Europäische Luftverteidigung: Scholz bringt das Thema wieder auf die Tagesordnung (Spoiler: nix Iron Dome)

Über einen Raketenschutzschild für Deutschland und möglicherweise auch für Europa war Ende März hierzulande heftig diskutiert worden. Nachdem die Debatte darüber fast aus der Öffentlichkeit verschwunden schien, hat Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Grundsatzrede in Prag dieses Thema als europäische Aufgabe wieder auf die Tagesordnung gebracht.

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine war im März diese Diskussion aufgeflammt, und zeitweise schien es so, als stünde die Beschaffung eines neuen Raketenabwehrsystems für die Bundeswehr unmittelbar bevor. Obwohl damit auch der breiten Öffentlichkeit – erstmals? – bewusst wurde, dass es in Deutschland faktisch keinen auch nur halbwegs flächendeckenden Schutz zum Beispiel vor russischen Mittelstreckenraketen aus der Exklave Kaliningrad gibt, verschwand das Thema allerdings bald wieder.

In einer Grundsatzrede an der Karls-Universität in Prag erneuerte der Bundeskanzler am (heutigen) Montag den Fokus auf diese Art der Luftverteidigung, nicht nur für Deutschland:

Erheblichen Nachholbedarf haben wir in Europa bei der Verteidigung gegen Bedrohungen aus der Luft und aus dem Weltraum. Daher werden wir in Deutschland in den kommenden Jahren ganz erheblich in unsere Luftverteidigung investieren. Alle diese Fähigkeiten werden im NATO-Rahmen einsetzbar sein. Und zugleich wird Deutschland diese zukünftige Luftverteidigung von Beginn an so ausgestalten, dass sich daran auch unsere europäischen Nachbarn beteiligen können, wenn das gewünscht wird – etwa Polen, Balten, Niederländer, Tschechen, Slowaken oder unsere skandinavischen Partner.
Ein gemeinsam aufgebautes Luftverteidigungssystem in Europa wäre nicht nur kostengünstiger und effizienter, als wenn jeder von uns seine eigene, teure und hochkomplexe Luftverteidigung aufbaut. Er wäre ein Sicherheitsgewinn für ganz Europa – und ein hervorragendes Beispiel dafür, was wir meinen, wenn wir von der „Stärkung der europäischen Säule der NATO“ reden.

Da gibt es zwar weiterhin keine Einzelheiten, aber es scheint wieder Bewegung in die Sache zu kommen.

Nicht auszurotten scheint indes, dass in etlichen Medien bei Luftverteidigung und dieser Raktenabwehr vom israelischen Iron Dome-System gesprochen wird. Nein, weder ist die Einrichtung eines Gazastreifens bei Berlin geplant noch die Beschaffung von vergleichsweise kleinen Kassam-Raketen, gegen die der Iron Dome entwickelt wurde. Worum es eigentlich geht, habe ich hier mal versucht zu erläutern.

(Und natürlich darf mein Standardhinweis hier nicht fehlen. Wer in diesem Zusammenhang von Luftabwehr spricht, was der Kanzler eben nicht tut, muss sich entgegenhalten lassen: Niemand hat die Absicht, Luft abzuwehren.)

Die ganze Rede, die weitere interessante Aussagen auch zur europäischen Verteidigung, vor allem aber zum künftigen Kurs Europas enthält, in der vorab veröffentlichten Fassung zum Nachlesen:
20220829 _Rede_Scholz_Prag

(Archivbild Juli 2017: Test des US-Raketenabwehrsystems ‚Terminal High Altitude Area Defense‘ (THAAD) in Kodiak, Alaska – Leah Garton/U.S. Missile Defence Agency)