Geheimdienstaufsicht des Bundestages sieht „besorgniserregende Vernetzung“ von Rechtsextremisten in Bundeswehr und Sicherheitsbehörden
Die Geheimdienstaufseher des Bundestages sehen bei Rechtsextremisten in der Bundeswehr und in den Sicherheitsbehörden eine besorgniserregende reale und digitale Vernetzung. Zwar gebe es bislang keine Beweise für eine Schattenarmee, die einen realen Umsturz plant, heißt es in einem Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr). Es gebe aber rechtsextreme Netzwerke, die die Nachrichtendienste, aber auch die Strafverfolgungsbehörden stärker beobachten und analysieren müssten.
Das Kontrollgremium legte am (heutigen) Freitag seinen Bericht Erkenntnisse, Beiträge und Maßnahmen von Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst zur Aufklärung möglicher rechtsextremistischer Netzwerke mit Bezügen zur Bundeswehr (veröffentlicht als Bundestagsdrucksache 19/25180) vor. Die Untersuchung hatte der Ständige Beauftragte des PKGr, Arne Schlatmann, vor zwei Jahren begonnen. Ausgangspunkt war damals der Fall des Soldaten Franco A. und die Aufdeckung der Nordkreuz-Gruppe in Mecklenburg-Vorpommern.
Der öffentliche Teil des Berichts nennt zwar keine einzelnen Vorkommnisse und Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden zu Rechtsextremisten in der Bundeswehr. Das Gremium kam aber – mit Zustimmung der Vertreter aller Bundestagsfraktionen im Kontrollgremium – zu einer einstimmigen Bewertung. Die Kernaussage:
BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz) und BAMAD (Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst) stellen eine besorgniserregende reale und digitale Vernetzung fest. Es bestehen personelle Überschneidungen von bisher eher isolierten Personengeflechten und Personen zu bestimmten politischen Parteien bzw. Teilen von Parteien auf Bundes- und Landesebene und zu rechtsextremistischen Bestrebungen. BfV und BAMAD haben derzeit keine Beweise für eine „Schattenarmee“, die einen gewaltsamen Umsturz plant. Sie sehen gleichwohl rechtsextreme organisierte Strukturen (Netzwerke) mit Bezügen zur Bundeswehr und anderen Sicherheitsbehörden. (…) Die Definition des Begriffes „Netzwerk“ in der Arbeit der Nachrichtendienste und der Strafverfolgungsbehörden differiert und erfordert für die notwendige Zusammenarbeit in Gefahrenabwehrsituationen eine Abstimmung untereinander.
Die Untersuchungen hätten gezeigt, dass in der Bundeswehr sowie in unterschiedlichen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern (Polizei und Nachrichtendienste) – teilweise trotz bestehender Sicherheitsüberprüfungen – eine Reihe von Beschäftigten mit rechtsextremistischem – auch gewaltorientiertem – Gedankengut tätig sind, heißt es in dem Bericht. Viele seien über die Organisation hinaus, in der sie tätig sind, miteinander vernetzt – vor allem über soziale Medien, allerdings vermutlich auch bei Treffen im Rahmen von Waffenbörsen, Schießtrainings und beruflichen Zusammentreffen.
Die rechtsextremistische Vernetzung hängt nach der Untersuchung der Geheimdienstaufseher dabei überwiegend mit bestehenden rechtsextremistischen Bestrebungen wie der Identitären Bewegung, dem sogenannten Flügel der AfD oder bestimmten Burschenschaften zusammen. Dagegen habe es keine Erkenntnisse gegeben, die eine Verbindung zu Netzwerken belegten wie NSU 2.0 oder Vorkommnissen bei der hessischen Polizei, aus deren Reihen Drohbriefe verschickt wurden.
Im Zusammenhang mit den rechtsextremistischen Strukturen sei auch klar geworden, dass es vor allem bei der Bundeswehr einen sorglosen, nicht ordnungsgemäßen Umgang mit Schusswaffen und Munition gegeben habe. Dies begünstigte, dass Schusswaffen und Munition, die zu einem großen Teil aus den Beständen der Bundeswehr und sonstiger Spezialeinheiten der Polizeien stammen, für die Protagonisten unbemerkt zu entwenden waren.
