Krieg in der Ukraine: Drohnen als wichtigste Munition, deutsche Waffensysteme zu kompliziert
Der Vortrag, den der stellvertretende deutsche Militärattaché in der Ukraine an der Unteroffiziersschule des Heeres in Delitzsch bei Leipzig hielt, ist zwar schon fast zweieinhalb Monate her. Seine Schlussfolgerungen aus dem Krieg in der Ukraine dürften die deutschen Streitkräfte aufgeschreckt haben: Der Stellenwert von Drohnen auch und gerade als Munition ist noch höher als gemeinhin bekannt. Und: deutsche Waffensysteme sind, so das Fazit, zum großen Teil nicht uneingeschränkt kriegstauglich.
Über die Zusammenfassung des Vortrags hatten zuerst ARD und Süddeutsche Zeitung berichtet. Das Papier liegt Augen geradeaus! vor.
Als wesentliche Erkenntnis findet sich darin gleich zu Beginn die Einschätzung der Bedeutung unbemannter Systeme, insbesondere fliegender Drohnen (Unmanned Aerial Systems, UAV):
UAV ist eine beherrschende „Munitionsart“ (mit Trefferrate 50%) an der Front. … Ein vollständiges Behersschen des Raumes bis 6 km Tiefe durch UAV (LMS) [Loitering Munition Systeme, T.W.] liegt vor. Der tägliche „Verbrauch“ von UAV (FPV, Aufklärung, Electronic Warfare-Träger, „Mutter-UAV“) beträgt ca. 400 Stück, ca 4 Mio werden jährlich oft in Heimarbeit produziert, ca. 30.000 in Lagern weil durch Gegenmaßnahmen zurzeit nicht einsetzbar (oft hilft ein Softwareupdate in Bezug auf die Gegenmaßnahme). „KI übernimmt das Ruder“, da durch russische Electronic Warfare sehr oft weite Abschnitte gesperrt werden (GPS-denied areas).
Neben den fliegenden Drohnen werden allerdings auch unbemannte Transportfahrzeuge immer wichtiger. Dabei geht es um das Verlegen von Minen ebenso wie um elektronische Kriegführung und die Versorgung. Und um den Verwundetentransport. Der ist ohnehin eine große Schwachstelle, hieß es in dem Vortrag: die durchschnittliche Wartezeit auf den Transport vom Ort einer Verwundung (KORREKTUR, nicht Verwendung) zu einer Sanitätsversorgung zur Stabilisierung liege bei acht Stunden – sie könne aber auch drei Tage betragen.
Bei deutschen Waffensystemen, die an die Ukraine geliefert wurden, kommt der Vortrag zu dem Schluss: Kompliziertes Gerät bleibt ungenutzt, vor allem, wenn keine Instandsetzung durch die Truppe selbst vor Ort möglich ist. Das – bei der Bundeswehr übliche – System der Instandsetzung durch zivile Mitarbeiter sei in der Ukraine in Frontnähe praktisch ausgeschlossen. Damit seien vor allem die komplizierteren Waffensysteme Panzerhaubitze 2000 und Kampfpanzer Leopard 2A6 nur von geringem Gesamtnutzen.
Folgerichtig gilt denn auch der Flugabwehrkanonenpanzer Gepard, der in der Bundeswehr vor mehr als einem Jahrzehnt ausgemustert wurde, als das beliebteste, effizienteste und zuverlässigste Waffensystem. Auch der Jahrzehnte alte Schützenpanzer Marder sei ein sehr beliebtes Gefechtsfahrzeug ohne Einschränkung.
Je moderner das Waffensystem, um so schwieriger ist angesichts der Herausforderungen an Front-Tauglichkeit und Instandhaltung der Einsatz in der Ukraine. So gelte die Panzerhaubitze 2000 zwar nach ihren Leistungsdaten als hervorragendes Waffensystem, habe aber so hohe technische Anfälligkeit, dass Kriegstauglichkeit stark in Frage gestelt wird. Beim Leopard 2A6 mache sich ebenfalls negativ der hohe Aufwand bei Instandsetzung bemerkbar, zudem sei oft keine Feldinstandsetzung möglich.
Neben der technischen Komplexität behindern offensichtlich auch andere Faktoren den Einsatz der von der Bundeswehr gelieferten Waffensysteme an der Front. So sei der Raketenwerfer MARS zwar vor allem wegen seiner Reichweite der „Gamechanger“ auf dem Gefechtsfeld – aber die deutschen Werfer dürften nicht mit Streumunition eingesetzt werden, was sie nur teilweise durch Ukraine nutzbar mache. Das Flugabwehrsystem Iris-T in den Varianten SLM und SLS habe sehr gute Wirkung – aber einen zu hohen Preis für die Munition.
Uneingeschränkt kriegstauglich ist kaum ein deutsches Großgerät, heißt es in der Zusammenfassung des Vortrags. Als unmittelbare Lessons Learned für die Truppe werden allerdings erstmal kurzfristige Schritte für die Ausbildung in Deutschland empfohlen: Unter anderem müsse die Truppe lernen, mit langfristigem Ausfall der Funkverbindungen zu leben, die durch gegnerische elektronische Kampfführung mit stundenlangem Sperren fast aller Funkkreise und Ausfall der Satellitennavigation blockiert würden. Und: der Anteil der Sanitätsversorgung in den Übungen, so ein Fazit des Vortrags, müsse erheblich verstärkt werden: mit mehr und besserer Ausbildung aller Soldaten.
