Luftangriff bei Kunduz 2009: Europäischer Gerichtshof sieht keine Verletzung der Menschenrechtskonvention
Für den Luftangriff bei Kunduz in Nordafghanistan im September 2009, bei dem zahlreiche Zivilisten ums Leben kamen, ist dem anordnenden deutschen Offizier keine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention anzulasten.Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wies mit dieser Entscheidung eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland ab.
Vor dem Straßburger Gericht hatte ein Afghane geklagt, der bei dem Luftangriff zwei Söhne verloren hatte. Bei dem Luftschlag am 4. September 2009 waren zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen, als sie aus zwei Tanklastern Treibstoff abzapfen wollten, die auf einer Sandbank im Kunduz-Fluss stecken geblieben waren. Die Tankwagen waren von Aufständischen entführt worden, und der damalige Oberst Georg Klein, Kommandeur des Provincial Reconstruction Teams (PRT) Kunduz der internationalen Mission in Afghanistan, hatte einen Angriff mit diesen Tanklastern als rollende Bomben befürchtet und deshalb den Luftangriff angeordnet.
Das am (heutigen) Dienstag veröffentlichte Urteil zieht einen Schlussstrich unter zahlreiche Verfahren, die von Hinterbliebenen der Opfer des Luftangriffs gegen Klein, die Bundeswehr und die Bundesrepublik angestrengt worden waren. Deutsche Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht und jetzt der Europäische Gerichtshof entschieden zu Gunsten des deutschen Offiziers und der Bundesrepublik. Dabei ging es sowohl um die strafrechtliche Verantwortung als auch zum zivilrechtliche Entschädigungsforderungen.
Die Bundesanwaltschaft war bereits im April 2010 zu der Einschätzung gekommen, dass das Vorgehen des Offiziers nicht nach dem deutschen Strafrecht, sondern als Kriegshandlung nach Völkerstrafrecht zu bewerten sei und deshalb nicht als Straftat verfolgt werden könne.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stützte sich bei seiner Entscheidung auch auf die in Deutschland bereits abgeschlossenen Verfahren, ebenso auf den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestages. Die Richter kamen einstimmig zu dem Ergebnis, dass keine Verletzung des Artikels 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention und des darin festgelegten Rechts auf Leben vorliege:
In today’s Grand Chamber judgment in the case of Hanan v. Germany (application no. 4871/16) theEuropean Court of Human Rights held, unanimously, that there had been:
no violation of Article 2 (right to life) of the European Convention on Human Rights
The case concerned the investigations carried out following the death of the applicant’s two sons in an airstrike near Kunduz, Afghanistan, ordered by a colonel of the German contingent of the International Security Assistance Force (ISAF) commanded by NATO. (…)
The Court observed that the Federal Prosecutor General had found that Colonel K. had not incurred criminal liability mainly because he had been convinced, at the time of ordering the airstrike, that no civilians had been present at the sand bank. According to the Prosecutor General, Colonel K. had thus not acted with the intent to cause excessive civilian casualties, which would have been required for him to be liable under the relevant provision of the Code of Crimes against International Law. The Prosecutor General had considered that liability under the Criminal Code was also excluded because the lawfulness of the airstrike under international law served as an exculpatory defence. Colonel K. had believed that the armed Taliban fighters who had hijacked the two fuel tankers were members of an organised armed group that was party to the armed conflict and were thus legitimate military targets. The Court noted that the German civilian prosecution authorities had not had legal powers to undertake investigative measures in Afghanistan under the ISAF Status of Forces Agreement, but would have been required to resort to international legal assistance to that end. However, the Federal Prosecutor General had been able to rely on a considerable amount of material concerning the circumstances and the impact of the airstrike.
Unjuristisch gesagt: Wie zuvor schon die deutsche Bundesanwaltschaft und auch deutsche Gerichte kam der Menschenrechtsgerichtshof zu der Auffassung, dass Klein den Angriff auf aus seiner Sicht legitime militärische Ziele befohlen habe und damit nicht das innerstaatliche Strafrecht, sondern die Bestimmungen des Völkerrechts greifen. Damit war sein Vorgehen strafrechtlich nicht zu beanstanden und auch nicht als Kriegsverbrechen einzustufen.
Das ist in Deutschland im so genannten Völkerstrafgesetzbuch geregelt: bei einer militärischen Aktion dürfen auch zivile Opfer in Kauf genommen werden dürfen, wenn ihre Zahl nicht außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht, wie es Artikel 11 des Völkerstrafgesetzbuches festlegt.
So weit bekannt, ist damit die juristische Aufarbeitung des Luftangriffs abgeschlossen – weitere Gerichtsverfahren sind derzeit offensichtlich nicht anhängig.
Vielleicht nehmen wir oder die Bundeswehr ja mit, dass es tunlich sein kann, den zur Verfügung stehenden Rechtsberater des Kontingents bei solchen nicht nur unerheblichen Entscheidungen zu kontaktieren. Dafür ist der oder die in wenigen Minuten da.
Das ist aus meiner Sicht der eigentliche Fehler des damaligen Oberst Klein. Dies hätte ich disziplinar gewürdigt.
Wahrscheinlich hätte der Rechtsberater gefragt, ob es eine weniger schwerwiegende Waffenmöglichkeit gibt als den Abwurf von Bomben.
@Fussgaenger
Das ist sehr einfach zu finden.
Googlesuche „spiegel + tanklaster + video + afghanistan“ liefert diesen Artikel (Im Sinne von T.W. nicht verlinkt):
Überschrift
„Umstrittener Bombenangriff Neues Kunduz-Video aufgetaucht
Weitere Enthüllungen in der Kunduz-Affäre: Die „Bild“-Zeitung berichtet über ein neues Video von dem Luftangriff auf die Tanklastzüge. Die Aufnahmen wurden offenbar von der Bundeswehr am Boden gemacht.
18.12.2009, 08.02 Uhr
Generell: Ich arbeite als Journalist. Zu Quellen kann ich daher keine Auskunft geben.
