Luftangriff bei Kunduz 2009: Europäischer Gerichtshof sieht keine Verletzung der Menschenrechtskonvention
Für den Luftangriff bei Kunduz in Nordafghanistan im September 2009, bei dem zahlreiche Zivilisten ums Leben kamen, ist dem anordnenden deutschen Offizier keine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention anzulasten.Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wies mit dieser Entscheidung eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland ab.
Vor dem Straßburger Gericht hatte ein Afghane geklagt, der bei dem Luftangriff zwei Söhne verloren hatte. Bei dem Luftschlag am 4. September 2009 waren zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen, als sie aus zwei Tanklastern Treibstoff abzapfen wollten, die auf einer Sandbank im Kunduz-Fluss stecken geblieben waren. Die Tankwagen waren von Aufständischen entführt worden, und der damalige Oberst Georg Klein, Kommandeur des Provincial Reconstruction Teams (PRT) Kunduz der internationalen Mission in Afghanistan, hatte einen Angriff mit diesen Tanklastern als rollende Bomben befürchtet und deshalb den Luftangriff angeordnet.
Das am (heutigen) Dienstag veröffentlichte Urteil zieht einen Schlussstrich unter zahlreiche Verfahren, die von Hinterbliebenen der Opfer des Luftangriffs gegen Klein, die Bundeswehr und die Bundesrepublik angestrengt worden waren. Deutsche Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht und jetzt der Europäische Gerichtshof entschieden zu Gunsten des deutschen Offiziers und der Bundesrepublik. Dabei ging es sowohl um die strafrechtliche Verantwortung als auch zum zivilrechtliche Entschädigungsforderungen.
Die Bundesanwaltschaft war bereits im April 2010 zu der Einschätzung gekommen, dass das Vorgehen des Offiziers nicht nach dem deutschen Strafrecht, sondern als Kriegshandlung nach Völkerstrafrecht zu bewerten sei und deshalb nicht als Straftat verfolgt werden könne.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stützte sich bei seiner Entscheidung auch auf die in Deutschland bereits abgeschlossenen Verfahren, ebenso auf den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestages. Die Richter kamen einstimmig zu dem Ergebnis, dass keine Verletzung des Artikels 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention und des darin festgelegten Rechts auf Leben vorliege:
In today’s Grand Chamber judgment in the case of Hanan v. Germany (application no. 4871/16) theEuropean Court of Human Rights held, unanimously, that there had been:
no violation of Article 2 (right to life) of the European Convention on Human Rights
The case concerned the investigations carried out following the death of the applicant’s two sons in an airstrike near Kunduz, Afghanistan, ordered by a colonel of the German contingent of the International Security Assistance Force (ISAF) commanded by NATO. (…)
The Court observed that the Federal Prosecutor General had found that Colonel K. had not incurred criminal liability mainly because he had been convinced, at the time of ordering the airstrike, that no civilians had been present at the sand bank. According to the Prosecutor General, Colonel K. had thus not acted with the intent to cause excessive civilian casualties, which would have been required for him to be liable under the relevant provision of the Code of Crimes against International Law. The Prosecutor General had considered that liability under the Criminal Code was also excluded because the lawfulness of the airstrike under international law served as an exculpatory defence. Colonel K. had believed that the armed Taliban fighters who had hijacked the two fuel tankers were members of an organised armed group that was party to the armed conflict and were thus legitimate military targets. The Court noted that the German civilian prosecution authorities had not had legal powers to undertake investigative measures in Afghanistan under the ISAF Status of Forces Agreement, but would have been required to resort to international legal assistance to that end. However, the Federal Prosecutor General had been able to rely on a considerable amount of material concerning the circumstances and the impact of the airstrike.
Unjuristisch gesagt: Wie zuvor schon die deutsche Bundesanwaltschaft und auch deutsche Gerichte kam der Menschenrechtsgerichtshof zu der Auffassung, dass Klein den Angriff auf aus seiner Sicht legitime militärische Ziele befohlen habe und damit nicht das innerstaatliche Strafrecht, sondern die Bestimmungen des Völkerrechts greifen. Damit war sein Vorgehen strafrechtlich nicht zu beanstanden und auch nicht als Kriegsverbrechen einzustufen.
Das ist in Deutschland im so genannten Völkerstrafgesetzbuch geregelt: bei einer militärischen Aktion dürfen auch zivile Opfer in Kauf genommen werden dürfen, wenn ihre Zahl nicht außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht, wie es Artikel 11 des Völkerstrafgesetzbuches festlegt.
So weit bekannt, ist damit die juristische Aufarbeitung des Luftangriffs abgeschlossen – weitere Gerichtsverfahren sind derzeit offensichtlich nicht anhängig.
Und deutsche Rechtsanwälte, die den armen afghanischen Hinterbliebenen völlig selbstlos helfen wollten, sind um eine lukrative Einnahmequelle aus Entschädigungszahlungen gebracht worden.
Arme Rechtsanwälte…
[Danke, das gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuweisen, wie die Debatte über diese Entscheidung möglichst nicht geführt werden sollte. Das Narrativ „da wollen sich nur die Anwälte bereichern“ ist genauso stumpf wie das Narrativ „Oberst Klein ist ein Kriegsverbrecher“. T.W.]
Das Interessante ist die Präzedenzwirkung mit Bezug auf orientieren des Begriffs „Verhältnismäßigkeit von militärischen Mitteln und militärischen Ziel“
Die Entschlussfassung des damaligen Oberst i.G. Klein als Kdr PRT Kundus war nicht nur soldatisch einwandfrei, sondern auch unbedingt geboten und die einzig richtige.
„Das Narrativ „da wollen sich nur die Anwälte bereichern“ ist genauso stumpf wie das Narrativ „Oberst Klein ist ein Kriegsverbrecher“. T.W.]
Sorry, aber das vergleicht Äpfel mit Birnen.
Friedensbewegter Twittershitstorm zum Trotz, JEDER ernsthafte Jurist der mit dem Thema vertraut ist, konnte und musste dieses Ergebnis voraussehen, wenn er nicht riesige ideologische (pazifistische) Scheuklappen aufhatte.
