Alexander Szandar: Abschied von einem Freund
Mit seinen Berichten in der Süddeutschen Zeitung und vor allem lange Jahre im Spiegel hat Alexander Szandar das öffentliche Bild der deutschen -Streitkräfte geprägt – obwohl vielen Lesern sein Name kaum ein Begriff gewesen sein dürfte. Der Journalist, der 1984 die Affäre um den geschassten Bundeswehrgeneral Günter Kießling öffentlich machte, über die Bundeswehr im Umbau nach dem Kalten Krieg berichtete und bis zu seinem Abschied 2009 (fast) jeden Auslandseinsatz besuchte, ist in der vergangenen Woche in Bonn gestorben.
Anfang Januar 1984 brachte Szandar mit einer – nur mit dem Kürzel sza gezeichneten – Meldung in der Süddeutschen Zeitung die Kießling-Affäre ins Rollen. Warum der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner den Vier-Sterne-General vorzeitig und noch dazu ohne den üblichen großen Zapfenstreich in den Ruhestand schickte, hat die Neugier des Journalisten in der Bonner SZ-Redaktion geweckt. Am Ende standen ein rehabilitierter General und ein politisch beschädigter Minister.
Die Kießling-Affäre lässt sich bei Wikipedia nachlesen. Szandars Anteil daran wird dort zwar erwähnt, einen eigenen Eintrag bekommt er aber nicht. Vielleicht typisch für eine Zeit, in der Journalisten – von wenigen Ausnahmen abgesehen – namentlich kaum bekannt wurden. Aber auch typisch für die zurückhaltende Art des Bayern Szandar, der schreiben wollte – aber nie die große Bühne suchte. Die Münchner Sicherheitskonferenz begleitete er seit der Zeit, als sie noch Wehrkundetagung hieß. In den Saal im Bayerischen Hof wie seine Kollegen aus der Chefredaktion brachte ihn das nie.
Als ich Szandar 1993 kennenlernte, war er bereits sechs Jahre beim Spiegel und einer der wesentlichen Kenner von Bundeswehr und Sicherheitspolitik in deutschen Medien. Wir reisten beide mit dem Technischen Hilfswerk nach Somalia: In dem ostafrikanischen Land stand der erste bewaffnete Auslandseinsatz der Bundeswehr bevor. Mit gewissem Neid schaute ich auf Alexander, der sich auf die Recherche konzentrieren konnte – während von meinem damaligen Arbeitgeber, der Nachrichtenagentur Associated Press (AP), selbstverständlich auch während der Reise eine aktuelle Berichterstattung erwartet wurde.
Als der Spiegel-Kollege allerdings für den wöchentlichen Redaktionsschluss – der Spiegel erschien damals, weit vor der Verbreitung des Internets, nur als wöchentliches gedrucktes Magazin – seinen Bericht absetzen musste, lag ich vorn: noch während der Spiegel das Blatt zumachte, wurde der vorgesehene Stationierungsort der Bundeswehr geändert, von Bosaso im Norden Somalias auf Belet Huen in der Mitte des Landes. Und während Szandar auf dem Rückweg nach Deutschland war, reiste ich nach Belet Huen. Diesmal hatte der Spiegel die Story nicht.
Szandar und ich wurden Freunde, trotz beruflicher Konkurrenz. Selbst als ich 1999 von AP zum damaligen Spiegel-Konkurrenten Focus wechselte. Damit wurden wir zugleich erbitterte Mitbewerber. Und jeder von uns beiden versuchte, dem anderen mit einer möglichst exklusiven Geschichte zuvorzukommen.
Aber nicht immer. Bisweilen entdeckten wir, dass das Motto Vereint marschieren, getrennt schlagen in der Berliner Politikwelt wunderbar funktionierte. Wie eng wir kooperierten, ging niemanden etwas an, schon gar nicht unsere damaligen Chefredaktionen. Entscheidend war das Ergebnis.
So überredeten wir Verteidigungsminister Peter Struck, zu dem wir beide ein gutes Verhältnis hatten, uns doch einen gemeinsamen Gesprächstermin zu geben: der vielbeschäftigte Ressortchef, so unser Argument, könne dann auf einen Streich mit den beiden (damals) wichtigsten Politikmagazinen des Landes sprechen und so Zeit sparen. Das Gespräch fand statt, und Strucks Sprecher Norbert Bicher schimpfte danach: Hätte er geahnt, dass es zu einem Kreuzverhör ausarten würde, hätte er dem nie zugestimmt.