[Ich sehe ja schon, dass das wieder in Richtung eines unschönen Schlagabtausches driftet, und bitte generell um sachliche Auseinandersetzung. Ein Wort zu den Quellen von meiner Seite: Auch ich arbeite als Journalist, und es gibt Quellen, die natürlich genannt werden können und sollten. Und bisweilen welche, die ich nicht nennen kann. So generell „zu Quellen sag ich nix“ ist nicht journalistisch. T.W.]
Wenn man es unbedingt falsch verstehen will….ein bisschen Solidarität wäre toll.
@Daniel Lücking
Sie sollten ihre eigenen Quellen lesen.
„Es scheint sich um Bilder der hochauflösenden Kameras des deutschen Camps zu handeln, welche die Umgebung des Lagers aufklären und mit Nachtsichteigenschaften ausgerüstet sind. Auf den Bildern sind zunächst zwei Autos zu erkennen, dann im linken Bildbereich die massive Explosion der beiden Bomben.“
Nichts vom Boden aus sondern wahrscheinlich von der Aerostat „Drohne“ die über dem Camp hing.
@Florian Staudte sagt: 18.02.2021 um 13:06 Uhr
„Vielleicht nehmen wir oder die Bundeswehr ja mit, dass es tunlich sein kann, den zur Verfügung stehenden Rechtsberater des Kontingents bei solchen nicht nur unerheblichen Entscheidungen zu kontaktieren. Dafür ist der oder die in wenigen Minuten da.“
1. Der Rechtsberater ist nichts anderes als das. Ein Berater.
2. Da er nicht vor Ort war konnte er nicht alles wissen, was für eine umfassende Beratung notwendig gewesen wäre. In umfassend zu informieren wiederum wäre sehr aufwändig gewesen. Zeitlich, wie inhaltlich.
Und im Endergebnis war es ja auch gar keine rechtliche Frage, wie alle Gerichte immer wieder bestätigt haben. Da Oberst klein nach pflichtgemäßen Ermessen zu einer bestimmten Auffassung der Lage kam, war er berechtigt und verpflichtet auf dieser Lageeinschätzung eine Entscheidung zu treffen.
„Das ist aus meiner Sicht der eigentliche Fehler des damaligen Oberst Klein. Dies hätte ich disziplinar gewürdigt.“
Wo kommen wir denn hier hin, wenn Vorgesetzte dafür disziplinar gewürdigt werden, dass sie ihrer Aufgabe nachkommen und eine Lagebeurteilung im Rahmen ihres Verantwortungsbereichs treffen und auf der Basis der Lagebeurteilung zu einer Entscheidung kommen?
Dann können wir Auftragstaktik und Innere Führung gleich ganz abschaffen.
@ Daniel Lücking: Sie argumentieren leider unsauber, verlieren sich ins Geraune und Spekulative und können sich irgendwie nicht entscheiden, ob Sie mit Privatmeinung oder als faktenbasiert arbeitender Journalist auftreten. Kann man machen, ich halte das aber für das Ansehen des Berufsstandes Journalist als abträglich. Ihr Kommentar in Neues Deutschland von vorgestern, bei der Sie (wem genau erschliesst sich mir auch nach dreimaligem Lesen nicht, der BuReg? Der BW?) zur Causa Kunduz/Klein und Anlass der EMGR-Entscheidung Verantwortungslosigkeit und Rassismus vorwerfen und nachweisbar fälschlich (!) behaupten, „Der Untersuchungsausschuss“ habe festgestellt, dass O Kleins Entscheidung zum Verzicht auf Show-Of-Force nicht einwandfrei gewesen sei (Man lese den PUA-Bericht… http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/074/1707400.pdf , sie beziehen sich offenbar auf oppositionelle Sondervoten – die Berechtigung haben, aber eben nicht „Der Ausschuss“ sind) passt – leider -dazu.
P.S. Ich bin sehr froh in einer Gesellschaft zu leben, in dem der Vater zweier bei dem Luftangriff getöteter Kinder jedes Recht hatte, vor die Gerichte zu ziehen.
@Daniel Lücking
Unbeschadet unserer persönlichen Überzeugungen besagt die Rechtslage, dass Kombattanten im Kriege andere Kombattanten töten dürfen, auch ohne Vorwarnung. Rechtsphilosophisch rechtfertigt sich dieses „Privileg“ insofern, als es gleichzeitig eine Beschwer darstellt: Der Kombattant darf töten – und getötet werden.
Müssten Kombattanten einander vorwarnen bezüglich ihrer Absicht, militärische Gewalt anzuwenden, ließe sich kein Krieg führen. (Eine hehre Utopie; aber in der Realität würde ein Kriegsvölkerrecht, das eine legale Kriegführung unmöglich macht, nur dazu führen, dass die Kriegsparteien es grundsätzlich missachten.)
Auch die Inkaufnahme von Opfern unter der Zivilbevölkerung ist unter gewissen Umständen rechtmäßig. Hier trägt das humanitäre Völkerrecht dem Umstand Rechnung, dass Zivilisten, die einer Kriegspartei nahe stehen, sich bisweilen unter sie mengen, wozu es nicht ermuntern will.
Obendrein widerspräche es der Absicht des humanitären Völkerrechts, den Verlust menschlichen Lebens zu begrenzen, wäre ein Befehlshaber gezwungen, viele Leben zur Schonung weniger zu opfern, oder eine Chance aufzugeben, Kampfhandlungen abzukürzen.
Warum reite ich so auf der Rechtslage herum? Weil es ein elementarer Grundsatz jeder rechtsstaatlichen Ordnung ist, dass derjenige, der rechtmäßig handelt, sich nicht rechtfertigen muss. Die Tatsache der Rechtmäßigkeit einer Handlung rechtfertigt diese bereits.
— Selbst von versierten Lesern von augengeradeaus.net kamen Rückfragen, worauf Sie überhaupt anspielten. Ich wage zu behaupten: In der breiten Masse, die mit Verteidigungspolitik und Militärgeschichte nichts am Hut hat, wird fast niemand wissen, worum es Ihnen geht.
Die Haltung von Teilen von Politik und Gesellschaft ist kein Geheimnis, das noch gelüftet werden müsste; ihr Mangel an Akzeptanz für die Gerichtsurteile pro Bundesrepublik Deutschland und pro Oberst Klein lässt sich eher auf pazifistische oder anti-imperialistische Überzeugungen zurückführen.
