Die Bundeswehr und ihre Reserve: Jetzt neu mit Kundenbindung

Gut zehn Jahre nach Aussetzung der Wehrpflicht hat die Bundeswehr damit begonnen, ausscheidende Soldatinnen und Soldaten verpflichtend als Reserve für die Streitkräfte vorzusehen. Die neu eingeführte so genannte Grundbeorderung für sechs Jahre setzt allerdings weiterhin auf die – in Friedenszeiten – freiwillige Bereitschaft, als Reservist*in Dienst zu leisten.

Während sich jede Kreissparkasse und jeder Mobilfunkanbieter  so lange wie rechtlich zulässig an ausgeschiedene Kunden mit der Frage wendet, ob sie nicht zurückkehren wollen, hatten die Streitkräfte das in den vergangenen Jahren ignoriert: Wer als Soldatin oder Soldat aus der Truppe ausschied, wurde von der Bundeswehr schlicht nicht weiter beachtet. Nur wer von sich aus die Bereitschaft zeigte, als Reservist zur Verfügung zu stehen, und sich auch aktiv um eine Beorderung bemühte, wurde zu den so genannten Reservistendienstleistungen (RDL, früher schlicht Wehrübung) einberufen.

Seit Anfang September greift die Neuregelung, die 2019 mit der damals beschlossenen Strategie der Reserve angelegt wurde: Beim Ausscheiden werden alle Soldatinnen und Soldaten von Amts wegen grundbeordert. In den letzten sechs Monaten vor Dienstzeitende, erläuterte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums, werden dafür Gespräche über eine so genannte Beorderungsstelle geführt, auf der Reservist*innen Dienst leisten können oder sollen. Dabei sollen Ausbildung und Kenntnisse berücksichtigt werden, damit die Bundeswehr diese Qualifikationen auch weiterhin nutzen kann.

Erstmals verschaffen sich damit die Streitkräfte auch den Überblick, welche Reserve mit welcher Ausbildung überhaupt zur Verfügung steht. Bislang war auch dieser Informationsstand vom eigenen Engagement der Reservisten abhängig.

Die sechs Jahre dauernde Grundbeorderung ist für alle vorgesehen, die bei Ausscheiden höchstens 57 Jahre alt sind, und endet – dann ggf. auch früher – mit Vollendung des 60. Lebensjahres. Allerdings: Am Prinzip der Freiwilligkeit wird nicht gerüttelt; es werden also keine Soldaten wie zu Zeiten der Wehrpflicht zu verpflichtenden Wehrübungen einberufen.

Die Grundbeorderung (GBO) ist die grundsätzliche Einplanung (Beorderung im Ergänzungsumfang der Bundeswehr) aller wehrdienstfähig aus dem aktiven Dienst ausscheidenden Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in die Reserve für einen Zeitraum von sechs Jahren, heißt es in der Strategie der Reserve. Damit solle die personelle Grundlage für den zügigen Aufwuchs in einem möglichen Bereitschafts-, Spannungs- oder Verteidigungsfall geschaffen werden.

Interessant ist dabei nicht nur der – gesetzlich eindeutig geregelte – Verteidigungs– und Spannungsfall, der vom Bundestag beschlossen werden muss. Bereits unterhalb dieser doch recht hohen rechtlichen Schwelle soll die Heranziehung von Reservisten auch ohne freiwillige Zustimmung eben auch im Bereitschaftsfall gelten, der nicht der Billigung des Parlaments bedarf. Was das eigentlich ist, erklärt das Verteidigungsministerium so:

Der Bereitschaftsfall liegt vor, wenn von der Bundesregierung Wehrübungen als Bereitschaftsdienst gemäß § 6 Absatz 6 des Wehrpflichtgesetzes angeordnet worden sind.
Das setzt grundsätzlich eine relativ spät anzusiedelnde Stufe einer außenpolitische Krisenlage voraus, d.h. einer Phase steigender internationaler Spannungen, die den bestehenden Zustand soweit stört, dass besondere Maßnahmen zu ihrer Bewältigung erforderlich werden, ohne dass schon der Spannungs- oder Verteidigungsfall eingetreten ist.
Für diesen Fall sind zusätzliche Erleichterungen und Beschleunigungen für das Musterungs- und Einberufungsverfahren vorgesehen.
Die Ermächtigung der Bundesregierung zur Anordnung des Bereitschaftsdienstes ist von keiner im Gesetz formulierten Voraussetzung, auch nicht vom Spannungsfall, abhängig.
Es handelt sich nicht um einen Akt der Rechtsetzung, sondern um einen Regierungsakt, der nur auf der Einschätzung einer politischen Situation beruht und für den die Bundesregierung lediglich parlamentarisch verantwortlich ist.
Die Bundesregierung handelt insofern nur nach ihrem politischen Ermessen. Es handelt sich hierbei nicht um den Einsatz bewaffneter Streitkräfte.

Mit der Neuregelung soll die Bundeswehr schon im Frieden die – derzeit praktisch nicht vorhandenen – Strukturen für einen raschen Aufwuchs der Streitkräfte bekommen. Jährlich wächst damit die Größe der Reserve um die rund 20.000 Männer und Frauen, die im Schnitt pro Jahr ausscheiden. Zum Vergleich: Derzeit sind rund 30.000 Reservistinnen und Reservisten beordert, also auf Dienststellen vorgesehen – allein aufgrund ihrer frewilligen Meldung.

(Archivbild April 2020: Stabsunteroffizier der Reserve Frank Sann, der sich freiwillig zur Hilfe in der Corona-Pandemie gemeldet hatte, bei der Unterstützung auf einer  internistischen Intensivstation – Andreas Weidner/Bundeswehr via Reservistenverband)