Abzug aus Afghanistan jetzt noch schneller als geplant (Neufassung)

Der Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan wird voraussichtlich schneller erfolgen als bislang geplant. Inzwischen zeichnet sich ab, dass die NATO-geführte Resolute Support Mission (RSM) und damit auch die Bundeswehr ihre Truppen bereits zum 4. Juli  abziehen könnte. Nach dem von den USA bereits vorgebenen symbolträchtigen 11. September als Endpunkt des internationalen Einsatzes am Hindukusch hat dieser Tag als Unabhängigkeitstag der USA ebenfalls hohe Symbolkraft.

Ein Abzugsdatum 4. Juli wurde nach Angaben von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer über die US-Führung des Hauptquartiers der Resolute Support Mission in Kabul kommuniziert – also bislang nicht als Vorgabe der US-Regierung.  Die Ministerin nach einer Unterrichtung der Obleute der Fraktion des Verteidigungsausschusses im Wortlaut:

20210421 AKK AFG     

 

Bislang hatte sich die NATO, die die Resolute Support Mission führt, lediglich auf einen Beginn des Abzugs am 1. Mai festgelegt. Zuvor hatten die USA angekündigt, alle ihre Soldaten sollten bis spätestens zum 11. September das Land verlassen, dem 20. Jahrestag der Terrorangriffe auf New York und Washington.

Die Bundeswehr ist derzeit mit rund 1.100 Soldaten in dieser Mission der zweitgrößte Truppensteller; die meisten von ihnen sind in Mazar-e Sharif im Norden Afghanistans stationiert. Kramp-Karrenbauer und Generalinspekteur Eberhard Zorn hatten bislang einen Abzug der deutschen Soldaten bis Mitte August in Aussicht gestellt.

Mit dem neuen Zeitplan, für den es außer aus Berlin bislang keine offiziellen Angaben gibt, erhöht sich der Druck auf die Logistik der Bundeswehr: Schneller als bisher geplant muss das Material der Truppe in Afghanistan ausgeflogen werden. Zugleich sollen nach den bisherigen Plänen allerdings für diesen Abzug auch zunächst weitere Soldaten nach Mazar-e Sharif verlegt werden: Rund 170 Spezialisten der so genannten Rückverlege- und Verwertungsorganisation sollen die Logistik organisieren.

Hinzu kommen Sicherungskräfte aus Deutschland und den Niederlanden, die den Schutz vor möglichen erneuten Angriffen der Taliban sicherstellen sollen: Ein Mörserzug der Bundeswehr soll in Kürze nach Afghanistan verlegt werden, bis Ende April weitere ebenfalls mit Mörsern ausgerüstete 80 Infanteristen der niederländischen Streitkräfte, deren Entsendung die Regierung in Den Haag in der vergangenen Woche beschlossen hatte.

Das Feldlager Camp Marmal soll bis zum endgültigen Abzugsdatum geräumt werden und anschließend an die afghanische Verwaltung übergeben werden. Zurücklassen wollen die Bundeswehr und die anderen Streitkräfte der 15 dort stationierten Nationen allerdings nur Gebäude und Infrastruktur – nach Möglichkeit soll alles ausgeflogen oder, wenn es sich vom Materialwert nicht mehr lohnt, vor Ort vernichtet werden.

Nach Angaben der Bundeswehr gibt es in Mazar-e Sharif derzeit sechs NH90-Hubschrauber, rund 120 Fahrzeuge und zahlreiches weiteres Material, das nach Priorität geordnet nach Deutschland zurückgebracht werden muss – plus die geschützen Fahrzeuge der deutschen und niederländischen Force Protection, die in diesen Tagen verlegt wird. Das Material hat einen Umfang von 800 Containeräquvalenten (CtÄ, eine Definition dafür habe ich bislang nicht gefunden und nehme Hinweise gerne entgegen). Material im Umfang von 500 CtÄ wurde bereits in den vergangenen Monaten im Hinblick auf einen erwarteten Abzug in diesem Jahr abtransportiert.

Für die Rückholung dieses Materials werden voraussichtlich überwiegend die angemieteten Flugleistungen mit Antonow-Frachtmaschinen [Korrektur: inzwischen wohl nicht mehr mit Iljuschin-Maschinen] des so genannten SALIS-Vertrags genutzt. Das setzt allerdings voraus, dass der Flughafen von Mazar-e Sharif eine sichere Zone bleibt, die von diesen ungeschützten Flugzeugen angeflogen werden kann. Sollte sich die Sicherheitslage in Afghanistan und insbesondere in dieser Region dramatisch verschlechtern, müssten gegen Beschuss geschützte Maschinen wie einige A400M der Bundeswehr oder C17-Transportmaschinen von Verbündeten genutzt werden.

Denn unklar ist weiterhin, wie die Taliban darauf reagieren, dass eine im vergangenen Jahr mit der Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump abgeschlossene Vereinbarung so nicht eingehalten wird: Danach hätten alle internationalen Truppen bis zum 1. Mai vom Hindukusch abgezogen werden sollen. Die Taliban hatten daraufhin ihre Angriffe auf die Truppen der USA und der an Resolute Support beteiligten Nationen weitgehend eingestellt. Allerdings hielten die Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte, die auch viele unbeteiligte Zivilisten trafen, unvermindert an oder nahmen sogar noch zu.

Die mehr als 300 Afghanen, die für die Bundeswehr in Afghanistan arbeiten, soll zusammen mit ihrer Familie Aufnahme in Deutschland finden können, wenn sie nach dem Abzug der internationalen Truppen persönlich bedroht sind. Allerdings muss diese individuelle Gefährdung von einem Gremium der Bundeswehr bestätigt werden, ehe dem zuständigen Bundesinnenministerium eine Aufnahmezusage empfohlen wird.

(Archivbild September 2020: Sonnenuntergang im Camp Marmal in Mazar-e Sharif – Lisa Herpel/Bundeswehr)