Verbunden mit einer quer durch das politische Spektrum um sich greifenden Tendenz, rechtskräftige Urteile, die dem eigenen Gerechtigkeitsempfinden zuwiderlaufen, nicht als Recht anzuerkennen. Bekommt man Recht, feiert man den „Sieg der Gerechtigkeit“. Urteilt das Gericht anders, liegt der Fehler natürlich bei ihm …
@Florian Staudte sagt: 18.02.2021 um 13:06 Uhr
„Vielleicht nehmen wir oder die Bundeswehr ja mit, dass es tunlich sein kann, den zur Verfügung stehenden Rechtsberater des Kontingents bei solchen nicht nur unerheblichen Entscheidungen zu kontaktieren. Dafür ist der oder die in wenigen Minuten da.“
War das als humoristische Einlage gemeint? Aschermittwoch war gestern.
Ja klar, wenn man im Gefecht steht, fragt man immer den Rechtsberater, ob man zurück schießen darf. Deswegen hat der ja auch eine komplette militärische Ausbildung, vor allem in Taktik./sarc off
Meistens haben Sie die „wenigen Minuten“ nicht, da sind sofortige Entscheidungen gefragt.
@all
Zunehmend habe ich den Eindruck, die vor gut zehn Jahren geführten Debatten werden hier erneut geführt – ohne allzusehr veränderte Standpunkte oder Argumente. Nun gut, vielleicht muss das sein. Aber dass es bisweilen an den Rand persönlicher Anwürfe geht, sollte nicht sein. Ich wäre dankbar, wenn das alle (!) berücksichtigen könnten.
@Florian Staudte
Ein Rechtsberater/LEGAD ist eine Person, die in offizieller Funktion Rechtsberatung anbietet, indem die juristische Seite eines Sachverhaltes bewertet wird.
Er ist in der OPZ neben sonstigen FFG, im Schwerpunkt CdS, G2, G3, G4 und G-MED einer von mehreren Beratern in der Bedeutung „Führergehilfe“ und wird innerhalb des Führungsprozess‘ gehört.
Die operative Entscheidung trifft der Kommandeur.
Sonst niemand.
Einige Bemerkungen zur Rechtsdebatte:
Nur auf das Kriegsvölkerrrecht, humanitäre Völkerrecht etc. als Rechtsgrundlage für diesen Konflikt abzustellen, greift zu kurz, es unterschlägt die RoE´s. McChrystal hatte im übrigen kurz zuvor auch über eine Strategieänderung gesprochen Eine Äußerung, die durch den Luftangriff konterkariert wurde, soweit ich es noch in Erinnerung habe. Was aktuell angemessen war, wird also nicht nur durch das KVR/HVR ausgedrückt.
Damit erschlägt sich der Fall also nicht im rein objektiven Rechtsverständnis, sondern hat auch eine ethische Seite, die aktuell trotz aller Gerichtsentscheidungen Fragen offen lassen muss. Das Ethos ist „das Gewohnte“. Was soll aus diesem Fall also in Zukunft „zur Gewohnheit“ werden? Das ist eine moralische Frage, die jeder erstmal im Inneren still für sich beantworten muss.
General Klein muss sich dieser Frage stellen. Ich hatte mal gelesen, er ist gläubiger Christ. Das machts ihm sicher innerlich nicht leichter. Möchte deshalb auch die These aufstellen, dass ihm obiges Urteil sicher nur bedingt Trost spendet.
@ Koffer
Es ist amtsbekannt, dass der im Feldlager verfügbare Rechtsberater nicht geweckt und kontaktiert wurde.
Natürlich ist der Rechtsberater ein Berater. Der militärische Führer gibt den Befehl. Das bleibt auch so. Verantwortung ist unteilbar.
Für mich ist es aber unzweckmäßig, wenn man die vom Dienstherren gelieferten Werkzeuge zum Führungsvorgang nicht nutzt.
Die Situation war zweifellos stressig. Ein kurzes Gespräch mit dem Rechtsberater wäre – nach mir vorliegenden internen Informationen – möglich gewesen.
@ Pio-Fritz
Ihr Hauptfehler ist: Wir waren damals nicht im Krieg sondern im Einsatz. Auch und gerade deshalb sind noch andere Maßstäbe zu beachten.
Und der Tanklaster stand nicht direkt vorm Kasernentor.
Ergebnis und Siegerehrung:
Es wird einen vergleichbaren Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit nie wieder geben. Warum?
Jeder Kontingentführer wird vorm Einsatz im Einsatzführungskommando in Potsdam ausführlich gebrieft. Wer einen zur Verfügung stehenden Rechtsberater in einer vergleichbaren Situation nicht nutzt und dann eine (unverhältnismäßige) Entscheidung trifft, der wird wohl nicht mehr mit der Unterstützung aus Politik und militärischer Führung rechnen können.
Es gibt die quasi die Beratungspflicht. Und dies ist gut und richtig so.
@ all
Ungeachtet vom juristischen Endergebnis zum Sachverhalt:
Warum zahlt die Bundesrepublik Deutschland Geld für getötete und verletzte Menschen als Folge des Waffeneinsatzes von Oberst Klein?
Wären wir uns alle sicher, dass Oberst Klein absolut fehlerfrei gehandelt hat, dann würde die BRD doch kein Geld zahlen.
Brigadegeneral Klein verdient Respekt. Keine Frage. Niemand möchte in dieser Situation stecken.
Ich selbst bin aber nicht davon überzeugt, dass die Entscheidung und der Führungsvorgang fehlerfrei waren.
@Florian Staudte sagt: 18.02.2021 um 16:48 Uhr
„Die Situation war zweifellos stressig. Ein kurzes Gespräch mit dem Rechtsberater wäre – nach mir vorliegenden internen Informationen – möglich gewesen.“
Darüber kann man diskutieren. Aber das es keine rechtliche Frage war, sondern eine taktische (die Gerichte habe ja genau das mehrfach bestätigt), hätte ein Gespräch mit einem (weiteren) Berater auch nichts gebracht.
