Coronavirus und die Bundeswehr: Bedingt impfbereit (m. Ergänzungen/Nachtrag)

Mit ihrer Hilfeleistung für die Bevölkerung in der Coronavirus-Pandemie war die Bundeswehr von Anfang an ganz vorn dabei. In den eigenen Reihen hat sie mit dem Virus allerdings so ihre Probleme: Die Streitkräfte haben noch nicht einmal einen verlässlichen Überblick, wie der Impfstatus der Truppe insgesamt ist – und das scheint nicht nur ein Corona-Problem.

Wenn am kommenden Montag die Marine ihr frisch restauriertes Segelschulschiff Gorch Fock im Kieler Marinehafen für eine erste Besichtigung durch die Medien öffnet, gibt es klare Ansagen: Es gilt die 2G-Regel! Einlass kann nur geimpften oder genesenen Personen gewährt werden, heißt es in der Presseeinladung. Das ist mehr, als die Bundeswehr von ihren eigenen Soldaten verlangt: Eine Impfpflicht gibt es für die Truppe bislang nicht.

Dabei war die Bundeswehr mit einer solchen verpflichtenden Impfung schon mal weit vorn. Bereits im März verfügte das Verteidigungsministerium die so genannte Duldungspflicht für die Soldatinnen und Soldaten, die in Auslandseinsätze gingen. Dass es nicht noch früher kam, hing mit der zunächst begrenzten Verfügbarkeit der Impfstoffe zusammen. Und mit der Regelung in der Coronavirus-Impfverordnung des Bundesgesundheitsministeriums, die Soldaten im Auslandseinsatz in die zweithöchste Prioritätengruppe der Impfberechtigten einordnete. Außerdem gab es auch für die Streitkräfte, denen aus der so genannten Bundesreserve zunächst der Impfstoff von Astra Zeneca zugewiesen wurde, das gleiche hin und her mit diesem Vakzin wie bei der Zivilbevölkerung: Empfohlen für unter 60, für über 60, dann doch nicht..

Die Truppe hatte auch ein klares Interesse an einer flächendeckenden Impfung ihrer Männer und Frauen im Auslandseinsatz. Zeitweise mehrfach in der Woche starteten Flugzeuge der Luftwaffe, um positiv geteste Soldaten aus Afghanistan, aus Mali, aus Litauen oder dem Kosovo nach Deutschland zurückzuholen. Bisweilen flogen diese Maschinen für drei oder vier als infiziert gemeldete Soldaten. In manchen Missionen konnte zeitweise nur eine beschränkte Einsatzbereitschaft gemeldet werden.

Inzwischen berichtet die Bundeswehr für ihre Auslandseinsätze und die so genannten einsatzgleichen Verpflichtungen wie das NATO-Bataillon in Litauen eine Impfquote von 100 Prozent. (Ergänzung/Korrektur: In der vergangenen Woche gab es eine medizinisch veranlasste Rückholung eines Soldaten aus dem Kosovo; allerdings war die nach neueren Informationen ohne Bezug zu einer Covid-Infektion. Deshalb die entsprechende Passage gestrichen.)

Diesem Erfolg steht jedoch gegenüber, dass die Truppe fürs Inland und damit für die gesamte Bundeswehr eine Impfquote nur schätzen kann – aber keine verlässlichen Daten hat.

Denn es gibt zwar Zahlen, die auf den ersten Blick exakt erscheinen, jedoch keine verlässliche Aussage zulassen: Im täglichen Covid-Überblick, den das Lagezentrum des Verteidigungsministeriums zusammenträgt, werden inzwischen gut 275.000 Impfungen gegen das Coronavirus aufgeführt. Bei einer Zahl von aktiven Soldatinnen und Soldaten von rund 184.000 ließe sich daraus eine Quote von um die 75 Prozent errechnen – eine Zahl, die so exakt wie falsch ist.

