Lesestoff: Rüstungsbericht und materielle Einsatzlage

Das Verteidigungsministerium hat die erwarteten Berichte zur Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme und den zweiten Rüstungsbericht vorgelegt. Ein dicker Packen Lesestoff – aber wie schon im Vorjahr bleibt es dabei, dass die genauen Zahlen zur Verfügbarkeit der Großgeräte nicht öffentlich werden.

Im Frühjahr hatte die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den detaillierten Bericht zur Materiellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nach Jahren der Offenheit überraschend für geheim erklärt – und ihre Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer folgt diesem Kurs. Der am (heutigen) Donnerstag veröffentlichte Bericht  hat erneut einen öffentlichen und einen geheimen Teil, die Formulierung knüpft an die bewährte Berichterstattung der vergangenen Jahre an ist also fast schon regierungsamtlicher Neusprech.  Detaillierte Aussagen über die Probleme der einzelnen Groß-Waffensysteme gibt es nicht – oder jedenfalls nur versteckt.

Wer sich für die Detailzahlen interessiert, kann sie bei Spiegel Online nachlesen; aber auch so ist der – offene – Bericht in Teilen schon ernüchternd genug:

Beispiele für neue Systeme mit einer im Verlauf hohen Schwankungsbreite der materiellen Einsatzbereitschaft zwischen 26% bis 95% – allerdings überwiegend im deutlich nicht zufriedenstellenden Bereich von unter 40% – sind u.a. SPz PUMA, A400M, H 145M LUH SOF, GTF ZLK 15t und NH 90. (…)
Beispiele für stabile Systeme mit einer durchschnittlich verlässlichen hohen materiellen Einsatzbereitschaft häufig oberhalb 70% sind u.a. FREGATTEN, KPz LEOPARD 2, GTK BOXER, EUROFIGHTER. (…)
Beispiele für alte Systeme mit einer durchschnittlichen materiellen Einsatzbereitschaft von häufig unter 50% sind u.a. TORNADO, CH-53, P-3C ORION, Betriebsstofftransporter Klasse 704.

Das ist natürlich hinreichend allgemein formuliert – so dürfte die Verfügbarkeit des (von einem zivilen Muster abgeleiteten) Hubschraubermusters H145M deutlich höher liegen als die des Schützenpanzers Puma. Das wird hier nicht weiter differenziert und ist damit wenig hilfreich.

Allerdings finden sich, wenn auch ein wenig verklausuliert, in den Beiträgen der Inspekteure in dem offenen Teil einige Hinweise (man kann ja mal überlegen, was es bedeutet, wenn der Marineinspekteur den Klarstand der Seefernaufklärer mit diesem Satz beschreibt: Ebenso ergibt sich bei den Seefernaufklärern P-3C ORION, trotz der insgesamt verbesserten materiellen Lage bei den Luftfahrzeugen selbst, aufgrund der eingeschränkten Verfügbarkeit von Ersatzteil- und Verlegepaketen, ein permanentes Erfordernis zur Priorisierung der möglichen Einsatzoptionen.)

Zusammen mit dem Bericht zur Materiallage veröffentlichte das Ministerium seinen 10. Rüstungsbericht. Auch den muss man sich sehr genau durchlesen, zum Beispiel beim neuen Marinehubschrauber SeaLion:

Der NTH SEA LION wird das Luftfahrzeug (Lfz)-Muster SEA KING ab 2023 ablösen und dessen Aufgaben als Bordhubschrauber für die Einsatzgruppenversorger (EGV) der Marine sowie den Search and Rescue (SAR)-Betrieb für die Nord- und Ostsee und die Seeraumüberwachung vollständig übernehmen. Der erfolgreiche Erstflug des Hubschraubers fand im Dezember 2016 statt. Die Auslieferung der bestellten 18 Lfz NTH SEA LION soll im Zeitraum Ende 2019 bis Ende 2022 erfolgen. (…)
Die Auslieferung des ersten NH90 NTH SEA LION in der Konfiguration Step 1 erfolgte am 24.10.19 und im vierten Quartal 2019 sollen zwei weitere Lfz geliefert werden. Der finale Bauzustand (Konfiguration Step 2) ist für Ende 2021 geplant. Das Upgrade von Step 1 auf Step 2 ist für den Zeitraum 2021 bis 2024 vorgesehen. Verzögerungen in der Entwicklung, Qualifikation und der Auslieferung sind zu vermeiden, um die bruchfreie Aufgabenwahrnehmung nach dem Nutzungsdauerende des SEA KING Mk41 in 2023 sicherzustellen. Maßnahmen zur Einführung des Hubschraubers in die Marine werden konsequent verfolgt.

Ja, klingt doch gut.  Allerdings hatte doch das Ministerium selbst verkündet, dass die Marine wg. Problemen den Anfangsflugbetrieb mit dem SeaLion derzeit nicht beginnt… Diese Nachricht vom November hat es in den Bericht leider nicht mehr geschafft. Da muss man sich alle Projekte im Bericht wohl noch mal genauer vornehmen.

Und was sagt die Ministerin zu den beiden Berichten? Das hier:

Die materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr ist in den Einsätzen hoch, aber insgesamt ist sie nicht zufriedenstellend. Ich nehme diese Eingangsbilanz für mich als Ansporn.
Ich möchte für eine bessere finanzielle Ausstattung der Bundeswehr sorgen. Gleichzeitig werden wir sicherstellen, dass das Geld so eingesetzt wird, dass die Soldatinnen und Soldaten mit einsatzbereitem Material und persönlicher Ausrüstung ausgestattet sind.
Mit den Entscheidungen zu den HIL-Werken und der Reform der Beschaffungsordnung sind erste Schritte bereits getan.
Ein ehrliches Lagebild dient als Grundlage, nicht nur für das Parlament, sondern auch für die Öffentlichkeit. Daher umfasst dieser Bericht erstmals umfangreiche Aussagen und Bewertungen aus allen Bereichen der Bundeswehr.
Ich habe eine Klausurtagung der gesamten Leitung des BMVg und des nachgeordneten Bereichs zu Jahresbeginn 2020 angesetzt, bei der die Erhöhung der materiellen Einsatzbereitschaft einen zentralen Schwerpunkt bilden wird. Dort werden weitere Schritte, notwendige Entscheidungen und Prioritätensetzungen offen beraten, entschieden und dann gemeinsam umgesetzt.

(Foto: NH90 Sea Lion am 6. November 2019 bei der Überführung nach Nordholz – mit freundlicher Genehmigung von Pierre Reich via ETMN-Planespotting)