Bundesregierung will Anti-IS-Einsatz fortsetzen – aber keine deutschen Bodentruppen (Nachtrag: SPD)

Die Bundesregierung will den Einsatz der Bundeswehr in der Anti-IS-Koalition fortsetzen und dafür entgegen der Festlegung im aktuellen Mandat eine weitere Beteiligung der Luftwaffe erreichen. Deutsche Bodentruppen in Syrien, wie sie die USA gegenüber Deutschland ins Gespräch gebracht haben, sind nach den Worten von Regierungssprecher Steffen Seibert dagegen nicht vorgesehen.Der Sonderbeauftragte der USA für für Syrien und die Anti-IS-Koalition, James Jeffrey, hatte in der vergangenen Woche nicht nur Gespräche im Auswärtigen Amt in Berlin geführt – sondern auch gezielt bei deutschen Medien für den Einsatz deutscher Bodentruppen in Syrien als Teil dieser Koalition geworben. „Wir wollen von Deutschland Bodentruppen, um unsere Soldaten teilweise zu ersetzen“, hatte die Deutsche Presse-Agentur den US-Diplomaten zitiert.

Der deutsche Regierungssprecher sagte dagegen, zwar sei auch aus deutscher Sicht die Gefahr, die von der Terrororganisation Islamischer Staat ausgehe, nicht beseitigt. Der Ansatz der Bundesregierung sei deshalb, die bisherigen Maßnahmen möglichst fortzuführen und dabei zu erreichen, dass das Mandat für den Bundeswehreinsatz  verlängert würde. Darüber müsse allerdings der Bundestag entscheiden.

Der deutsche Beitrag in der internationalen Anti-ISIS-Koalition besteht derzeit aus einer Ausbildungsmission im Irak, vor allem aber in der Counter Daesh-Mission der Luftwaffe: Vom jordanischen Stützpunkt Al Azraq aus fliegen Aufklärungstornados über Syrien und dem Irak, außerdem ein Airbus A310MRTT als fliegende Tankstelle für die Kampfjets anderer Nationen in dieser Koalition. Das aktuelle Mandat (BT-Drucksache 19/4719) sieht ausdrücklich vor, dass der Luftwaffeneinsatz zum 31. Oktober dieses Jahres enden soll:

Das Mandat ist bis zum 31. Oktober 2019 befristet. Die Bereitstellung von Tornados zur luft- und raumgestützten Aufklärung sowie die Luftbetankung werden zum 31. Oktober 2019 beendet.

Wenn die Bundesregierung sich dafür ausspreche, die bisherigen Maßnahmen möglichst fortzuführen, dann zählen dazu bekanntlich keine Bodentruppen, sagte Seibert. Mit dem Verweis auf die Befassung des Bundestages vor Auslaufen des Mandats machte er zugleich klar, dass die USA nicht, wie von ihrem Sondergesandten öffentlich verlangt, eine weitergehende Antwort noch im Juli bekommen würden – das Parlament tritt nach der Sommerpause erst im September wieder zusammen. Allerdings dürfte jetzt die Debatte in der Koalition über die Abkehr von der grundsätzlichen Festlegung des Missionsendes im Mandat beginnen.

Die Aussagen von Regierungssprecher Steffen Seibert, Außenamtssprecher Rainer Breul und Fregattenkapitän (Korrektur) Christina Routsi vom Verteidigungsministerium zum Nachhören*:

BPK_Bundeswehr_Syrien_08jul2019     

 

Nachtrag: Die SPD lehnt bereits eine Fortsetzung des laufenden Einsatzes ab, wie ihr kommissarischer Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich erklärte. Die SPD bestehe auf dem Parlamentsbeschluss, das Mandat zur IS-Bekämpfung Ende Oktober zu beenden:

Militärische Maßnahmen in einem ohnehin unübersichtlichen Konfliktgeschehen sind kontraproduktiv. Gleichzeitig legen wir Wert darauf, Verfassung und Völkerrecht umfänglich zu beachten.
Zugleich ist daran zu erinnern, dass die amtierende deutsche Verteidigungsministerin dem Deutschen Bundestag vorgeschlagen hat, das Mandat zur Bekämpfung des IS in der Region am 31.10.2019 zu beenden. Die SPD besteht auf dieser Verabredung und dem entsprechenden Beschluss des Bundestages.
Wir haben über Jahre hinweg unsere bündnispolitischen Verpflichtungen erfüllt und einen großen Beitrag zur militärischen Bekämpfung des IS geleistet. Zugleich wissen wir, dass sich die Stärke des IS vor allem aus den innenpolitischen Verhältnissen in dessen Herkunftsländern herleitet. Hier kann Deutschland weiterhin Hilfe zur besseren Regierungsführung und örtlichen Konfliktbewältigung leisten.

