Luftwaffe-Leaks: „Ein Informationskrieg, den Putin führt“

Die – ohnehin schwierige – sicherheitspolitische Woche endete mit einem Paukenschlag (und deshalb geht’s hier auch bisschen eher weiter als geplant). Mit der Veröffentlichung einer abgehörten Konferenz deutscher Luftwaffenoffiziere zum Taurus-Marschflugkörper haben russische Staatsmedien gezeigt, dass Russland gezielt Einfluss auf die deutsche Debatte nimmt. Und zumindest zum Teil scheint das zu gelingen.

Das Luftwaffen-Leak spielte der Regierungssender RT am vergangenen Freitag aus. Das Medium veröffentlichte, zunächst auf dem Telegram-Kanal von Chefredakteurin Margarita Simonjan und später auch auf seiner deutschen Webseite, das Audio einer Schaltkonferenz und auch gleich die Abschrift. Inhalt des Gesprächs, das vermutlich am 19. Februar geführt wurde: Eine inhaltliche Vorbereitung für die – damals noch nicht öffentlich von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgeschlossene – eventuelle Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine.

(Randbemerkung: Ich stelle hier weder das Audio noch das Transkript ein – wer es sucht, findet es im Netz ohne große Mühe)

Inhaltlich ist das Gespräch wenig überraschend. Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz, sein Abteilungsleiter Ausbildung Brigadegeneral Frank Gräfe und zwei weitere Stabsoffiziere erörterten, welche Optionen beim Taurus sie der Bundesregierung anbieten könnten, falls eine Entscheidung für die Lieferung fallen könnte. Es geht um die Details bis hin zur Frage, wie umfangreich die Powerpoint-Präsentation ausfallen soll.

Allerdings kamen in der Konferenz auch Details zur Sprache, die sicherlich nicht öffentlich bekannt werden sollten: Die Treffergenauigkeit des Taurus zum Beispiel, aber auch die Frage, wie viele dieser Marschflugkörper die Luftwaffe überhaupt abgeben könnte. Und vor allem die wichtige rote Linie: Wie könnte die Ukraine den Taurus einsetzen, wenn es keine Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an der Missionsplanung geben darf? Das wäre, so der Schluss der Runde, zwar möglich – würde aber einen erheblichen Zeitaufwand allein für die Ausbildung der Ukrainer bedeuten.

Spätestens seit dem öffentlichen Nein des Kanzlers zur Lieferung scheinen diese Überlegungen zwar hinfällig. Dennoch hat das geleakte Gespräch weiterhin Sprengkraft: In der innenpolitischen Debatte wird diskutiert, ob die Begründung von Scholz für ein Nein nachvollziehbar ist. Und die Luftwaffe muss sich die Frage stellen lassen, ob sie vertrauliche Inhalte leichtfertig fremdem Zugriff ausgeliefert hat.

Die technische Frage beschäftigt, das machte Verteidigungsminister Boris Pistorius am (heutigen) Sonntag noch mal deutlich, zunächst den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Der soll sehr schnell klären, ob die Offiziere für ihre Besprechung die richtige, sprich eine hinreichend geschützte Plattform genutzt haben. Ein Problem dabei: Gräfe nahm aus seinem Hotelzimmer in Singapur zugeschaltet teil – ein mögliches Einfallstor für das Abhören durch gegnerische Nachrichtendienste. Und der weitere heikle Punkt: War die verwendete Telekonferenz-Plattform WebEx selbst bei gesicherter Verbindung aller Teilnehmer überhaupt zulässig für die technischen Details, die da besprochen wurden? An der Authentizität des veröffentlichten Gesprächs, auch das inzwischen eine Erkenntnis, scheint es keine Zweifel zu geben.

Immerhin, so sagte Pistorius, gebe es bislang keine Hinweise auf weitere abgehörte Gespräche. Aus seiner Sicht ist die innenpolitische Sprengkraft des gezielt geleakten Gesprächs als Teil russischer hybrider Kriegsführung weit Besorgnis erregender. Wenn diese Veröffentlichung zu Streit in Deutschland führe, habe der russische Präsident Wladimir Putin sein Ziel erreicht, warnte der Minister: Es geht um Spaltung. Es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben, und dementsprechend sollten wir besonders besonnen darauf reagieren, aber nicht weniger entschlossen. 

Die Pressekonferenz des Ministers zum Nachhören:

20240303_Pistorius     

 

Und das Transkript: 20240303_Pistorius_Transkript

Das ist der Ausgangspunkt für die neue Woche, in der die Debatte weitergehen wird – nach der russischen Veröffentlichungen eben auch um die Frage Taurus für die Ukraine, ungeachtet der Kanzler-Absage. Die Union hat bereits eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses beantragt, mit Teilnahme von Scholz. Und nach Pistorius‘ Ankündigung, dass der MAD seine Ermittlungsergebnisse wohl im Laufe der ersten Tage der kommenden Woche vorlegen wird, bleibt das Thema allein schon wegen der möglichen Konsequenzen in der Bundeswehr ganz oben auf der Tagesordnung.

(Archivbild: Luftwaffeninspekteur Gerhartz, l., und Gräfe bei einem Briefing zur Übung Air Defender 2023 am 5. April 2023 auf der U.S. Joint Base Andrews, Maryland – U.S. Air National Guard photo by Tech. Sgt. Sarah M. McClanahan)