ALLE beteiligten deutschen Gerichte bis hoch zum BVerfG kamen zum gleichen Ergebnis wie der Generalbundesanwalt:
Oberst Klein hat richtig gehandelt; die ausgeübte Gewalt war und ist eine legitime militärische Handlung, auch wenn es dabei zivile Opfer gab. Ein Soldat muss im Krieg unter ständiger Lebensgefahr (für sich und seine Untergebenen) ständig schwierige Entscheidungen treffen. Dass da mal was daneben geht ist tragisch, aber unvermeidlich. Und kein Grund, dem Verantwortlichen, den man (mit unzureichenden Mitteln, s bewaffnete Drohne) ins Feuer stellt, im Falle des Mislingens mit dem Strafrecht zu drohen.
Und auch kein Grund, Taliban-Unterstützern, die Beihilfe zum Raubmord begehen und den Taliban dabei helfen, Diesel-Vorräte für zukünftige Bombenanschläge in Sicherheit bringen, auch noch Schadenersatz zu zahlen.
Der EGMR hat sich dieser Einschätzung im Ergebnis EINSTIMMIG angeschlossen. ebenso wie die fast einhellige Lehrmeinung.
Juristen haben of unterschiedliche Ansichten. Einige Dinge sind aber schlicht und einfach unvertretbar, wenn man sein Handwerk ernst nimmt. Einem Studenten, der in einer Klausur zum Thema zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, hätte ich damals ziemlich sicher durchfallen lassen.
Die RAs in diesem Fall mussten mit diesem Ergebnis rechnen. Sie werden darauf vertraut haben, dass die Medienaufmerksamkeit einen ausreichenden Werbewert hat, der ihre Aufwendungen abdeckt. Wahrscheinlich gabs auch noch nen Spendenfonds, der bei der Bilanz hilft.
[Ich würde noch nicht mal der These widersprechen, dass das heutige Ergebnis absehbar war. Aber bei einer Entscheidung, die auf den strafrechtlichen Strang abzielt, von Einnahmehoffnungen der Anwälte aus Entschädigungen zu reden, ist und bleibt stumpf. Und natürlich haben Opfer das Recht, eine Entscheidung auch bis zum Ende durchzufechten. T.W.]
@KPK
Als Operateur wissen Sie, daß es (beinahe) nie „richtig“ oder „falsch“ gibt sondern „zweckmäßig“, „weniger zweckmäßig“ und „unzweckmäßig“ ggf. noch – aber selten – „abwegig“ – M1, M2, usw usf.
Man hätte die Lkw auch weiterhin beobachten und sie dann bei einem erkennbaren Angriff neutralisieren können, man war ja vorgewarnt.
Den Entschluß von Oberst Klein kann man mittragen, aber daß es die einzige Möglichkeit des eigenen Handels war ist nicht zutreffend.
Mir behagt bei der causa Kunduz River etwas anderes nicht, aber lassen wir das 😎
Der “ Spiegel“ titelte in Ausgabe 5/2010 über den Luftangriff : “ Ein deutsches Verbrechen“ und schrieb vom “ Kunduz-Anschlag“.
Mehr Differenzierung und weniger Verurteilung in der deutschen medialen Berichterstattung wäre damals angebracht gewesen, auch in Hinblick auf die beteiligten deutschen Soldaten.
Im abgesteckten Meinungskorridor möchte ich dann gerne anmerken: Eine gute Entscheidung – ich bin erleichtert. Für Oberst Klein müssen es quälende 11 Jahre gewesen sein.
Die Frage, die ich mir seit einiger Zeit stelle ist, ob der Luftangriff genauso verlaufen wäre, wenn der damalige Oberst Klein auf Drohnen hätte zugreifen können – anstatt auf Jagdbomber mit begrenzter Stehzeit. Wahrscheinlich nicht
Klaus-Peter Kaikowsky (KPK) sagt: 16.02.2021 um 12:06 Uhr
Herrn Wiegolds Artikel entnehme ich, dass das Gericht festgestellt hat, dass sich die damalige Handlung im Rahmen des Völkerrechts bewegte und nicht die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt.
Das Sie (@KPK) daraus den verengenden Schluss ziehen, dass sei deshalb die unbedingt gebotene und einzig richtige Handlung gewesen, halte ich hingegen für falsch und auch als maßstabsgebend im Sinne zukünftiger Handlungsorientierungen für nicht zielführend.
@Georg & @Thomas Wiegold
Wenn vor dem EGMR dieselbe Kanzlei als Bevollmächtigte auftrat, die schon die Verfahren in Deutschland und vor dem EuGH anstrengte, dürfte wohl eher idealistischer Zorn den Ausschlag gegeben haben. Ich meine mich zu entsinnen, der RA sei selbst gebürtiger Afghane. Er hat einige sehr emotionale Interviews gegeben.
Einmal kramte er sogar vor Gericht die unselige Sache mit den Totenschädel-Fotos und der Afrikakorps-Palme hervor und unterstellte, die Bundeswehr habe aus rassistischen Motiven die Leben der Einheimischen gering geschätzt.
Nun, der Ausgang des Verfahrens war dermaßen klar und deutlich abzusehen, dass Standesrecht verletzt worden wäre, sollte er seinen Mandanten nicht auf die geringen Erfolgsaussichten hingewiesen haben. Die Vorinstanzen hatten eigentlich bereits alles gesagt, insbesondere zur Legitimität des Zieles.
Allenfalls hätte Straßburg urteilen können, dass der zu erwartende militärische Vorteil die Inkaufnahme der zivilen Opfer nicht rechtfertigte.
Dem stand aber bereits entgegen, dass Klein eine Ermessensentscheidung zwischen widersprüchlichen Informationen zu tätigen hatte und ihm kein pflichtwidriger Ermessensgebrauch nachzuweisen war. Von anderen hinreichenden Einwänden, etwa die Vernichtung von Beweisen aufgrund lokaler Begräbnisriten, gar nicht zu reden.
General Klein tut mir leid. Schon die vorangegangenen Urteile wurden kaum zur Kenntnis genommen.
@sputo.di.rospo
Unter operativen Maßstäben, besonders aber angesichts taktisch bewertbarer Feindlage, traf der Kdr die einzig zielführende Entscheidung.
Mit Erfolg.
Feind vernichtet, eigene Truppe verlustfrei.
Nur das zählt im Gefecht.
@Positroll sagt: 16.02.2021 um 12:09 Uhr
„Der EGMR hat sich dieser Einschätzung im Ergebnis EINSTIMMIG angeschlossen. ebenso wie die fast einhellige Lehrmeinung.“
Und das übrigens durch die Große Kammer, so das man auch nicht sagen kann, dass der Gerichtshof sich der Bedeutung des Falls nicht bewusst war, oder das die Richterzusammensetzung (einer normalen, kleinen Kammer) zufällig oder absichtlich eine bestimmte Lehrmeinung bevorzugt hätte.