Als Konsequenz aus den Erkenntnissen fordern die Geheimdienstaufseher eine bessere Zusammenarbeit von Militärischem Abschirmdienst, Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaft. So müsse unter anderem geklärt werden, dass die Nachrichtendienste auch dann in diesem Umfeld weiter aufklären könnten, wenn die Strafverfolgung begonnen habe. Ähnlich wie beim islamistischen Terrorismus müsse für den Rechtsterrorismus eine zentrale Koordinierung für die Übergabe operativer Maßnahmen geschaffen werden. Darüber hinaus sprach sich das Kontrollgremium für mehr Aufklärungsmöglichkeiten der Dienste auch bei verschlüsselter Kommunikation zum Beispiel in Messenger-Chats, aber auch für eine Überarbeitung der Speicherfristen für Informationen bei den Nachrichtendiensten aus.
Für den Militärischen Abschirmdienst forderte das PKGr mehr Möglichkeiten des Aufklärens von Extremisten: Das BAMAD muss seine Aufgaben als gezielte Gesamtprävention vor extremistischen Bestrebungen wahrnehmen und nicht ausschließlich als Abwehr von Bestrebungen gegen die Bundeswehr durch Soldaten, heißt es in dem Bericht. Falsch verstandendener Kameradschaft und schon niedrigschwelligen extremen Bestrebungen ist wirksam und zügig zu begegnen – hier darf nicht weitere Zeit verloren gehen. Dabei gehe es auch um eine bessere Kooperation mit dem Verfassungsschutz, um Extremisten unter nicht beorderte Reservisten, die nicht zum Aufgabenbereich des militärischen Nachrichtendienstes zu gehören, entdecken zu können.
Das Verteidigungsministerium hatte auf die – in Teilen schon bekannte – Kritik an der Arbeit des MAD bereits in diesem Jahr reagiert: Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte den bisherigen Präsidenten Christof Gramm entlassen und durch die vorherige Bundeswehrdisziplinaranwältin Martina Rosenberg ersetzt.
In der Pressekonferenz zur Vorstellung des Berichts machten die Vertreter aller Fraktionen im Kontrollgremium deutlich, dass die Einschätzungen quer durch das politische Spektrum einhellig geteilt wurden – ein zurzeit sehr seltenes Vorkommnis im Deutschen Bundestag. Zum Nachhören die Pressekonferenz des Parlamentarischen Kontrollgremiums in voller Länge:
Redner (ab Minute:Sekunde):
00:00 Roderich Kiesewetter, CDU, Vorsitzender PKGr
08:10 Konstantin v. Notz, Grüne, stv. Vorsitzender PKGr
13:00 Thomas Hitschler, SPD
16:04 Roman Reusch, AfD
18:22 Stephan Thomae, FDP
21:43 André Hahn, Linke
26:34 Andrea Lindholz, CSU (Vorsitzende Innenausschuss)
30:12 Fragen und Antworten (Fragen aus technischen Gründen nicht verständlich)
Nachtrag 14. Dezember – zwei Hinweise:
Das Aufmacherfoto habe ich jetzt ausgetauscht. Das Bataillon selbst hat mich darum gebeten, und ich habe mich entschlossen, der Bitte nachzukommen. Das zuvor gezeigte Bild aus dem Jägerbataillon 291 hat schon einen Zusammenhang zu dem Thema – es war der Stationierungsort des Oberleutnants Franco A., dessen Fall mit ursächlich war für den hier thematisierten Bericht. In der Tat gibt es allerdings keinen aktuellen Bezug zu diesem Bataillon.
Und: Jetzt wird immer mehr versucht, in den Kommentaren Begründungen zu finden, warum die Politik der Bundesregierung den Extremismus in der Truppe angeblich begünstige. Diese Begründungen gehen, vorsichtig gesagt, in die Richtung eines bestimmten Narrativs aus einer bestimmten politischen Szene und klingen doch arg verharmlosend für das, was vom Parlamentarischen Kontrollgremium festgestellt wurde. Die Versuche, Augen geradeaus! dafür als Plattform zu benutzen, muss ich nicht mitmachen.
@Eric Hagen
Ich kenne keine belastbaren Zahlen zum Wahlverhalten von Soldat*innen und Polizist*innen. Medien beschreiben zwar immer wieder die Sorge darüber und die AfD selber behauptet das auch. Aus meiner Sicht knn das aber getrost als Propaganda der Partei erklärt werden, ungefähr auf einem Niveau mit der Grenzöffnungslüge.
