch Bundeskanzler Friedrich Merz hatte die Union dagegen Vorbehalte, insbesondere für die Regelungen im Wieder-Inkraftsetzen einer Wehrpflicht. Mit dem jetzt vereinbarten Verfahren wurde dafür ein Kompromiss erreicht, der der Bundeswehr Spielraum lässt.

Die wesentlichen Punkte des Wehrdienstmodernisierungsgesetzes:

• Die Ziele für die Vergrößerung der Bundeswehr werden im Gesetz festgeschrieben. Damit soll schrittweise der geplante und der NATO zugesagte Umfang von mindestens 260.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten sowie mindestens 200.000 Reservisten erreicht werden.

Die Details werden im §91 des neuen Gesetzes definiert:

Aufwuchs des aktiven militärischen Personals und der Reserve
(1) Bis 2035 ist der Aufwuchs der Streitkräfte auf 460 000 Soldatinnen und Soldaten, davon bis zu 260 000 aktive Soldatinnen und Sol-
daten und mindestens 200 000 Reservistinnen und Reservisten zur Erfüllung der NATO-Fähigkeitsziele, vorgesehen. Dem liegt folgender
Aufwuchspfad zugrunde:

• Vorkehrung für eine Bedarfswehrpflicht

Im neu gefassten §2a des Gesetzes nimmt das Parlament Abstand von der ursprünglich vom Verteidigungsministerium vorgesehenen Regelung, eine mögliche Wehrpflicht per Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages anordnen zu können. Statt dessen ist ein Gesetz vorgesehen – und dann auch ein Losverfahren:

Der Bundestag entscheidet durch Gesetz über die Einsetzung einer Bedarfswehrpflicht, insbesondere wenn die verteidigungspolitische Lage oder die Personallage der Streitkräfte dies erforderlich macht. Dabei soll sich die Einberufung … am Bedarf der Streitkräfte orientieren. Übersteigt die Zahl der für den Grundwehrdienst zur Verfügung stehenden geeigneten Wehrpflichtigen den Bedarf, kann für die Auswahl der einzuberufenden Wehrpflichtigen ein Zufallsverfahren
vorgesehen werden, wenn alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft sind. Die Ausgestaltung dieses Verfahrens bleibt einer weiteren gesetzlichen Regelung vorbehalten.

Mit anderen Worten: Die Wehrpflicht kommt, wenn der festgelegte Bedarf an Soldaten und auch Reservisten, s. obige Tabelle, mit Freiwilligen nicht gedeckt werden kann. Da es dann aber durchaus passieren kann, dass mehr wehrpflichtige junge Männer – denn weiterhin können nur die verpflichtet werden – zur Verfügung stehen als die Bundeswehr braucht, wird ausgelost. Die von Generalinspekteur Carsten Breuer ins Gespräch gebrachte Überlegung für eine Auswahlwehrpflicht wollte die Koalition nicht weiterverfolgen.

Fragebogen für alle, verpflichtende Musterung für Männer

Wie bereits im ersten Entwurf vorgesehen, sollen ab dem kommenden Jahr alle jungen Deutschen ab dem Geburtsjahrgang 2008 einen Fragebogen erhalten, in dem ihre Bereitschaft zum Dienst in den Streitkräften ebenso abgefragt wird wird Ausbildung und körperliche Fitness. Männer müssen ihn ausfüllen, abgeleitet aus der Vorgabe des Grundgesetzes, dass eine Pflicht zum Dienst an der Waffe eben nur für Männer gilt. Wenn sie das nicht tun, ist das eine Ordnungswidrigkeit – die Konsequenzen sind aber im Gesetz recht schwammig definiert: Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden.

Mit dem Fragebogen, im Gesetz als Bereitschaftserklärung bezeichnet, will die Bundeswehr Auskunft über

1. Angaben zur Person, zum Geschlecht, zum Familienstand und zu weiteren Staatsangehörigkeiten, soweit diesbezüglich durch das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr vorausgefüllte Angaben nicht zutreffen oder nicht vollständig sind,
2. Interesse an einem Wehrdienst in der Bundeswehr,
3. Körpergröße und Gewicht,
4. Schwerbehinderung oder eine entsprechende Gleichstellung,
5. Bildungsabschlüsse sowie sonstige Befähigungen und Qualifikationen,
6. Selbsteinschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit,
7. Wehrdienst in fremden Streitkräften.