„[Und natürlich haben Opfer das Recht, eine Entscheidung auch bis zum Ende durchzufechten. T.W.]“
Richtig, das wird hier gerne verdrängt.
JEDE Entscheidung kann im Nachgang per Gerichtsverfahren rechtlich angefochten (gewürdigt) werden.
Deshalb sind Sätze wie:
„Die Entschlussfassung des damaligen Oberst i.G. Klein als Kdr PRT Kundus war nicht nur soldatisch einwandfrei, sondern auch unbedingt geboten und die einzig richtige.“ (KPK)
und
„Nur das zählt im Gefecht.“
in einem demokratischen Rechtsstaat sehr fehl am Platz.
Die wahren Hintergründe wieso jemand klagt, sind in einem Rechtsstaat nicht wirklich von Belang.
Am Ende gibt es Urteile über einen Sachverhalt und jeder (wieder egal wieso) kann in die absolut höchste Instanz gehen, sofern die Gerichte diesen Weg erlauben.
Das ist jetzt passiert und man hat jetzt einen Sachverhalt genügend gewürdigt und das Urteil ist in Stein gemeißelt.
Trotzdem kann man aus vergangenen Entscheidungen lernen und Handlungsanweisungen ändern, egal ob man höchstrichterlich bestätigt wurde oder nicht.
Ob das für diesen Fall zutrifft ist eine OT-Frage, aber das gilt so ganz allgemein gesprochen.
Klaus-Peter Kaikowsky (KPK) sagt: 16.02.2021 um 13:18 Uhr
„Feind vernichtet, eigene Truppe verlustfrei.
Nur das zählt im Gefecht.“
Nee.. bei Ihren „Feindvernichtungshandlungen“, da gibt es auch Angemessenheitskriterien zu beachten. Allein das, was über den Funkverkehr zwischen PRT und den F-16 Piloten bekannt ist, offenbart Differenzen über das, was damals von den unmittelbar an der Handlung Beteiligten als „angemessen“ betrachtet wurde.
Was nun? „Einzig richtig“ oder „einzig zielführend“? Zwischen der Bedeutung von „richtig“ oder „zielführend“ liegen Welten. Siehe auch den Kommentar von @Thomas Melber (12:34)
Vor allem sollte den Parteien im Bundestag damit klar werden, dass einzig bewaffnete Aufklärungsdrohnen hier eine 100%-ige Unterstütztung für den Soldaten Klein gewesen wäre. Bilder usw. werden aufgezeichnet, womi9t jeder Schritt auch für jeden Untersuchungsausschuss im Bundestag nachvollziehbar geworden wäre.
@Klaus-Peter Kaikowsky (KPK)
Ich denke auch, dass Sie diesmal zu absolut formulieren.
Ich unterstütze nach den bekannten Fakten (und aufgrund der umfangreichen Berichterstattung und parlamentarischen und juristischen Befassung wissen wir in diesem Fall ja ziemlich viel) auch nachdrücklich die Bewertung, dass Oberst Klein im Ergebnis nicht nur rechtlich schuldlos, sondern auch taktisch richtig gehandelt hat.
Aber seine Entscheidungen war sicherlich nicht alternativlos. Und da wir ja nur den Ausgang einer denkbaren Option kennen, wissen wir nicht, ob es nicht auch anders hätte gehen können.
Das ist das Wesen der Truppenführung. Man WEISS vorher gar nichts und nachher immer nur das was sich TATSÄCHLICH zugetragen hat.
@Tom Cruise sagt: 16.02.2021 um 13:56 Uhr
„JEDE Entscheidung kann im Nachgang per Gerichtsverfahren rechtlich angefochten (gewürdigt) werden.“
Darf? Ja.
Kann/sollte? Nicht immer.
Taktische Entscheidungen erschließen sich sehr häufig nicht einer rechtlichen Würdigung, weil es dabei kein rechtliches „richtig und falsch“ gibt.
Bis vor nicht allzu langer Zeit, war deswegen die Lehrmeinung (und auch jetzt wird diese noch in nicht unerheblichem Umfang vertreten), dass sich militärische Handlungen im Krieg deswegen Schadensersatz grundsätzlich verschließen.
Heutzutage geht es nun in bestimmten Fällen, aber dazu müssen halt auch grobe Pflichtverletzungen nachgewiesen werden (und noch einiges weiteres). „Falsche“ Entscheidungen (und ich vertrete ausdrücklich die Position, dass Oberst Klein gar keine „falsche“ Entscheidung getroffen hat), bedingen in sich definitiv noch keinen Entschädigungsanspruch.
[Noch mal, weil es hier gerne durcheinandergeworfen wird: Die heute veröffentlichte Entscheidung ging nicht um einen Entschädigungsanspruch. Und jetzt damit zu argumentieren, dass sich angeblich „militärische Handlungen im Krieg Schadensersatz grundsätzlich verschließen“, ist an dieser Stelle eine Nebelkerze. Um es mal zuzuspitzen: War’s ein Kriegsverbrechen oder nicht? Und nein, da gibt es keine Lehr- oder auch nur überwiegende Meinung, dass Kriegsverbrechen nicht verfolgt werden dürften. T.W.]
militärisch vor Ort richtig – eine Situationsentscheidung, bei der es kein Reset, keinen Respawn und keine Zeitlupe gibt.
Aber er hätte nicht dorthin gehört !
Dafür kann er als Soldat nichts, die Schuldigen sitzen im Bundestag !
Nicht alles, was juristisch straffrei ist, ist auch immer militärisch richtig. Nach meiner festen Überzeugung hätte es andere Möglichkeiten des Handels gegeben. Auch in dieser Extremsituation.
Es ist jedoch sehr zu begrüßen, dass die Gerichte den gesamten Vorgang überprüft haben und nunmehr der Rechtsfriede eintreten kann. Dies ist der zivilisatorische Fortschritt unserer Gesellschaft. Dies nun so zu akzeptieren obliegt jedem Einzelnen.
Tja, man stelle sich vor, das PRT hätte damals über Kampfdrohnen verfügt, gezielte Schläge auf die zwei Lkw samt Besatzung hätten ihre Wirkung präzise und chirurgisch begrenzt erzielt.