*Nachtrag 2: Das Transkript des Audios oben:

Frage: Ich weiß nicht, ob die Frage an Herrn Seibert, Herrn Breul oder Frau Routsi geht. Seit dem Wochenende ist ja die erneute Forderung der USA offenkundig, dass sich Deutschland in Syrien militärisch auch am Boden engagiert, verbunden mit der Aussage: Wir hätten gern im Juli noch eine Antwort. – Können die USA im Juli noch mit einer Antwort rechnen?

StS Seibert: Ich fange vielleicht einmal an. Deutschland leistet ja seit Jahren einen erheblichen und auch international anerkannten Beitrag zur Anti-IS-Koalition. Wir sind in der Luftaufklärung tätig, in der Luftbetankung und auch bei der Ausbildung von irakischen Einheiten.

Jetzt sind wir gemeinsam mit unseren Verbündeten, mit der amerikanischen Seite, im Gespräch, wie sich das Engagement in der Region weiter entwickeln soll. Denn das ist ja klar: Die Herausforderung durch den sogenannten Islamischen Staat ist noch keineswegs verschwunden. Es ist gelungen, ihm Gebiete abzunehmen, die er vormals in Syrien und Irak gehalten hat. Aber die Gefahr durch den „Islamischen Staat“ besteht weiterhin.

Bei diesem Austausch, den wir unter Partnern haben, geht es um eine ganze Reihe von sowohl militärischen als auch zivilen Komponenten, die geeignet sein könnten, um vor Ort in der Region eine Stabilisierung zu erreichen. Also es geht nicht um eine spezifische Art des Beitrags, es geht um eine Reihe von Komponenten, zivil wie militärisch, und sie müssen unter den Beteiligten sinnvoll aufgeteilt werden.

Der deutsche Ansatz ist, dass wir unsere bisherigen Maßnahmen möglichst fortführen wollen. Sie wissen, dass das Mandat für das deutsche Anti-IS-Mandat zum 31. Oktober ausläuft. Das heißt, über eine solche Fortführung der bisherigen Maßnahmen hat der Deutsche Bundestag zu entscheiden. Das ist der amerikanischen Seite auch bekannt.

Zusatzfrage: Sie sagen, es gebe eine ganze Reihe von militärischen und auch zivilen Komponenten, um dieses Ziel zu erreichen. Nun hat ja der Sonderbeauftragte der USA sehr gezielt über deutsche Medien die Forderung nach militärischen Komponenten gestellt. Ich gehe davon aus, dass ihm die deutsche Rechtslage bezüglich der Mandatierung durchaus bekannt war. Es gibt ja den ausdrücklich geäußerten Wunsch nach einer Antwort noch im Juli. Können Sie da nur sagen: Die USA kennen doch die Rechtslage? Oder müssen Sie da etwas deutlicher werden?

StS Seibert: Ich muss mich wiederholen: Von Seiten der Bundesregierung ist es ins Auge gefasst, die bisherigen Maßnahmen, die wir zur Anti-IS-Koalition beitragen, möglichst fortzuführen. Darüber hat der Deutsche Bundestag zu entscheiden. Denn das Mandat läuft zum 31. Oktober ab. Wenn ich sage „bisherige Maßnahmen“, dann habe ich sie ja aufgezählt.

Breul: Ich kann vielleicht, wenn ich darf, kurz ergänzen.

Herr Jeffrey war am Freitag im Auswärtigen Amt zu Gesprächen. Er hat dort den u. a. für Syrien zuständigen Abteilungsleiter getroffen. Das waren sehr gute konstruktive Gespräche. Ich möchte auch nicht verhehlen, dass die Amerikaner es sehr wertschätzen, wie wir uns in der Anti-IS-Koalition einbringen. Herr Seibert hat es gerade schon erwähnt – wir bekommen dafür internationale Anerkennung. Dementsprechend waren das gute Gespräche. Herr Jeffrey kennt unser Bundestagsmandat. Er kennt auch die von Herrn Seibert genannten Zeitlinien. Von daher gibt es da für die amerikanische Seite eigentlich keine Überraschung.