Für Männer soll neben der Pflicht zu den Antworten auf diese Fragen auch eine Musterung verpflichtend eingeführt werden – und zwar bereits mit dem geplanten Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2026. Allerdings, so heißt es aus dem Verteidigungsministerium, werde die Bundeswehr zunächst vorrangig diejenigen mustern, die sich freiwillig für den Dienst in der Truppe melden – also faktisch eine Einstellungsuntersuchung. Je nach verfügbaren Kapazitäten, die erst aufgebaut werden müssen, sollen dann Männer ab dem Geburtsjahrgang 2008 auch ohne Interesse an einem Wehrdienst in der Bundeswehr die Musterung durchlaufen.

Das Verteidigungsministerium hatte ursprünglich den Beginn einer verpflichtenden Musterung auf Mitte 2028 festlegen wollen und im Gesetzentwurf auf Mitte 2027 vorgezogen. Das erneute Vorziehen bereits auf 2026 dürfte sowohl dem Wunsch der Union entsprochen haben als auch dem Bedürfnis des Ministerums, möglichst schnell einen Überblick zu bekommen, wer im Ernstfall zur Verfügung stünde. Denn nach wie vor würde eine Wehrpflicht in einem Verteidigungs- oder Spannungsfall sofort wieder in Kraft gesetzt.

Freiwilliger Wehrdienst statt Soldat auf Zeit

Wer sich als Freiwillige(r) für mindestens sechs und maximal elf Monate zur Bundeswehr verpflichtet, wird nicht – wie vom Ministerium zunächst geplant – bereits Soldat auf Zeit (SaZ), sondern Freiwilligen Wehrdienst Leistender. Das hat Auswirkungen auf den rechtlichen Status, wenn auch nicht direkt auf die Besoldung. Ab zwölf Monaten Verpflichtungsdauer können die Soldaten und Soldatinnen dann auf Zeit angestellt werden– die Mindestdauer für eine SaZ-Verpflichtung wird also herabgesetzt.

Die Regelung in §58b:

Freiwilliger Wehrdienst als besonderes staatsbürgerliches Engagement
(1) Freiwilligen Wehrdienst als besonderes staatsbürgerliches Engagement kann leisten, wer sich verpflichtet, mindestens sechs und längstens elf Monate Wehrdienst zu leisten.
(2) Die ersten sechs Monate gelten als Probezeit.

Damit setzte sich die Union durch, die einen einheitlichen Rechtsstatus für alle als Zeitsoldaten unabhängig von der Verpflichtungsdauer abgelehnt hatte.

Wehrsoldgrundbetrag von 2.600 Euro

Wie bereits bekannt, soll der Wehrsold bereits ab dem ersten Tag 2.600 Euro monatlich betragen. Für den Dienstgrad Gefreiter wird er auf 2.630 und für Obergefreite auf 2.650 erhöht. Hinzu kommt ein Kinderzuschlag von 115 Euro je Kind. Für Auslandseinsätze kommt eine Auslandsvergütung von 495 Euro hinzu (interessanterweise deutlich weniger als der so genannte Auslandsverwendungszuschlag – und zudem ist nach dem bisher bekannten Vorgehen nicht vorgesehen, dass Freiwilligen Wehrdienst Leistende ins Ausland gehen. Ab zwölf Monaten Verpflichtungszeit sind sie aber Soldaten auf Zeit, haben also Anspruch auf den Auslandsverwendungszuschlag? Mal sehen was da rauskommt.)

• Zuschuss zum Führerschein 

Ein Zuschuss zum Führerschein für Pkw war bereits im Entwurf vorgesehen – nach der endgültigen Fassung soll es nun zudem einen höheren Zuschuss für den Lkw-Führerschein geben: Vorgesehen sind bis zu 3.500 Euro für die Pkw- und bis zu 5.000 Euro für die Lkw-Fahrerlaubnis.

Allerdings gibt’s diesen Zuschuss erst nach mindestens zwölf Monaten durchgehendem Wehrdienst. Da stellt sich doch die Laienfrage, ob es nicht sinnvoller wäre, diese Fahrerlaubnisse in der Dienstzeit zu erwerben und dann zum Beispiel auch gleich als Lkw-Kraftfahrer eingesetzt werden zu können.

(Das als erster Überblick, sicherlich wird es noch zu Details Anmerkungen und Hinweise geben)

(Archivbild 2021: Grundausbildung in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin – Tom Twardy/Bundeswehr)