Oberst Klein hat sich dazu und auch zur Frage warum er nicht in MeS oder in Potsdam um Erlaubnis gefragt sehr eindeutig positioniert: „Weil es meine Führungsverantwortung vor Ort war.“ (so oder so ähnlich, wenn ich mich richtig entsinne.
Dem ist nichts mEn nichts hinzuzufühgen.
@Florian Staudte sagt: 18.02.2021 um 17:14 Uhr
„Warum zahlt die Bundesrepublik Deutschland Geld für getötete und verletzte Menschen als Folge des Waffeneinsatzes von Oberst Klein?
Wären wir uns alle sicher, dass Oberst Klein absolut fehlerfrei gehandelt hat, dann würde die BRD doch kein Geld zahlen.“
Doch, hier geht es um Anerkennung von Leid an sich. Ob diese Zufügung auf der Basis von rechtmäßigem Handeln oder nicht erfolgte, ist für die humanitären Auswirkungen für unschuldige Familien irrelevant.
Zudem sind solche Geldzahlungen insbesondere auch im regionalkulturellen Kontext zu verstehen. Anders gesprochen: das ist in der Gegeng schon seit Jahrhunderten ein Mittel um Eskalation aus prinzipiellen Erwägungen heraus (Ehr-/Blutschuld etc.) zu verhindern.
@Florian Staudte
Der IBuK zu Guttenberg brachte Krieg als Begriff ein, die formelle Kriegserklärung war es nicht, die ist aber auch nicht [mehr] erforderlich. Seit dem Zweiten Weltkrieg kamen formelle Kriegserklärungen nicht mehr vor. Kriege ohne Kriegserklärungen sind der Normalfall.
Der Krieg in Afghanistan, seit 2001 gewöhnlich als „Internationale Militärpräsenz“ bezeichnet, wurde durch den UN-Sicherheitsrat seit 2001 (Jahr für Jahr) durch Resolutionen
zur militärischen Unterstützung der legalen Staatsgewalt in Kabul mandatiert.
Der Krieg gegen den Terror/War on Terror nach 9/11 ausgerufen, für OEF/ISAF durch UN mandatiert, hatte sich DEU über Art 5 NATO-Vertrag angeschlossen.
„Nicht im Krieg sondern im Einsatz“.
Nein und doch. Im Einsatz und (!) im Krieg, denn Einsatz als Oberbegriff umfasst den Krieg.
In der TF 2000 ist der Begriff des „Einsatzes“ entscheidend, die TF galt in 2009.
Definition:
„Einsätze im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung sind Kampfeinsätze. Die Truppe führt dann das Gefecht der verbundenen Waffen nach den Führungsgrundsätzen des Kampfes.
Für Einsätze bei Friedensmissionen gelten die für sie verbindlichen Führungsgrundsätze.
Bei friedenserzwingenden Maßnahmen sind darüber hinaus die Führungsgrundsätze des Kampfes anzuwenden.
Für Hilfeleistungen gelten die allgemeinen Führungsgrundsätze, für Rettungs- und Evakuierungseinsätze gelten je nach Lage zusätzlich die Führungsgrundsätze des Kampfes.
@ KPK
Der Unterschied zwischen „Einsatz“ und „Krieg“ ist das grundsätzliche Erfordernis der Androhung von Gewalt, sofern dies die Lage zulässt. So sind zumindest die aktuellen Einsätze der Bundeswehr konzipiert.
Im Krieg wird nichts mehr angedroht.
(Siehe RoE und Taschenkarte).
Es ist ehrenhaft, wie das Verhalten des Oberst Klein verteidigt wird. Rechtlich. Taktisch. Moralisch.
Bei mir bleiben zahlreiche Fragezeichen.
Wie gesagt: Noch einmal wird es den Fall vermutlich nicht geben.
@Florian Staudte sagt: 18.02.2021 um 20:47 Uhr
„Der Unterschied zwischen „Einsatz“ und „Krieg“ ist das grundsätzliche Erfordernis der Androhung von Gewalt, sofern dies die Lage zulässt. So sind zumindest die aktuellen Einsätze der Bundeswehr konzipiert.“
Dem kann ich nur vehement widersprechen.
Es gibt Situationen im Krieg in denen kann Gewalt „angedroht“ werden ohne den Auftrag zu vernachlässigen. z.B. wenn Gefangenahme möglich ist. Nicht obligatorisch, aber im Krieg durchaus möglich.
Und es gibt Einsätze in denen muss Gewalt nicht zuvor angedroht werden, sondern kinetisches Wirken ohne Vorwarnung ist zulässig.
Ihre Abgrenzung erscheint mir daher nicht zielführend. Sie grenzt verschiedene rechtliche Kategorien, die Teilüberlappungen haben und verwischt dadurch den Kern militärischer Einsatzgrundsätze.
@Florian Staudte
Der „Fall“ ist jederzeit erneut möglich, jedenfalls bei Führern, die Führungsverantwortung leben.
Wer das scheut, lässt den LEGAD entscheiden (der wird sich bedanken), obendrauf in Potsdam anfragen, die in der OPZ bestens in der Lage leben? Ganz großes Kino. Abenteuerlich.
„Quasi Beratungspflicht“ braucht es nicht, sie wird gelebt. Anstehende Sofortentscheidungen schließen ein Kriegspalaver aber unbedingt aus.
@Daniel Lücking
Sie stellen die richtigen Fragen, auch wenn ich Ihre politischen Folgerungen nicht teile. Geheimhaltung bzgl. der angesprochenen Themen folgt nicht zuletzt auch aus der Tatsache, dass diese Gesellschaft unfähig dazu ist, sich den Folgen ihrer Entscheidungen zu stellen. Wenn man unbedingt bei einem Krieg (pardon, „nicht-internationaler bewaffneter Konflikt“) dabei sein will, muss man eben damit rechnen, dass ab und zu getötet wird. Wenn man das für unerträglich hält, sollte man sich raushalten und anderen das Geschäft überlassen.
@ KPK
Niemand hat gefordert, den LEGAD oder die OPZ in Potsdam entscheiden zu lassen. Warum behaupten Sie so etwas? Ist doch nicht notwendig.