Also wenn sie eine Studie mit belastbaren Zahlen dazu kennen, gern her damit. Wenn nicht, vielleicht nicht die sehr eigennützigen Argumente einer in großen Teilen rechtsextremen Partei verbreiten.
Ansonsten bin ich weiterhin nicht geneigt, Mitleid mit oder Verständnis für diejenigen zu haben, die mal vereidigt wurden und der Meinung sind, dass der Eid nur dann bindend wäre, wenn sie ihr Lieblingsspielzeug, ihre Lieblingsstruktur, ihre Lieblingsanerkennung, oder ihren Lieblingstonfall vom Dienstherrn bekommen.
@sanjäger
Hierzu gibt es Artikel im Netz, z.B. Tagesspiegel: „Rechte Tendenzen bei Polizei und Bundeswehr
„Da ist bei vielen Beamten etwas in Schieflage geraten““ oder Merkur: „Immer mehr Polizisten und Soldaten wählen AfD – Jetzt will Union um die Staatsdiener kämpfen“.
@ Sanjäger
Googeln Sie einfach nach „Wahlverhalten Soldaten/ Polizisten“ etc. und Sie finden vielleicht keine Studie, aber hinreichend seriöse Meldungen, Warnungen und Wahrnehmungen.
Im Übrigen- in der Aufstand-/ und Terrorismusbekämpfung ist man dann erfolgreich, wenn man sich der Root Causes annimmt.
Verstehen, was und wen man bekämpfen will, ist alternativlos.
Ihr Ansatz mag konsequent sein, Erfolg zu haben im Sinne einer Radikalismusbekämpfung, ohne dass man SK und Behörden nicht unter Generalverdacht stellt, verspricht er indes nicht.
@SanJäger: Respekt +1
Kleiner Wink in Richtung Drohnendebatte. Zum einen muss der internationale islamistische Terrorismus konsequent bekämpft werden, zum anderen bringen Drohnenschläge fragliche Ergebnisse. Man erinnert sich an die Argumentation „12-1 = 20“, also einen Terroristen per Rakete ausgeschaltet, aber durch Traumatisierung und Kollateralschäden 9 neue Terroristen erschaffen. Langfristig, so erkannte es gerade die Obama Administration und die Bundesregierung allen internationalen Partnern voran, sah man kein Ende des „Long War“ (vgl. Dick Chaney) oder gar eine Verschlimmerung. Folgen in den USA: Folterverbot und Reform des Drohnenprogramms.
Auf unser Thema angewandt, wie kann man a) die bestehende Demographie von (potentiellen)Eidbrechern identifizieren und reintegrieren bis aus dem Dienst entfernen, und b) wie schaffen wir es, das sich ausbreitende Phänomen an der Wurzel zu packen und Verbreitung/Wachstum einzudämmen?
@sanjäger sagt: 13.12.2020 um 19:18 Uhr
„Ansonsten bin ich weiterhin nicht geneigt, Mitleid mit oder Verständnis für diejenigen zu haben, die mal vereidigt wurden und der Meinung sind, dass der Eid nur dann bindend wäre, wenn sie ihr Lieblingsspielzeug, ihre Lieblingsstruktur, ihre Lieblingsanerkennung, oder ihren Lieblingstonfall vom Dienstherrn bekommen.“
Volle Zustimmung.
Es wäre schon reichlich seltsam, wenn die persönlichen Unzufriedenheit über Entwicklungen innerhalb der SK als Ausrede für Eid-, Treue- und Verfassungsbruch gelten darf.
Wohl gemerkt in diesem Faden geht es nicht um das Wahlverhalten AfD oder nicht (zu dem ich persönlich auch eine klare Position habe, aber es ist das demokratische Recht jedes Soldaten jede nicht verbotene Partei seiner Wahl zu wählen.
Es geht vielmehr hier um Rechtsextremismus, Reichsbürger etc.
Und es gibt keinerlei Ausrede (und auch keinerlei Verständnis von meiner Seite), wenn jemand zum Verfassungsfeind wird, nur weil wir nur 1,5% BIP bekommen oder nur weil unsere letzte IBuK seltsame Schwerpunkte jenseits der Kampfkraft der SK gesetzt hat.
