EU-Mission Atalanta: Die Bundeswehr beendet auch formal ihre Piratenjagd

Nach fast 14 Jahren stellt die Bundeswehr auch formal ihre Beteiligung an der EU-Antipirateriemission Atalanta am Horn von Afrika ein. Mit dem (heutigen) 30. April endet eine Mission, die zu ihren Hochzeiten nicht nur die Deutsche Marine heftig beschäftigte, sondern auch die deutsche Öffentlichkeit – die Kaperung der Hansa Stavanger (und die dann doch nicht gestartete Befreiungsaktion) oder die Befreiung der Taipan waren, vor mehr als einem Jahrzehnt, Stoff für Schlagzeilen.

Angesichts einer drastischen Steigerung der Piraterie vor der Küste Somalias und der zunehmenden Kaperung von Handelsschiffen mit ihrer Fracht für Europas Häfen hatte die Europäische Union 2008 die Mission Atalanta der European Naval Forces (EUNAVFOR) ins Leben gerufen. Deutschland schloss sich dieser ersten EU-Marinemission im Dezember 2008 an, die Begründung für das erste Mandat (Bundestagsdrucksache 16/11337), vom Parlament am 19. Dezember 2008 beschlossen:

Die somalische Übergangsregierung ist gegenwärtig nicht in der Lage, die von somalischem Staatsgebiet ausgehende Piraterie wirksam zu bekämpfen. Vielmehr destabilisiert die zunehmende Piraterie die staatlichen somalischen Institutionen weiter. Die Operation Atalanta soll die vor der Küste von Somalia operierenden Piraten abschrecken und bekämpfen. Dabei soll zum einen die durch Piratenüberfälle gefährdete humanitäre Hilfe für die notleidende somalische Bevölkerung sichergestellt werden. Zum anderen soll die Operation den zivilen Schiffsverkehr auf den dortigen Handelswegen sichern, Geiselnahmen und Lösegelderpressungen unterbinden und das Völkerrecht durchsetzen.

Zwar patroullierten in dieser Region des Indischen Ozeans zu jener Zeit bereits auch deutsche Kriegsschiffe. Die sollten aber nicht die Piraterie bekämpfen, sondern in der Operation Enduring Freedom (OEF) als Folge der Angriffe von New York und Washington am 11. September 2001 die Bewegungen von Terrorgruppen zur See unterbinden, vor allem aus dem Jemen.

Während für einige an OEF beteiligte Nationen die zusätzliche Aufgabe kein Problem war, trennten die Deutschen das strikt. Zeitweise waren sogar parallel Schiffe der Deutschen Marine in der Atalanta-Mission und in  OEF im gleichen Seegebiet vor Somalia unterwegs. Die EU-Mission war damit keineswegs, wie in diesen Tagen bisweilen zu lesen ist, eine Nachfolge der Beteiligung an der Operation Enduring Freedom.

In den Jahren vor und nach Beginn der Mission griffen Piraten aus Somalia praktisch im Wochentakt Handelsschiffe vor ihrer Küste an, bis weit in den Indischen Ozean hinaus und fast vor der Küste des indischen Subkontinents. Zusätzlich zur Atalanta-Mission startete die NATO ihre – weniger stark von den Mitgliedsländern bestückte – Operation Ocean Shield, und eine von den USA und Großbritannien initiierte Task Force unter Führung wechselnder Nationen patrouillierte ebenfalls in der Region. Hinzu kamen Schiffe aus Nationen, die nicht in den Bündnissen oder losen Koalitionen eingebunden waren, aber sich dennoch an der Pirateriebekämpfung beteiligten: Japan, Südkorea, Indien, China – und nicht zuletzt Russland.

Das Vorgehen der Piraten war damit allerdings nur teilweise in den Griff zu bekommen. Von größeren Mutterschiffen aus, weit draußen auf dem Meer, umschwärmten sie mit kleineren Beibooten, so genannten Skiffs, die Handelsschiffe und enterten sie. Bisweilen überzeugte auch ein Schuss mit einer RPG, einer älteren Panzerfaust sowjetischer Bauart, auf die Brücke den Kapitän, den schwer bewaffneten Seeräubern keinen Widerstand zu leisten.