Den örtlichen LEGAD einzubinden, wenn es die Lage zulässt, ist Ausdruck eines verantwortungsvollen Führungsverhaltens. Es zeugt von Stärke und nicht von Schwäche.
Ich bin mir sehr sicher, dass die Kontingentführer aus dem Fall Oberst Klein gelernt haben. Und wenn nicht, dann sollten sie zukünftig eine gute Rechtsschutz- und Diensthaftpflichtversicherung haben.
@sputi.di.rospo
Sie schrieben: „Nur auf das Kriegsvölkerrrecht, humanitäre Völkerrecht etc. als Rechtsgrundlage für diesen Konflikt abzustellen, greift zu kurz, es unterschlägt die RoE’s. […] Was aktuell angemessen war, wird also nicht nur durch das KVR/HVR ausgedrückt.“
Inwieweit die Einsatzregeln zu berücksichtigen waren, ist von Generalbundesanwältin, BVerfG und EuGH hinreichend beantwortet (und verneint) worden. Es handelt sich um politische Maßgaben, deren Verletzung allenfalls durch Binnenrecht geahndet werden kann, nicht um Normen von Gesetzesrang.
Dies zeige sich laut h.M. schon daran, dass es dem Soldaten nicht verboten werden kann, Notwehr oder Nothilfe zu üben, selbst wenn der Inhaber der Befehlsgewalt die Beteiligung der eingesetzten Kräfte an Kampfhandlungen kategorisch vermeiden will (z.B. bei einer Beobachter-Mission).
Die Einsatzregeln treffen überdies gerade keine Aussage über die militärische Angemessenheit im Sinne des humanitären Völkerrechts. Sie können das Angemessene bspw. sehr wohl verbieten. In der Geschichte der Auslandseinsätze der Bundeswehr dürfte dies sogar der Regelfall gewesen sein.
Sie schrieben: „Damit erschlägt sich der Fall also nicht im rein objektiven Rechtsverständnis, sondern hat auch eine ethische Seite“
— In materieller Hinsicht wird das Recht des Rechtsstaates verkörpert durch die Summe der moralischen Werte der Mehrzahl seiner Bürger. (Gilt auch für internationales Recht, da unsere demokratisch legitimierten Gewalten dessen Geltung für uns als bindend anerkannt haben.)
Aus dieser Feststellung geht aber nicht hervor, dass eine Norm, die die (wandelbaren) Werte der Bürger nicht länger widerspiegelt, deswegen zu moralischem Unrecht würde. Denn damit würde mittelbar das Recht des Souveräns – also der Bürger – beschnitten, Recht zu setzen.
Ergo: Es steht Ihnen offensichtlich frei, die moralische Vertretbarkeit der Handlungen Oberst Kleins anzuzweifeln. Doch müssen Sie bedenken, dass Sie dabei 𝘐𝘩𝘳𝘦 Moral als Maßstab anlegen, nicht 𝘥𝘪𝘦 Moral. 𝘋𝘪𝘦 Moral ist, worauf sich die Mehrheit geeinigt hat – bis sie sich auf eine neue Moral einigt.
Es könnte gut sein, dass die überwältigende Mehrheit der Deutschen Kleins Befehl für moralisch verwerflich hält. Das ändert aber nichts an der Rechtslage im geschilderten Sinne, und demzufolge daran, dass Klein sich an den moralischen Maßstäben orientieren durfte und musste, die ihm das Recht an die Hand gab.
Es geht mir dabei nicht um eine Verteidigung Kleins (die erübrigt sich), sondern um ein grundsätzliches Verständnisproblem: Ich glaube, es ergibt wenig Sinn, jemanden zum Vorwurf zu machen, dass er eine rechtmäßige Handlung rechtmäßigen Alternativen vorzog.
@Florian Staudte
Sie schrieben: „Ihr Hauptfehler ist: Wir waren damals nicht im Krieg sondern im Einsatz.“
— @Klaus-Peter Kaikowsky erinnert mit gutem Grund daran, dass Kriegserklärungen heute nicht mehr ergehen. Es ist bereits mehrfach gerichtlich festgestellt worden (so zum Falklandkrieg), dass die Kriegserklärung keine zwingende Voraussetzung darstellt für die Anwendbarkeit des HVR.
Dies gilt allgemein für die Auffassung der Akteure, ob ein Kriegszustand besteht oder nicht. Bewaffneter Konflikt ist, was die Merkmale eines solchen aufweist, 𝘰𝘥𝘦𝘳 was die Akteure als bewaffneten Konflikt werten, insofern es die Merkmale eines solchen aufweist.
Klingt sperrig, aber das HVR will verhindern, dass objektiv kriegführende Staaten sich ihren völkerrechtlichen Pflichten entziehen, indem sie auf ihren eigenen Standpunkt beharren. Es folgt daraus aber auch: Die Ansicht der Akteure ist ein Indiz, keine zwingende Voraussetzung für das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts.
Zum Zeitpunkt des Ereignisses war ich in mittelbarer Nähe verwendet und danach unmittelbar mit den Aus- und Nebenwirkungen beschäftigt.
Aus meiner Beobachtung wurden bislang einige Umstände – soweit bekannt- nicht oder unzureichend berücksichtigt. Eine Auswahl:
– Im Herbst 2009 war BT- Wahlkampf. Von der mil Spitze ergingen eindeutige und unmissverständliche Hinweise a d PRT- Führung, alles dafür zu tun, dass es i d öffentlichen Wahrnehmung zu keiner „Lageverschlechterung“ in AFG komme. Das hatte Einfluss auf die Berichterstattung. KDZ musste bereits Monate vor besagtem Angriff aus den Schlagzeilen herausgehalten werden- und das trotz einer sich klar abzeichnenden Verschlechterung im Sommer 2009.
-Das Arbeitsverhältnis zwischen RC( N) und dem PRT war nachhaltig gestört. Wie in jener Nacht, kam es vor und v a unmittelbar danach zu kommunikativen Sendepausen.