Eine weitere Erkenntnis aus dem Vortrag Ende Januar ist längst beim Generalinspekteur angekommen. UAV-Kampf und Abwehr gehören zum Fähigkeitsspektrum jedes Einzelschützen, hieß es an der Unteroffiziersschule des Heeres in Delitzsch. Vergangene Woche ließ General Carsten Breuer im Bundeswehr-internen Podcast Auf Augenhöhe mit dem Generalinspekteur erkennen, dass diese Botschaft verstanden wurde: Ich glaube, dass wir dazu kommen müssen, dass wir Drohnen als Jedermannaufgabe verstehen. … Also wenn heute jeder sein Doppelfernrohr nutzt, um damit eben auf weite Entfernungen schauen zu können, wird genau das vielleicht in Zukunft eine Drohne machen …. Und so wie heute jeder von uns mit einer völligen Selbstverständlichkeit ein Doppelfernrohr nutzt, so muss man zukünftig dann auch Drohnen nutzen.
@Rohrputzer sagt:
16.04.2025 um 11:28 Uhr: Danke für die Info, auch wenn mir vieles davon auch klar ist – wir werden und können von den Ukrainern sehr viel lernen wie auch die Ingenieure und Firmen, die unsere Waffen herstellen. Mir ist auch klar, dass die Ukrainer unseren Einsatz im „verbundenen Gefecht“ so nie kennengelernt haben; sie setzen Panzer im Einzelgefecht ein, als Infanteriebegleitung usw. Auch die Anzahl an Geschützen und Panzern ist bei der langen Frontlinie viel zu gering.
Es wird interessant sein zu beobachten, wie lange die Umsetzung der Erkenntnisgewinne bei unserer überbürokratisierten Bundeswehr und der Industrie dauern wird. Immerhin sind einzelne hoffnungsvolle Ansätze ja vorhanden, vor allem in der Drohnentechnologie.
@Kettengesicht
„Das funktioniert nicht. Nicht mal auf kurze Entfernung.
Dazu brauchts auch keinen Anfängerkurs in „Innen- und Außenballistik für Anfänger“.
Da wäre jede Zwille besser zur Drohnenabwehr geeignet…“
Möchten sie uns Nichtballistikexperten vielleicht noch aufklären, warum das nicht funktioniert?
Ich hätte bei dem Konzept, Ein Sturmgewehr mit Schrot zu betreiben lediglich Zweifel, ob das immer zuverlässig funktioniert und nicht sehr bald den Lauf zerstört.
Aber das Grundprinzip, viele kleine Projektile mit hoher Schussfrequenz scheint mir dem Konzept überlegen, mit Muskelkraft und langsamer Schussfrequenz ein Projektil auf ein bewegliches kleines empfindliches Ziel abzufeuern.
@Thomas Melber
Sie sprachen von „vorgelagert“.
Was bedeutet das?
@lukan:
Da Flinten einen
glatten Laufpardon; ein glattes Rohr, haben, und die spezifische Härte von Blei-, oder auch bleifreien Schroten erheblich geringer ist, als die des Materials der Waffe, ist allenfalls die Schussfrequenz und die Zuführung der Munition von kritischer Bedeutung. Es gibt schon recht passable Selbstladeflinten am Markt, auch entsprechende Munition gibt es in verschiedenen Varianten und Kalibern. Es muss ja nicht immer 12/76 sein. Und das prinzip rotierender Revolverkanonen funktioniert bei Schrot genauso wie sonst auch. Das MG6 wurde ja auch aus der größeren M61 Vulcan adaptiert, um 7,62×51mm NATO zu verschießen. Es gab auch mal einen Flakpanzer mit der Vulcan, bis dann irgendwann das Phalanx-System zur Nahbereichsabwehr entstand. Noch dazu gibt es schon im Kaliber 20mm die AHEAD-Munition mit elektronischer Zerlegung und Submunitionen. Schrot macht das schon out-of-the-box, nur nicht verzögert.Warum sollte es nicht auch Schrot-Gatlings geben können? Hunter-Killer-Drohnen, die andere Drohnen verfolgen und selbständig bekämpfen, könnten sogar Munition mit Steinsalz verschießen, weil sie nah genug rankommen, um damit trotzdem noch das Ziel auszuschalten. Rohre könnten dort vergleichsweise kurz und leicht sein, weil ohnehin maximale Garbenstreuung auf kürzere Distanz gewünscht sein dürfte.
@KPK
Sie sind doch sonst auf der Höhe. „Vorgelagert“ bedeutet für mich „niederschwelliger“, und dies ergibt sich bereits daraus, daß eben kein Beschluß des BT erforderlich ist sondern daß ein Kabinettsbeschluß genügt. Ob auch der IBuK dies allein entscheiden kann weiß ich nicht, nehme ich aber nicht an.
Man wird ja in einer sich langsam abzeichnenden Krise nicht gleich den Spannungs- oder Verteidigungsfall ausrufen.
@Thomas Melber
Danke für die Blumen.
Ihre Vermutungen in allen Ehren, „bedeutet für mich“ ist aber keine IBuK-, Kanzleraussage.
Vor Spannungs- oder Verteidigungsfall mit klaren Regelungen im GG ist noch der Zustimmungsfall vorgeschaltet.
Ich will’s dabei belassen.
Metallkopf sagt: 17.04.2025 um 11:58 Uhr
„Warum sollte es nicht auch Schrot-Gatlings geben können?“
Ein gleichzeitig Angriff von zwei oder mehr Drohnen aus unterschiedlichen Richtungen überwindet kanonenbasierte kinetische Abwehr zu sehr niedrigen Kosten. Ein Abwehrsystem muss mit simultanen Drohnenangriffen umgehen können, ansonsten es ist nicht funktional. Ich sehe deshalb rohrbasierte Drohnenabwehrlösungen eher kritisch.
@Christian B.
Übersättigungsangriffe sind für jedes WaSys ein Problem.