Wenn jemand mit unseren SK sooo unzufrieden ist, dann soll er sie doch bitte verlassen.
@ Eric Hagen
Auch in der Beurteilung der Lage werden die Möglichkeiten des Handelns des Feindes aufgezeigt und die wahrscheinlichste angenommen. (Perspektivwechsel)
Wer sich nicht die Mühe macht, die geänderte Denkweise von extremistischen Soldaten zu ergründen, der wird dem Problem des Extremismus in der Bundeswehr nicht mehr Herr werden.
@D Schneider
@alle
Mit Sicherheit sind vormals „normale“ Soldaten nicht wegen der Materiallage zu Extremisten geworden.
Diese Attitüde steckte dann schon immer im Soldaten drin, nur traute er sich nicht sie offen zu zeigen.
Jetzt, wo bestimmte Strömungen und Meinungen wieder salonfähig sind oder gemacht werden, kommt „der Extreme“ (nicht „der Extremist“) zum Vorschein und findet dann auch viele Gleichgesinnte, aber auch Ablehnende.
Mit den Ablehnenden macht er Dienst oder Freundschaft nach Vorschrift und mit den politisch Gleichgesinnten wird die Freundschaft besser. Man versteht sich halt gut.
Irgendwann wird aus einigen Extremen eben Extremisten, manche geraten auch immer weiter in den Strudel.
Schon Mutter sagte damals: „deine Freunde sind ein schlechter Umgang“.
Das hat nichts mit der Materiallage oder anderen bundeswehrspezifischen Entscheidungen in den letzten Jahren zu tun.
Es ist eher eine gesellschaftliche Veränderung über alle Bereiche und Bevölkerungsschichten hinweg. Jeder hat es doch schon selbst erlebt, wie ein guter Freund bei einer Feier auf einmal „komische“ Ansichten vertritt. Ansichten, die er früher nie so öffentlich vertreten hatte – mit Sicherheit aber schon immer dachte (vielleicht auch in milderer Form) aber nur nicht kommunizierte. Soll jetzt ausschließlich seine Arbeit der Grund sein? Unwahrscheinlich.
Nur sind natürlich diese Ansichten in Bundeswehr und Polizei eindeutig fehl am Platz und stehen auch nicht im Einklang mit dem Eid und dem Beruf an sich.
Gerade weil bei der Polizei auch diese Fälle auftauchen, kann man nicht von Berufsunzufriedenheit sprechen.
Natürlich wird immer gejammert im Beruf, aber gerade bei der Polizei lief es die letzten 15 Jahre im Vergleich zu anderen Behörden super. Dann müssten ja bei anderen Behörden reihenweise die Extremisten aus dem Boden sprießen. (ja, mir sind die Probleme der Polizei bewusst, aber das ist teilweise gar nichts gegen andere Bereiche des öffentlichen Dienstes)
Wer extremistische Tendenzen an den Tag legt, hat im öffentlichem Dienst nichts zu suchen.
Selbst „extreme Soldaten“ sind, meiner Meinung nach, nicht für den öffentlichen Dienst geeignet.
Die geänderte Denkweise von Extremisten muss man auch nicht ergründen.
Da ist der Zug schon oft in der Kindheit oder eben vor vielen vielen Jahren abgefahren.
Bei den Extremen ist es etwas anderes – hier muss man schauen, ob es bestimmte Triggerauslösungen gab.
Ich bezweifel stark, dass die „extremen Soldaten“ eine Bundeswehr nach US-Vorbild oder russischen Vorbild wirklich haben wollen. Man genießt nämlich auch als „extremer Soldat“ die Vorzüge des recht beschaulichen Armeelebens in der Bundeswehr (Wochenendheimfahrten, SAZV, keine extrem gefährlichen Auslandseinsätze, kein „Schinden“ usw).
Oft wird aber gerade von diesen Soldaten eine „härtere“ Bundeswehr gefordert (also so wie die Wehrmacht damals).
Ich sag’s mal mit aller mir möglichen Zurückhaltung: Das Propaganda-Narrativ von der angeblichen „illegalen Grenzöffnung“ werden wir hier nicht einführen.