Oder sähen Manche solchen Einsatz als unzulässige Offensivaktion, die nicht dem Schutz der Truppe diente.
Hierzulande muss der Truppenführer inzwischen auf vieles gefasst sein.
Ruehrend, dass bei diesem Thema reflexartig pseudomartialische Treueschwuere an General Klein ergehen. Wenn man „Schutz vor Auftrag!“ absolut setzt, hat Herr General damals natuerlich eine einwandfreie Entscheidung getroffen. Legal ist aber nicht immer legitim. Ich konnte Stanley McChrystal, den damaligen COM ISAF, schon verstehen, dass ihn dieser Ansatz, das Sparen von DEU Blut ueber alles zu stellen, etwas enttaeuscht hat, nachdem er eine Woche zuvor einen diesbezeuglichen Strategiewechsel verfuegte. Natuerlich ging eine abstrakte Gefahr von den im Flussbett festgefahrenen Tanklastern aus. Aber konkret? Wenn ich „desired effects“ gegen „undesired effects“ dieses Praeventivschlags auf allen Ebenen aufrechnen wuerde, kaeme wohl im Summenzug: „Fail“ heraus. Da waren die Glaeser der nationalen Brille wohl ein bisschen zu dick, um klar alle Implikationen zu uebersehen.
@T.W.
Guter Hinweis! Sie haben Recht, es ging ja in der Tat um die Frage ob DEU im Rahmen der strafrechtlichen Aufklärung die notwendigen und angemessen Schritte unternommen hat. Zwar wäre es im Falle eines anderslautenden Urteils zu einer Geldstrafe gegen DEU gekommen (das ist das übliche Vorgehen des EGMR), aber eben nicht als Schadensersatz wegen des Vorfalls, sondern als Entschädigung für die Verletzung der Rechte im Rahmen des Verfahren.
Wichtiger Unterschied.
„Und jetzt damit zu argumentieren, dass sich angeblich „militärische Handlungen im Krieg Schadensersatz grundsätzlich verschließen“, ist an dieser Stelle eine Nebelkerze. Um es mal zuzuspitzen: War’s ein Kriegsverbrechen oder nicht? Und nein, da gibt es keine Lehr- oder auch nur überwiegende Meinung, dass Kriegsverbrechen nicht verfolgt werden dürften.“
1. Nebelkerze legt nahe (nein es unterstellt sogar), dass ich meine Argumentationsirrtum absichtlich begangen habe. Ich glaube hier vergaloppieren Sie sich gerade.
2. Und in der Tat die Diskussion um die die rechtliche Zugänglichkeit militärischer Handlungen bezieht fast ausschließlich auf Staatshaftung und hat äußerst, äußerst wenig mit Kriegsverbrechen zu tun.
@Positroll sagt: 16.02.2021 um 12:09 Uhr
Nachtrag, nur der Vollständigkeit halber:
„Der EGMR hat sich dieser Einschätzung im Ergebnis EINSTIMMIG angeschlossen. ebenso wie die fast einhellige Lehrmeinung.“
In der Tat die inhaltliche Bewertung der Großen Kammer erfolgte einstimmig.
Spannend ist noch ein Details. Bei der Frage der Zulässigkeit der Klage haben drei Richter (die GBR, LIE und BGR Richter) abweichend von der Mehrheitsmeinung argumentiert, die Klage sei bereits deswegen unzulässig, weil die EMRK in AFG keine Anwendung finde.
Das hängt sehr wohl zusammen.
Die Frage, ob hier ein Kriegsverbrechen vorliegt, ist die entscheidende Vorfrage für den Entschädigungsanspruch.
Prozessual gewendet: Wenn der EGMR den Freispruch von Oberst Klein abgeschossen hätte, dann wäre auf dieser Grundlage ziemlich sicher auch zusätzlich eine Wiederaufnahme der zivilrechtliche Verfahren möglich gewesen.
Materiell-rechtlich: Wenn Oberst Klein nicht gegen Kriegsvölkerrecht verstiess, dann gibt es auch keine drittschützende Norm, die als Grundlage für einen Schadenersatzanspruch nach Staatshaftungsrecht trägt. Interne Bundeswehr/NATO Vorschriften zum Einsatz von Luftfahrzeugen reichen dafür nämlich nicht.
Entscheidend ist aber: Das Kriegsvölkerrecht wurde nicht von Idioten im Elfenbeinturm entwickelt, sondern von Juristen, von denen viele selber, auf verschiedenen Seiten, im Kampf gestanden haben.
Krieg ist von seiner Natur nach brutal und chaotisch. Das Kriegsvölkerrecht will nur die schlimmsten Auswüchse bekämpfen – und keine Regeln vorgeben, die im Ernstfall kein A… befolgen würde oder könnte.
(Gib keinen Befehl, von dem Du weisst er wird sowieso nicht befolgt werden …)
Deswegen wird, anders als im Polizeirecht, NICHT positiv die Verhältnismäßigkeit der Mittel positiv gefordert, sondern andersherum nur bei klar ausser jedem Verhältnis stehenden Entscheidungen mit der Kelle des Strafrechts zugehauen. (nicht so tolle Entscheidungen führen statt dessen zu ausbleibender Beförderung, oder ggf auch mal zu Degradierung wg Inkompetenz)
Soldaten, inkl Offiziere, operieren im Krieg regelmäßig mit minimalem Schlaf (ich empfehle, mal einen 36h Kampftag mitzumachen, falls noch nicht geschehen), Kälte, Hitze, schlechter Verpflegung, ständigem Stress und der konstanten Angst um das eigene Leben und das ihrer Leute. Dabei müssen sie ständig Entscheidungen über Leben und Tod treffen. Fehler passieren da zwangsläufig. Andererseits bedeuted Untätigkeit , anders als im zivilen Leben, meist sehr viel mehr Tote „down the line“, ist also auch keine Lösung.
Eine völkerrechtswidrige Entscheidung ist darum aus gutem Grunde nicht dann gegeben, wenn ein Haufen Juristen, Gutachter und Generäle nach wochenlanger Analyse und Diskussion zu dem Ergebnis kommt „das hätte man besser machen können“.
Sondern nur dann, wenn ein anderer Oberst in dieser Situation vor Ort sich umgedreht und gesagt hätte „spinnst Du?“ Davon war die Entscheidung von Oberst Klein meilenweit entfernt. Thema durch..
