Aus für Jester: Bundeswehr stoppt Modernisierung der Seeaufklärer, neues Flugzeug gesucht (Nachtrag)

Nach mehreren Jahren der Modernisierungsversuche am betagten Seefernaufklärer P-3C Orion und steigenden Kosten hat das Verteidigungsministerium die bereits laufende Modernisierung der Flugzeuge gestoppt. Bis zur Entwicklung eines neuen Systems 2035 soll ein anderes Flugzeug als Übergangslösung gesucht werden.

Das Ministerium bestätigte am (heutigen) Dienstag einen entsprechenden Bericht des NDR. Die 2015 in Auftrag gegebene Modernisierung der Maschinen werde vorzeitig beendet, sagte eine Sprecherin. Nur zwei der Flugzeuge, bei denen das so genannte Rewinging, die Erneuerung der Tragflächen, bereits abgeschlossen sei, sollten noch fertig gestellt werden.

Die Marine hatte von den Niederlanden acht Maschinen des US-Modells P-3C gebraucht gekauft. Bereits bei den Instandhaltungsmaßnahmen stellten sich aber schwerwiegende Probleme heraus. Vor fünf Jahren wurde eine grundlegende Modernisierung in Auftrag gegeben, die zum Teil aber auch durch Probleme bei der Industrie verzögert wurde. Nachdem kürzlich ein Flugzeug beim Betanken beschädigt wurde, verfügt die Bundeswehr noch über sieben Modelle.

Trotz geringen Klarstands seit Jahren hatte sich die Marine 2018, als die detaillierten Zahlen noch nicht geheim waren, relativ optimistisch zur Zukunft des Flugzeuges geäußert:

Der Gesamtbestand der Bundeswehr beläuft sich auf 8 Luftfahrzeuge vom Typ P-3C ORION.
Das System ist einsatzreif.
Der Verfügungsbestand lag im Mittel bei 5 Flugzeugen. Davon waren durchschnittlich 2 einsatzbereit. Dies entspricht im Mittel einer 41%igen materiellen Einsatzbereitschaft.
Sowohl die laufenden Einsatzverpflichtungen im Rahmen der Operation EUNAVFOR ATALANTA als auch der Beitrag zu Maßnahmen der NATO zur Rückversicherung der Baltischen Staaten konnten parallel zu dringend erforderlichen Maßnahmen zum Fähigkeitserhalt erfüllt werden. Eine deutliche Verbesserung wird nach Abschluss weiterer Projekte (Erneuerung von Tragflächen, Missionssystem und Avionik für den Instrumentenflug) ab 2023/24 eintreten.

Bedenken gegen diese optimistische Einschätzung äußerte allerdings im vergangenen Jahr der Bundesrechnungshof:

Das BMVg verfehlt das Ziel, acht betagte Marineflugzeuge nach umfangreichen Modernisierungen wirtschaftlich zu nutzen. Die Bundeswehr schloss hierfür im Jahr 2015 Verträge über 500 Mio. Euro. Die Marine will die Flugzeuge bis zu ihrer geplanten Ablösung im Jahr 2035 für die Aufklärung auf See und die Bekämpfung von U-Booten nutzen. Die Arbeiten sollten im Jahr 2023 abgeschlossen werden. So hätten die Flugzeuge noch mehr als zehn Jahre wirtschaftlich genutzt werden können.Die Modernisierung dauert wesentlich länger und kostet erheblich mehr als vorgesehen. Die Bundeswehr hat zusätzliche Leistungen beauftragt, die das Projekt obendrein verzögern. Die im Jahr 2015 eingeplanten Haushaltsmittel reichen nicht aus, um die Flugzeuge zu modernisieren. Inzwischen plant das BMVg mit einem weiteren Investitionsbedarf von mindestens 340 Mio.