– Dem eigentlichen Luftangriff gingen in den Tagen und Wochen zuvor mehrere Ereignisse voran, die in der PRT – Führung zu erkennbarer psychischer Anspannung geführt hat.
( An dieser Stelle halte ich jetzt inne)
– uam.
Abseits aller Vorschriften, Abläufe und Verantwortlichkeiten gilt es eine personenbezogene, menschliche Komponente zu berücksichtigen.
Begriffe und Zustände wie Erschöpfung, Stress, Sandwich- Position zwischen Erwartungs- und Erfolgsdruck ( McChrystal war COMISAF und hatte keine Wattebäuschchen in der Mun- Kiste!) „Maulkorb“- Anordnung und vielleicht auch ungenügende fachliche Vorbereitung auf einen sich zusehends sich aufheizenden, intensiv ausgefochtenden asymmetrischen Krieg, den O Klein so nicht hatte benennen dürfen.
Und auch nicht führen durfte.
Ich schreibe dies, um anzudeuten, dass es neben der juristischen Aufarbeitung auch menschliche Komponenten gab, die zur besonderen Tragik in jener Nacht- aber auch in den unmittelbar folgenden- geführt haben mögen.
@ muck
Bei verständiger Würdigung ist doch anzunehmen, dass es einen Unterschied zwischen Krieg und Einsatz gibt.
Nach herrschender Meinung ist der Krieg die höchste Form der Eskalation.
Im Übrigen verweise ich auf Art. 26 GG.
@Florian Staudte sagt: 19.02.2021 um 14:49 Uhr
„Bei verständiger Würdigung ist doch anzunehmen, dass es einen Unterschied zwischen Krieg und Einsatz gibt.“
Es gibt Einsätze (ich verwende den Begriff jetzt mal mit Blick auf die aktuellen Auslandseinsätze der Bundeswehr), die erfüllen die Vorgaben dessen, was man gemeinhin als „Krieg“ bezeichnet und es gibt solche, die erfüllen diese Vorgaben nicht. Es gibt wiederum kriegerische Szenare, die wären als Einsatz zu bezeichnen und solche, die wären es nicht.
Die beiden Dinge beschreiben schlicht und einfach aus unterschiedlichem Blickwinkel handeln von Staaten und/oder Streitkräften.
Also ja, es sind in der Tat zwei nicht identische Begriffe. Aber das eine ist eben auch keine Steigerung des anderen.
@Florian Staudte
Sie schrieben: „Bei verständiger Würdigung ist doch anzunehmen, dass es einen Unterschied zwischen Krieg und Einsatz gibt. Nach herrschender Meinung ist der Krieg die höchste Form der Eskalation.“
—Der Begriff des 𝘒𝘳𝘪𝘦𝘨𝘦𝘴 ist im internationalen Recht durch den 𝘣𝘦𝘸𝘢𝘧𝘧𝘯𝘦𝘵𝘦𝘯 𝘒𝘰𝘯𝘧𝘭𝘪𝘬𝘵 verdrängt worden, und zwar nicht in euphemistischer Zielsetzung, wie man zuweilen hört, sondern gerade um rabulistische Eiertänze der Parteien á la „Polizeieinsatz“ oder „Grenzsteitigkeiten“ zu unterbinden.
Eskalationsstufen kennt das humanitäre Völkerrecht nicht, jedenfalls nicht im angedeuteten Sinne. Das Recht fragt nur, ob die Tatbestandsmerkmale einer bewaffneten Auseinandersetzung erfüllt sind. Sind sie erfüllt, handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt; auf die Ansicht der Akteure soll es just nicht ankommen.
Abschließend versucht es, die Eigenschaft ebender Akteure zu bestimmen. Nehmen nur Staaten an dem Konflikt teil, handelt es sich um einen internationalen bewaffneten Konflikt. Sind auch nichtstaatliche Akteure beteiligt, herrscht hingegen ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt.
Sie schrieben: „Im Übrigen verweise ich auf Art. 26 GG.“
—Der Zusammenhang ist nicht leicht ersichtlich. Falls Sie auf die Verwendung des Wortes „Krieg“ im Grundgesetz anspielen; sein Auftauchen dort ist kaum verwunderlich. Das GG entstand vor dem HVR in seiner heutigen Form.
Ohnehin ist nicht der Kriegsbegriff des GG, sondern der Konfliktbegriff des HVR ausschlaggebend, weil wir internationales Recht als bindend betrachten. Dementsprechend ist auch das Bundesverfassungsgericht dazu übergegangen, in seiner Rechtsprechung von bewaffneten Konflikten zu sprechen.
Falls es Ihnen indes um Art 26 (1) GG geht – dieses Thema muss hier nicht weiter diskutiert werden. Es ist von Judikative und Legislative erschöpfend herausgearbeitet worden, dass die Bundesrepublik Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen an bewaffneten Konflikten teilnehmen darf.
Etwas mehr Kontext rundum den Luftangriff findet sich in mehreren Teilen des Features des DLF:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/deutschlands-einsatz-in-afghanistan-der-verlorene-frieden-4.3720.de.html?dram:article_id=490919
Viele politische Entscheider, insbesondere Franz- Josef Jung, haben dieses Land und die Dynamiken des Krieges offenbar bis heute nicht verstanden.
@Florian Staudte:
Die seltsame Aufteilung zwischen Einsatz und Krieg findet sich auch im Feature des DLF:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/deutschlands-einsatz-in-afghanistan-der-verlorene-frieden-3.3720.de.html?dram:article_id=490917
Darin zeigt sich auch nochmal sehr gut die komplette Ignoranz und Arroganz der Deutschen hinsichtlich vernetzter Sicherheit. Deswegen war der Angriff auf die Tanklaster auch ein Offenbarungseid der deutschen Besserwisserei.
Daraus gelernt hat man seitdem nichts.
In Mali versuchen wir es nochmal – diesmal mit Peacekeeping without Peace.
@ Memoria
Wahrhaftige afghanische Taliban-Angreifer in die Steinstein zu bomben. Ich bin dabei. Lieber noch eine MK 82 mehr abwerfen, wenn es der Sicherheit dient.
A B E R:
Es muss aber auch klar sein, dass es Angreifer sind und die feindliche Absicht muss anzunehmen sein.