Natürlich waren unsere Geschichten so unterschiedlich wie die Zielrichtung und die Leserschaft der beiden Magazine, für die wir arbeiteten. Aber nach einer Reise mit Verteidigungsminister Franz-Josef Jung in den Libanon war schon klar, wie nahe unsere Analysen lagen: Der Selbstverteidiger, titelte Szandar im Spiegel, Steuermann auf Schlinger-Kurs war meine Geschichte im Focus überschrieben.
Neidlos muss ich dennoch eingestehen, dass mich Szandar in Detailkenntnis, Vernetzung und nicht zuletzt lakonischer Beschreibung der Wirklichkeit bei weitem übertraf. Und die Probleme der Streitkräfte, die vor Jahrzehnten (bis auf die Geldnot) so viel anders nicht aussahen, fasste er schon 1999 so zusammen: Ein bißchen Tempo würde nicht schaden, denn die Probleme drängen: Die geplante neue Nato-Strategie, Geldnot und grassierende Kriegsdienstverweigerung fachen eine neue Debatte um die Wehrpflicht und die Truppenstärke an.

Es wäre schön gewesen, in den vergangenen Jahren und der so drastisch veränderten sicherheitspolitischen Lage die Analysen Szandars zu lesen. Doch der Spiegel schickte ihn bereits 2009, vor seinem Rentenalter, in den Ruhestand. Bei der Abschiedsfeier mit Gästen aus Medien und Politik am 12. Oktober im damaligen Berliner Spiegel-Büro mit Blick auf das Brandenburger Tor war der prominenteste Redner Ex-Verteidigungsminister Struck. Der bedankte sich vor allem für die Fairness, mit der Szandar ungeachtet aller – auch bisweilen ätzenden – Kritik die Objekte seiner Berichte behandelt habe.
Mit dem Ausscheiden – fast hätte ich geschrieben: aus dem aktiven Dienst – verzichtete der Ruheständler völlig auf jegliche publizistische Arbeit. Nach einigen Jahren in Berlin zog es ihn und seine Lebensgefährtin wieder nach Bonn, wo er nach langer schwerer Krankheit im Alter von 77 Jahren starb.
(Foto oben: Szandar im März 2005 in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo vor einem Bundeswehr-Bus)

Grosser Dank für Ihren „Worte“ zum Tode eines Journalisten. dessen Beiträge ich seit seiner Zeit bei der SZ immer gelesen habe. Szandar und Bundeswehr und Bundeswehr und Szandar, das war es.
Alexander Szandar – das war und ist es. Qualität.
Ein wirklich schöner Nachruf.
Die sehr treffende Beschreibung der Person Alexander Szandars will ich nur zu gerne bestätigen. Ich habe Herrn Szandar und Thomas Wiegold oft bei sicherheitstpolitischen Veranstaltungen getroffen und das waren immer interessante Gespräche. Er war nicht immer einfach,,aber eine gewinnende Persönlichkeit.
Vielen Dank für diesen gleichermaßen berührenden wie sachlichen Nachruf. In einer immer schnelllebrigen Welt sind ausführliche und detailierte Reportagen mehr wie wichitig. Sie zu verfassen ist eine Kunst und eine auf die ich neidisch bin.
Vielen Dank für diesen so treffenden und schönen Nachruf. Alexander Szandar war ein Gentleman des Journalismus – engagiert, klug und menschlich. Er wird fehlen. Über viele Jahre prägte er mit seiner fachlichen Tiefe, seiner unaufgeregten Art und seinem feinen Gespür für verteidigungspolitische Zusammenhänge die Berichterstattung über die damalige Verteidigungspolitik. Ich erinnere mich vor allem in meiner Zeit als Kommunikationschef und Pressesprecher der Münchner Sicherheitskonferenz gerne an die stets freundliche, kollegiale Zusammenarbeit mit ihm. Seine Fragen waren präzise, sein Wissen beeindruckend, sein Ton immer respektvoll.
Unvergessen bleiben auch seine legendären Hintergrundrunden im Palaiskeller des Bayerischen Hofs während der Münchner Sicherheitskonferenz – Gesprächsrunden, zu denen mancher Minister oder Staatssekretär lieber ging, als an einem der offiziellen Abendessen teilzunehmen. Ruhe in Frieden, lieber Alexander Szandar.
Vielen Dank für diesen Nachruf….. Als seinerzeitiger Mitarbeiter einer Abgeordneten im Verteidigungsausschuss war es damals immer wichtig, u.a. Szandar-Artikel als Kopie in die Ausschussmappe zu legen oder sofort in den Wahlkreis zu faxen… Tja… im analogen Zeitalter, als gute Berichte nicht hektisch binnen Stunden online sein mussten und man nicht so einfach „den Link aufs Handy“ senden konnte…oder alles in Echtzeit angezeigt wird…
Schöne und wahre Worte. Eine schon lange verstummte gewichtige Stimme ist nun endgültig nicht mehr da.