Es ist gut, dass sowohl BVerfG als auch jetzt EGMR diese juristische Selbstverständlichkeit mal wieder klar gestellt haben.
Es gibt immer Alternativen…
„c) Unterlassen als mögliche Alternative
Die einzige mögliche Alternative wäre gewesen, nichts zu tun und den Befehl zum Luftschlag zu unterlassen.
Aus heutiger Sicht und vor dem Hintergrund der seinerzeit nicht vorliegenden zusätzlichen Kenntnisse wäre das möglicherweise die bessere Wahl gewesen.
Auch Oberst Klein gab in seiner Vernehmung an, dass er wenn er zum damaligen Zeitpunkt, Zivilpersonen vor Ort für möglich gehalten hätte, den Befehl nicht gegeben hätte.“
Quelle:
http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP17/394/39492.html
Ob man dieser Einlassung des Herrn Oberst Klein folgen will, oder nicht, muss dabei jeder für sich entscheiden.
Ich bezweifle aber, dass auf den Videobildern, z.B. des zuerst vor
Ort befindlichen B1-Bombers, nicht
auch Frauen und Kinder zu erkennen
waren. Und die F-15-Besatzung hätte
bestimmt auch nicht mehrfach (!!)
nach der Durchführung von „Show of force“ gefragt… wenn sie nur bewaffnete Talibankämpfer erkannt hätten…
Aber … Krieg ist Krieg …
Und der größte Fehler war nicht
diese Nacht… sondern den USA
in dieses 20+(!!)-Jahres-Fiasko zu folgen. Aber dies ist off-topic
Naja. Dass ganze Thema ist immernoch ein Wespennest. Und ich möchte da auch nicht in der Haut von den Entscheidern stecken. Und ich weiss dass es nicht hierher gehört. Ist doch auch die Frage ob es mit der Waffenwirkung nicht auch 2 nummern kleiner gegangen wäre. Entschuldigung im vorraus TW.
@J10
Das mit den „Treueschwüren“ ist untere Schublade. Es kommt selten vor in unserem Rechtssystem, dass alle Instanzen einen Sachverhalt so gleichartig bewerten. Der Ausgang war absehbar, und damit darf man auch mal einen Gedanken an einen Mann verschwenden, der elf Jahre lang als Kriegsverbrecher verunglimpft und entweder seine Person oder seinen Namen durch die Gerichte gezerrt sah. Und das für eine Entscheidung, von deren Rechtmäßigkeit er vernünftigerweise ausgehen durfte, wie der Ausgang dieses x-ten Verfahrens beweist, und die er mit Sicherheit nicht gern traf und heute wahrscheinlich gerne ungeschehen machen würde.
Gab es eigentlich auch einen Prozess gegen diejenigen, die die Tanklaster entführten, einen der Fahrer ermordeten und den Diesel mutmaßlich zur Herstellung von IEDs verwenden wollten? Oder wurden nur diejenigen über ein Jahrzehnt lang unter Verdacht gestellt, die diesen Leuten ihre Waffe aus der Hand schlugen, bevor sie noch größeren Schaden anrichten konnten?
Es wäre ihm kein Zacken aus der Krone gefallen hätte er den Vorschlag der F15 crew angenommen.
Aber er musste in der BRD unbedingt einen Freispruch bekommen, weil man Angst hatte deutsche Offiziere werden nach einer Verurteilung keinen Feuerbefehl mehr erteilen aus Angst vor den Folgen.
@all
Ich ahne eine recht emotionale Zuspitzung der Debatte, wenn ich den Kommentar von @Red Baron – der Nick ist in dem Zusammenhang ja nicht zufällig gewält – sehe. Und rate dringend dazu, davon Abstand zu nehmen.
@ Alle Drehstuhl-Kommandeure:
1. Hinterher sind alle immer schlauer!
2. In einer taktischen Situation verfügt der militärische Führer nie über vollkommene Informationen, sondern zumeist über wenige mit Masse negative Informationsbruchstücke. Auf dieser Grundlage ist er gezwungen zu handeln.
3. Der Kdr PRT hat gehandelt, sein Handeln war erfolgreich und wurde durch alle verfügbaren irdischen Instanzen für rechtmäßig befunden.
4. Wer behauptet, es hätte andere Handlungsmöglichkeiten gegeben, war nicht vor Ort und kennt ganz augenscheinlich die bestimmenden Faktoren nicht.
@Mike sagt: 17.02.2021 um 1:00 Uhr
„Es wäre ihm kein Zacken aus der Krone gefallen hätte er den Vorschlag der F15 crew angenommen.“
Das hat er als zur zuständige Führer vor Ort offensichtlich anders bewertet.
„Aber er musste in der BRD unbedingt einen Freispruch bekommen, weil man Angst hatte deutsche Offiziere werden nach einer Verurteilung keinen Feuerbefehl mehr erteilen aus Angst vor den Folgen.“
Ja, in der Tat wenn die Staatsanwaltschaften und Gerichte anders entschieden hätten, dann hätte das vermutlich dramatische Auswirkungen für die Zukunft gehabt.
Aber die Gerichte und Staatsanwaltschaften haben ja nicht opportunistisch deswegen so entschieden, sondern weil es das Gesetz so vorsieht. Oberst Klein handelte also strafrechtlich und zivilrechtlich und disziplinarrechtlich ohne Beanstandungen. Und aufgrund des einhelligen Tenors aller Instanzen war die Entscheidung rechtlich auch niemals strittig.
Denn auch um das nochmals klar zu stellen. Es kam nicht nur nicht zu einer Verurteilung. Wegen offensichtlicher Unschuld wurde sogar noch nicht mal eine Anklage erhoben.
@Dante: Und da sind wir bei der Frage der zur Verfügung stehenden Mittel als die eine Seite der Wage im Kontrast zu den Zielen.
Da fehlt Material hier Drohnen, zu der Zeit auch Kampfhubschrauber und etliches um das Karfreitagsgefecht noch mit in die Betrachtung aufzunehmen.
Daher mein Credo: Höhe Ansprüche an Ausführung muss unterfüttert werden durch optimale Mittel, um diese zu erreichen.