Frage: Herr Seibert, wenn Sie von einer Fortführung der bisherigen Maßnahmen sprechen, dann bedeutet das für mich logisch, dass die Bundesregierung nicht plant oder vorhat, über die bisherigen Maßnahmen hinaus – in Bezug auf ihren Umfang und ihre Struktur – etwas zu entsenden, zu mandatieren, vor allem nicht im Hinblick auf das, was die US-Amerikaner gern hätten, also einen verstärkten Einsatz von Bundeswehrkräften am Boden. Ist diese Interpretation richtig? Entspricht das dem, was die Bundesregierung denkt und will?

StS Seibert: Ja, wenn ich sage, dass die Bundesregierung es ins Auge fasst, ihre bisherigen Maßnahmen im Rahmen der Anti-IS-Koalition fortzuführen, dann zählen dazu bekanntlich keine Bodentruppen.

Zusatzfrage: Sie sagten eingangs, es werde sozusagen über einen Korb verschiedenster Maßnahmen geredet. Wird auch über das, was die US-Amerikaner gern hätten, mit den Amerikanern geredet? Oder hat die Antwort, die Sie eben gegeben haben, die Bedeutung: Darüber reden wir nicht?

StS Seibert: Nein. Ich habe gesagt, dass wir und auch die anderen Verbündeten innerhalb dieser Anti-IS-Koalition mit den amerikanischen Partnern darüber reden, wie sich das Engagement in der Region weiterentwickeln soll. Denn es ist erfreulicherweise gelungen, dem IS erhebliche Territorien, die er besetzt hielt, in denen er seine schreckliche Herrschaft aufrechterhalten hatte, abzunehmen.

Dennoch müssen wir feststellen, dass die Gefahr, die Herausforderung durch den IS, nicht gänzlich verschwunden ist. Also es ist richtig, dass man unter Verbündeten in der Anti-IS-Koalition darüber nachdenkt, wie man auf die neue Situation reagiert und wie man den Einsatz weiterentwickelt. Dabei geht es um Stabilisierungsmaßnahmen, die sowohl zivil als auch militärisch sein können. Darüber sind wir in einem Austausch, aber eben nicht bilateral, sondern im Rahmen der Koalition unter den Partnern.

Frage: Herr Seibert, Sie sagen, es sei ins Auge gefasst, das, was man jetzt tut, fortzuführen. Ist das tatsächlich konsolidierte Position der Bundesregierung und der Koalition? Oder gibt es darüber, ob man dieses Mandat tatsächlich so fortführen und so an den Bundestag herantreten will, noch Diskussionen innerhalb der Bundesregierung?

StS Seibert: Also ich spreche hier für die Bundesregierung. Gleichwohl läuft das Mandat ja erst Ende Oktober aus. Das heißt, wie wir dann an den Deutschen Bundestag herantreten, um eine Verlängerung zu bekommen, das wird sich in den kommenden Monaten noch entscheiden. Aber das ist das, was ich für die Bundesregierung heute sagen konnte.

Frage: Ich will es noch einmal bei Herrn Breul versuchen. Ist James Jeffrey am Freitag in dem Gespräch die bekannte und lange praktizierte Position Deutschlands noch einmal deutlich gemacht worden, also keinerlei Bodentruppen in Syrien einzusetzen? Wie hat er darauf reagiert?

Breul: Ehrlich gesagt: Die Gespräche mit Herrn Jeffrey und Herrn Ackermann, die ja am Freitag stattgefunden haben, finden im Drei-Monats-Zyklus statt. Dazwischen tauschen sich die Experten regelmäßig aus. Sie wissen vielleicht auch, dass die USA hier eine nicht ganz Kleine Botschaft haben. Sie verfolgen natürlich auch die Debatten, die wir hier intern führen. Also ich kann Ihnen sicher sagen: Den USA ist unsere Position sehr wohl bekannt. Da gab es am Freitag keinerlei Überraschungen.

Frage: Der Sonderbeauftragte fordert ja deutsche Bodentruppen für die Unterstützung der von PED und YPG angeführten syrisch-demokratischen Kräfte. Die Türkei stuft ja die beiden Organisationen als Terrororganisationen ein. Beabsichtigt die deutsche Bundesregierung, über ihre Entscheidung zur amerikanischen Forderung mit der Türkei zu sprechen?

Breul: Ich kann nur darauf hinweisen – und das gilt auch für einige andere Fragesteller -: Schauen Sie sich vielleicht die Äußerung von Herrn Jeffrey in Gänze an. Bei dem, was er fordert, geht es ja nicht nur um Deutschland, sondern um eine ganze Reihe von Staaten, von denen er sich verstärktes Engagement in der Anti-IS-Koalition wünscht. Er äußert sich auch zu Nordostsyrien. Die Frage, ob mit seinen Truppenforderungen eventuell eine mögliche Pufferfunktion zwischen der Türkei und bestimmten kurdischen Gruppen gemeint sei, verneint er ausdrücklich. Es geht hier um das Mandat und den Kampf gegen den IS – um keine anderen Themen.