Und auch im jüngsten Rüstungsbericht aus der vergangenen Woche standen warnende Hinweise:

Durch die eingetretenen Verzögerungen sind die Projekte IFR, Rewinging und Erneuerung der Missionsavionik (MSR) in der Weiterverfolgung aufeinander abzustimmen, um die Verfügbarkeit der Lfz nicht unnötig zu reduzieren. Die dauerhafte Verfügbarkeit der Lfz als Wirkmittel ist wesentlich. Die bestehenden Risiken machen ein enges Projektcontrolling und ggf. die Betrachtung von Handlungsalternativen erforderlich.

Diese Betrachtung von Handlungsalternativen hat das Ministerium in Absprache mit der Industrie jetzt offensichtlich vollzogen: Die weiteren Arbeiten an den Flugzeugen seien ein zu hohes finanzielles und technisches Risiko, sagte die Sprecherin. Das Ende der Nutzungsdauer der Orion sei nun statt auf 2035 auf das Jahr 2025 festgelegt.

Diese Zeit dürfte auch nötig sein, eine Alternative zu finden. Nach Angaben des Ministeriums werde nun eine Marktsichtung für eine Brückenlösung vorgenommen – denn langfristig soll das deutsch-französische Projekt Maritime Airborne Weapons System (MAWS) als neuer Seefernaufklärer ab 2035 in die Streitkräfte eingeführt werden. Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf der ILA 2018  zusammen mit ihrer französischen Kollegin Florencde Parly: Wir planen einen gemeinsamen Seefernaufklärer, um große Seegebiete überwachen zu können, wie zum Beispiel am Horn von Afrika oder im Mittelmeer. Dazu unterschreiben wir hier eine Absichtserklärung über das weitere Vorgehen.

Nicht zuletzt aufgrund der neuen Bedeutung der U-Boot-Jagd in der Landes- und Bündnisverteidigung wird die Marine allerdings nicht jahrelang bis zur Einführung von MAWS auf ein Maritime Patrol Aircraft verzichten können, also spätestens ab 2025 ein neues Flugzeug benötigen. Marktverfügbar sind da vor allem Maschinen des US-Typs P-8 Poseidon – aber auch das japanische Flugzeug Kawasaki P-1. Vor zwei Jahren fristeten die Japaner noch ein Nischendasein auf der ILA, mal sehen, ob sich das in dieser Lage ändert.

Die Auftragserfüllung, sagte die Ministeriumssprecherin, sei aber mit den einsatzklaren Orion sichergestellt. Das ist nun auch seit dem gestrigen Montag ein bisschen einfacher, denn da kehrte eine Maschine aus Djibouti zurück, wo sie unter dem Callsign Jester für die EU-Antipirateriemission Atalanta im Einsatz war. Einziger aktueller Einsatz dieser Maschinen ist  nun die Beteiligung an der EU-Mission Irini im Mittelmeer – vom Standort Nordholz aus, mit Zwischenlandung zum Tanken und drei Stunden Missionserfüllung im Zielgebiet. Und die Teilnahme an Übungen wie derzeit BALTOPS in der Ostsee.

Nachtrag: In der Unterrichtung des Ministeriums für den Bundestag, aus der auch der NDR zitiert, werden als neue Maschinen alle marktverfügbaren Plattformen, wie beispielsweise C-295 MPA, RAS 72 und P-8A genannt – allerdings nicht die japanische P-1.

Kurz zur Übersicht:

C-295 MPA von Airbus

RAS 72, eine in Deutschland militarisierte Version des Transportflugzeugs ATR-72 (Bilder dieser Maschine im Einsatz bei der Marine Pakistans gibt es hier)

P-8 Poseidon von Boeing

Und noch ein sehr persönlicher Nachtrag: Wenn 2025 sowohl die Orion als auch ich in Rente gehen (sollten), hätte ich gerne nach Ausmusterung und vor, äh, Zerlegung der P-3C eines dieses Bauteile, die ohnehin seit Jahren nicht mehr genutzt werden dürfen:

(Aber wer weiß, ob wir nicht beide länger machen müssen…)

(Archivbilder Mai 2012: Seefernaufklärer Orion P-3C der Deutschen Marine in Djibouti)