Man kann alles und jede Entscheidung mit mitteleuropäischen Maßstäben noch nach 10 Jahren zu hause im Wohnzimmersessel atomarisieren und kritisieren. Dies ändert aber nichts an dem ethischen Konflikt in dem der Oberst Klein sich zum Zeitpunkt seiner Entscheidung befand. Die Frage war für ihn, andere Leben, event. auch das Leben von Unbeteiligten zu riskieren oder eigene Leben zu riskieren wenn es zu einem Anschlag mit dem Diesel von den Tanklastern auf sein eigenes Lager und auf seine eigenen Soldaten kommen sollte. Jeder verantwortliche militärische Führer würde sich für die eigenen Soldaten entscheiden und nicht für das Leben von angeblich unbeteiligter Dorfbevölkerung.
Also es bleibt festzustellen:
1. Fakt ist, es war eine Handlung im Krieg (innerstaatlich). Dieser Status wurde mit dem Feuerbefehl zum ersten Mal in der deutschen Öffentlichkeit bewusst wahr genommen.
2. War die Reaktion der regierungstreuen Bevölkerung euphorisch. Zum ersten Mal haben die ausländischen deutschen Truppen einen wirklich wirksamen Schlag gegen die Aufständischen gemacht.
3. Wenn Terroristen die zivile Dorfbevölkerung als menschliche Schutzschilde benutzen, dann liegt die Verantwortung bei denen, die die unbeteiligte ( ? ) Dorfbevölkerung an das militärische Objekt (feststeckende Tanklaster) heranführen und nicht bei denjenigen, die dieses Objekt (Tanklaster) als Gefahr für das eigene Lager ausschalten wollen und bekämpfen.
4. Sollten bei uns alle Friedensbewegten überlegen ob nicht nur in Krieg, sondern z.B. in der jetzigen Corona-Pandemie von den Verantwortlichen Fehler gemacht werden. Die kann man dann auch 10 Jahre durch die Gerichtsinstanzen schleppen um zu klären ob z.B der Firmenkonkurs fahrlässig von der Regierung verursacht wurde in der Pandemiebekämpfung.
Sehen wir – bei aller taktischer und moralischer Unterschiede – doch das Gute:
1.) Das Gewürge hat für General Klein ein Ende
2.) Spätestens seit Kunduz dürfte es bei halbwegs (!) intelligenten Menschen keine Frage mehr geben, wie wichtig Drohnen sind, um die eigenen Truppen zu schützen, sich genaue Lagebilder zu machen und ggf. wesentlich gezielter eingreifen zu können, als ein JaBo das kann
3.) Dass „der liebe Gott“ schon eine besondere Art von Humor hat, dass just an dem Tag der Urteilsverkündung, die noch verbliebenen Truppen (so) offiziell (wie möglich) ihren Ruaswurf aus AFG erhalten haben (Offenener Brief), womit die komplette hilf- und sinnlosigkeit des AFG-Einsatzes nunmehr vollends hervortritt
Positroll 16.02.2021 um 17:18 Uhr
„Soldaten, inkl Offiziere, operieren im Krieg regelmäßig mit minimalem Schlaf (ich empfehle, mal einen 36h Kampftag mitzumachen, falls noch nicht geschehen), Kälte, Hitze, schlechter Verpflegung, ständigem Stress und der konstanten Angst um das eigene Leben und das ihrer Leute…“
Und darum sollten wir alle wissen, dass es in Stäben eine ordentliche Schichteinteilung geben muss. Diesen Fehler des 36 h Kampftages hatte man schon mal erkannt.
@escrimador: Wie stellen Sie sich das hier vor? Hätte der Kommandeur Oberst Klein ins Bett sollen weil seine Arbeitszeit (sic) zu Ende war, und eine Entscheidung von derartiger Trageweite stattdessen von seinem Stellvertreter getroffen werden?
@T.Wiegold
Roger. Deswegen eine, wie ich hoffe, sachliche Erwiderung an @Mike.
Zitat: „Aber er musste in der BRD unbedingt einen Freispruch bekommen, weil man Angst hatte deutsche Offiziere werden nach einer Verurteilung keinen Feuerbefehl mehr erteilen aus Angst vor den Folgen.“
Die historische Konnotation und die politische Großwetterlage legen das Gegenteil nahe. Die Regierung hatte kein Interesse an einem „schießwütigeren“ Militär, und ein Freispruch Oberst Kleins würde die Verantwortung auf sie verlagern.
Hätte Klein rechtswidrig gehandelt, hätte er die (auch moralische) Alleinschuld zu tragen. Hätte er indes rechtmäßig gehandelt, innerhalb des von der Politik gesteckten Rahmens, so wäre sie dafür verantwortlich zu machen, dass es überhaupt so weit kommen konnte.
In puncto Justiz: Richter sind nicht weisungsgebunden, Gerade die Bundesgerichte beweisen im Alltag ihre Unabhängigkeit. Und dass sich EuGH und EGMR dem Standpunkt der deutschen Justiz angeschlossen haben, obwohl sie bekanntlich in heftigen Konkurrenzkämpfen zu ihr stehen, besagt einiges.
Alles in allem, scheint mir, stützt sich Ihr Verdacht weder auf konkrete Anhaltspunkte, noch auch nur auf abstrakte Verdachtsmomente.
Zitat: „Es wäre ihm kein Zacken aus der Krone gefallen hätte er den Vorschlag der F15 crew angenommen.“
— Sie scheinen anzudeuten, dass Klein keine guten militärischen Gründe für die Annahme hatte, er dürfe es nicht riskieren, die Tankfahrzeuge aus den Augen zu verlieren. Betrachtet man aber bspw. den Angriff auf die Italiener in Nasiriyah 2003, lässt sich feststellen, dass laufende Fahrzeugbombenanschläge praktisch nicht mehr abzuwehren sind.
Demnach wäre seine Einschätzung korrekt.
Ihre Wortwahl legt auch nahe, dass Klein grundlos Handlungsbedarf verspürte. Sämtliche Instanzen im In- und Ausland sind jedoch überzeugt, dass er zu der festen Überzeugung gelangt war, handeln zu müssen, und zu dieser Überzeugung nicht auf fahrlässige oder gar böswillige Weise gelangt war. Alles andere ist irrelevant.
Mal eine Fachfrage an das Auditorium:
Hätten die amerikanischen Kampfflugzeuge den Tanklastzug nicht mittels Bord-MG (20 mm, Spreng-Brand-Munition) in Brand schießen können?
Die Abwurfmunition ist schon ganz viel Licht und Wärme.