Manchmal wurden auch, vermutlich irrtümlich, die Kriegsschiffe der internationalen Missionen Ziel eines solchen Piratenangriffs: Der Marineversorger Somme, damals Flagschiff der französischen Einheiten in der Region; die französische Fregatte Nivose, das spanische Patrouillenboot Infanta Christina – und der deutsche Marinetanker Spessart.

Diese Angriffe blieben zwar erfolglos. Aber für die Handelsschiffe konnte selbst die konzertierte Aktion von Kriegsschiffen zahlreicher Nationen  in dem riesigen Seegebiet wenig ausrichten – schlicht weil die Schiffe oft genug zu spät kamen, um die Übernahme eines Frachters oder eines Tankers durch die Piraten zu verhindern. Effektiver waren da, wenn vorhanden, die Bordhubschrauber der Kriegsschiffe, die bisweilen schnell genug am Ort der Kaperung eintreffen konnten.

Die Bordhubschrauber waren auch ein wichtiges Hilfsmittel in den  Fällen, in denen ein gekapertes Handelsschiff von Soldaten praktisch zurückerobert wurde. Wie der deutsche Frachter Taipan, der in einer gemeinsamen Aktion eines Seefernaufklärers Orion P-3C der Deutschen Marine und der niederländischen Fregatte Tromp befreit wurde.

Die Festnahme von Piraten, selbst wenn sie auf frischer Tat ertappt wurden, stellte die Besatzungen der Kriegsschiffe allerdings vor ein weiteres Problem: So leicht war es meist nicht, eine Nation zu finden, die diese Seeräuber auch in ihrem Land vor Gericht stellen wollte. In manchen Fällen, wie deutschen Schiffen, waren Verfahren in Deutschland möglich; bei den Schiffen aus etlichen anderen Nationen nicht. Einige dieser Piraten wurden deshalb in Kenia oder auf den Seychellen vor Gericht gestellt – die meisten jedoch ohne ihre Waffen und mit ausreichend Trinkwasser versehen wieder in ihre Boote gesetzt.

In der deutschen Debatte gab’s noch ein anderes Problem: Atalanta erweiterte, wenn auch vorsichtig, seine Befugnisse auf die so genannte Piraten-Infrastruktur an Land. Noch im letzten, jetzt auslaufenden Mandat (Bundestagsdrucksache 19/27662) war festgehalten:

Das Einsatzgebiet von Atalanta besteht aus den somalischen Küstengebieten und Hoheitsgewässern sowie den Meeresgebieten vor der Küste Somalias und der Nachbarländer innerhalb der Region des Indischen Ozeans. Deutsche Einsatzkräfte dürfen bis zu einer Tiefe von maximal 2.000 Metern gegen logistische Einrichtungen der Piraten am Strand wirken. Sie werden hierfür nicht an Land eingesetzt.

Diese Passage stieß seit Jahren auf den Widerstand der Grünen, die eine militärische Aktion in Somalia selbst ablehnten (und sich deshalb bei den Abstimmungen auch überwiegend enthielten). Dass die Bundeswehr sich nun nicht mehr an Atalanta beteiligt, hat allerdings weniger mit der Regierungsbeteiligung der Grünen zu tun, sondern mehr mit dem veränderten Auftrag der – ja weiter bestehenden – EU-Mission Atalanta zu tun: Die Marineeinheiten am Horn von Afrika sollen inzwischen nicht nur gegen Piraterie, sondern auch gegen Drogenschmuggel und mögliche Verstöße gegen ein UN-Waffenembargo vorgehen. Zusammen mit dem Mangel der Deutschen Marine an einsetzbaren Schiffen und Flugzeugen führte das zu der Entscheidung, das deutsche Mandat auslaufen zu lassen.

