Jahresbericht der Wehrbeauftragten: Mängelliste wie immer, KSK, Corona-Pandemie

Die Amtsinhaberin ist neu, die Mängelliste nicht: Eva Högl, seit Mai vergangenen Jahres Wehrbeauftragte des Bundestages, hat in ihrem Jahresbericht für 2020 viele Probleme der Bundeswehr wieder aufgegriffen, die schon ihre Vorgänger moniert hatten. In den vergangenen Monaten kam außerdem noch die Coronavirus-Pandemie hinzu – in der sich die Truppe nach Ansicht der Wehrbeauftragten wacker geschlagen hat. Und: die jüngsten Vorgänge rund um das Kommando Spezialkräfte (KSK) irritieren auch die Parlaments-Kontrolleurin.

Vor der Bundespressekonferenz stellte Högl am (heutigen) Dienstag den Jahresbericht vor, und in den Fragen spielte natürlich zu einem großen Teil eine Rolle, was in jüngster Zeit zum KSK bekannt geworden war. Deshalb das Thema mal vorangestellt:

• Von einer Amnestie-Aktion für die Rückgabe von Munition aus den Reihen des Eliteverbandes hat die Wehrbeauftragte nach ihren Worten auch erst aus den Medien erfahren – im Januar aus dem Bericht der taz über das Gerichtsverfahren gegen einen KSK-Oberstabsfeldwebel. Sie habe sich nach dieser Meldung gewundert, warum diese Aktion im Zwischenbericht von Generalinspekteur Eberhard Zorn im November vergangenen Jahres nicht erwähnt wurde, sagte Högl.

Zudem war dieses Vorgehen, noch vor dem Brandbrief von KSK-Kommandeur Markus Kreitmayr im Mai vergangenen Jahres, nach Angaben der Wehrbeauftragten weder Thema in der von ihr begleiteten Arbeitsgruppe zur Reform des KSK noch  bei ihrem Besuch bei dem Verband in Calw im vergangenen Jahr: Das Thema Amnestie ist niemals angesprochen worden. Sie sehe mit Sorge, dass durch diese Aktion wieder Zweifel an der Reform der Eliteeinheit entstehen könnten. Allerdings sollten vor weiteren Schlussfolgerungen die vom Verteidigungsministerium angekündigten Untersuchungen abgewartet werden.

• Die Meldungen zu extremistischen Verdachtsfällen in der Bundeswehr insgesamt sind nach dem Bericht der Wehrbeauftragten im vergangenen Jahr weiter gestiegen. Insgesamt habe es 211 Berichte zu meldepflichtigen Ereignissen gegeben, nach 178 im Jahr davor. Auch die Meldungen des MAD zum Bereich Rechtsextremismus seien gestiegen, auf 477 zu vermuteten Rechtsextremisten und 31 zu so genannten Reichsbürgern. Im Bereich Islamismus gab es 48 neue Verdachtsfälle.

• Wie in der gesamten Bundeswehr war auch für die Wehrbeauftragte die Bewäligtung der Coronavirus-Pandemie der Schwerpunkt des vergangenen Jahres. Dazu gab es nach Högls Angaben fast 500 Eingaben, vor allem wegen fehlender Einhaltung von Hygienevorschriften wie Maskenpflicht oder Mindestabständen. Auch die Frage nach dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten, die in der Amtshilfe an infektionsgefährdeten Orten eingesetzt werden, habe eine wesentliche Rolle gespielt.

Die Wehrbeauftragte verteidigte trotz sehr unterschiedlichen Umgangs mit den Pandemie-Regeln die dezentrale Entscheidung über die jeweiligen Maßnahmen und das Verhalten in den Einheiten. Es müsse vor Ort entschieden werden, wie die Rahmenbedingungen umgesetzt würden, sagte Högl. Die verschiedenen Dienststellen und Einheiten hätten zum Beispiel in der Ausbildung sehr unterschiedliche Anforderungen, das können Sie nicht einheitlich handhaben.

Für die in der Amtshilfe eingesetzten Soldatinnen und Soldaten, egal ob aus dem Sanitätsdienst oder als helfende Hände, sollte nach Högls Worten eine gezielte Ehrung geschaffen werden: Dieses herausragende Engagement sollte durch eine Einsatzmedaille ausgezeichnet werden. Das wäre eine sehr verdiente Anerkennung.

• Die Materiallage der Bundeswehr hat sich im Vergleich zu den Vorjahren nur wenig verbessert – und die Worte, die Högl in ihrem Bericht dafür fand, unterscheiden sich nur wenig von dem, was ihre Vorgänger bereits bemängelt hatten. Dabei geht es, wie zuvor, nicht allein um die Höhe des Verteidigungshaushalts, sondern auch um die bürokratischen Hemmnisse bei der Beschaffung, vom Kampfrucksack bis zum schweren Transporthubschrauber.

Und wie in jedem Jahresbericht des/der Wehrbeauftragten gibt es auch diesmal mindestens ein Beispiel für einen Beschaffungsvorgang, der den Außenstehenden staunen lässt. Diesmal: Der Pilotenhelm für den Seefernaufklärer P-3C Orion. Aus dem Bericht:

Im Rahmen eines Truppenbesuchs auf dem Marinefliegerstützpunkt in Nordholz im Dezember 2019 kam die Klage, die Bundeswehr sei aktuell nicht in der Lage, ihre Marineflieger angemessen mit Fliegerhelmen auszustatten. So seien die mit dem Luftfahrzeug P-3C ORION aus den Niederlanden übernommenen Fliegerhelme altersbedingt nicht mehr nutzbar. Nach Darstellung des Verteidigungsministeriums begann deshalb bereits 2008 die Anpassung eines bereits in der Bundeswehr genutzten Helmmodells an die technischen Erfordernisse dieses Flugzeugs. Vor Beschaffung der angepassten Helme habe jedoch das Luftfahrtamt der Bundeswehr eine Musterprüfung für deren Zulassung gefordert. Dabei sei es zu langjährigen Verzögerungen gekommen. Als Gründe hierfür nannte das Ministerium beispielsweise die Umorganisation der Wehrverwaltung, unklare Zuständigkeiten, häufige Bearbeiterwechsel, ungenaue Absprachen, die Änderung von Anforderungen und schlussendlich einen langwierigen Zulassungsprozess.
Da der reguläre Weg dadurch zunächst versperrt war, entschied sich die Bundeswehr für eine Interimsmaßnahme und beschaffte in den Jahren 2018 und 2019 mehr als 200 Helme zur „Erprobung“. Immerhin konnte die Bundeswehr das Zulassungsverfahren im August 2020 abschließen, sodass einer angemessenen Ausstattung der Marinefliegermit den angepassten Fliegerhelmen nichts mehr im Wege zu stehen scheint.

Das bittere Fazit der Wehrbeauftragten Anfang 2021: Es bleibt zu hoffen, dass eine ausreichende Anzahl der Helme die Marineflieger noch vor der Ausmusterung der P-3C ORION im Jahr 2025 erreicht.

Die komplette Pressekonferenz zum Nachhören:

Wehrbeauftragte_Hoegl_BPK_23feb2021     

 

Den Jahresbericht zum Nachlesen hier als pdf und hier, erstmals, als e-Book (epub). Das schriftliche Statement (etwas anders als das tatsächlich gehaltene, wie im Audio zu hören ist) hier.

(Foto: Die Wehrbeauftragte vor der Bundespressekonferenz – Florian Gaertner/photothek.de)