Vielleicht, kann mir das jemand Erklären. Hätte der besagte Oberst zb 1 Leopard 2 Kampfpanzer im Camp Kunduz hätte man doch sicher mit dessen Aufklärungsgeräten, unter anderem Nachtsichtgeräte, ran fahren und die Sachlage aufklären können? Hatte man zu jener Zeit keinen Tiger Kampfhubschrauber einsatzfähig, der auch aufklären hätte können, bevor ich ein „unklares“ Lagebild habe? Musste man unbedingt US Amerikanische Kampfflugzeuge anfordern? Warum nicht eigene Tornado Kampfjets, die waren ja damals vor Ort? Und ich will nichts davon lesen, Leo 2 hätten nicht dort rum fahren können. Danke, schonmal für mögliche Antworten!
[Das können wir recht schnell erledigen: Deutsche Leopard-Kampfpanzer waren niemals, Tiger-Kampfhubschrauber zu jener Zeit dort nicht im Einsatz. Tornados nach meiner Erinnerung auch nicht, und selbst wenn, waren sie ausschließlich zur Aufklärung und nicht zur Bekämpfung von Bodenzielen ausgestattet. Alle diese Fragen stellen sich also nicht. T.W.]
@allexm78:
Es waren in Kunduz Drohnen (KZO) vor Ort, diese wurden jedoch nicht eingesetzt:
„Der Einsatz eigener Drohnen zur weiteren Aufklärung des Geschehens auf der Sandbank war für Oberst Klein nach
eigener Aussage keine Alternative:
„[…] die eigenen Drohnen […] [wären] nur mit einem sehr großen zeitlichen Vorlauf verfügbar gewesen […] und ich [habe] deswegen auf die Flugzeuge zurückgegriffen […] Der zweite Grund war,
dass dieses Personal bis an die Grenzen gefordert worden war und ich davon ausging, dass ich sie dringend für den nächsten Tag brauche.“
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/074/1707400.pdf , S. 60
Zudem erlaube ich mir an eine der zurückliegenden Diskussionen zu diesem Thema zu erinnern:
https://augengeradeaus.net/2015/06/verfassungsgericht-bestaetigt-kein-ermittlungsverfahren-gegen-oberst-klein/
Über die Zeit wird es leider nicht sachlicher.
Die juristische Aufarbeitung ist das eine, die politische und militärische Aufarbeitung sind aus meiner Sicht etwas anderes.
Beides ist unterblieben und es wird auch dabei bleiben. Es wären dabei wichtige Lehren möglich und notwendig gewesen.
„War die Reaktion der regierungstreuen Bevölkerung euphorisch. Zum ersten Mal haben die ausländischen deutschen Truppen einen wirklich wirksamen Schlag gegen die Aufständischen gemacht.“
War sie das tatsächlich? Ich erinnere mich an Interviews mit begeisterten Afghanischen Sicherheitskräften, und die waren natürlich begeistert, sind ja aber nicht die allgemeine Bevölkerung.
Und findet man im Stammesland Afghanistan überhaupt nennswerten Anteil an zentralregierungstruer Bevölkerung? (insbesondere im ländlichen Gebieten?)
Warum sollte sie es auch? Die Staatlichen Strukturen sind fast komplett korrupt.
Warum sollte man ihnen dann treu sein?
Sie sind eher verbunden mit ihren Lokalen Machtstrukturen.
(die mal der einen, mal der anderen Seite zuneigen)
Hier ist dann das Ganze Problem.
Denn die Bundeswehr (bzw. ISAF) stützt diese korrupte Zentralregierung Regierung, die in vielen Gebieten wenig Anhänger hat.
Und damit kann die Bundeswehr dann teilweise nur noch als Besatzungsarmee auftreten.
Und aus dieser Situation heraus entsteht dann ein solcher Luftangriff. Den man im Nachhinein sicher als übertrieben und unangemessen bewerten kann, aber aus der Realität vor Ort eben nicht.
Denn prinzipiell gilt in jeder Armee ja noch das alte Prinzip, den Feind möglichst hart zu treffen, wenn man die Gelegenheit hat. Und der Feind wurde hart getroffen.
Das Problem ist nur, dass „der Feind“ große Schnittmengen mit der normalen lokalen Bevölkerung hat.
Das heißt ich schließe mich den anderen in der Meinung an, dass das Hauptproblem war und ist, dass die Bundeswehr überhaupt vor Ort ist, mit diffusem, undurchführbarem Auftrag. Denn die Bundeswehr ist in erster Linie eine Armee (und keine Polizeitruppe). In dieser Rolle hätte sie Unterstützung leisten können, beim Aufspüren und Ausheben der Terrornetzwerke mit Bezug auf 9/11 und dann die Mission abschließen.
Aber das Nationbuilding war in der Form, von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Insbesondere da es so abstrakt und arrogant von Außen aufgezogen wurde und jede lokale Realität ignoriert hat.
@Florian Staudte
Ohne mich jetzt zum Experten aufschwingen zu wollen, kann ich mir nicht vorstellen, dass es auf solche Weise wesentlich weniger Tote gegeben hätte. Auch ist an diverse Brandereignisse an illegal angezapften Pipelines zu denken, z.B. in Mexiko vor wenigen Monaten. Vermutlich würde der Kraftstoff in Ihrem Szenar nicht kontrolliert abbrennen, sondern als Nebel die Sandbank überschwemmen und schlagartig in Flammen aufgehen.
Solche Klagen gibt es nur in Deutschland!
@ Commander Z sagt: 18.02.2021 um 3:46 Uhr
„Solche Klagen gibt es nur in Deutschland!“
Wie kommen Sie denn darauf?
Fragen Sie mal die Briten oder die Amis. Da fallen mir allein zwei Staaten ein, die in den letzten Jahren juristische Auseinandersetzungen über ihr Verhalten in AFG oder im IRQ hatten.
Außerdem war das Verfahren ja gar nicht vor einem DEU Gericht oder in DEU.
@Commander Z
Nein, gibt es nicht. Deutschland geht vielleicht mit mehr Sorgfalt und Sensibilität an die Sache heran weil, da war ja was mit Geschichte und so.
Das ist nichts Schlechtes. Das Problem ist eher die Vorverurteilung und Propaganda auf allen Seiten.
Ich hatte mich damals, als der Luftschlag passierte, nicht intensiver damit beschäftigt, außer normale Nachrichtenartikel darüber zu lesen.
