Kabinett beschließt wie erwartet: Marineschiffbau wird Schlüsseltechnologie

Wie erwartet, wenn auch mit ein wenig Verspätung, hat das Bundeskabinett ein neues Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie verabschiedet. Einer der Schwerpunkte: Die Definition der so genannten nationalen Schlüsseltechnologien wurde um den Marineschiffbau auch von Überwasserschiffen erweitert – eine Voraussetzung, um künftig neue Vorhaben nicht mehr europaweit ausschreiben zu müssen.

Das neue Papier ersetzt die bislang getrennten Strategien für die militärische und die zivile Sicherheitsindustrie – und soll im Zusammenspiel mit einem neuen Vergabegesetz die schnellere Beschaffung von Ausrüstung für Bundeswehr und Sicherheitsbehörden ermöglichen. (Das Gesetz, auf die das Strategiepapier ausdrücklich Bezug nimmt, soll in Kraft treten, nachdem der Bundesrat am kommenden Freitag zugestimmt hat.)

Die Ausweitung der definierten Schlüsseltechnologien hat die Bundesregierung in einer grafischen Übersicht dargestellt:

und der Unterschied zeigt sich bei einem Blick auf die alte Festlegung vom Juli 2015:

Neu also, schnell erkennbar: Wo 2015 noch der U-Boot-Bau, die Unterwassereinheiten, als nationale Schlüsseltechnologie definiert waren und die Überwassereinheiten noch nicht mal eindeutig auf europäische Hersteller begrenzt waren, steht nun Marineschiffbau (Über-/Unterwasserplattformen), also  im Grunde genommen die gesamte deutsche Werftindustrie samt systemwichtigen Zulieferern in diesem Rang. (Dass die Struktur des Papiers 2015 mit der Aufteilung nach Fähigkeitsdomänen so ganz anders aussieht als die des aiktuelle, hängt mit der veränderten Federführung zusammen: Damals das Verteidigungs-, heute das Bundeswirtschaftsministerium.)

Eine der angestrebten Konsequenzen aus der neuen Strategie in Kombination dem neuen Gesetz mit der Änderung von Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und der Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV): Damit werden Ausnahmen von der Vorgabe möglich, größere Beschaffungen europaweit auszuschreiben. Das Bundeswirtschaftsministerium formulierte das so:

Die vom europäischen und nationalen Gesetzgeber eingeräumten Spielräume in der Anwendung der Ausnahmevorschrift des Artikels 346 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sollen genutzt werden, um die wesentlichen nationalen Sicherheitsinteressen, insbesondere den Erhalt nationaler Souveränität, zu wahren. Um dies im deutschen Vergaberecht zu konkretisieren, hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf1 eingebracht, der „sicherheits- und verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien“ als möglichen Fall der Betroffenheit wesentlicher Sicherheitsinteressen nach Artikel 346 AEUV im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausdrücklich benennt.
Als weitere Maßnahme zur Beschleunigung von Vergabeverfahren im Bereich Verteidigung und Sicherheit enthält der Entwurf eine Änderung von § 12 Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV). § 12 VSVgV gestattet in bestimmten Fällen ausnahmsweise die Vergabe von Aufträgen im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb. Durch die Ergänzung von Regelbeispielen soll die praktische Handhabung von § 12 VSVgV vereinfacht werden.
Darüber hinaus wird die Bundesregierung im Rahmen der praktischen Beschaffung die rechtlichen Möglichkeiten, die das Vergaberecht bereits bietet, künftig verstärkt ausnutzen.
Gleichzeitig wird sich die Bundesregierung in der EU für eine stärkere Harmonisierung der Beschaffung, u.a. durch einheitliche Standards und Spezifikationen, einsetzen, um so den europäischen Mehrwert der Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung noch besser nutzen zu können. Damit können faire Zugangsbedingungen für alle Unternehmen erreicht sowie Kooperationen auf Industrie- und Regierungsseite zwischen den Mitgliedstaaten erleichtert werden. Dies betrifft auch die Wartung und Instandsetzung.

Die Aufnahme des Überwasserschiffbaus in diese Liste ist seit Monaten eine Forderung vor allem von Küstenländern und Industrie – und die wurde noch mal deutlich lauter, als die Entscheidung bekannt wurde, das neue Mehrzweckkampfschiff 180 (MKS180) der Deutschen Marine von der niederländischen Damen-Werft als Generalunternehmer bauen zu lassen.

Zuletzt hatten die Küstenländer in der vergangenen Woche gemeinsam mit Bayern und Nordrhein-Westfalen, dem Sitz wichtiger Zulieferunternehmen, die schnelle Festlegung des Überwasserschiffbaus als Schlüsseltechnologie gefordert – eine ähnliche Entwicklung wie vor fünf Jahren, als auch bayerischer Druck die Aufnahme der U-Boote in die Liste beförderte (worüber sich die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen trefflich mokieren konnte).

Allerdings – die MKS180-Entscheidung ist bereits gefallen, und auch wenn sie von der unterlegenen German Naval Yards Kiel (GNYK) juristisch angegriffen wird: Die Neuregelung wird darauf nicht angewendet werden können. Statt dessen ist die Rede davon, dass die von der Marine dringend benötigten neuen Betriebsstofftanker damit schneller ausgeschrieben und beschafft werden könnten. Das bleibt abzuwarten.

Das Strategiepapier zum Nachlesen hier (und vorsorglich auch als lokale Archivdatei… 20200212_strategiepapier-staerkung-sicherits-und-verteidigungsindustrie)

(Archivbild Juli 2016: Erprobungsfahrt der Fregatte F 222 Baden-Württemberg, Typschiff der Fregatten-Klasse F 125, gefolgt von der Fregatte F 215 Brandenburg im Skagerrak – Carsten Vennemann/Bundeswehr)