Offiziell ist es natürlich, das ist auch nicht ganz falsch, der deutliche Rückgang der Piraterie vor Somalia in den vergangenen Jahren. Wie das Verteidigungsministerium den Abgeordneten des Verteidigungsausschusses im Bundestag erläuterte:

Die Bundesregierung wird keinen Antrag auf eine Verlängerung des Bundestagsmandats zur weiteren Beteiligung an der Operation stellen. Somit wird die deutsche militärische Beteiligung am 30.04.22 enden.
EU NAVFOR Somalia Operation ATALANTA gilt als erfolgreiche Militäroperation der Europäischen Union. Ihr Kernauftrag, der Schutz der internationalen Seeschifffahrt vor der Küste Somalias sowie die Pirateriebekämpfung, ist aus Sicht der Bundesregierung erfüllt. Die Piraterie wurde wirksam eingedämmt und ein erneutes Aufflammen ist gegenwärtig unwahrscheinlich. Insbesondere die Eigenschutzmaßnahmen der zivilen Seeschifffahrt sowie die weiterhin verbleibende militärische Präsenz stellen eine hinreichende „Rückversicherung zur See“ dar. Deutschland hat seine seit 2008 durchgehende militärische Beteiligung an ATALANTA bereits zugunsten anderer Einsätze sukzessive zurückgefahren. Die Bundesregierung wird dem Deutschen Bundestag einen Abschlussbericht zur Beteiligung an ATALANTA vorlegen.

Dass die Piraterie wirksam eingedämmt wurde, trifft zu. Ob dafür der militärische Einsatz ursächlich ist, lässt sich lange diskutieren. Auf jeden Fall haben die die Eigenschutzmaßnahmen der zivilen Seeschifffahrt daran erheblichen Anteil: Neben der Einrichtung von Schutzräumen für die Besatzung, so genannten Zitadellen, dürfte die Einschiffung bewaffneter Sicherheitsteams an Bord wesentlich zum Rückgang beigetragen haben. Diese Teams, oft ehemalige Soldaten, bewaffnet mit Sturmgewehren, kündigten ihre Präsenz auch gerne im AIS-Signal ihres Frachters an. (Die langwierige deutsche Debatte bis zur Zulassung solcher Armed Security Guards mit einer neuen Seeschifffahrtsbewachungsverordnung und Seeschifffahrtsbewachungsdurchführungsverordnung lasse ich hier mal weg.)

Auf den Rückgang der Piraterie hatte die Bundeswehr bereits vor Jahren reagiert. Schon 2016 verabschiedete sich letztmals ein deutsches Kriegsschiff aus der Atalanta-Mission. Danach gab es, immer wieder zeitweise, Einsätze eines Seefernaufklärers zur Unterstützung der schwimmenden Einheiten. Auch die wurden 2021 eingestellt; danach wurden nur gelegentlich durchfahrende deutsche Einheiten der EU unterstellt, wie zum Beispiel die Fregatte Bayern bei ihrer Indopazifik-Mission im vergangenen Jahr. Im jetzt ausgelaufenen Mandat wurde das als regelmäßige temporäre Begleitung mit im Einsatzgebiet stehenden seegehenden Einheiten der Marine bezeichnet.

Damit ist nun ebenso Schluss wie mit der Entsendung von drei Deutschen ins Atalanta-Hauptquartier in Rota in Spanien (wohin übrigens, als Folge des Brexit, die EU-Mission von Northwood bei London hingezogen war). Zwei weitere Soldaten, die im nationalen Verbindungselement zum maritimen Regionalkommando der US Navy (USNAVCENTCOM) in Manamah in Bahrain stationiert sind, bleiben voraussichtlich – dann aber eben nicht mehr im Rahmen dieses Mandats.

Eine Folge, die sich auf Dauer auf die Deutsche Marine auswirkt, hat das Ende der Mission auch: Im April 2021 gab die Bundeswehr ihre wenn auch kleine, bei den Franzosen angelehnte Stationierung in Djibouti auf, die 2002 für die Operation Enduring Freedom eingerichtet worden war. Eine eigene, dauerhafte Präsenz in dieser strategisch wichtigen Region hat Deutschland damit nicht mehr. Die Chinesen zum Beispiel sehen das grundlegend anders.

(Archivbild 14. Dezember 2010: Die Fregatte Hamburg zerstört herrenlose Boote, die vor der Küste Somalias schwimmen, damit sie nicht von Piraten genutzt werden können – Christian Laudan/Bundeswehr)