Kurz erklärt: Was bedeutet Verteidigungs-/Spannungs-/Bündnis-/Zustimmungsfall?

Die sicherheitspolitischen Entwicklungen der jüngsten Zeit, die Äußerungen und Forderungen von Politikern, die Diskussion über eine Wehrpflicht – aber auch die missglückte Feldjäger-Übung in Bayern haben juristische Begriffe wieder in die Debatte gebracht, von denen lange kaum die Rede war: Was bedeutet der Verteidigungsfall, der Spannungsfall, der Bündnisfall und der kaum bekannte Zustimmungsfall? Eine kurze Übersicht.

Die entsprechenden Bestimmungen für Krise und Krieg wurden erst Ende der 1960-Jahre ins Grundgesetz aufgenommen, mit der so genannten Notstandsverfassung. Die Erläuterungen dazu finden sich recht ausführlich im Bericht des Bundestags-Rechtsausschusses aus dem Jahr 1968 (Bundestagsdrucksache 5/2873).

Angewandt wurden diese Vorschriften bisher noch nie. Zwar wurde der Bündnisfall der NATO nach den Angriffen vom 11. September 2001 in New York und Washington ausgerufen. Die Bundeswehr unterstützte in diesem Rahmen den Bündnispartner USA; die innerstaatlichen Regelungen in Deutschland wurden in diesem Zusammenhang aber nicht in Kraft gesetzt.

Die einzelnen Regelungen:

• Verteidigungsfall

Die offensichtlichste und selbsterklärende Regelung: Bei einem bevorstehenden oder bereits begonnenen Krieg gegen Deutschland gilt die Bestimmung im Grundgesetz: Wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht, kann der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit den Verteidigungsfall feststellen, wie Artikel 115a der Verfassung festlegt. Zusätzlich ist die Zustimmung des Bundesrates erforderlich – allerdings sieht der Grundgesetzartikel auch Ausnahmeregelungen für den (ja nicht unwahrscheinlichen) Fall vor, dass dieses Verfahren nicht eingehalten werden kann.

Mit der Erklärung des Verteidigungsfalls treten mehr oder weniger automatisch die Notstandsgesetze in Kraft, die für diesen Fall vorgesehen sind – vom Übergang der Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin bis zu Eingriffen des Bundes in die Landesverwaltungen. Aber auch der Zugriff des Staates auf die Wirtschaft oder die Arbeitsleistung einzelner Bürger wird möglich. Nicht zuletzt tritt die ausgesetzte Wehrpflicht für Männer automatisch wieder in Kraft.

• Spannungsfall

Ebenfalls mit Zweidrittelmehrheit kann der Bundestag nach Artikel 80a des Grundgesetzes den so genannten Spannungsfall feststellen. Er gilt als Vorstufe des Verteidigungsfalles und richtet sich nach vorherrschender juristischer Meinung auf eine außenpolitisch bedingte Krisenlage, also nicht zum Beispiel auf innere Unruhen.

Auch im Spannungsfall wird die Wehrpflicht automatisch reaktiviert, zudem treten Teile der Notstandsverfassung in Kraft – und die Bundeswehr erhält mehr Handlungsmöglichkeiten im Inland. (Aus diesem Grund gab es in den vergangenen Wochen auch nach den zahlreichen Drohnen-Vorfällen den Vorschlag, den Spannungsfall auszurufen.)

• Bündnisfall

Der Grundgesetzartikel 80a regelt im Absatz 3 auch den sogenannten Bündnisfall. Die Bestimmung sieht vor, dass Notstandsgesetze angewandt werden können, wenn ein Beschluss von einem internationalen Organ im Rahmen eines Bündnisvertrages mit Zustimmung der Bundesregierung gefasst
wird. Bei der Ausrufung des Bündnisfalles hat der Bundestag formal kein Mitspracherecht. Das Parlament kann in diesem Fall aber die Anwendung der Notstandsgesetze stoppen; dafür ist allerdings eine (einfache)  Mehrheit aller Abgeordneten erforderlich, die so genannte Kanzlermehrheit.

Als die Regelung 1968 in die Verfassung kam, hatte sie nur für Beschlüsse im Rahmen der NATO Bedeutung. Allerdings hatte der Bundestags-Rechtsausschuss schon schon damals vorhergesehen: Zu denken wäre jedoch nicht nur an Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der NATO, sondern auch in etwaigen ähnlichen Verteidigungsbündnissen der Zukunft. 

• Zustimmungsfall

Auch der bislang öffentlich wenig bekannte Zustimmungsfall ist im Grundgesetzartikel 80a definiert. Danach kann der Bundestag unterhalb der Ebene des Spannungsfalls mit einfacher Mehrheit einzelne Bestimmungen der Notstandsgesetze in Kraft setzen. Das gilt nicht für alle diese Vorschriften – zum Beispiel nicht für Arbeitsverpflichtungen für die Zivilbevölkerung, für die eine
Zweidrittelmehrheit nötig ist.

Dagegen reicht für Bestimmungen zum Beispiel des Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetzes in diesem Fall die einfache Mehrheit aus, einschließlich der darin vorgesehen Anordnung von
Behörden, den Aufenthaltsort nicht zu verlassen. Auch das Verkehrssicherstellungsgesetz mit Regelungen, um die für Zwecke
der Verteidigung erforderlichen lebenswichtigen Verkehrsleistungen, insbesondere zur Versorgung der Zivilbevölkerung und der Streitkräfte, sicherzustellen könnte auf diese Weise in Kraft gesetzt werden.

(Offenlegung: Ich bin kein Jurist und habe mir deshalb für diese Erläuterung juristisches Fachwissen von einem Kenner geholt: Dieter Weingärtner war bis 2018 Leiter der Rechtsabteilung im BMVg)

(Archivbild März 2024: Feldjäger bei der Übung Allied Spirit 24 auf dem US-Übungsplatz Hohenfels in Bayern –  U.S. Army National Guard photo by Staff Sgt. Justin Hough)