Haushaltsausschuss billigt lange Liste von Bundeswehr-Beschaffungen – und macht neue Vorgaben

Angesichts von Zeitenwende, russischem Angriffskrieg gegen die Ukraine und Sondervermögen für die Bundeswehr nimmt die Zahl der Beschaffungsvorhaben für die Truppe, die das Verteidigungsministerium dem Parlament vorliegt, deutlich zu. In der letzten Sitzung vor der Sommerpause billigte der Haushaltsausschuss des Bundestages zwar die lange Liste, machte aber auch – mit den Stimmen der Koalitionsabgeordneten – Kritik am Vorgehen des Wehrressorts und vor allem an Preissteigerungen deutlich.

In der Ausschusssitzung am (gestrigen) Mittwoch lagen den Parlamentariern als größte Vorhaben die Beschaffung des künftigen schweren Transporthubschraubers mit einem Finanzvolumen von 7,2 Milliarden Euro und der Bau drei neuer Flottendienstboote mit einem Finanzumfang von nunmehr 3,2 Milliarden Euro vor. Beide Projekte fallen teurer aus als zuvor geplant, und darauf reagierte der Ausschuss mit so genannten Maßgabebeschlüssen.

Beim größten Brocken, der Beschaffung von 60 Hubschraubern des Typs CH-47F Chinook (mehr dazu hier) warnten die Abgeordneten insbesondere vor Haushaltsrisiken durch die noch fehlende Zertifizierung beim Kauf des vorgesehenen Modells. Der von den Koalitionsfraktionen initiierte Maßgabebeschluss:

Die Beschaffung einer Nachfolgelösung für den Schweren Transporthubschrauber ist eines der wesentlichen Beschaffungsvorhaben des Sondervermögens Bundeswehr, das nicht nur aus verteidigungspolitischer Sicht, sondern auch für den deutschen NATO-Beitrag höchste Priorität hat.
Bisher wird ein Modell eines Schweren Transporthubschraubers genutzt, das sich seit über 50 Jahren im Bestand der Bundeswehr befindet. Dadurch ergeben sich erhebliche Kosten für die Obsoleszenz-Beseitigung und die Nutzung. Entsprechend dringlich ist die Beschaffung einer Nachfolgelösung. Nach Darlegung des Ministeriums der Verteidigung führt die Eröffnung eines zweiten „Foreign Military Sales“-Verfahren zum jetzigen Zeitpunkt zu einer zeitlichen Verzögerung, die aus verteidigungspolitischen Gründen – auch vor dem Hintergrund der veränderten Sicherheitslage – nicht vertretbar wäre.
Für die angestrebte Nachfolgelösung des Schweren Transporthubschraubers liegt bisher keine Zertifizierung durch die US Army vor, was zu Haushaltsrisiken, auch aufgrund der Infrastrukturkosten, führen kann.
Der Haushaltsausschuss möge beschließen:
1. Entsprechend den Ausführungen des Bundesministeriums der Verteidigung zu den in der Vorlage identifizierten Risiken ist die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Risiken gering. Eine Umsetzung der Beschaffung der Nachfolgelösung für den Schweren Transporthubschrauber im Zeit- und Kostenplan ist für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr von großer Bedeutung und ist folglich einzuhalten.
2. Verzögerungen und Kostensteigerungen sind zu vermeiden. Sollten sich seitens des Ministeriums bei der Bewertung der Risiken mit ihren Eintrittswahrscheinlichkeiten Änderungen ergeben oder weitere Risiken identifiziert werden, die den Zeit- oder Kostenplan gefährden, sind der Haushaltsausschuss und der Verteidigungsausschuss unmittelbar darüber zu informieren, bspw. bei Verzögerungen durch die Zertifizierung der Luft-zu-Luft-Betankungsfähigkeit.
3. Das Ministerium ist nach Unterzeichnung des Foreign Military Sales Cases zur dauerhaften Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft aufgefordert, bei Wartung, Ersatzteilversorgung, weiterer Waffenintegration, -ausrüstung und Weiterentwicklung, Instandsetzungs- und Inspektionsarbeiten sowie Logistik und Unterstützung spätestens nach Beginn des Flugbetriebs in Deutschland einen Verbleib der wesentlichen Wertschöpfungsanteile in Deutschland sicherzustellen; das Ministerium ist aufgefordert sicherzustellen, dass Verzögerungen bei der Zertifizierung deutscher Unternehmen nicht zu vermeidbaren Verlagerungen von Wertschöpfungsanteilen führen.
4. Den zuständigen Berichterstattern des Haushalts- und Verteidigungsausschusses ist jährlich, beginnend ab dem 31.03.2024, ein Bericht vorzulegen, in welchem die Umsetzung der Infrastrukturmaßnahmen (u.a. Neubau Staffel-/Liegeplatzgebäude sowie Luftfahrzeughallenabstellplätze, Anpassung Flugbetriebsflächen und Erweiterung bestehender Tanklager/Flugkraftstoffversorgung) für dieses Beschaffungsvorhaben dokumentiert wird.
5. Das BMVg ist aufgefordert, die Einsatzbereitschaft von 70 Prozent sicherzustellen. Bei Unterschreitung der geforderten Einsatzbereitschaft sind die zuständigen Berichterstatter des Haushalts- und Verteidigungsausschusses zu unterrichten.

