Schnellere Beschaffung für die Bundeswehr: Einschränkung für EU-weite Ausschreibung (m. Nachtrag)

Um Ausrüstung für die Bundeswehr, aber auch für andere Sicherheitsbehörden schneller beschaffen zu können, sollen die Regeln für die Ausschreibung bei Rüstungsgütern geändert werden. Bei den so genannten Schlüsseltechnologien, aber auch bei kurzfristig benötigtem Material zum Beispiel für Auslandseinsätze werden dafür Beschränkungen im Vergaberecht gelockert. Ein entsprechender Gesetzentwurf sieht dafür vor allem weitgehende Ausnahmen von der vorgeschriebenen EU-weiten Ausschreibung vor.

Das Bundeskabinett verabschiedete am (heutigen) Mittwoch den Entwurf. Damit sollen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und die Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) so geändert werden, dass unter bestimmten Voraussetzungen Vorgaben wie eine europaweite Ausschreibung für Rüstungsmaterial nicht mehr eingehalten werden müssen. Dafür werden die wesentlichen Sicherheitsinteressen präzisiert, die Voraussetzung dafür sind, dass der entsprechende Paragraph 346 der EU-Verträge nicht angewandt werden muss.

Die Neuregelung nennt dafür die Schlüsseltechnologien im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich, zu denen bislang vor allem Verschlüsselungstechnik und Schutztechnologien, aber auch U-Boote gehören – mit der Aufnahme in das GWB soll klargestellt werden, dass dafür die Ausnahme von der EU-weiten Ausschreibung gilt.

Ausnahmen gelten ebenfalls für Beschaffungen im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr und so genannten einsatzgleichen Verpflichtungen wie dem NATO-Einsatz enhanced Forward Presence in Litauen. Außerdem werden Bündnisverpflichtungen ausdrücklich genannt – das kann zum Beispiel Unterstützungsleistungen der Bundeswehr für große Verlegungen im Rahmen der NATO durch Deutschland betreffen.

Die beschleunigte Beschaffung soll allerdings nicht nur für die Streitkräfte gelten, sondern auch für Technik und Technologie, die die Polizeibehörden für bestimmte Fälle einsetzen: Damit können sowohl bestimmte Beschaffungen erfasst sein, die der Sicherstellung des grenzpolizeilichen Schutzes des Bundesgebietes dienen, als auch solche, die zur präventiven Abwehr oder repressiven Verfolgung von Straftaten mit terroristischem Hintergrund oder im Bereich der organisierten Kriminalität bestimmt sind. Weiterhin können Aufträge dazu führen, dass wesentliche Sicherheitsinteressen berührt sind, wenn sie zur Durchführung heimlich erfolgender Maßnahmen im Rahmen verdeckter Ermittlungen im Bereich der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung dienen oder für Verschlüsselungsmaßnahmen bestimmt sind, heißt es in der Gesetzesbegründung.

Die Neuregelung geht zurück auf eine Verabredung im Koalitionsvertrag von Union und SPD: Um den Bedarf für Einsätze bzw. einsatzgleiche Verpflichtungen schneller decken zu können, werden wir Auslegungshilfen für den Verzicht auf den EU-weiten Teilnahmewettbewerb (§ 12 Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit) zur Verfügung stellen. Zum Erhalt nationaler Souveränität bei Schlüsseltechnologien werden wir bestehende vergaberechtliche Spielräume konsequenter nutzen, Auslegungshilfen zur Verfügung stellen und prüfen, inwieweit der Ausnahmetatbestand des Art. 346 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Beschaffungspraxis stärker herangezogen werden kann.

Der komplette Wortlaut des vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurfs hier, die Pressemitteilung des zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums hier zum Nachlesen. Da bedarf es wohl noch der Expertise von Fachleuten des Beschaffungsrechts, um die geplanten Änderungen wirklich erfassen und bewerten zu können.

(Am Rande: In der Pressemitteilung des Ministeriums wird der Koordinator der Bundesregierung für die Maritime Wirtschaft, Norbert Brackmann, mit der Aussage zitiert: Gerade auch im Schiffbau kann die Regelung zur Beschleunigung beitragen – und stärkt damit auch unsere Schlüsseltechnologien. Allerdings ist der Überwasserschiffbau bislang noch nicht als eine solche Schlüsseltechnologie definiert, das soll noch folgen – und wohl deshalb hatte die Industrie in einer Stellungnahme zuvor auch gewarnt, die gesondert von dieser Regelung zu treffende Festlegung der Schlüsseltechnologien sorge nicht gerade für Rechtssicherheit.)