Allen Nicht-Angreifern sollte die Chance gegeben werden, sich zu entfernen.
Wir müssen unter den gesamten Bedingungen in einem Einsatz viel sensibler sein.
Ich verstehe das gesamte Dilemma. Die Situation in Kunduz war extrem gefährlich.
Vieles ist hier im Forum diskutiert und beleuchtet worden. Eine faire Diskussion.
Mich würde aber mal interessieren, ob es der General Klein genau so wieder tun würde. Gibt es Selbstkritik?
@Florian Staudte:
Dafür gibt es ganze Kette von Weisungen (RoE, SOP, SPINS, etc). Im hier diskutierten Fall wurden die Vorgaben u.a. zu show of force von deutscher Seite ignoriert.
Das muss strafrechtlich nicht relevant sein, aber der Sachverhalt ist nach meinem Verständnis unstrittig, da die Piloten mehrfach show of force beantragt haben.
Dies jedoch abgelehnt wurde.
Abseits von diesem Fall wurde über ROE und deren deutsche Auslegung hier schon sehr oft diskutiert.
Dahinter liegt ein einfaches Problem:
Deutschland will zwar dabei sein, aber sich möglichst wenig die Finger schmutzig machen. Wenn bei den anderen bei dieser Arbeit etwas schief geht, dann belehren wir ganz besonders.
Genau deswegen gab es wohl auch nach dem Luftangriff NATO-intern so manche spitze Bemerkung als Retourkutsche.
Gelernt haben wir daraus nichts, noch nicht einmal konzeptionell.
Wir halten uns immernoch für die Schlausten – kriegen aber fast nichts gebacken. Die Bundeswehr als Organisation hat den gesamten Einsatz nicht einmal ansatzweise reflektiert.
Deswegen stolpern wir in Mali wieder planlos in die gleichen Fallen.
@ Florian Staudte:
„Ich bin mir sehr sicher, dass die Kontingentführer aus dem Fall Oberst Klein gelernt haben. Und wenn nicht, dann sollten sie zukünftig eine gute Rechtsschutz- und Diensthaftpflichtversicherung haben.“
Das haben einige der nachfolgenden Kdr’e PRT KDZ in der Tat. Da wurde schon mal einer Kp, die vor und hinter sich Feind hatte ausschließlich ‚beleuchten‘ als Feuerunterstützung gewährt aus lauter Angst was falsch zu machen…
Der LEGAD ist in einer solchen Lage ein nettes Asset für den karrierebewussten und ausschließlich von Angst getriebenen Generalstabsoffizier. Notwendig ist er für den versierten Führer nicht.
[Hm. Bei Aussagen wie „Der LEGAD ist in einer solchen Lage ein nettes Asset für den karrierebewussten und ausschließlich von Angst getriebenen Generalstabsoffizier“ drängt sich mir immer der Eindruck auf, dass der nächste Satz „und vom Völkerrecht lassen wir uns schon gar nichts vorschreiben“ sein könnte. Das klingt dann schnell nach einem Kriegsverbrecher-Mindset, und die Gefahr sollten wir doch vermeiden. T.W.]
@TW:
Das möchte ich doch jetzt weit von mir weisen!
Ich sagte lediglich, dass ein gut ausgebildeter – und das schließt das HumVR deutlich mit ein – militärischer Führer in der Lage ist – und in der Lage sein muss – einen Entschluss auch ohne den militärisch eher rudimentär ausgebildeten LEGAD zu treffen.
@Wtlbrmpf sagt: 20.02.2021 um 19:16 Uhr
„Das haben einige der nachfolgenden Kdr’e PRT KDZ in der Tat. Da wurde schon mal einer Kp, die vor und hinter sich Feind hatte ausschließlich ‚beleuchten‘ als Feuerunterstützung gewährt aus lauter Angst was falsch zu machen…“
In der Tat hat der Fall KDZ auch nach meiner Wahrnehmung (zumindest zweitweise) keine gute Auswirkung auf die Entscheidungsfreude der eingesetzten Führer gehabt.
„Der LEGAD ist in einer solchen Lage ein nettes Asset für den karrierebewussten und ausschließlich von Angst getriebenen Generalstabsoffizier. Notwendig ist er für den versierten Führer nicht.“
Genau, weil ja auch in unserer Armee auch nur GenStOffze karrierebewusst sind und sich lieber absichern als Entscheidungen treffen.
Meine Erfahrung ist, dass das vom Feldwebel an alle Dienstgrade und Laufbahnen hinbekommen.
Und im Gegenzug auch in allen Dienstgraden und Laufbahnen Entscheidungsfreude vorhanden ist und praktiziert wird.
@Wtlbrmpf:
„Das haben einige der nachfolgenden Kdr’e PRT KDZ in der Tat. Da wurde schon mal einer Kp, die vor und hinter sich Feind hatte ausschließlich ‚beleuchten‘ als Feuerunterstützung gewährt aus lauter Angst was falsch zu machen…“
Diese Mentalität gab es ja schon in vorherigen Kontingenten (gibt da insbesondere in Kunduz ziemlich eindeutige Beispiele, siehe 14. EinsKtgt), aber auch nach meinem Eindruck ist dies die wesentliche Folge:
Noch weniger kritische Dinge entscheiden.
Auch da gab es auch später positive Beispiele, aber der „Mainstream“ weiss eben was von weiter oben erwartet wird.
Im Kern ist die Bundeswehr eben keine lernende Organisation mit einer Fehler-Kultur, sondern einer Null-Fehler-Kultur
Deswegen kann – wie auch in dieser Debatte – nicht sachlich differenziert über diesen Vorfall diskutiert werden.
Es geht leider nur auf dem Niveau Kriegsheld oder Kriegsverbrecher.
Die Welt ist nur leider nicht schwarz und weiß, sondern grau in vielen Schattierungen.
Völker- und strafrechtlich mag der Vorgang unkritisch sein. In den Ebenen darunter ist es für mich nicht so eindeutig, aber das wird halt alles unter den Tisch gekehrt.
