USA und NATO starten am 1. Mai Abzug aus Afghanistan (Neufassung)
Fast 20 Jahre nach dem Beginn des Kriegs westlicher Truppen am Hindukusch wollen die USA und die NATO am 1. Mai mit dem Abzug ihrer Truppen aus Afghanistan beginnen. Die USA nannten den symbolträchtigen 11. September, den Jahrestag der Terrorangriffe in New York und Washington 2001, als endgültiges Datum für den Abzug. Die NATO-Außen- und Verteidigungsminister vermieden ein Enddatum, vereinbarten jedoch einen Abzug innerhalb weniger Monate.
US-Präsident Joe Biden nannte in einer Videoansprache am (heutigen) Mittwoch (wie schon am Vortag bekannt geworden) den Jahrestag von 9/11 als Ziel für ein Ende des US-Engagements am Hindukusch. Das Ziel, die Gefährdung der USA durch aus Afghanistan ausgehenden Terrorismus zu beenden, sei erreicht worden.
(Der Redetext zum Nachlesen hier.)
In Brüssel hatten derweil US-Außenminister Anthony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin die Verbündeten in der NATO informiert – und die Regierungen der Allianz, als NATO-Rat das höchste politische Gremium der Allianz, schlossen sich dem Vorgehen der USA an: Auch die NATO-geführte Resolute Support Mission soll den Einsatz in Afghanistan beenden.
Im Unterschied zu den USA nannte der NATO-Rat allerdings ein Datum für den Beginn des Abzugs, nicht aber das symbolträchtige Enddatum. Aus der Erklärung (in der deutschen Übersetzung des Auswärtigen Amtes):
Im Jahr 2001 riefen die NATO-Verbündeten zum einzigen Mal in der Geschichte der Allianz den Bündnisfall nach Artikel 5 des Vertrags von Washington aus und gingen gemeinsam mit klaren Zielen nach Afghanistan: Al-Qaida und all denjenigen, die die Vereinigten Staaten am 11. September angegriffen haben, entgegentreten sowie Terroristen daran hindern, Afghanistan als Rückzugsgebiet zu nutzen, um uns anzugreifen. In den darauffolgenden Jahrzehnten haben wir unter Einsatz von Leben und Ressourcen, und in Partnerschaft mit der Islamischen Republik Afghanistan und ihren Sicherheitskräften, zusammengearbeitet, um diese Ziele zu erreichen.
Vor diesem Hintergrund und im Bewusstsein, dass es für die Herausforderungen, vor denen Afghanistan steht, keine militärische Lösung gibt, haben die Verbündeten festgelegt, dass wir bis zum 1. Mai mit dem Abzug der Streitkräfte der Mission „Resolute Support“ beginnen werden. Dieser Rückzug wird geordnet, koordiniert und bedachtsam erfolgen. Wir planen, den Abzug sämtlicher US-Streitkräfte und Streitkräfte der Mission „Resolute Support“ innerhalb von wenigen Monaten abzuschließen. Jegliche Angriffe auf Bündnistruppen durch die Taliban während dieses Abzugs werden entschieden erwidert.
Die Beendigung der NATO-Mission „Resolute Support“ findet vor dem Hintergrund erneuter regionaler und internationaler Unterstützung für den politischen Fortschritt hin zum Frieden statt. Wir werden den anhaltenden von Afghanistan geführten und verantworteten Friedensprozess weiter unterstützen. Wir begrüßen die Istanbuler Konferenz als eine Gelegenheit, den Friedensprozess voranzutreiben und die in Doha erzielten Fortschritte zu bestärken. Wir fordern die Regierung Afghanistans und die Taliban zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen für den Friedensprozess auf, der mit dem Abkommen der USA und den Taliban sowie der US-afghanischen Gemeinsamen Erklärung eingeleitet wurde.