Nachtrag: Die Aussagen dazu in der Bundespressekonferenz von Regierungssprecher Steffen Seibert, Annika Einhorn vom Bundeswirtschaftsministerium, Fregattenkapitän Christina Routsi vom Verteidigungsministerium und Björn Grünewälder vom Bundesinnenministerium:

Seibert: Das Kabinett hat sich zunächst mit dem Thema der Beschaffungen im Bereich von Verteidigung und Sicherheit befasst. Diese Beschaffungen sollen nämlich beschleunigt werden. Deswegen gibt es einen Gesetzentwurf, der vergaberechtliche Regelungen anpasst und den die Bundesregierung heute beschlossen hat. Das ist im Übrigen auch die Umsetzung eines Auftrags aus dem Koalitionsvertrag.
Wir wollen es den Beschaffungsstellen erleichtern, schneller und flexibler zu reagieren, vor allem wenn sich ein kurzfristig eintretender Bedarf bei der Bundeswehr oder bei den Sicherheitsbehörden ergibt. Außerdem wird es noch Änderungen der Vorgaben für die nationale Vergabestatistik in Deutschland geben. (…)

Frage: Ich habe dazu eine Frage an das Wirtschaftsministerium: Stellt dieser Gesetzentwurf jetzt sicher, dass der militärische Marineschiffbau zur Schlüsseltechnologie erklärt wird und nicht mehr europaweit ausgeschrieben wird, sondern im Wesentlichen von deutschen Werften umgesetzt werden kann?
Die Anschlussfrage an das Verteidigungsministerium: Die Bundesmarine hat ja einen erheblichen Beschaffungsbedarf beziehungsweise Ersatzbedarf. Sind Sie mit diesem Gesetzentwurf jetzt zufrieden?

Einhorn: Vielen Dank für die Frage. – Wie Herr Seibert eben schon ausgeführt hat, geht es bei dem Gesetzentwurf, der heute im Kabinett verabschiedet wurde, darum, den Beschaffungsstellen die Anwendung der vergaberechtlichen Regelungen, die laut EU-Recht existieren, zu erleichtern und zu vereinfachen, damit sie schneller und flexibler vor allem auf kurzfristige Anforderungen und Bedarfe reagieren können. Das gilt insbesondere im Hinblick auf Ausnahmen, die das Vergaberecht vorgibt, bei denen das Vergaberecht nicht immer angewendet werden muss. Das gilt insbesondere dann, wenn wesentliche Sicherheitsinteressen eines Staates betroffen sind. Der Gesetzentwurf definiert jetzt, dass solche wesentlichen Sicherheitsinteressen dann vorliegen können, wenn die Beschaffung im Einzelfall sogenannte verteidigungs- und sicherheitsindustrielle Schlüsseltechnologien betrifft.
Der nächste Schritt ist jetzt, zu definieren, was diese Schlüsseltechnologien sind. Darauf zielt Ihre Frage ab. Der nächste Schritt, den das Bundeskabinett dann gemeinsam angehen muss, ist, wie gesagt, gemeinsam Schlüsseltechnologien zu definieren. Aktuell sind das zum Beispiel gepanzerte Fahrzeuge oder U-Boote. Über die Aufnahme weiterer Schlüsseltechnologien, auch im maritimen Bereich, wird dann das Bundeskabinett gemeinsam entscheiden.

Zusatzfrage: Gibt es schon einen Zeitrahmen, bis wann darüber entschieden werden kann, oder ist das jeweils auf Anfrage im Falle einer notwendigen Beschaffung der Fall?

Einhorn: Da müsste ich an die Kollegen vom BMI oder BMVg verweisen, die das in ihrer Federführung haben.