Was aber bleibt ist die Lehre für den Führungsnachwuchs:
In das Ungewisse hinein zu handeln ist zu risikobehaftet.
Besser immer absichern und ggf. warten.
Das ist man ja auch aus dem Grundbetrieb gewohnt. So wird die Bundeswehr immer mehr zu einer sehr teuren Verteidigungsbeamtenorganisation.
@Wtlbrmpf
Richtig: da stellt das Heer ab 2010/11 insgesamt 5 Panzerhaubitzen 2000 für das PRT Kundus und die erhalten in kritischer Lage den Feuerauftrag “ beleuchten“.
Der Orientierung der Talibs wird es genutzt haben.
Wenn es um des Beweises von Harmlosigkeit geht, er lag damit vor. Feind wertet das aus.
@Florian Staudte
Wer keine Fehler macht, hat keinen Anlass zu Selbstkritik.
Nebenbei, Selbstkritik war im Marxismus-Leninismus die Methode für/Bezeichnung von Maßnahmen zur Ausgrenzung von der Parteilinie abweichender Aufassungen.
Mit einem deutschen General hat das nichts zu tun.
[Äh, bitte. Geschichte hat nicht erst mit dem Marxismus angefangen, und so… sparsam argumentieren wir hier bitte nicht.
https://de.wikipedia.org/wiki/Selbsterkenntnis
https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/selbstkritik/13937
Und die fehlerfreien deutschen Generale, die suchen wir noch.
T.W.]
Okay, ich sehe gerade, die Software kommt mit kursiven Unicode-Zeichen nicht klar. Oben sollte es heißen:
‚Der Begriff des „Krieges“ ist im internationalen Recht durch den des „bewaffneten Konflikts“ verdrängt worden, […]
Mea culpa.
Was noch folgenden Punkt von @Florian Staudte angeht: „Allen Nicht-Angreifern sollte die Chance gegeben werden, sich zu entfernen.“
Man korrigiere mich, wenn ich etwas Falsches sage … aber mein Kenntnisstand ist, dass ein afghanischer Informant, der sich bis dato als belastbar erwiesen hatte, Oberst Klein gegenüber erklärte, dass sich praktisch keine Zivilisten vor Ort befänden.
Generalbundesanwältin, BVerfG und EuGH waren der Auffassung, dass Klein nicht pflichtwidrig zu seiner Einschätzung kam, dass allenfalls einzelne Zivilisten vor Ort sein würden.
Bejaht man, dass Klein zu Recht annahm, sofort handeln zu müssen, um ein militärisches Ziel von überragender Wichtigkeit zu erreichen, wird man nicht umhinkönnen, Ihre implizite Frage zu verneinen: Nein, er musste diese Chance nicht gewähren. Nur deswegen gestattet das HVR überhaupt (in engen Grenzen) die Inkaufnahme ziviler Opfer: Weil Situationen wie die vorliegende denkbar sind, in denen die Schonung der Bevölkerung kontraproduktiv wäre *und* die Hinnahme dieses Nachteils nicht verlangt werden kann.
@Florian Staudte:
Hier mal ein Lesehinweis als Hintergrund:
https://augengeradeaus.net/2014/12/ueberraschung-bundeswehr-war-in-afghanistan-im-krieg/
Das ist sachlich betrachtet eigentlich recht klar. Die Diskussion in Deutschland dazu ist aber immer ziemlich anders. Besonders mit dem Verweis auf Art. 26 GG.
Dieser hat damit überhaupt nichts zu tun.
@ all
Die Diskussion ist mittlerweile sehr vielschichtig. Total interessant.
Für mich ist klar:
– Ein Rechtsberater ist und bleibt eine Unterstützung für den militärischen Führer.
– Der Fall „Oberst Klein“ kann in vielerlei Hinsicht nicht als Musterbeispiel für den Einsatz von Gewalt im Auslandseinsatz herangezogen werden.
– Was lernt die Bundeswehr daraus? – das wäre wirklich sehr interessant.
@Florian Staudte sagt: 20.02.2021 um 22:27 Uhr
„– Ein Rechtsberater ist und bleibt eine Unterstützung für den militärischen Führer.“
Ich würde leicht umformulieren. „KANN eine Unterstützung sein“.
Denn im vorliegenden Fall hätte er ja (zumindest, wenn er kompetent gewesen wäre, ja hoffentlich das Recht nicht anders ausgelegt, als der Generalbundesanwalt, das VG Köln, der BGH, das BVerfG und der EGMR.
Im vorliegenden Fall hätte er also offensichtlich dem Führer vor Ort nichts anders bestätigen können, als das er rechtlich (!) dazu berechtigt wäre den Bombenabwurf anzuordnen.
„– Der Fall „Oberst Klein“ kann in vielerlei Hinsicht nicht als Musterbeispiel für den Einsatz von Gewalt im Auslandseinsatz herangezogen werden.“
Ich stimme zu. Auch wenn ich Oberst Klein Entscheidung vehement verteidige, so war sie sicherlich kein Musterbeispiel. Dazu ist viel zu viel schief gelaufen und es gibt viel zu viele „Grautöne“.
Andererseits… kann es in Einsatz und Krieg im „Musterbeispiele“ geben?
„– Was lernt die Bundeswehr daraus? – das wäre wirklich sehr interessant.“
Volltreffern. Nach meiner Einschätzung leider viel zu wenig :(
Weder ist man in der Zwischenzeit „abgeklärter“ beim Einsatz militärischer Gewalt, noch hat man die Offizerausbildung ausreichen d verstärkt auf solche Szenare ausgerichtet. Noch tritt man der Politik ggü. resoluter auf und verteidigt und verdeutlich die Besonderheiten militärischer Operationsführung in Frieden und Einsatz.
@ Koffer:
Da haben Sie wohl leider recht. Denke jedoch, dass eine Diskussion der Genese des Verteidigungsbeamtentums 2009 bis heute den Rahmen der hiesigen Diskussion bei weitem sprengen dürfte. ;-)
@KPK:
Vmtl. ist der Gegner in KDZ in dieser Zeit häufiger vor Lachen nicht in den Schlaf gekommen, was in keinem Fall der eingesetzten Truppe vorzuwerfen ist!