Das sind zunächst ehrgeizige Ziele, die die militärische Organisation sowohl der USA als auch der NATO vor große Herausforderungen stellen:
• In den nächsten knapp fünf Monaten soll der vollständige Abzug von Personal und vor allem Gerät bewerkstelligt werden
• Formal gilt weiterhin das von der früheren US-Regierung unter Präsident Donald Trump mit den Taliban geschlossene Abkommen, das einen Abzug aller internationalen Truppen bereits zum 1. Mai vorsah. Unklar ist, ob die Taliban auf den späteren Abzug – wie angekündigt – mit erneuter Gewalt gegen die internationalen Truppen reagieren werden
• Sowohl die USA als auch die NATO machen weitreichende Zusagen für die weitere, dann nicht mehr militärische Unterstützung der afghanischen Regierung – und werden daran gemessen werden, ob und wie sie diese Zusage erfüllen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zunehmenden Gewalt in Afghanistan, die sich sowohl gegen die Sicherheitskräfte der Regierung als auch gegen Zivilisten richtet
Aktuell ist die Bundeswehr mit knapp 1.050 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan präsent, davon 1.000 in Mazar-e Sharif im Norden des Landes und den übrigen im Hauptquartier der Resolute Support Mission in Kabul. Auch wenn im Hinblick auf einen absehbaren Abzug bereits seit Monaten Vorbereitung für die Rückverlegung des Materials laufen, dürften diese Planungen durch die heutige Entscheidung noch einmal beschleunigt werden – und sie werden nicht einfacher durch die Unsicherheit, ob möglicherweise ab dem 1. Mai mit erneuter Gewalt der Taliban gegen die internationalen Truppen zu rechnen ist und die Bundeswehr dafür zusätzliches Personal und schwerere Waffen wie Mörser an den Hindukusch verlegen wird.
(Foto: Ministertagung der NATO, teilweise mit Präsenz, teilweise per Video; v.l. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, Außenminister Anthony Blinken und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg – Foto NATO)
Ich habe schon seit längerem aufgehört, mich an Diskussionen auf der „strategischen“ oder „Meta-“ Ebene zu beteiligten, da ich mir meine Kräfte beim tagtäglichen Kampf auf der „taktischen“ oder „taktisch-operativen“ Ebene gegen ach so viele Windmühlen des Grundbetriebes gut einteilen muss. Bei dem konkret zur Diskussion stehenden Thema werde ich jedoch emotional und möchte ein Statement setzen: Die Bundeswehr verlässt ein Land…aber sie verlässt auch dessen Mrnschen. Und damit verlässt sie auch afghanische Kameraden und zivile Mitarbeiter, welche ich im Verlauf meiner Einsätze kennen und v.a. schätzen gelernt habe…einige wenige von ihnen wage ich sogar meine Freunde zu nennen. Ich bin traurig und senke meinen Blick.
Just my 5 cents…
losgelöst von den ungeklärten Fragen vor Ort in Afghanistan…
für die Bundeswehr ist dieser Rückzug perspektivisch positiv zu sehen…
der Einsatz in Afghanistan hat in den letzten 20 Jahren schon enorme Ressourcen an Personal und Material im Einsatz gebunden… der Rückzug bietet jetzt auch hier die Möglichkeit zur Regeneration von Personal und Material und zur gesteigerten Ausbildung….
außerdem spart man vermutlich die eine oder andere Milliarde € pro Jahr ein.
Der Abzug hat 3 Komponenten. 1. Militärisch war die BW in Afghanistan (5.000 km von D) im Grunde immer überfordert, also konsequente Entscheidung. 2. Politisch wurde D nie am Hindukusch verteidigt, das war und ist ein ziemlich dümmliches Argument. 3. Wir – die guten Deutschen – werden Afghanistan auch weiter mit Entwicklungshilfe „pempern“, unabhängig davon ob mit und ohne Taliban. Wir sind so eingestellt! Ändern wird der Abzug, so fürchte ich, in der Verteidungseinstellung der Politiker rein gar nichts. Solange „Berlin“ nicht die notwendige Einsicht (Gott, gib Hirn ra!) erhalten, dass auch wir eine funktionierende und technisch auf der Höhe der Zeit notwendige Verteidigung brauchen, solange ändert sich nichts. Abzug hin, Abzug her.
@Helmut Schareck
Die politische Bündnistreue – verpflichtung sollten sie nicht ignorieren
Ist in Hinblick auf den Abzug eigentlich bekannt, ob und wie die lokalen Helfer der Bundeswehr vor möglichen Racheaktionen geschützt werden sollen, die nach Abzug der ausländischen Truppen ja nicht ganz unwahrscheinlich sind? Gibt es da Initiativen oder Planungen seitens des BMVg oder des AA ihnen die Möglichkeit zu geben nach Deutschland zu emigrieren, sofern sie das möchten?