Alexander war von einer Art und Güte, die heute wohl außer Mode gekommen ist. Die menschenfreundliche Grundhaltung bei scharfer Beobachtung und noch schärferer Feder – er hatte Gewicht und sich seine Achtung voll verdient. Den nicht nur gelegentlichen systemischen Irrsinn im Verteidigungs-Ökosystem beschrieb er so, dass die Angesprochenen noch Chance und Raum hatten, hier Abhilfe zu schaffen. Der erwähnte Abschiedsabend mit Peter Struck bleibt für mich unvergesslich. So wie Dein Werk und die vielen (doch zu seltenen) Begegnungen. Ruhe in Frieden.
Ein sehr persönlicher und wertschätzender Nachruf. Danke dafür!
Ein schöner Nachruf auf einen der immer weiter aus der Welt der Medien schwindenden Qualitätsjournalisten…
Auf dem Bild guckt er sogar richtig „euforisch“. Möge er in Frieden(szeiten) ruhen.
Großer Dank für diesen großen Nachruf!
Danke für den gelungenen Nachruf.
Ich erinnere mich gerne an die Zeit.
Lieber Thomas
vielen Dank für Deinen ausführlichen und treffenden Nachruf. Ich werde nie vergessen wie Alexander unsere Jet News begleitet hat und uns als VBsK stets beratend zur Seite stand.
Mit seinem Tot verliert dieses Land einen seiner besten Berichterstatter im sicherheitspolitischen Bereich und ich einen guten Freund und „Mentor „.
Alexander Szandar war ein sehr guter Kenner und Analyst der Sicherheitspolitik. Seine Vernetzung war für mich beeindruckend. Er berichtete über Beschaffungsvorlagen, bevor die Leitungsebene im BMVg davon Kenntnis genommen hatte. Dies zu unterbinden (was die politische Leitung natürlich versuchte) gelang strukturell nicht. Ja und manchmal empfand jedenfalls ich als Parlamentarischer Staatssekretär es so, dass seine Analysen, die man lesen konnte (noch im
Print und nicht online) auch manche Glättung aufdeckten, die über die lange Leiter der „Mitzeichnung“ Vorlagen erlebten, um sie geschmeidiger zu machen. Gute persönlicher Austausch „unter drei“, aber auch privat, war mit ihm möglich und substantiell. Ein guter Journalist mit einem Herz für Verteidigungspolitik ist von uns gegangen. R.i.P.
Christian Schmidt
Lieber Thomas Wiegold,
vielen Dank für Ihre ausführlichen und treffenden Nachruf. Journalismus im Bereich des Verteidigungswesen / Militäralltags ist unheimlich wichtig! Ich (geboren 1965) benötige die Einschätzung des Verstorbenen ebendso wie Ihre Einschätzung für MEINE persönliche Meinungsfindung und denke, Ihre und auch die von Herrn Szandar über Jahrzehne gezeigte gesellschaftliche Verantwortung für die politische Bildung unserer Gesellschaft ist nicht mit Gold zu bezahlen.
Thorsten Kiekbusch
okay, Auftrag erkannt: Beitrag zu Szandar anlegen. Können Sie da helfen? Er ist ja eben nicht so bekannt wie Kießling. Übrigens: er hat mir zum Skandal viel Hintergrund geliefert, aber wollte nicht in den Vordergrund geschoben werden. Das war auch eine seiner Eigenschaften. Zurückhaltung. Er hatte einen weiten Horizont. Schade, dass man ihn nicht mehr fragen kann.
Lieber Thomas, vielen Dank für diesen schönen Nachruf. Auch ich habe Alexander sehr geschätzt und erinnere mich gerne an viele Begegnungen mit ihm zurück. Er wird fehlen.
Ein würdiger und zutreffender Nachruf.. Alex und ich haben in vielen Jahren beim „Spiegel“ sehr eng kooperiert und nicht nur jede Rakete beim Namwn genannt, sondern vor allem die außen- und sicherheitspolitischen Inplikationen transparent gemacht – oft exklusiv. Mit Alex verliere ich einen wunderbaren Freund, dessen unbestreitbare Kompetenz und menschliche Zuverlässigkeit und Herzlichkeit ich viel zu verdanken habe.
Der Nachruf hat mich sehr berührt. Ich habe mit Alexander 1973 im Deutschen Dienst der BBC zusammen gearbeitet. Bestechend war seine Art, die Nachrichten und Berichte des Rundfunksenders für den Hörer darzustellen. Er wurde ein guter Freund bis zu seinem Tod und werde ihn sehr vermissen.