Und was ich ungefähr mitgenommen hatte war, dass da ein Tanklaster steckengeblieben ist und sich Civilisten illegalerweise Benzin abgezapft hatten und fälschlich bombardiert wurden.
Das ist so ungefähr die Version, die auf jeden Fall in „friedensbewegten Kreisen“ immer noch zu finden ist – und diese Kreise sind dann natürlich empört, weil dass wäre klar ein Kriegsverbrechen – und es wäre daraufhin empörend, wenn ein solcher Soldat nicht nur nicht verurteilt wird, sondern auch noch befördert wird.
Aber die zugrundeliegende Story stimmt ja so überhaupt nicht.
Wie sie wirklich war, weiß ich aber immer noch nicht genau.
Und das scheint auch nur wenig Thema zu sein: nämlich, was weiß man denn über die bombardierten Menschen, warum sie dort waren?
Wurde das mehr oder weniger genau rekonstruiert?
Also waren die Dorfbewohner tatsächlich in Talibanstrukturen eingebunden und hatten da einen militärischen Auftrag übernommen?
Oder kam jemand ins Dorf und hat gesagt, „da steckt ein Tanklaster fest, Benzin für alle!“
Kurz gesagt, wussten die, die bombardiert wurden, was sie da tun?
Weil illegal Benzin zapfen ist etwas anderes, als Beteiligung an Raubmord und vorbereitung terroristischer Aktivitäten.
Diese Punkte sind zwar vermutlich rechtlich nicht so relevant, was die Entscheidung von Klein angeht, denn da geht es um die Informationen, die ihm zur Verfügung standen.
Aber in der Debatte drumherum, vermisse ich da differenzierung.
Alles unschuldige Civilisten oder alles böse Terroristen?
Hier ist der Tenor bei vielen letzteres und der Fall damit klar.
Auf der anderen Seite ersteres und ebenso.
Ergebnis: noch mehr Spaltung und weniger Kommunikation.
Für das, was vom 3.9. auf den 4.9. da passiert ist, wird es wohl aufgrund der unvollständigen öffentlichen Darstellungen niemals eine akzeptable öffentliche Rechtfertigung geben können. Es wäre an der Zeit aufzudecken ob, welche und wie viele Spezialkräfte da vor Ort waren (gab ja Videomaterial von einem wegfahrenden Jeep) sowie in welcher Lage sie sich befunden haben,
Wer diesen gesamten Bereich – auch Verluste der Spezialtruppen – komplett geheim hält, muss nicht auf Verständnis hoffen oder darf der Bevölkerung einen Mangel an Akzeptanz vorwerfen.
Eigene Meinung: Auch das Freikämpfen eigener Truppen darf kein Argument dafür sein, eine große Zahl an möglichen Gegnern ohne Vorwarnung (Überflug, Warnschschüsse und andere Show-of-Force) zu töten.
@Daniel Lücking sagt: 18.02.2021 um 10:55 Uhr
„Eigene Meinung: Auch das Freikämpfen eigener Truppen darf kein Argument dafür sein, eine große Zahl an möglichen Gegnern ohne Vorwarnung (Überflug, Warnschschüsse und andere Show-of-Force) zu töten.“
Ihre persönliche Afghanistan-Erfahrung in allen Ehren, aber in diesem asymmetrischen Konflikt, in dem der Gegner auch mit Selbstmordattentaten und IED angreift, wirkt diese Meinung wie Ponyhofdenken. Wofür die Vorwarnung? Damit sich der Gegner besser in der Zivilbevölkerung verstecken kann?
Wer sich in Gefahr begibt, kann darin umkommen. Das gilt auch für die Taliban.
@Daniel Lücking sagt: 18.02.2021 um 10:55 Uhr
„Für das, was vom 3.9. auf den 4.9. da passiert ist, wird es wohl aufgrund der unvollständigen öffentlichen Darstellungen niemals eine akzeptable öffentliche Rechtfertigung geben können.“
Naja, das kann man auch anders bewerten.
Ich für meinen Teil sehe mehr als nur eine „akzeptable“ öffentliche Begründung.
mEn handelte Oberst Klein nicht nur rechtlich zulässig, sondern auch taktisch folgerichtig.
„Wer diesen gesamten Bereich – auch Verluste der Spezialtruppen – komplett geheim hält, muss nicht auf Verständnis hoffen oder darf der Bevölkerung einen Mangel an Akzeptanz vorwerfen.“
Ich sehe hier eher eine Obsession von bestimmter Seite. Dem durchschnittlichen Bürger dürfte es keine Verständnisprobleme bereiten, dass bestimmte Dinge im Militär nun mal geheim sind.
„Eigene Meinung: Auch das Freikämpfen eigener Truppen darf kein Argument dafür sein, eine große Zahl an möglichen Gegnern ohne Vorwarnung (Überflug, Warnschschüsse und andere Show-of-Force) zu töten.“
Ob diese Position kriegstauglich und rechtlich und ethisch geboten ist, darüber könnte man lange streiten. Aber für die fragliche Situation ist das irrelevant, weil (gerichtsfest) festgestellt wurde, dass Oberst Klein davon ausging (und ausgehen konnte und durfte), dass nicht nur „mögliche“ Gegner, sondern vielmehr „tatsächliche“ Gegner anwesend waren.
@T.W. bitte beim vorangegangenen Kommentar von @AOR anmerken, dass 2009 das Karfreitagsgefecht von 2010 schwerlich eine Rolle gespielt haben kann bei der Entscheidung für das Bombardement.
Oder verstehe ich die Passage einfach falsch?
„Da fehlt Material hier Drohnen, zu der Zeit auch Kampfhubschrauber und etliches um das Karfreitagsgefecht noch mit in die Betrachtung aufzunehmen.“
Daniel Lücking, 18.02.2021 um 10:55 Uhr
Ich habe mich jetzt nicht intensiv in die aktuelle und damalige Berichterstattung bzgl. der Stuation vor Ort eingelesen, aber zumindest im „normalen“ Informationskreis des außenpolitisch- und insbesondere Bundeswehr-Interessierten Lesers sind mir vor Ort befindliche SpezKräfte oder Videomaterial nicht über den Weg gelaufen. Wo kommt das alles her?
Bezüglich Ihres letzten Absatzes möchte ich (ggf. etwas zynisch, aber wir leben hier ja auch von der Zuspitzung) Patton zitieren:
„No bastard ever won a war by dying for his country. He won it by making the other poor dumb bastard die for his country!“
Krieg ist scheisse…