Zusatzfrage: Hat die Bundesregierung Beziehungen irgendeiner Art zur PED und YPG?

Breul: Nein.

Frage: Eine Frage an das Verteidigungsministerium: Ich hätte ganz gern gewusst, ob die Bundeswehr denn das könnte, was angefragt wird? Das ist die eine Frage.

Die zweite Frage an Herrn Seibert: Wir haben jetzt über Militär geredet. Aber es gibt ja noch eine Paralleldebatte, dass sich Deutschland am Wiederaufbau in Syrien beteiligt. Ist da Bewegung in die Debatte innerhalb der Bundesregierung gekommen, und könnten Sie sich vorstellen, dass die Bundesregierung in den nächsten Monaten aktiv in den Wiederaufbau Syriens miteingreift?

Routsi: Ich glaube, Sie haben Verständnis dafür, dass ich hier nicht im Konjunktiv antworten werde. Gerade jetzt verbieten sich jegliche Spekulationen. Der Regierungssprecher hat sich dazu eingelassen. Es geht nicht darum, was wir könnten, sondern was wir im Moment tun. Das ist ja klar umfasst. Dabei möchte ich es auch belassen.

Zusatzfrage: Ich möchte noch einmal nachfragen: Es geht um ein Fähigkeitsprofil. Es ist also nicht eine hypothetische Frage.

Routsi: Das ist ja öffentlich einsehbar. Dem können Sie auch entnehmen, wie wir unsere Zukunft bis 2031 sehen. Das möchte ich aber jetzt nicht in diesen Zusammenhang einbringen.

StS Seibert: Bevor man sich mit konkreten Gedanken an den Wiederaufbau befasst, muss es in Syrien zu einer ganz anderen Lage kommen, nämlich zu einer stabilen friedlichen Lage, in der die Gewaltanwendung gegen Syrer aufhört. Da sind wir ja noch nicht. Es gibt immer wieder, fast täglich, Berichte von Angriffen auf Zivilisten und auch von Gräueltaten. Das heißt, wir brauchen den politischen Prozess, der noch nicht weit genug vorangekommen ist. Es ist immer wieder ein Thema – auch wenn die Bundeskanzlerin sich mit dem russischen Präsidenten trifft, wenn sie sich mit dem türkischen Präsidenten trifft, wie zuletzt bei G20.

Wir haben immer gesagt: Ein wichtiger Schritt, um diesen politischen Prozess noch weiter voranzubringen oder überhaupt voranzubringen, wäre die Einrichtung eines Verfassungskomitees. Darüber wird unter Vermittlung der Vereinten Nationen nun schon sehr lange gesprochen. Dieses Verfassungskomitee ist immer noch nicht ganz auf die Beine gestellt. Wir brauchen da eine glaubwürdige, inklusive Zusammensetzung. Aber die letzten Schritte sollten ja auch noch zu schaffen sein. Die Bemühungen müssen fortgesetzt werden. Das alles steht vor dem Nachdenken über eine aktive Beteiligung am Wiederaufbau.

Frage: Eine Frage an Herrn Seibert. Sie haben das Verfassungskomitee erwähnt. Da gab es vor zwei Wochen meiner Meinung nach einen Bericht aus Syrien, dass genau dieses nun vollständig ist, dass die letzten sechs Mitglieder bestimmt wurden und es in Genf weitergehen kann. Können Sie das so bestätigen oder ist das so nicht korrekt?

StS Seibert: Wenn es so wäre, dann wäre das erfreulich. Ich kann es hier jetzt nicht bestätigen. Das müssten wir überprüfen. Wichtig ist ja, dass nicht nur die syrische Seite alle Mitglieder dieses Verfassungskomitees akzeptiert, sondern dass es auch das Wohlwollen und die Zustimmung der Vereinten Nationen und der anderen Kräfte findet.

Ich muss das nachprüfen. Nach meinem Stand fehlten – zuletzt jedenfalls, als man sich bei G20 traf – noch einige Namen auf dieser Liste. Aber ich gehe dem noch einmal nach.

(Archivbild: Airbus A310-MRTT und Tornado IDS 45+92 rollen zur Startposition auf der Air Base in Al-Azrak/Jordanien im Rahmen der Mission Counter Daesh am 20.04.2018 – Jürgen Sickmann/Bundeswehr)