Noch kritischer sahen die Abgeordneten, wiederum auch die der Koalition, das Verfahren für die Beschaffung der so genannten Flottendienstboote, die mit ihrer Aufklärungstechnik vor allem für die Überwachung russischer Marineeinheiten in der Ostsee immer wichtiger werden. Zwar war bereits im Juni 2021 der Auftrag für diese Schiffe vom Haushaltsausschuss gebilligt worden. Allerdings stiegen die vorgesehenen Kosten für die Nachfolger der drei bisherigen Flottendienstboote Oste, Oker und Alster einschließlich einer Ausbildungs-und Referenzanlage Aufklärung (ARAA) von damals knapp 2,1 Milliarden Euro mit dem jetzt vorgelegten Änderungsvertrag auf nunmehr 3,2 Milliarden Euro.

Zwar hatte der Haushaltsausschuss seine Billigung vor zwei Jahren mit der Maßgabe verbunden, die Abnahme der Bauspezifikation dürfe den vorgegebenen Finanzrahmen nicht überschreiten. Dass das nicht eingehalten wurde, begründete das Verteidigungsministerium nach dem Begleittext des Bundesfinanzministeriums so:

Der Mehrbedarf an Haushaltsmitteln i. H. v. rd. 1.231,2 Mio. Euro (Preisstand 12/2022) für den 1. Änderungsvertrag bezogen auf den durch den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages gebilligten Finanzierungsbedarf in Höhe von 2.028,5 Mio. Euro (im Preisstand 12/2020) resultiert nach Darlegung des BMVg hauptsächlich aus:
– dem Wertausgleich vom Preisstand 12/2020 zum Preisstand 12/2022,
– den durch die Preisüberwachungsstelle Bremen und Hamburg geprüften erhöhten Stundensätzen für Fertigungs- und Bürostunden,
– den ebenfalls durch die Preisüberwachungsstelle Bremen geprüften erhöhten Zuschlagssätzen auf Fremdlieferleistungen und Leistungen der Blohm&Voss (Teil der NVL Group).
Darüber hinaus wird das Erfordernis gesehen, die vorgesehene Managementreserve von rd. 64,65 Mio. Euro auf jetzt 200,07 Mio. Euro zu erhöhen.

Zwar hatte der Bundesrechnungshof laut Medienberichten bereits nach dem ersten Vertrag vor einer Kostenexplosion gewarnt. Angesichts der Notwendigkeit, diese Fähigkeit für die Bundeswehr zu sichern und diese Schiffe zu beschaffen, stimmte aber der Haushaltsausschuss zu – wie sich aus dem damit verbundenen Maßgabebeschluss entnehmen lässt, mit Zähneknirschen:

Der Haushaltsausschuss teilt die umfassende Kritik des Bundesrechnungshofs an der vom Verteidigungsministerium gewählten Vertragskonstruktion ohne konkrete Leistungsbeschreibung. Die fehlende Leistungsbeschreibung für das Trägersystem, der nicht vorhandene Plan der Leistungsnachweise sowie der fehlende Einblick des öffentlichen Auftraggebers in die Kostenbestandteile des Vertrages führen nun zu kalkulatorisch nicht nachvollziehbaren Kostensteigerungen. Es bestehen erhebliche Risiken für den Bundeshaushalt, insbesondere auch durch den fehlenden detaillierten Kostenaufbruch durch den Hauptauftragnehmer.
Der Haushaltsausschuss erkennt jedoch den notwendigen bruchfreien Erhalt der Fähigkeiten an, die durch das Flottendienstboot bereitgestellt werden. Das gilt insbesondere für den Erhalt der weiträumigen signalerfassenden Aufklärung. Für Einsätze zur hydroakustischen, Fernmelde- und elektronischen Aufklärung kann weltweit aktuell allerdings kein erprobtes und marktverfügbares System beschafft werden. Daher kann auf eine Neuentwicklung nicht verzichtet werden.
Der Haushaltsausschuss weist darauf hin, dass die Abnahme der Bauspezifikation wie in der Maßgabe auf Ausschussdrucksache 19(8)8831 bis spätestens 28. Februar 2023 nicht erfolgt und nicht ausreichend dokumentiert ist.
Der Haushaltsausschuss fordert das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) auf:
1) In Zukunft keine Verträge für die Beschaffung von Schiffen und Booten ohne konkrete Leistungsbeschreibung zu schließen.
2) In Zukunft bei Inanspruchnahme einer vergaberechtlichen Ausnahme einen breiten Wettbewerb einzuleiten.
3) Für die Fortführung des Vorhabens FDB424 ausreichend Personal einzustellen bzw. zu versetzen, um die Umsetzung wichtiger Prozesse, wie der anstehenden Preisprüfung oder die enge Baubegleitung sicherzustellen.
4) Die Umwandlung des Selbstkostenrichtpreises in einen Selbstkostenfestpreis zu prüfen, um die Angemessenheit des Preises der Eigenleistungen des Hauptauftragnehmers für das Trägersystem zu beurteilen.
5) Die Ausgaben im Beschaffungsvorhaben eng zu verfolgen und für die Preiseskalation sowie Aufwüchse in der Ausstattung im Rahmen der Haushaltsaufstellung Vorsorge zu treffen.
6) Den zuständigen Berichterstattern des Haushalts- und Verteidigungsausschusses ab dem 31. März 2024 quartalsweise über die Fortschritte, Meilensteine und Preisentwicklung schriftlich in tabellarischer Form zu berichten.
7) Dem Haushalts- und Verteidigungsausschuss jeweils zum 31.12. eines jeden Jahres (beginnend mit dem 31.12.2024, bis zur Abnahme des 3. Bootes) über den Stand des Projektes zu berichten (insb. vorgesehene Änderungsverträge, vorgesehene Leistungsanpassungen, Kostenentwicklung einschließlich Inanspruchnahme der Managementreserve und Preiseskalation, Mittelabfluss, Personalausstattung des Projektes inklusive Baubegleitung, Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen, Maßnahmen zur Unterstützung der bundeswehreigenen Preisprüfer).
8) Den zuständigen Berichterstattern des Haushalts- und Verteidigungsausschusses über das Ergebnis der Umwandlungskalkulation des Hauptauftragnehmers sowie das Ergebnis der Preisprüfung durch das BAAINBw unmittelbar im Anschluss zu berichten.
9) Den zuständigen Berichterstattern des Haushalts- und Verteidigungsausschusses rechtzeitig zu berichten, sofern der höchstbegrenzte Gesamtwert (ohne Preiseskalation) des Vertrages voraussichtlich überschritten wird.

In einem anderen Punkt kamen die Haushälter allerdings dem Verteidigungsministerium entgegen. Die Haushaltssperre für die Beschaffung von modernem Digitalfunk wurde teilweise aufgehoben. Aus dem entsprechenden Beschluss, ebenfalls initiiert von den Koalitionsfraktionen:

Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags nimmt die Vorlage zur Aufhebung der qualifizierten Sperre der Ausgaben im Sondervermögen Bundeswehr – Wirtschaftsplan 2023 – bei Kapitel 1491 Titel 554 32 – D-LBO- gemäß § 36 BHO in Verbindung mit § 22 BHO zur Kenntnis und stimmt der Vorlage unter folgender Maßgabe zu:
1.) Die im Kapitel 1491 Titel 554 32 vorgesehenen Mittel werden bis auf den Führungsfunk (SDTR- und SDHR-Funkgeräte) entsperrt.
2.) Für den am 14. Dezember 2022 geschlossenen Vertrag über die Lieferung von SDTR- und SDHR Funkgeräten (Führungsfunk) ist eine Entsperrung wie folgt möglich:
a. Es können mit sofortiger Wirkung bis zu 3.000 Geräte abgerufen werden.
b. Bei dem Erwerb muss sichergestellt werden, dass keine Schadenersatzpflichten aufgrund des laufenden Rechtsverfahrens entstehen.
c. Den Berichterstattern des Einzelplans 14 ist quartalsweise über den Zulauf und den Einbau der Geräte zu berichten.
d. Es ist sicherzustellen, dass die Gewährleistungsfrist erst mit Ein- und Verbau der Geräte beginnt.

Der zweite Punkt orientiert sich offensichtlich an dem laufenden Verfahren gegen die Beschaffung der digitalen Führungsfunkgeräte, gegen die die deutsche Tochter der französischen Rüstungsfirma Thales in nunmehr dritter Instanz vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf klagt.

Die weiteren Punkte auf der (gestrigen) Tagesordnung des Haushaltsausschusses waren dagegen weitgehend unstrittig. Das gilt für die Beschaffung von bis zu 3.058 luftlandefähigen Fahrzeugen für das Heer, die von Rheinmetall als Generalauftragnehmer geliefert werden sollen. Zudem genehmigten die Abgeordneten die (Nach)Beschaffung von Munition, von Übungsmunition für Maschinengewehre im Kaliber 7,62mm über Munition für den Schützenpanzer Puma bis zu Granaten für Leopard-Kampfpanzer und die Panzerhaubitze 2000 in verschiedenen Varianten (die Mitteilungen des Ministeriums dazu hier und hier).

(Grafik: Designskizze der neuen Flottendienstboote Klasse 424 – BAAINBw)