Aus der Gesamtzahl der aufgeführten Impfungen geht nämlich nicht hervor, wie viele Erst-, Zweit- und inzwischen auch Drittimpfungen darunter sind. Auch bleibt unklar, wie viele Soldatinnen und Soldaten außerhalb der Bundeswehr zivil geimpft wurden, zum Beispiel im Frühjahr bei ihrer Amtshilfe in den zivilen Impfzentren oder bei ihrem Hausarzt. Das müssten die Soldaten zwar beim zuständigen Truppenarzt melden; ob und wie viele das versäumen, ist völlig unklar.

Die Bundeswehr erfasst noch nicht einmal statistisch, wie viele Drittimpfungen in diesen Tagen verabreicht werden, vor allem an medizinisches Personal mit Patientenkontakt. Die offizielle Begründung dafür: Weil die Impfung bislang nicht der Duldungspflicht unterliegt, also nicht verpflichtend ist für alle, dürften diese sensiblen Gesundheitsdaten nicht erhoben werden.

Dass es – noch? – nicht die Impfpflicht für jede Soldatin und jeden Soldaten gibt, hängt mit den komplizierten Prozessen in Ministerium und Bundeswehr zusammen. Für einen solchen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit sucht das Verteidigungsministerium die Zustimmung der Personalvertretungen, sowohl der zivilen Mitarbeiter als auch der Soldaten. Und der so genannte Gesamtvertrauenspersonenausschuss (GVPA), der die Belange der Soldat*innen vertritt, hatte zwar im Frühjahr der Duldungspflicht für die Auslandseinsätze zugestimmt. Ergänzung:  Als im August die Aufnahme der Covid-Immunisierungen in das allgemeine Impfschema anstand, in dem zum Beispiel die Tetanus-Impfung vorgeschrieben ist, gab es jedoch zunächst keine Zustimmung.
(Klarstellung wg. missverständlicher Formulierung; im Frühjahr ging es noch nicht um das allgemeine Impfschema.)

Über die genauen Gründe dafür bewahren alle Seiten Stillschweigen. Dem Vernehmen nach hatte das mit anscheinend unklaren Haftungsregelungen für Impfschäden, aber auch mit dem allgemeinen Wirrwarr rund um die Impfstoff-Empfehlungen in der ersten Jahreshälfte zu tun. Jedenfalls befasst sich derzeit ein Schlichtungsausschuss von Personal- und Soldatenvertretern und Ministerium damit, der eine Empfehlung aussprechen soll.

Die wiederum ist die Vorlage für die künftige Verteidigungsministerin oder den künftigen Verteidigungsminister für eine endgültige Entscheidung. Und wie die ausfällt, dürfte nicht allein mit der Bundeswehr zu tun haben – sondern ebenso mit der gesamtgesellschaftlichen, durchaus strittigen Debatte über eine Impfpflicht. Auch wenn der Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Ulrich Baumgärtner, immer wieder via Twitter dafür wirbt: Sowohl die dritte, die Booster-Impfung, als auch die Erstimmunierung der Ungeimpften sei nötig, Wir brauchen beides! Impfstoff ist genug da!

Allerdings: Auch eine formale Impfflicht in der Truppe, wie sie ja schon für verschiedene Infektionskrankheiten besteht, garantiert offensichtlich nicht, dass sie tatsächlich umgesetzt wird. Dass es schon bei den bisher vorgeschriebenen Immunisierungen große Lücken in der Truppe gibt, stellte das NATO-Bataillon in Litauen, die so genannte enhanced Forward Presence (eFP) des Bündnisses, kurz nach der planmäßigen Rotation im Februar fest. Rund 25 Prozent der Soldatinnen und Soldaten des frisch eingeflogenen neuen Kontingents hatten nicht den vorgeschriebenen Impfstatus, wie das Einsatzführungskommando bestätigte:

Bei der eFP BattleGroup Litauen wurde in Litauen festgestellt, dass etwa ein Viertel der Soldatinnen und Soldaten bei Einsatzbeginn keinen vollständigen Impfschutz hatten.
Es gibt für die Impfungen vor dem Einsatz ein etabliertes Verfahren, das die Zusammenarbeit und die Zuständigkeit zwischen den Sanitätseinrichtungen und den Disziplinarvorgesetzten regelt.
Dieses Verfahren wurde nicht vollumfänglich umgesetzt.
Die Untersuchungen dazu laufen noch, einzelne Sachverhalte müssen aufgearbeitet werden.
Im Einsatz wurde für jeden fraglichen Soldaten eine Einzelfallprüfung durchgeführt.
In der Konsequenz wurden die meisten Soldaten im Einsatz bereits nachgeimpft, einige Wenige werden noch nachgeimpft.
Dies hat keine Auswirkung auf die Auftragserfüllung der eFP BG LTU.
Es werden alle Zuständigen nochmals sensibilisiert, die vorgesehenen Verfahren konsequent umzusetzen.

Unterdessen steigen in der Truppe, wie in der Zivilbevölkerung, die Infektionszahlen wieder an. Der Sanitätsdienst hatte am 1. Oktober 171 aktuell bestätigte Fälle unter den Soldatinnen und Soldaten gemeldet. Drei Wochen später, am 22. Oktober, waren es 255, und am (heutigen) 4. November war die Zahl auf 417 gestiegen. Wie in der Zivilbevölkerung sind auch in der Bundeswehr zunehmend Impfdurchbrüche der Grund, also die Infektion auch vollständig geimpfter Personen – aber auch das militärtypische enge Zusammenleben in Gemeinschaftsunterkünften, wie ein Ministeriumssprecher erläuterte:

Das SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen innerhalb der Bundeswehr entwickelt sich analog zu dem in der zivilen Bevölkerung. Auch hier wurde ein deutlicher Anstieg der Fälle innerhalb der letzten Woche gemeldet.
Ein direkter Vergleich der Zahlen innerhalb der Streitkräfte mit denen in der Allgemeinbevölkerung gestaltet sich auch bei Betrachtung des entsprechenden Altersbandes (RKI: 18-59 Jahre, Bw: 17-67 Jahre) schwierig, da sich die beiden Gruppen anhand wichtiger weiterer Faktoren erheblich unterscheiden. So liegt u. a. der Anteil weiblicher Personen in der Bundeswehr mit unter 15 Prozent deutlich unter dem zivilen Bereich, der Anteil der in Gemeinschaftsunterkünften untergebrachten Soldatinnen und Soldaten ist hingegen deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Daten des Robert-Koch-Institutes die Daten der Bundeswehr beinhalten.
Bei Betrachtung der aktuellen Zahlen scheint sich jedoch bezüglich der Impfdurchbrüche eine Tendenz zu einem leicht erhöhten Anteil zu zeigen. Dies korreliert aller Wahrscheinlichkeit nach mit aktuellen begrenzten Ausbruchsgeschehen in Gemeinschaftsunterkünften der Bundeswehr, welche sich durch das enge Zusammenleben mit gemeinsam und teils zeitgleich genutzten Sanitär- und Aufenthaltsräumen und den dadurch gesteigerten Kontaktzahlen zwangsläufig erklären lassen. Erfreulicherweise hat das aktuelle Infektionsgeschehen in der Bundeswehr keinen negativen Einfluss auf die Auftragserfüllung der einzelnen Organisationsbereiche. Eine statistische Erfassung der Hospitalisierungsrate oder möglicher schwerer Verläufe erfolgt nicht.

Nachtrag: Zum Vergleich ein Blick auf die Situation in den USA –  dort gibt es eine Impfpflicht in den Streitkräften, und der Parteienstreit geht jetzt darum, ob Impfverweigerer unehrenhaft entlassen werden können. Die Air Force gibt die Quote ihrer immunisierten Soldatinnen und Soldaten derweil mit 96 Prozent an.

NDAA amendment backed by Republican senators would bar dishonorable discharges for troops who refuse coronavirus shots

(Archivbild Januar 2021: Ein Soldat bereitet eine Impfung im im Corona-Impfzentrum am Flughafen BER in Schöšnefeld bei Berlin vor – Tom Twardy/Bundeswehr)