Erneuter Luftwaffeneinsatz im Baltikum: Keine neue Regeln, aber neue Sensoren

Im September übernimmt die deutsche Luftwaffe erneut einen Teil der Luftüberwachung, des so genannten Air Policing, über den NATO-Mitgliedsländern des Baltikums. Wie schon einige Male in den vergangenen mehr als zehn Jahren werden für gut ein halbes Jahr deutsche Eurofighter-Kampfjets auf der Luftwaffenbasis Ämari in Estland stationiert, die von dort aus den Luftraum entlang der russischen Grenze und über der Ostsee überwachen. Parallel dazu sind Flugzeuge anderer NATO-Mitglieder auf der Luftwaffenbasis Šiauliai in Litauen stationiert.

Das so genannte Baltic Air Policing (BAP) mit rotierenden Kontingenten der Bündnispartner läuft zwar schon seit 2004 und diente ursprünglich nur dem Ziel, die baltischen Staaten zu unterstützen, so lange sie keine eigene Luftwaffe aufgebaut haben. Angesichts der Ukraine-Krise und der russischen Annektion der Krim wurde es aber, so der deutsche Begriff, als Verstärktes Baltic Air Policing 2014 erweitert: Unter anderem werden seitdem auf den Basen in Estland und Litauen zeitgleich NATO-Kampfjets stationiert. Nach der Verstärkung – auch mit deutscher Beteiligung 2014 – wurde dieser Einsatz allerdings 2015 wieder reduziert.

Nun hatten die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen in den vergangenen Monaten darauf gedrungen, die Einsatzregeln für die Kampfjets zu erweitern und dabei neben der reinen Luftüberwachung auch die Verteidigungsbereitschaft des Bündnisses stärker zu demonstrieren:

NATO’s air defense problem: Maintaining the peace vs. securing the eastern flank
On NATO’s eastern flank, the Baltic nations find themselves constantly worrying that their nascent air defense systems could be overwhelmed by a Russian attack from the skies.
As a result, the nations have begun pushing to change NATO’s air-policing mission, in which partner nations provide aircraft that patrol the skies but under strict rules about how they can and cannot interact with any non-NATO aircraft. The effort aims for a more active air defense mission, which would feature different rules of engagement and integration with ground-based air defense systems.Officials from Lithuania and Estonia have been publicly lobbying their NATO colleagues for such a change, which would have to come at the political level.

Daraus wurde allerdings bislang nichts. Die Rules of Engagement (RoE) für die NATO-Kampfjets blieben im Vergleich zu den bisherigen BAP-Einsätzen unverändert, sagte ein Sprecher des Zentrums Luftoperationen der Bundeswehr auf Anfrage von Augen geradeaus!. Auch an Bewaffnung und Fähigkeiten der Kampfjets habe sich nichts geändert: Beim neuen Einsatz ab September steigen die deutschen Eurofighter wie schon in den Vorjahren mit der 2015 befohlenen war time load von AAMRAM- und Iris-T-Lenkflugkörpern für den Luftkampf zu ihren Missionen auf.

Nach Bundeswehrangaben wird zunächst das Taktische Luftwaffengeschwader 74 aus Neuburg an der Donau das Baltic Air Policing in Ämari bis zum Jahresende übernehmen. Von Januar bis Ende April 2019 folgt das Taktische Luftwaffengeschwader 71 Richthofen aus Wittmund. Beide Geschwader halten dort jeweils vier Eurofighter in Bereitschaft; eine Maschine steht zum Ersatz bereit. Zudem gibt es am Heimatflughafen ein weiteres Flugzeug in 96-Stunden-Bereitschaft.

Während die Rahmenbedingungen des Luftwaffeneinsatzes unverändert bleiben, hat sich am Boden was getan: Wie auch in den Vorjahren wird ein Luftwaffenerfassungstrupp während des deutschen Einsatzes nach Estland verlegt. Das Bataillon für elektronische Kampfführung 912 aus Nienburg wird erneut seine Antennen und Sensoren aufbauen – nicht auf der Luftwaffenbasis Ämari, sondern deutlich näher an der estnisch-russischen Grenze.

Neu ist allerdings diesmal die Sensortechnik, die die Nienburger (die trotz des Begriffs Luftwaffenerfassungstrupp zum Kommando Cyber- und Informationsraum gehören) nach Estland mitnehmen. Erst im Juni* erhielt das Bataillon neue Aufklärungssensorik genau für diese Mission:

„Mit dem System sind wir fähig, die im Rahmen der Sicherung des NATO-Luftraums im Baltikum eingesetzten Kräfte der Deutschen Luftwaffe bei der Durchführung ihres wichtigen Bündnisauftrags noch deutlich besser zu unterstützen““, so der Kommandeur des Bataillons für Elektronische Kampfführung 912 in Nienburg an der Weser, Oberstleutnant Markus Messelhäußer. (…)
Die neue Aufklärungstechnik ist Teil des Luftwaffenerfassungstrupp I zur Unterstützung von Luftwaffenoperationen und ersetzt ältere Systembestandteile. Sie ermöglicht den Experten des Bataillons, der im Zuge des NATO Air Policings im Baltikum eingesetzten Deutschen Luftwaffe unmittelbar „vor Ort“ ein umfassenderes und aussagekräftigeres Lagebild zur Verfügung zu stellen. (…) „Das im Rahmen dieser Einsatzaufgaben eingesetzte Aufklärungssystem war in einigen Bereichen an seine technologischen Grenzen gestoßen“, so Oberstleutnant Messelhäußer.

Nachtrag 15. August: Fürs Archiv: Neben dem Baltic Air Policing gibt es auch ein NATO enhanced air policing an der Südostflanke der Allianz, das man auch im Auge behalten sollte. Hier eine aktuelle AFP-Meldung:

Britain’s RAF intercepts six Russian bombers over Black Sea

Britain’s Royal Air Force said Wednesday it had intercepted six Russian bomber planes flying close to NATO air space over the Black Sea.
The Eurofighter Typhoons launched early Monday from their base in Romania after the Russian Su-24 Fencer planes were spotted, the RAF said in a statement. It said there had been ‘significant Russian air activity through most of the night’. The Russian aircraft eventually turned towards Crimea, the RAF said.

(Entgegen der üblichen Praxis der Briten gibt es davon bislang keine veröffentlichten Fotos.)

*Vorsorglich der Bericht zur neuen Technik beim EloKaBtl912 als pdf-Datei:
Gelungenes Rüstungsprojekt ermöglicht leistungsfähigere Aufklärung

(Archivbild: Eurofighter auf der estnischen Airbase Ämari im März 2017)