Routsi: Ich würde einfach einmal beginnen. – Sie haben gefragt, ob wir damit zufrieden sind. Wir sind erst einmal insofern damit zufrieden, als dass anerkannt wurde – das ist ja auch im Koalitionsvertrag so beschrieben -, dass man etwas am Beschaffungswesen verändern muss. Insbesondere was das Thema Mandate und einsatzgleiche Verpflichtungen angeht, ist die Bundeswehr häufig darauf angewiesen, zügig vernünftiges Material zu bekommen. Also: Ja, wir sind zufrieden.
Im Einzelfall schaut man dann, was für ein Beschaffungsvorgang initiiert wird. Dann prüft man für sich, ob das eine Schlüsseltechnologie ist oder nicht. Ich kann Ihnen da als Beispiel den Marineschiffbau nennen. Wenn man da übereinkommen ist und auch mit den beteiligten Ressorts gesprochen hat, geht man über, das dem Kabinett vorzustellen. Dort wird das dann behandelt.
Dieses Gesetz ist ein wichtiger Rahmen und wird mit Sicherheit auch für die Bundeswehr viele Vorteile bringen.

Grünewälder: Ich habe im Wesentlichen keine Ergänzungen. Zu dem Zeitpunkt kann ich nichts sagen. Das soll so schnell wie möglich erfolgen.
Ich kann Ihnen Beispiele für sicherheitsindustrielle Schlüsseltechnologien aus BMI-Sicht nennen: Das sind zum Beispiel sicherheitsrelevante IT- und Kommunikationstechnologien. Das sind Technologien im Bereich der Sensorik. Das sind aber auch Technologien der künstlichen Intelligenz mit Sicherheitsbezug.

Frage: Wie wird sichergestellt, dass das EU-wettbewerbskonform ist und dass in Zukunft nicht industriepolitisch möglicherweise Teilnehmer bei Ausschreibungen ausgeschlossen werden?
Einhorn: Darauf kann ich gerne antworten. – Ich habe gerade schon gesagt, dass die Ausnahmen, um die es jetzt geht, genau nach dem EU-Vergaberecht möglich sind. Es geht jetzt darum, in dem Gesetzentwurf diese Ausnahmen für Deutschland konkreter zu definieren. Da sagen wir jetzt: Wenn es sich um verteidigungs- oder sicherheitsindustrielle Schlüsseltechnologien handelt, ist eine Ausnahme vom Vergaberecht zukünftig möglich – nicht zwingend, aber möglich.

Zusatzfrage: Gibt es in der EU eine einheitliche Definition, was diese Schlüsseltechnologien betrifft, oder ist das wirklich immer nur pro Mitgliedsland individuell definiert?

Einhorn: Das EU-Vergaberecht spricht davon, dass es sich um wesentliche Sicherheitsinteressen eines Staates handeln muss. Wir haben jetzt definiert, was diese wesentlichen Sicherheitsinteressen sind, und beschlossen, dass es sich um wesentliche Sicherheitsinteressen handeln kann, wenn verteidigungs- und sicherheitsindustrielle Schlüsseltechnologien betroffen sind.

Frage: Herr Seibert, konterkariert das nicht die Bemühungen, die es auf EU-Ebene gibt, die Verteidigungsanstrengungen zu verstärken, ausdrücklich auch mit einer engeren Zusammenarbeit der EU-Verteidigungsindustrien? Wenn künftig in immer mehr Bereichen nur noch national ausgeschrieben wird, fördert das doch eher den Trend, Unternehmen wieder national aufstellen zu lassen.

Seibert: Ich denke, dass die Notwendigkeit, Beschaffungsvorgänge zu beschleunigen, und die gleichzeitige Notwendigkeit und auch der Wille, in Europa, was Rüstungsindustrie und überhaupt Verteidigungs- und Sicherheitspolitik betrifft, enger zusammenzuarbeiten, einander nicht automatisch widersprechen.

Zusatzfrage: Vielleicht nicht automatisch. Aber befürchten Sie nicht, dass, wenn man jetzt weitere Bereiche definiert – das Innenministerium hat ja eben klargemacht, dass das weit über Panzer und, ich nenne es jetzt einmal, Hardware hinausgeht -, selbst im KI-Bereich dann eine europäische Zusammenarbeit eher erschwert wird?

StS Seibert: Ich denke, dass wir bei den Entscheidungen, die jetzt noch anstehen, und bei der Definition von weiteren Schlüsselbereichen die europäische Perspektive immer im Kopf haben werden.

(Archivbild Juni 2017: Übung Iron Wolf im Rahmen der enhanced Forward Battle Group in Rukla/Litauen – Sebastian Wilke/Bundeswehr)